Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
Im Sommer 1709 erfasst die Epi­
demie fast ganz Preußen.

V


iele Gelehrte hal­
ten die Pest für
eine Strafe Gottes.
Gleichwohl sollen
die Menschen die
weltlichen Ursachen der Seuche
bekämpfen - es wäre eine Sünde,
meinen die Theologen, dies zu
unterlassen. So beauftragt der Kö­
nig hochrangige Beamte, ein "Pest­
reglement" zusammenzustellen.
Die Ärzte sind sich offenbar
nicht einig, womit sie es zu tun
haben. Manche glauben, giftige
Dämpfe stiegen aus dem Boden
und ließen die Menschen erkran­
ken. Andere gehen dagegen da­
von aus, dass die Menschen sich
gegenseitig anstecken.
Gegen die Dämpfe empfeh­
len Mediziner, alle Gassen, Stuben
und Kirchen eines Ortes zwei­
mal täglich auszuräuchern. Der
�alm, etwa aus Te er, Wa cholder,
Esche, We ihrauch und Schießpul­
ver, soll die Luft reinigen. Men­
schen können sich angeblich
schützen, indem sie Tabak rau­
chen oder ein in Essig getunktes
Tuch vor die Nase binden.
Um Ansteckungen zu unter­
binden, setzen die Ärzte auf�­
rantäne. Ausländische Wa nder­
krämer und Juden gelten als
Risikogruppen: Sie dürfen nur mit
einwandfreien Papieren in die
Dörfer und müssen in Gasthäu­
sern außerhalb der Ortschaften
übernachten. Roma-Gruppen
lässt man nicht mehr in die Sied­
lungen ein. Ve rseuchte Gebäude
sollen abgebrannt, Erkrankte in
Pesthäusern isoliert und infizierte
Dörfer abgeriegelt werden.
Jahrmärkte, Tänze und ande­
re Menschenansammlungen sind
untersagt. Nur für Gottesdienste


1708-1710 Pestepidemie in Preußen

gilt das Ve rbot nicht: Täglich hal­
ten die Gemeinden Betstunden
mit Buß-Psalmen ab, um den
Schöpfer milde zu stimmen.
Das Massensterben aber kön­
nen die Ve rordnungen nicht auf­
halten. Denn aus Regionen jen­
seits der abgeriegelten Gebiete
schlüpfen oft Händler durch die
Sperren, um aus der Not Profit zu
schlagen. Und von innen schlei­
chen sich Erkrankte hinaus.
Die hungrigen Einwohner
der südpreußischen Stadt Hohen­
stein durchbrechen die �aran­
täne gar mit "Gewehr und Bajo­
nett", wie ein Beamter berichtet.
Im Nordosten Preußens fe h­
len sogar diese nachlässigen Sper­
ren - weil niemand da ist, der sie
durchsetzen könnte: Zu Beginn
der Epidemie sind fast alle Män­
ner der Miliz gestorben.
In der Umgebung der Stadt
Jurgaitschen ist bald jeder Dorf­
bewohner infiziert. Leibeigene,

PESTLEICHEN
werden in ein
Massengrab
gekippt. Doch
im besonders
eisigen Winter
1708 ist der
Boden so hart
gefroren,
dass die Über­
lebenden Tote
lagern müssen,
bis es taut

Hirten und Gärtnerweiber rafft
die Plage ebenso dahin wie Frei­
bauern und Staatsdiener.
"Meine liebe Ehegattin ist
gestern gestorben mit drei Kin­
dern", berichtet ein Finanzbeam­
ter aus der Stadt, "ich gehe nur
noch mit meinen kleinen Würm­
chen herum und warte mit Furcht
und Zittern auf den grausamen
Pesttod."
In Masuren notiert ein Pfar­
rer: "In manchem Dorfe haben
kaum zwei oder drei Personen
überkrankt:' Einen Satz später
endet der Bericht. Dann führt
ihn eine andere Handschrift mit
den Wo rten fo rt: "Der, der das
geschrieben hat, ist an der Pest
gestorben:'
Manche Beamte vor Ort
erkennen, dass die Epidemie vor
allem wegen der Unterernährung
so tödlich ist. Mehrmals schicken
sie verzweifelte Hilfsgesuche nach
Königsberg und Berlin. Auf Lie­
fe rungen warten die Menschen in
den betroffe nen Regionen jedoch
lange vergebens.
Erst als der Höhepunkt der
Pest vielerorts schon vorüber ist,
stellt König Friedrich 250 000
Taler bereit - etwas weniger, als
die Krone seiner Gattin gekos­
tet hat. Doch nun sind fast alle
Getreidelager in Preußen leer und
Ankäufe aus Polen unmöglich,
weil auch dort eine Hungersnot
ausgebrochen ist. Kornlieferun­
gen aus Brandenburg wiederum
scheitern an der großen Distanz
und den schlechten Straßen.
So erreichen nur wenige
Fuhrwerke die Gebiete, die von
Hunger und Pest am schlimms­
ten getroffen sind- und kommen
oft zu spät. Auch sind Te ile des
Getreides minderwertig.
Die Großgrundbesitzer sind
weitaus besser genährt als die Bau-
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