Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
FOTOS: UDO BERNHART/PICTURE ALLIANCE; ROLF HAYO/IMAGO; THOMAS RÖTTING/LAIF

stört. Heute ist es so: Wir stören uns gegen-


seitig nicht. Ich bin im Büro, organisiere


Termine, er liest oder arbeitet im Wohn-


zimmer.


Herr Messner, ist es anders, sich mit 74 zu


verlieben als mit 18?


REINHOLD: Aufregender. Es hätte viel


schiefgehen können, allein der Alters-


unterschied wäre ein Grund gewesen. Wir


mussten uns beide zurücknehmen. Und


etwas tun, etwas Sinnvolles. Sinn braucht


nicht gesucht zu werden, er ist nicht zu fin-


den, er kommt von Hingabe. Das kommt


nicht von allein. Wir dürfen Sinn stiften.


Und wie macht man das?


REINHOLD: Sinn geben heißt, persönlich


zu gewichten. Er ist wie ein Spielzeug, mit


dem ich Personen, Dinge, Taten verzaube-


re, indem ich sie mir wichtig mache.


Was bewundern Sie aneinander?


REINHOLD: Ihre Lebensfreude, ihre posi-


tive Sicht auf die Welt. Natürlich auch ihre


Schönheit. Ihre Geschicklichkeit.


DIANE: Er ist nicht nachtragend. Manchmal


sage ich morgens beim Kaffee: Liebster,


heute mal zwei Stunden nicht mit


mir reden, das ist besser für dich, für uns. Er


hält sich daran. Fahre ich ihn doch an, ob-


wohl er nichts dafür kann, trägt er mir das


nicht nach, in vier Jahren kein einziges Mal.


Frau Messner, welche Rolle spielt für Sie


die Berühmtheit Ihres Mannes?


DIANE: Er lässt sie mich nicht spüren. Und


er ist kein klassischer Promi. Aber eine Le-


gende ist er.


Wie kriegt man eine Legende dazu, den


Abwasch zu machen?


DIANE: Gar nicht. Wir haben unsere Auf--


gaben, ohne je darüber geredet zu haben.


Er macht die Betten, jeden Morgen. Ich ma-


che die Wäsche und den Abwasch.


Herr Messner, hatten Sie Angst, einer jün-


geren Frau nicht genug bieten zu können?


REINHOLD: Angst nicht, Sorge vielleicht,


dass mir wenig Zeit mit ihr bleibt.


Gehört Sexualität zu einer gelingenden


Beziehung?


REINHOLD: Absolut, ja.


DIANE: Wie hast du gesagt – der Sexual-


trieb ist der zweitstärkste Trieb. Was war


noch der erste?


REINHOLD: Der Selbsterhaltungstrieb.


Herr Messner, Sie haben mehr als 50 Bü-


cher geschrieben, Vorträge gehalten, vor


Unternehmern und Managern, haben zig


Filme gemacht. Sie sind Millionär, oder?


REINHOLD: Ich habe fast alles abgegeben,


das Schloss, meine Museen, an meine zwei-


te Frau und an meine Kinder. Alles, was wir


jetzt an Geldmitteln haben, haben wir uns


gemeinsam erarbeitet.


DIANE: Ich nenne ihn liebevoll „Reinhold


mit den leeren Taschen“.


Wie entstand das gemeinsame Buch?
REINHOLD: Diane kam eines Morgens und
brachte die Idee zu diesem Buch. Es solle
„Sinnbilder“ heißen. Der komplette Titel
lautet: „Verzicht als Inspiration für ein ge-
lingendes Leben“. Also genau das, was ich
ein Leben lang getan habe. Freiwilliger Ver-
zicht war mein Schlüssel zum Erfolg.
Spielt Verzicht in Ihrer Liebe eine Rolle?
DIANE: Ich verzichte darauf, dass er mir
sagt, dass er mich liebt. Er sagt es nur sehr,
sehr selten. Wenn er es sagt, empfinde ich
es als umso wertvoller.
Aber Herr Messner, Sie gelten doch als
wortgewaltig.
REINHOLD: Bei der Liebe nicht, da bin ich
wortkarg. So bin ich aufgewachsen. In
einem Südtiroler Bauerndorf wird der
Bauer nicht rumlaufen und seiner Frau
nachschreien: Ich liebe dich!
DIANE: Mir ist klar geworden, dass ich
nicht auf dem höchsten Gipfel der Welt ge-
standen haben muss, um den zu verstehen,
der auf ihm gestanden hat. Es reicht, ihm
zuzuhören. Ich glaube, wir können einem
Menschen nichts Größeres schenken als
Gehör. Manchmal trinken wir abends ein
Glas Primitivo, Kerzen brennen, die Räu-
cherstäbchen verströmen den tibetischen
Duft, den wir so mögen. Er nimmt mich
mit an den Nanga Parbat, erzählt, wie er
mit Mitte 20 hoffnungslos am Fuß der Dia-
mir-Wand umherirrte, in der Gewissheit,
seinen Bruder Günther verloren zu haben.

Wie ist das, ihn so verletzlich zu sehen?
DIANE: Er war am Ende der Welt, am Ster-
ben. Er hatte seinen Bruder verloren. Seine
Zehen mussten später amputiert werden.
Er würde nicht mehr klettern können, was
sinnvoll und heilig für ihn war. Dann wur-
de er beschuldigt, Günther im Stich gelas-
sen zu haben. Diese Respektlosigkeit, die-
se Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren
ist, berührt mich tief.
Hört er auch Ihnen zu?
REINHOLD: Diese Abende sind keine
Monologe.
DIANE: Er hört sich auch meine Geschich-
ten und Gedanken an.
Frau Messner, Sie schreiben: „Die Liebe
verbirgt sich bei uns in der Stille. Die Stil-
le bewahrt sie und lässt sie hervortreten.“
Wie spielt sich das konkret ab?
DIANE: Wenn wir auf einen Berg steigen,
reden wir kein Wort. Er geht voraus, weil er
keine Pausen macht, er geht seinen Rhyth-
mus. Er wartet nicht auf mich.
REINHOLD: Na ja, vielleicht, wenn der Ab-
stand zu groß wird.
DIANE: Wenn du Angst kriegst, dass ich
vielleicht abgestürzt bin. Auch auf dem
Gipfel reden wir nicht, manchmal schaut
er mich an, und ich sehe, dass er zufrieden
und stolz auf mich ist. Erst zu Hause re-
den wir.
REINHOLD: Sie ist zäh, neugierig und wil-
lensstark.
DIANE: Ich jammere nicht.

Messner
stieg zu einem der
erfolgreichsten Ex­
trembergsteiger
auf. Er durchquerte
zudem Grönland,
die Antarktis und
die Wüste Gobi.
Immer wieder war er
auch in Nepal (u.)

48 29.9.2022

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