FOTO: DANILA BUSTAMANTE/AP
Amazonas gehört uns. Wir machen
da, was wir wollen.“
Für Lula stimmen eher die Armen.
Die Intellektuellen. Die Studenten.
Die Frauen. Am größten ist seine
Unterstützung unter jungen Frau-
en. Frauen wie Brasiliens Superstar
Anitta (63 Millionen Instagram-
Follower), die im Interview sagt:
„Bolsonaro ist beschissen. Der
schlechteste Präsident der Welt. Ihr
denkt, Trump war schlecht, aber ihr
kennt Bolsonaro nicht.“
In den meisten Umfragen liegt
Lula vor Bolsonaro, 47 zu 33 Prozent,
andere Kandidaten sind chancenlos.
Die Entscheidung fällt womöglich
erst im zweiten Wahlgang am 30. Ok--
tober, falls am Sonntag keiner die
absolute Mehrheit erreicht. Auch da
führt Lula – 54 zu 35 Prozent. Der
Politologe Stuenkel sagt: „Lula muss
jetzt nur ganz bei sich bleiben, auf
Staatsmann machen, an die guten
alten Zeiten erinnern.“
Luiz Inácio Lula da Silva ist der-
zeit vor allem in gut gesicherten
Arenen unterwegs, aus Angst vor
Anschlägen. Ein Abgeordneter sei-
ner Arbeiterpartei wurde im Juli
Wie in den USA lautet die Kons-
tellation: Ein alter weißer Witwer,
gereift in den 60er-Jahren, gestählt
durch Trauer und Niederlagen, muss
die Demokratie retten und den
rechten Autokraten niederringen,
einen Caudillo wie aus dem 19. Jahr-
hundert. Er ist die Brandmauer
gegen eine gefährliche Ideologie, die
sich mit Trump, Putin, Orbán,
Erdoğan in aller Welt verbreitet hat.
Die Männer schlagen zurück
150 Kilometer entfernt von der In-
dustriestadt São Paulo liegt die Sied-
lung „Menino Chorão“, weinendes
Kind, die erste feministische Sied-
lung Brasiliens. Die Frauen hier,
Migrantinnen aus dem armen Nord-
osten, haben sie gegründet und
eigenhändig aufgebaut, sie haben
gewalttätige Männer vertrieben, ein
eigenes Schutzzentrum geschaffen,
eine Kita, eine Fortbildungsstätte,
eine Bürgerinnenwehr. Doch an die-
sem trockenheißen Tag sieht man ei-
nige Frauen vor dem Zentrum weinen
und beim zweiten Blick verbrannte
Gemüseplantagen und ein zerstörtes
Klassenzimmer, vom dem nichts üb-
rig ist als ein Haufen Backsteine.
„Die Männer haben zurückge-
schlagen“, erklärt Maria Sousa, eine
der Anführerinnen. „Es waren
Gangster des Nachbarviertels, ge-
meinsam mit Polizisten. Schon das
zweite Mal. Sie wollen uns das Land
und die Macht entreißen.“
Jahrelang verlief das Zusammen-
leben in Menino Chorão harmo-
nisch, doch mit Bolsonaro änderte
sich das Klima, erzählen die Frauen.
von einem Bolsonaro-Fan ermor-
det. Er ist 76, aber immer noch wa-
cker, nur seine Stimme hält der
Belastung nicht mehr stand. Wie
bei einem Auftritt in der Traban-
tenstadt São Gonçalo vor 8000 An-
hängern, als er mit heiserer Stim-
me von seiner Mutter erzählt, der
Analphabetin Dona Lindu, die
ihren gewalttätigen Mann verließ
und acht Kinder allein großzog. „Es
wird wieder Arme an den Universi-
täten geben und Grillfeste am Wo-
chenende“, krächzte er.
Vielleicht ist es so: Lula und Bol-
sonaro sind zwei sehr brasilianische
Gestalten. Zwei Stehaufmänner.
Zwei Revolutionäre ihrer Zeit. Väter
von je fünf Kindern. Männer vieler
Frauen. Kinder des Kalten Kriegs.
Lula hatte lange Vorbehalte, ob er
sich die Politik noch einmal antun
sollte. 2017 hatte er seine Frau Mari-
sa verloren, danach verbrachte er
19 harte Monate wegen vermeintli-
cher Korruption im Gefängnis. Aber
es geht für ihn um alles, um den
Kampf gegen einen Mann, den er
eine Gefahr für die Menschheit
nennt, einen Zerstörer des Landes.
„Ihr denkt, Trump war schlecht,
aber ihr kennt Bolsonaro nicht“,
sagt Superstar Anitta
Vor allem Frauen
stimmen für den
Herausforderer
Lula da Silva,
wie diese De-
monstrantinnen
in Nova Iguaçu
Vanda Witoto,
34, will die erste
Indigene im
brasilianischen
Parlament
werden. Verfech-
ter für den
Naturschutz
sind dort bisher
kaum vertreten
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