Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

Immer neue Schulden häuft der Rat
an, schürt die Wut der Handwerker und
Kaufleute, die zum Ausgleich höhere
Steuern und Gebühren zahlen sollen.
Schließlich wird eine kaiserliche Kom­
mission einen Bürgerausschuss einset­
zen, der die Stadtfinanzen kontrolliert.
Verheerende Brände zerstören 1711
fast 200 Häuser in der Judengasse und
1719 ein ganzes Viertel mit mehr als 400
Gebäuden. Die Buchmesse verliert über­
dies immer schneller Publikum an das
rivalisierende Leipzig.
Dort ist der Markt auf die zuneh­
mend stärker gefragten deutschsprachi­
gen Titel ausgerichtet, während Frank­
furt der lateinischen Tr adition verhaf­
tet bleibt. We nige Jahre später heißt es
in der Stadt am Main, dass viele Buch­
läden in We inschenken verwandelt wor­
den seien - und so liegt das Zentrum
des deutschen Literaturhandels um die
Mitte des 18. Jahrhunderts in Leipzig.


D


ennoch gelingt einigen Bür­
gern inmitten der Krisen der
Aufstieg. Der Gastwirtssohn
Lorenz Heister, der einst als
Schüler auf der Ostermesse dem Doktor
Eisenbarth assistieren durfte, wird als
Professor für Anatomie und Chirurgie
mit seinen Schriften weltbekannt.
Der erstgeborene Sohn des Stadt­
arztes Johann Hartmann Senckenberg
wird Reichshofrat des Kaisers. Der zwei­
te, Johann Christian, kann sein Medi­
zinstudium erst verspätet aufnehmen,
weil die Familie alles Geld in den Wie­
deraufbau ihres beim großen Stadtbrand
1719 zerstörten Hauses stecken muss.
Viele Jahre später, dreimal verwit­
wet und kinderlos, wird der Arzt sein
gesamtes Vermögen zur Förderung der
Heilkunde und der Naturwissenschaf­
ten in Frankfurt stiften. Die Dr. Sen­
ckenbergische Stiftung wird der Stadt
neben einem Krankenhaus, medizini­
schen Instituten, chemischen Laborato­
rien und einer Bibliothek auch einen
botanischen Garten finanzieren.


Viele Gewerbe sind arbeits­
teilig organisiert: Hefner
etwa liefern das Triebmittel
für die Bierbrauer

Süßwaren gelten als
Luxus - und werden auch
in Frankfurt vor allem zu
Festtagen produziert

Der Schneider Friedrich Georg
Göthe gibt bereits 1705 sein Handwerk
auf und heiratet eine Witwe, der einer
der besten Gasthöfe der Stadt gehört. Bis
zu seinem To d 1730 bleibt er Wirt des
"Weidenhofs".
Sein Sohn aus zweiter Ehe steigt als
promovierter Jurist und Kaiserlicher Rat
in den ersten Stand der Stadt auf. Die
Schreibweise des Familiennamens ändert
er in ,,Goethe" und heiratet im August
1748 eine To chter aus ebenjener Ober­
schichtfamilie, die der Schneidermeister

51 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700


Göthe ein halbes Jahrhundert zuvor we­
gen unbezahlter Rechnungen vergebens
verklagt hatte.
Ein Jahr später kommt das erste
Kind des Ehepaars zur We lt, später als
Dichter berühmt und in den Adelsstand
erhoben:Johann Wo lfgangvon Goethe.
Als der jüdische We chsler Kaiman
Rothschild 1707 stirbt, hinterlässt er nur
ein geringes Erbe.
Erst mit seinem Urenkel Mayer
Amschel Rothschild wendet sich das
Schicksal der Familie: Dem Münz-und
Antiquitätenhändler bringen adelige
Kunden eine Stelle als Hofjude des Gra­
fen Wilhelm von Hanau ein.
Mayer Amschel beteiligt sich an
den Geschäften des Grafen mit We ch­
selpapieren, wird wohlhabend, knüpft
Verbindungen in ausländische Metropo­
len und lässt seine fünf Söhne schon als
halbe Kinder im Geschäft mitarbeiten.
Die fü nf Rothschilds gelangen als
Privatbankiers zu legendärem Reichtum
und Einfluss in Europa, mit einem
Stammhaus in Frankfurt und Nieder­
lassungen in London, Paris, Wien und
Neapel- und werden zu Mitbegründern
einer neuen Ära in der Geschichte der
Mainmetropole.
Denn ab 1750 entstehen in Frank­
furt mehr und mehr Bankhäuser, die sich
auf das wachsende Geschäft der Staats­
anleihen spezialisieren, mit deren Hilfe
sich Fürsten und andere Landesherren
nun Kredite beschaffen.
Zu den Kunden der Bankiers zäh­
len schon bald die Könige von Preußen
und Dänemark und sogar der Kaiser in
Wien. Ganze Staatshaushalte ruhen auf
Schulden. Immer umfangreicher und in­
ternationaler werden die Geldgeschäfte,
und auch die Börse entwickelt sich zum
We rtpapiermarkt, der bald zu den größ­
ten weltweit gehört.
Als das 18. Jahrhundert zu Ende
geht, hat die alte Kaufmannsstadt ihren
Wiederaufstieg vollendet: Um 1800
ist Frankfurt Deutschlands wichtigster
Finanzplatz. 0
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