Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

giebeln. Am Messehandel verdienen sie
mit, indem sie in den unteren Etagen
Wa ren der Messehändler lagern oder
Läden öffnen und in den oberen Etagen
Kaufleute einquartieren.
Denn während der Messen erlaubt
der Stadtrat den Hausbesitzern, Fremde
zu beherbergen und zu verpflegen (sonst
ist dies den Gastwirten vorbehalten).
Die meisten Besucher kommen in priva­
ten Häusern und Wo hnungen unter.
Andere Kaufleute nehmen mit Kol­
legen, die aus derselben Stadt stammen,
in großen Messherbergen �artier, die
in diesen Wo chen auch als Handelsver­
tretung und Wa renlager dienen, etwa
dem "Nürnberger Hof" für die Händler
aus der fränkischen Metropole.


64 GASTHÄUSER zählt die Stadt 1704;
als Bestes gilt das "Große Rote Haus"
auf der Zeil, auch wenn der Besitzer
als Spekulant verrufen ist, mit einem
Hang zu riskanten Finanzgeschäften
und womöglich auch Falschmünzerei.
Hausierer, Boten und fahrende
Krämer, die ohne Pferd und Wa gen rei­
sen, müssen mit einfachsten Unterkünf­
ten vorliebnehmen. Meist bieten diese
"Fußherbergen" nicht mehr als ein
Strohlager in einer Stube, die mit ande­
ren Reisenden zu teilen ist und oft genug
mit Mäusen, Flöhen, Ratten.
Die Wände sind mit Sprüchen
beschmiert, die Bettbezüge schmutzig.
Und die Verpflegung ist kaum besser: der
We in verdünnt, das Essen so ungenieß­
bar, als hätte der Wirt dafür die Reste
von anderen Te llern zusammengekratzt.
Voll sind sie zu Messezeiten trotz­
dem, ebenso wie die Kaffeehäuser, die
We inschenken und die Bordelle (die nur
noch heimlich betrieben werden, seit die
Stadtregierung vor fast 150 Jahren alle
"Frauenhäuser" geschlossen hat).
Auf den Straßen und Plätzen lässt
der Rat während der Messe gegen eine
Abgabe an die Stadtkasse Akrobaten,
Seiltänzer und Feuerschlucker auftreten,
Puppenspieler, Musikanten und Schau-


Protokollieren Streitfälle vor
Gericht - die in Frankfurt
oft zugunsten der einfluss­
reichen Patrizier ausgehen

Auf den Messen handeln die
Kunsthandwerker mit
Verlegern neue Aufträge für
Buchillustrationen aus

ln einem aufwendigen
Verfahren fertigen sie aus
einer Bleilegierung
Lettern für den Druck

spieltruppen, manche aus dem Ausland
angereist. Selbst dressierte Elefanten
sind schon zu sehen gewesen.
Wo immer sich das Publikum ver­
sammelt, um den Gauklern zuzuschau­
en, heischen Händler mit Salben und
anderen Heilmitteln um die Aufmerk­
samkeit der Menge, bieten Zahnärzte
und Okulisten, die auf wundersame
We ise den grauen Star kurieren, ihre
Dienste an. Das Sanitätsamt der Stadt
inspiziert zuvor alle medizinischen Pro­
dukte, um Betrug zu verhindern.
Vier Jahre ist es her, dass der be­
rühmte Chirurg Doktor Eisenbarth auf
der Fastenmesse aufgetreten ist und der
Gastwirtssohn Lorenz Heister, erst 16
und Schüler am Gymnasium der Stadt,
ihm bei einigen Operationen auf der
Bühne und im Zelt dahinter assistieren
durfte: Behandlungen von Hasenschar­
ten, Brüchen, Blasensteinen sowie das
Starstechen, bei dem der Arzt die ge­
trübte Linse mit der Nadel auf den Bo­
den des Augapfels drückte, damit wieder
Licht auf die Netzhaut fallen konnte.
Eisenbarth ist bekannt dafür, Pa­
tienten besonders schnell und schmerz­
arm zu operieren. In vielen Fürstentü­
mern darf er per herrschaftlichem Pri­
vileg als einziger Chirurg praktizieren.
Lorenz Heister hat sich ihn zum Vorbild
genommen: Er studiert nun Medizin.
Für Wissenshungrige wie ihn, für
Gelehrte und solche, die es sein und wer­
den wollen, hat die Frankfurter Messe
seit Langem einen besonderen Anzie­
hungspw1kt: eine eigene Verkaufsmesse
für Bücher und Druckwaren aller Art.

A


uf der Herbstmesse 1454 hat
der Mainzer Johannes Gu­
tenberg dem Publikum den
ersten gedruckten Band prä­
sentiert, eine lateinische Bibel. In den
100 Jahren danach ist Frankfurt zum
größten Literaturmarkt Europas aufge­
stiegen. Drucker und Verleger haben sich
hier niedergelassen, zwischen Römer­
berg und Main ist ein Buchhändlervier-
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