Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

überhaupt Mitglieder in das Gremium
entsenden, darunter Metzger, Bäcker,
Wo llweber. Und Einfluss auf die Stadt­
geschäfte haben sie kaum.
Die Mitglieder der Stadtregierung
bestimmen, wer nach dem To d eines
Ratsherrn in das Gremium nachrückt.
Auf diese We ise haben die Patrizier
ihren Einfluss stets bewahrt. Bis ins De­
tail greift der Rat in den Alltag jedes
einzelnen Einwohners ein. Er legt die
Zahl der Handwerksbetriebe und ihrer
Beschäftigten fe st, diktiert die Preise für
den Handel mit Nahrungsmitteln. Und
er allein urteilt und richtet über Leben
und Sterben. Schon ein Dieb, der mehr
als einmal stiehlt, kann mit dem To d
bestraft werden. Für den Mord an einem
Geistlichen hat der Rat der Stadt einige
Jahre zuvor den Schuldigen rädern las­
sen: Mit einem großen Wa genrad hat der
Scharfrichter dem Täter vor der Hinrich­
tung qualvoll die Knochen gebrochen.
Der Rat bestimmt die Geschicke
der Stadt. We r mit den Entscheidungen
nicht einverstanden ist, kann sich nur
noch an den Kaiser wenden.


E


in mal aber haben Handwerks­
zünfte und andere Angehöri­
ge der niederen Stände gegen
das Regiment des Patriziats
rebelliert - doch ist das schon gut 90
Jahre her. 1612 begehrten sie auf, weil
der Rat geheim hielt, welche verbrieften
Rechte auch den weniger vermögenden
Bürgern der Reichsstadt zustanden, und
ihnen verweigerte, die Urkunden einzu­
sehen, die diese Rechte garantieren.
Sie protestierten gegen Münzver­
fall, Preissteigerungen sowie hohe Kre­
ditzinsen, gegen immer neue Steuerlas­
ten, mit denen die einfachen Bürger jene
Verschuldung ausgleichen sollten, in die
reiche Ratsherren die Stadt mit ihrem
enormen Aufwand für Prunk, Zeremo­
nien, Feste geführt hatten (die Rebellen
fo rderten auch, die Zahl der Juden in
der Stadt zu verringern, und drohten mit
einem Pogrom).


Hohe Fingerfertigkeit ver­
langt die Herstellung feinster
Gefäße, Statuen und Bilder
aus dem Gipsgestein

Immigranten aus den
Niederlanden haben den
Handel mit Arzneien in
Frankfurt etabliert

Ihre Gewichte und Waagen
in verschiedensten Größen
sind für alle Händler von
großer Bedeutung

Der Kaiser persönlich vermittelte
damals zwischen Ratsherren und Hand­
werkern, ein "Bürgervertrag" sollte die
Macht der Patrizier zumindest etwas
einhegen. Die Sitze auf den ersten beiden
Ratsbänken waren fo rtan nicht mehr
ihnen allein vorbehalten. Zudem sollte
bei der Ernennung von Ratsherren künf­
tig auch die �alifikation für das Amt
zählen, nicht nur die vornehme Abstam­
mung. Mehr noch: Nahe Verwandt­
schaft zu anderen Ratsmitgliedern er­
klärte der Vertrag zum Ausschlussgrund
für Kandidaten.
Den radikaleren unter den Hand­
werkern aber reichte das nicht. Im Mai
1614 besetzten der Lebkuchenbäcker
Vincenz Fettmilch und etliche Gefolgs­
leute den Römer und zwangen den Rat
zum Rücktritt. Knapp vier Monate spä­
ter stürmte eine Menge die Judengasse,
plünderte die Häuser, trieb die Bewoh­
ner auf dem Friedhof zusammen und
verkündete ihre Ausweisung aus der
Stadt. Erst mit dem Eingreifen des Kai­
sers brach der Aufstand zusammen: Er
schickte Truppen nach Frankfurt und
ließ den Rat wiedereinsetzen.
Im Januar 1616 wurden die Anfüh­
rer der Aufständischen hingerichtet. Am
selben Tag geleiteten kaiserliche Trup­
pen die Frankfurter Juden zurück in die
Gasse. Seither fe iern sie dort jedes Jahr
den Tag ihrer Rettung und Rückkehr.
Und am Brückenturm über dem
Main sind auch jetzt, fast 90 Jahre später,
noch immer die Köpfe der Hingerichte­
ten zu sehen, aufgespießt aufEisensran­
gen - eine Mahnung, dass jeder Griff
nach der Macht scheitern muss.
Vorsorglich hat der Stadtrat den
Handwerkerzünften nach dem Ende des
Aufstands das Recht auf Selbstverwal­
tungweitgehend entzogen. Die Elite will
sichergehen, dass ihre Herrschaft nie
wieder herausgefordert wird.
Viele reiche Bürger wohnen rund
um den Rathausplatz sowie in den Sei­
tenstraßen: in Häusern mit Fachwerk­
fassaden, Türmchen, Zinnen, Tr eppen-
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