Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 32


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Wahnsinnige Hoffnung


Ein Patient, der um jeden Preis gesund werden will. Ein Arzt, der um jeden Preis helfen will. gemeinsam steigern sie sich in den gedanken hinein, dass sie
den Krebs besiegen können – und beginnen ein fatales Experiment VON OLIVER HOLLENSTEIN UND SEBASTIAN KEMPKENS (TEXT); ILLUSTRATIONEN: BENJAMIN GÜDEL

E


ine Krankheit hat die beiden
Männer zusammengeführt. Die
Krankheit des einen, die der ande-
re hofft, heilen zu können. Eine
Krankheit, an der Abermillionen
leiden. sie zu besiegen ist ein
Menschheitstraum. Den beiden
Männern muss es an jenem sonntag im März 2018
so vorkommen, als könnte sich der traum erfüllen.
seit sieben Jahren bekämpft Heinz-Peter Krö-
pelin seinen Prostatakrebs, als er in großensee bei
Hamburg in seinen Mercedes einsteigt und nach
güstrow in Mecklenburg-Vorpommern fährt.
Dort hat er sich mit Dr. Dr. Rainer schäfer verab-
redet, einem Arzt, von dem die Leute sagen, er
könne den Krebs besiegen. Jeden Krebs. seit fünf
Monaten steht Kröpelin mit schäfer in Kontakt.
Dutzende E-Mails hat er von dem Arzt bekom-
men, die beiden haben sich stundenlang über
skype unterhalten, und Kröpelin hat alle Anwei-
sungen befolgt, die schäfer ihm aus der Ferne ge-
geben hat: Er hat Kurkuma-Kapseln eingenom-
men, ta blet ten mit stoffen namens Quercetin und
Apigenin geschluckt, keinen tropfen Alkohol
mehr getrunken. Jetzt soll der letzte schritt der
therapie folgen.
gegen 13.30 uhr klingelt Heinz-Peter Kröpe-
lin an der Ferienwohnung, deren Adresse ihm
schäfer gegeben hat. Drei stunden später ist der
Patient tot.
Als kurz darauf die Polizei in der Wohnung ein-
trifft, bietet sich den Beamten ein dubioses Bild.
Die Wohnung ist offenbar frisch bezogen, die
schränke sind leer, auf dem Boden steht ein Kof-
fer, am Fuß ende des Bettes liegen Hemden, Kra-
watten, Hosen. Die Beamten finden benutzte Am-
pullen und Medizinfläschchen. Außerdem vier
Plastiktüten, zwei stoffbeutel und zwei Kartons,
prall gefüllt mit schachteln: Hunderte von Medi-
kamenten, viele seit Jahren abgelaufen. Auf dem
Boden wenige Meter weiter: der tote Heinz-Peter
Kröpelin, Arme und Hals blutverschmiert. Außer-
dem treffen die Polizisten einen Mann an, der sich
als Rainer schäfer vorstellt. Er sagt, er sei Arzt.


Auf dem Revier sagt schäfer aus, er habe seinen
Patienten in der Wohnung empfangen, sie hätten
sich an den kleinen glastisch gesetzt, tee getrun-
ken und sich über Kröpelins Krankheit unterhal-
ten. Er, schäfer, habe die gardinen der Wohnung
zugezogen und seinem Patienten eine In fu sion ge-
legt, eine selbst zusammengestellte Chemothera-
pie. Zunächst sei alles reibungslos verlaufen. Aber
nach etwa einer halben stunde sei Kröpelins Blut-
druck plötzlich abgesackt. »Man bemerkte deut-
lich, dass er nicht mehr so aufmerksam war«, sagt
schäfer laut Polizeiprotokoll. Kröpelins Kreislauf
sei zusammengebrochen. schäfer sagt, er habe ver-
sucht, ihn zu reanimieren, habe ihm Adrenalin
und Cortison verabreicht, Elektroschocks gegeben.
um 16.35 uhr hat eine herbeigerufene Notärztin
Heinz-Peter Kröpelin für tot erklärt.
Aus dem Wohnzimmer der Kröpelins schaut
man ins grüne, ihr Haus liegt direkt am großen-
see. Auf einer Kommode neben dem Esstisch ste-
hen Bilder des Verstorbenen wie auf einem Altar.
Monate sind seit dem tod vergangen, aber seine
Frau Heike und sein erwachsener sohn Kevin kön-
nen immer noch nicht fassen, dass er wirklich tot
ist. Kröpelin war zwar schon 70, als er zu schäfer
fuhr, doch er sei körperlich fit gewesen. trotz der
Krankheit habe er golf und tennis gespielt, sei er
ski gefahren. »Der tod war so weit weg«, sagt Hei-
ke Kröpelin. Noch am Abend bevor er nach güs-
trow fuhr, feierten sie den 50. geburtstag einer
Freundin. Ein schönes, unbeschwertes Fest.
2011 hatten die Ärzte bei Kröpelin ein aggres-
siv entartetes Karzinom entdeckt. Die Vorstel-
lung, dass eine bösartige geschwulst in ihm
wächst, habe Kröpelin wahnsinnig gemacht, erin-
nert sich sein damaliger Arzt Volker Heinemann,
urologe mit schwerpunkt auf Krebserkrankun-
gen. Kröpelin habe nur ein Ziel gehabt: den tu-
mor ausmerzen.
Volker Heinemann ist ein besonnener Mann,
ein schulmediziner, der damals versucht hat,
Kröpelin zu beruhigen, ihm zu versichern, man
habe die Krankheit im griff – aber er sei kaum
durchgedrungen. Kröpelin wähnte sich im stän-

digen todeskampf. Obwohl objektiv keine akute
gefahr bestanden habe, sagt Heinemenn, habe
sein Patient »Jagd auf die letzte tumorzelle« ma-
chen wollen.
Auf Wunsch Kröpelins beginnt der Arzt daher
eine ungewöhnlich harte therapie. Der tumor
wird herausgeschnitten, die ableitenden Lymph-
wege werden bestrahlt, dazu eine Hormonentzugs-
therapie, um möglichen verbliebenen tumorzellen
das testosteron zu nehmen, das ihr Wachstum för-
dert. Kröpelin lässt sich sogar die Lymphknoten
entfernen, obwohl die Ärzte das als nicht als zwin-
gend ansehen. und dann noch eine Chemothera-
pie. Heinemann sieht Kröpelin im Laufe von etwa
fünf Jahren 33 Mal. und doch kann er seinem
Patienten die Angst nicht nehmen. Kröpelin
fürchtet sich vor der Wiederkehr der bösartigen
Zellen, vor einem Rückfall. »Herr Kröpelin ist mir
entglitten«, sagt Heinemann. »Ich empfinde das
als persönliche Niederlage.« gerade weil es noch
therapiemöglichkeiten gegeben hätte.
Im Oktober 2017 steigt Kröpelins PsA-Wert –
ein Hinweis: Der tumor wächst. und das, obwohl
Kröpelin Rezeptorenblocker einnimmt, die den
Krebs daran hindern sollen, testosteron zu bezie-
hen. Kröpelin hat viel Hoffnung in diese therapie
gesetzt. Heinemann sagt, die neue si tua tion sei für
seinen Patienten schwer zu akzeptieren gewesen.
Kröpelin nimmt, ohne Heinemann davon zu
unterrichten, Kontakt zu einem anderen Arzt
auf, von dessen außergewöhnlichen Fähigkeiten
eine Freundin erzählt hat. Er lebe im australi-
schen Perth, heißt es, seine Patienten betreue er
online, er besuche sie alle paar Monate in
Deutschland. Er schaffe, woran andere scheiter-
ten: Dr. Dr. Rainer schäfer.
Der neue Arzt verschreibt nun zahlreiche Natur-
heilmittel, deren Namen Kröpelin noch nie gehört
hat. Dazu einen Mix aus Medikamenten, die größ-
tenteils nicht zur Krebsbekämpfung gedacht sind.
Kröpelin schluckt Disulfiram, einen stoff, den
Alkoholabhängige nehmen, um abstinent zu
bleiben. Dazu Celebrex, ein Antirheumatikum.
und Risedronat, ein Mittel gegen Osteoporose.

Rainer schäfer behandelt seine Patienten in
Privatwohnungen, in Ferienapartments. Als Hono-
rar überweist ihm Kröpelin 100 Euro pro Monat,
die Medikamente zahlt der Patient selbst. »sie
bringen wieder Hoffnung in mein Leben«, schreibt
Kröpelin in einer E-Mail an schäfer. und schäfer
antwortet: »Es gibt einen Weg, mit einem Pros tata-
tumor gut und lange zu leben.«
Kevin Kröpelin erinnert sich, dass sein Vater
die Krankheit als Makel ansah. Wenn er überhaupt
darüber gesprochen habe, dann habe er gesagt:
»Irgendwann wird dein Alter daran sterben.« ganz
anders habe er gewirkt, nachdem er schäfer ken-
nengelernt hatte. »Er hat das erste Mal voller Über-
zeugung gesagt, dass er den Krebs besiegen wird.«
Heike Kröpelin sagt, nach einem gespräch mit
schäfer sei ihr Mann einmal ins schlafzimmer ge-
kommen und habe gesagt: »Dr. schäfer kann mich
wieder ganz gesund machen.«

W


alter schäfer hat monatelang mit
der Entscheidung gerungen, ob
er über seinen Bruder, Kröpelins
Arzt, sprechen soll. Er entschied
sich dann doch dafür, weil sein
Bruder richtig verstanden werden soll. Das sagt er
gleich zur Begrüßung in seiner kardiologischen
Praxis in Offenburg. Hier, ganz im Westen von
Baden-Württemberg, 25 Kilometer von straßburg
entfernt, ist Walter schäfer geboren. genau wie
fünf Jahre später, 1960, sein kleiner Bruder Rainer.
Walter schäfer ist ein freundlicher, reflektierter
Herr, der sich gewählt ausdrückt. spricht er über
seinen jüngeren Bruder, schwankt er zwischen
nüchterner Analyse und emotionaler Nähe. Man
merkt, wie viel er über das nachgedacht hat, was er
»die Katastrophe« nennt. seit Jahren, sagt Walter
schäfer, habe er gedacht: »Entweder der Rainer
spinnt total, oder er gewinnt mit dem Zeug mal
den Nobelpreis.«
Bereits als Kind sei sein Bruder ein Einzelgän-
ger gewesen. Ein herausragender schüler, ein her-
vorragender Pianist, ein Mensch mit einem Faible
für technik aller Art. Beide Brüder studieren Me-

dizin, Rainer arbeitet ab 1985 als Anästhesist, bald
mit eigener Praxis in Köln. Er ist, so sagen Beglei-
ter von damals, schulmediziner aus Überzeugung,
ein Mann der Wissenschaft, der Evidenz. Wenn
Freunde ihm von Besuchen bei Homöopathen er-
zählen, runzelt er die stirn.
Rainer schäfer scheint ein Bilderbuch-Leben
geführt zu haben: Frau, zwei Kinder, ein großzügi-
ges Haus mit großem garten in Bergisch glad-
bach, im Wohnzimmer ein Flügel, an dem schäfer
manchmal sonaten spielt. Doch dann lässt sich
seine Frau scheiden, er sieht seine beiden Kinder
seltener. schäfers Welt bekommt Risse.
In Mondorf bei Bonn wohnt ein Mann, der
sagt, er sei zu jener Zeit wohl schäfers bester
Freund gewesen. Friedrich Brangmann* ist ein
Mann von 60 Jahren, der einen eindrucksvollen
Bauch vor sich herträgt und in rheinischem sing-
sang spricht. Brangmanns Frau Christa* serviert
Kaffee und Kekse, ein alter Berner sennenhund
fläzt sich unter den Wohnzimmertisch.
Brangmann lernt schäfer 1995 bei einer Ope ra-
tion kennen. schäfer ist sein Anästhesist. Bevor der
Arzt die Narkose setzt, kommen die beiden ins ge-
spräch und vereinbaren: Wenn sich Brangmann, von
Beruf Installateur, von der OP erholt hat, übernimmt
er die Renovierungsarbeiten an schäfers Praxis. Eine
Freundschaft entsteht.
schäfer sei ein »ganz außergewöhnlicher
Mensch« gewesen, sagt Brangmann. Ein Eigen-
brötler, aber auch »ein großer Draufgänger in sa-
chen, von denen er überzeugt war, ein Abenteu-
rer«. Auf den wenigen Fotos, die Weggefährten
von Rainer schäfer besitzen, sieht man einen drah-
tigen Mann, auf der Nase ein schlichtes Brillen-
gestell mit stahlrahmen, die Haare schütter und
zerzaust. Man habe dem Rainer schon mal sagen
müssen, dass es wieder Zeit für den Friseur sei, fügt
Christa Brangmann hinzu.

Fortsetzung auf s. 12

* Name wurde von der Redaktion geändert

Tragisches Ende einer alternativen Behandlung: Heinz-Peter Kröpelin liegt tot am Boden

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250 Jahre Napoleon:
Er formte das Europa der
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seite 16
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