Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

Zu diesen We chslern gehört Kai­
man Rothschild, der im Haus Hinter­
pfann wohnt. Den Namen trägt seine
Familie nach dem Haus zum Rochen
Schild am Südende der Judengasse, in
dem Joseph Rothschild, ein entfernter
Verwandter des We chslers Kaiman, he­
bräische Bücher verkauft.
Oie Vermittlung von Krediten
zählt auch zu den wichtigsten Aufgaben
der "Hofjuden", die trotz ihres Wo hn­
sitzes in der Judengasse als Berater an
manchen Fürstenhöfen wirken (siehe
Seite 52). Sie beliefern die Adelsresiden­
zen unter anderem mit Luxuswaren und
versorgen ganze Heere mit Ausrüstung,
Kleidung, Waffen.
Vor allem aber beschaffen sie Geld,
oft dank ihrer familiären Verbindungen
in ganz Europa. Nicht selten handelt es
sich dabei um enorme Summen, die die
Fürsten etwa für einen Krieg brauchen.
Es ist ein risikoreiches Geschäft,
stets abhängig von der Gunst des Herr­
schers und dessen Möglichkeiten, das
Geld zurückzuzahlen. Aber da sich auf
diese An eine seltene Chance auf Privi­
legien und gute Verdienste bietet, sind
die Hofjuden bereit, Risiken einzu­
gehen. Sie dürfen das Ghetto auch an
Sonn-und Feiertagen verlassen.
Den übrigen Bewohnern der Gasse
gewährt der Stadtrat nur zweimal im
Jahr Sonderrechte: während der Messen.
Dann sind fü r die Juden alle Handels­
beschränkungen aufgehoben.


D


er Markt breitet sich an den
Messetagen über die halbe
Stadt aus. Oie Straßen hin­
auf zum Römerberg, dem
Platz vor dem Rathaus, sind voller Bu­
den. Auch in den umliegenden Häusern
werden die Räume im Erdgeschoss vor­
übergehend zu Läden. Die Verkaufsstän­
de in den Hallen unter dem Rathaus sind
den teuersten Wa ren vorbehalten: Juwe­
len, Edelsteinen, Goldschmiedearbeiten.
Neben Schmuck zählen Gewürze
wie Pfeffer, Zimt und Ingwer zu den

Viele Frankfurter Händler
stammen aus dem Ausland;
das volle Bürgerrecht bleibt
ihnen meist verwehrt

Sie bestimmen in der
Stadtwaage das Gewicht
importierter Waren - und
die Höhe der Abgaben

Den Herstellern von
Sehhilfen bietet Frankfurt
mit seiner gebildeten Ober­
schicht gute Kundschaft

Luxuswaren, aber auch Te e tmd Kaffee -
sowie edle Keramik aus der Frankfurter
Fayencemanufaktur: Schüsseln, Te ekan­
nen, Tintenfässer, Nachttöpfe aus weiß
glasiertem To n, verziert mit eingebrann­
ten Bemalungen.
Anders als das aus Ostasien impor­
tierte Porzellan sind die Fayencen auch
für das Bürgertum erschwinglich.
Angeboten werden zudem alle Ar­
ten von Stoff: leuchtend gefärbt, kunst­
voll gemustert, bestickt, durchwirkt mit
Gold-und Silberfäden. Schwerer Samt
und Brokat, fe iner Musselin und zarte
Spitze sowie schimmernde Seide, wie sie
Hermann Firnhaber in seinem Laden
verkauft, von dem es heißt, er sei die
größte Seidenhandlung in Deutschland.

WELCHE KLEIDER, welche Frisuren in
Mode sind, diktiert der französische
Königshof. Politisch und militärisch ist
Frankreich Führungsmacht in Europa,
seine Sprache, seine Kultur, Prunk und
Glanz seines Herrschers haben Einfluss


  • und nicht nur an den Fürstenhöfen.
    Da sich der Sonnenkönig häufig in
    Soldatenkleidung zeigt, ist der knielange
    Soldatenrock in einer zivilen Variante
    auch bei deutschen Bürgern in Mode,
    körperbetont geschnitten und kombi­
    niert mit Hemd, Halsbinde, Kniehose.
    Oie Frauen der vornehmsten Fami­
    lien tragen jetzt als Kopfschmuck die
    fontange, benannt nach einer Mätresse
    Ludwigs XIV.: eine hohe Haube aus
    Drahtgestell, überzogen mit weißer Sei­
    de, Leinwand oder Spitze, zusammen­
    gehalten von einer farbigen Schleife.
    Die Damen aus den bessergestellten
    Schichten schmücken ihre Lockenfrisu­
    ren mit Perlen, Juwelen, Seidenschlei­
    fe n, pudern ihre Haare, schminken die
    Gesichter blass und verzieren sie mit
    schwarzen Schönheitspflästerchen in
    den Augenwinkeln, auf Wa ngenkno­
    chen, über Lippenbögen.
    Sie zeigen sich gern im manteau,
    einem dekolletierten Mamelkleid, oft
    aus schweren Samt-und Seidenstoffen

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