Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1

war nur anders geworden. Ich habe oft neu


anfangen müssen. Als ich mir am Nanga


Parbat mit 25 Jahren sieben Zehen abge-


froren hatte und nicht mehr klettern


konnte, wurde ich Höhenbergsteiger. Als


ich dafür zu alt wurde, durchquerte ich


Eiswüsten wie die Antarktis und die Sand-


wüste Gobi. Jetzt lernte ich, Single zu sein.


Ich war nicht verzweifelt, als ich Diane


traf. Wichtig war mir ein selbstbestimm-


tes Leben.


Zwei Monate nach dem Restaurant-


besuch reisten Sie nach Patagonien.


DIANE: Es war schlimm. Ich freute mich auf


Patagonien, die Berge. Doch wir haben je-


den Tag gestritten. Reinhold drehte mit sei-


ner Crew einen Film, mich hat er ignoriert.


REINHOLD: Sie wollte wandern, ich wollte


den Cerro-Torre-Film machen. Das Wetter


war meist schlecht, der Film stand auf der


Kippe. Diane kam ans Set, setzte sich neben


mich und sagte: Das würde ich ganz anders


machen. Das fand die Crew nicht gut. Die


Techniker fragten: Was will die Frau hier?


DIANE: Sie haben mich ausgegrenzt. Da-


bei hatte ich noch die Trennung zu ver-


arbeiten und war sehr verletzlich. Ich habe


meinen Sohn vermisst, meine Familie. Ich


war am Ende der Welt und ganz allein.


REINHOLD: An Filmsets wird abends dis-


kutiert und auch getrunken, es ging um


den Film, um das Bergsteigen. Das war
außerhalb deiner Welt.
DIANE: Nein, das stimmt nicht. Ich kann-
te die Alpingeschichte besser als die Schau-
spieler, die dabei waren.
REINHOLD: Vielleicht hat sie auch das ge-
stört.
DIANE: Natürlich! Aber ich komme aus
einem Ort in Luxemburg, wo jeder jeden
kennt und man beim Spaziergang grüßt
und plauscht. Ich war es nicht gewohnt,
dass man mich von vornherein ausschließt.
REINHOLD: Ich kann mich zum Glück wie
ein Autist konzentrieren, alles andere aus-
blenden. Das ist daheim auch so. Wenn ich
im Schreibfluss bin, höre ich nichts, will
nichts hören. Man kann mich zum Essen
rufen, aber ich komm nicht.
DIANE: Reinhold im falschen Moment zu
unterbrechen – keine gute Idee. Ich weiß
nicht, ob Sie ihn mal laut erlebt haben. Er
ist laut... beeindruckend laut. Als wir aus
Patagonien zurückkamen, beschlossen wir,
uns zu trennen.
Warum blieben Sie zusammen?
DIANE: Wir haben uns ein, zwei Wochen
Bedenkzeit gegeben. Erst da kam mir der
Gedanke, dass vielleicht auch Reinhold
noch seinen Trennungsschmerz hat. Ich
hatte ihn noch nicht danach gefragt. Wir
wollten uns nicht aufgeben.

REINHOLD: Uns fehlte ein gemeinsames
Projekt. Etwas gemeinsam zu realisieren
schenkt Lebenslust. Wir gründeten ein
Start-up, die Messner Mountain Heritage.
DIANE: Er hatte in Patagonien zu mir ge-
sagt: Diane, das mit uns wird nichts, du bist
keine Praktikerin. Das werde ich nie ver-
gessen. Dabei bin ich geschickt. Früher
habe ich meine Möbel selbst gebaut.
REINHOLD: Als ich das sagte, lag ich abso-
lut falsch. Sie kann alles. Als wir dann Asa-
do aßen – auch du, als Vegetarierin –, sah
ich deine Offenheit.
DIANE: Nicht Vegetarierin – Veganerin.
REINHOLD: Wir haben große Fleischstü-
cke gegessen, wie in Patagonien üblich.
DIANE: Das erste Fleisch seit acht Jahren.
REINHOLD: Es ist dort schwer, sich fleisch-
los zu ernähren. Das Weideschaf, über
Stunden am Feuer gebraten, schmeckt ein-
zigartig. Man isst es mit der Hand, nagt es
vom Knochen.
War das gemeinsame Fleischessen eine
Versöhnung?
DIANE: Eine sanfte Annäherung. Aber
unsere Beziehung wurde erst besser, als ich
länger mit ihm zusammenblieb in Südti-
rol, nicht nur drei, vier Tage wie am Anfang.
Er konnte mich im Alltag erleben – und ich
ihn. Wir fanden eine gemeinsame Sprache.
Wir fanden heraus, was den anderen 4

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