Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

rel entstanden. In den Läden und Lagern
stapeln sich Ballen mit Rohbögen.
We nn Wa sser in die wuchtigen
Holzfässer einsickert, in denen Bücher
auf Planwagen oder Flussschiffen trans­
portiert werden, sind ganze Ladungen
verloren. Um dieses Risiko zu umgehen,
haben auch Verleger aus anderen Städten
ständige Lager in Frankfurt eingerichtet,
obwohl sie ihre Verkaufsstände nur zwei­
mal im Jahr öffnen. Auf den Messen
decken sie sich mir Papier und Druck­
typen ein, verhandeln mir Kupferste­
chern über Illustrationen für geplante
Bücher, treffen mit Autoren zusammen.
Die Messewochen sind zur Te rmin­
marke für Veröffentlichungen geworden.
Ein Katalog, von der Stadt herausgege­
ben und von einer kaiserlichen Kommis­
sion begutachtet, verzeichnet alle Neu­
erscheinungen- auch um die Bücherflut
besser zensieren zu können, denn We rke,
die "der Reichsruhe nachteilig" sind,
dürfen die Händler nicht verkaufen.
Mehr als 1000 Titel erscheinen im
Jahresdurchschnitt auf den Messen in
Frankfurt und Leipzig (das dem Bücher­
markt am Main seit Jahren zunehmend
bedrohlich Konkurrenz macht). Rund
40 Prozent der Neuerscheinungen sind
religiöse Schriften, hinzu kommen juris­
tische und medizinische We rke, Bücher
zu Geschichte und Geografie, Politik,
Philosophie, Naturwissenschaften sowie
Reiseberichte - ein großer Te il auf La­
tein verfasst, der Universalsprache der
Gelehrten, und damit europaweit zu
vertreiben. Erst vor wenigen Jahren sind
in den Messekatalogen zum ersten Mal
mehr Neuerscheinungen aufDeutsch als
Latein verzeichnet gewesen.
Nur ein Bruchteil der Buchproduk­
tion entfällt auf Dichtung. Das Publi­
kum für schöngeistige Literatur ist klein.
Für mehrbändige Romane wie Daniel
Casper von Lohensteins "Großmütiger
Feldherr Arminius", der im Germanien
der Römerzeit spielt, verlangen die
Buchhändler Preise, die dem Monatsein­
kommen eines Beamten entsprechen.


..
Ballen ungebundener Bögen
stapeln sich in den Lagern des
Buchhändlerviertels zwischen
Römerberg und Main

Rund 1000 neue Titel werden
jedes Jahr auf den Buchmes­
sen präsentiert - mehr als ein
Drittel sind religiösen Inhalts

Die Stadtoberen lassen jeden
Titel überprüfen, bevor die
Frankfurter Buchhandlungen
ihn anbieten dürfen

Der viel verkaufte Abenteuerroman
"Asiatische Banise" ist dagegen schon
für zehn Groschen zu haben, der satiri­
sche "Simplicissimus" für knapp das
Dreifache: Kein anderes We rk fi ndet so
viele Leser wie Hans Jakob Chrisroffel
von Grimmeishausens mal anzüglicher,
mal moralischer Roman um den Sohn
einer Bauernfamilie aus dem Spessarr
und seinen Weg durch die Wirren des
Dreißigjährigen Kriegs.

BEl STUDENTEN, Akademikern, reichen
Stadtbürgern sind vor allem humoristi­
sche Schwänke beliebt. Handwerker und
mittelständische Kaufleute bevorzugen
dagegen religiöse Schriften - wenn sie
überhaupt lesen können.
Zwar haben viele Landesherren in
ihren Te rritorien die allgemeine Schul­
pflicht eingeführt, aber durchgesetzt
wird die Bestimmung kaum.
In Frankfurt ist der Unterricht frei­
willig. In den privaten Elementarschulen
der Stadt lernen Kinder jeden Alters in
einer Klasse Lesen, Schreiben, Rechnen.
Einen Gulden kostet die Unterweisung
im Jahr, doppelt so viel für Kinder aus
Familien, die über ein Vermögen von
mehr als 1000 Gulden verfügen. Eine
bessere Bildung versprechen die Latein­
schule, das städtische Gymnasium oder
private Hauslehrer.
In ganz Deutschland gibt es wohl
nicht mehr als 100 000 potenzielle Leser
für Belletristik und Sachbücher - also
Menschen, die an Universitäten studiert
oder eine Lateinschule absolviert haben,
zur städtischen Oberschicht gehören
oder zum ländlichen Adel.
Allerdings sind unter ihnen schon
zahlreiche Sammler. Gelehrte häufen oft
5000 Bände an, bisweilen auch mehr als
20 000. Seit 1668 verfügt Frankfurt über
eine öffentliche Stadtbibliothek.
Für die Intellektuellen aus ganz
Europa, die Wissenschaftler und Litera­
ten, Sprachgelehrten und Naturforscher,
die in diesen Märzwochen zur Buch­
messe reisen, ist der Marktplatz am Main
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