Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 32


DIE ZEIT: Wir möchten mit Ihnen über glaub-
würdigkeit sprechen. Herr Diess, wie glaubwürdig
ist es, wenn sie einerseits den Elektrovorreiter ge-
ben, aber andererseits Ps-Monster wie den toua-
reg verkaufen?
Herbert Diess: Wir investieren über 30 Milliarden
Euro in die Elektromobilität. Das geld dafür muss
man verdienen. und das geht am besten mit gro-
ßen Autos, weil die höhere Margen haben. Ich
finde es glaubwürdig, die Zukunft aus dem der-
zeitigen geschäft zu finanzieren. und den touareg
gibt es bald auch als Hybrid. Außerdem bestimmt
die Nachfrage unserer Kunden das Angebot.
ZEIT: Warum bauen sie nicht gleich kleinere Au-
tos mit Elektroantrieb, anstatt die Ps-Monster
halb zu elektrifizieren?
Diess: In der Automobilindustrie haben wir schon
immer Innovationen über das Premiumsegment,
also über größere und teure Autos, finanziert und
diese Innovationen dann später einem breiten Pu-
blikum zur Verfügung gestellt. Nächstes Jahr star-
tet unsere breit angelegte E-Offensive der Marke
Volkswagen. Wir bringen dann mit dem ID ein
Elektrofahrzeug in der golfklasse auf den Markt,
das um die 30.000 Euro kosten wird.
ZEIT: Herr Özdemir, ist es glaubwürdig, wenn
grünen-Wähler suV fahren?
Cem Özdemir: Ich schreibe niemandem vor, was er
essen, was er trinken und was er fahren soll. Aber
wer sich einen suV kauft, soll bitte schön höhere
Abgaben bezahlen und umweltfreundlichere Autos
quersubventionieren.
ZEIT: Einverstanden, Herr Diess?
Diess: Wie gravierend der Klimawandel wird,
hängt nicht vom suV und auch nicht alleine vom
Auto ab. Das Beste, was man fürs Klima tun
kann, ist es, die Kohlekraftwerke abzuschalten.
Das Elektro auto lohnt sich nur, wenn wir es CO₂-
frei herstellen und betreiben können.
Özdemir: Damit machen sie es sich zu einfach.
Das Auto alleine ist für zwölf Prozent der CO₂-
Emissionen verantwortlich. Wenn wir darüber
nicht reden, sind die Klimaschutzziele nicht zu
erreichen.
ZEIT: Batterien sind ökologisch eine Katastrophe.
Warum sprechen sie so wenig über die dreckige
seite der Mobilitätswende?
Özdemir: Das tun wir. Die umweltbilanz von
E-Autos ist mit Blick auf den Anteil problemati-
scher Rohstoffe und das Recycling noch ausbaufä-
hig. Verkehrswende heißt auch nicht, 47 Millio-
nen Verbrenner eins zu eins durch E-Autos zu er-
setzen, sondern Bahn, Bus und Radverkehr zu
stärken. Im Übrigen sind die meisten Erdöl för-
dernden Länder nicht für Menschenrechte und
Demokratie berühmt.
Diess: Elektromobilität hat viele gegner. sie ist
eine Bedrohung für alle, die mit Kohlenwasser-
stoffen ihr geld verdienen. Die Argumente gegen
die Batterie sind aber alle zu entkräften. Ein Bei-
spiel: Oft wird der Kobalt-Anteil kritisiert. Kobalt
wird inzwischen zu 95 Prozent kontrolliert abge-
baut, nur etwa fünf Prozent kommen aus nicht
kontrollierten Minen – überwiegend im Kongo.
Ohnehin verschwindet Kobalt in den nächsten


generationen aus der Batterie. und in 15 oder 20
Jahren, wenn die Lebenszyklen der ersten Batterie-
generation enden, werden wir die Rohstoffe prak-
tisch zu 95 bis fast 100 Prozent wiederverwenden.
ZEIT: sie sprechen nun sehr im Eigeninteresse.
Volkswagen setzt auf die Batterie. Andere Auto-
bauer wollen sich noch auf keine technologie fest-
legen, der Zulieferer Bosch setzt auf Wasserstoff.
Machen die einen Fehler?
Diess: Brennstoffzellen und synthetische Kraft-
stoffe haben eine wesentlich schlechtere Energie-
bilanz als der batterieelektrische Antrieb. Für
Autos kommen sie vielleicht in 10 oder 15 Jahren.
Dann sollten wir sie in großen Fahrzeugen und
Lkw einsetzen. Bis dahin haben wir schon 40 oder
50 Prozent E-Fahrzeuge. Wir konzentrieren uns
jetzt auf den Elektroantrieb, weil wir sonst den
Durchbruch nicht schaffen und den weltweiten
Anschluss verlieren. Die chinesische Automobil-
industrie setzt auf die Batterie und wird in Zu-
kunft damit auch offensiv auf dem Weltmarkt
auftreten.
ZEIT: Es fehlt aber an der Nachfrage. 2018 wur-
den gerade mal 36.000 reine E-Autos in Deutsch-
land neu zugelassen, von insgesamt 3,4 Millionen.
Ist die Elektromobilität nicht eine riesige Wette,
die staatlich subventioniert wird, Herr Özdemir?
Özdemir: Ich glaube, dass es schiefgeht, wenn wir
in der Politik weiterhin so tun, als sei noch völlig
offen, welche technologie beim Auto kommen
wird. Das sieht man ja jetzt schon bei der Frage der
Ladesäulen, die nicht klar geregelt ist. Beim Auf-
bau einer Infrastruktur muss man sich für eine
Richtung entscheiden. Wir hatten auch in der Ver-
gangenheit nie eine technikneutralität: Der Diesel
wird vom staat hoch subventioniert.
ZEIT: gemessen an der Energiebilanz, ist der Die-
sel derzeit das ökologischste Fahrzeug. Warum
unterstützen sie nicht die neueste generation an
Dieselmodellen, Herr Özdemir?
Özdemir: Weil das nicht die Zukunft ist. Die Zu-
kunft ist die emissionsfreie Mobilität. Nur damit
erreichen wir die Klimaschutzziele und bleiben
wettbewerbsfähig.
ZEIT: Herr Diess, müsste Herr Özdemir nicht zu-
geben, dass der Diesel das sauberste Auto ist, das es
momentan gibt?
Diess: sie machen da schon einen Punkt. Die
Diesel modelle der neuesten generation sind eine

Alternative, was die CO₂-Emissionen betrifft, ge-
rade wenn wir über große E-Autos sprechen, die
auch noch mit Kohlestrom betrieben werden. Auf
der anderen seite ... (sucht auf seinem Handy) ...
habe ich jetzt gerade auf dieser App zur Energie-
erzeugung in Europa nachgeschaut: Wir produzie-
ren in Deutschland am heutigen tag 41 Prozent
der Energie aus erneuerbaren Ressourcen. Da wür-
de sich der Diesel schon schwertun als bessere Al-
ternative. In Norwegen, wo fast vollständig auf
regenerative Energie umgestellt wurde, oder in
Frankreich, das mehr Kernkraft hat, ist die Bilanz
für E-Autos jetzt schon wesentlich günstiger.
ZEIT: Kam der Atomausstieg in Deutschland zu
früh, Herr Diess?
Diess: Absolut.
Özdemir: Energischer Widerspruch. Ich würde
keine Zeit damit verschwenden, den Atomausstieg
infrage zu stellen. Ich hoffe nicht, dass sie das wol-
len, Herr Diess.
ZEIT: Wollen sie?
Diess: Ich würde erwägen, den Atomausstieg in-
frage zu stellen, ja, vor allem weil wir noch nicht
über ausreichend regenerative Energiequellen ver-
fügen. Auch die »Fridays for Future«-Bewegung
diskutiert über Kernkraft. solar- und Windener-
gie haben ihre grenzen, wenn sie sich anschauen,
wie viele Felder schon zugebaut sind. Ich persön-
lich finde Windräder schön, aber das sehen viele
Leute anders, die daneben wohnen. und die
Kernkraft ist in den vergangenen 20 Jahren viel
sicherer geworden.
Özdemir: Das Endlagerproblem ist und bleibt be-
stehen. Ich halte Atomkraft für eine nicht be-
herrschbare technologie. Das Kapitel ist abge-
schlossen.
ZEIT: Herr Özdemir, die grünen fordern, ab
2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zuzulas-
sen. sie wollen also ein Verbot von Verbrennungs-
motoren, richtig?
Özdemir: Das wird vielleicht noch von der Reali-
tät überholt werden. Die Modernisierer in der
Autoindustrie haben den schuss jetzt gehört. Vie-
le haben Kinder und reden mit denen. Das Auto
wird für einige Kultobjekt bleiben, fossiler Kraft-
stoff nicht.
ZEIT: Aber zur sicherheit wollen sie Verbrenner
trotzdem verbieten?
Özdemir: Ich will einen ambitionierten politischen
Rahmen. Da gibt es sicher ein paar Dinge, die
nicht allen aus der Autoindustrie gefallen werden.
Ich will das Dieselprivileg, also die steuerliche Be-
vorzugung von Dieselkraftstoff, schrittweise ab-
bauen und große Autos stärker belasten. und ich
will ein tempolimit, weil ich glaube, dass der An-
reiz, schwere Autos zu bauen, dann geringer wird.
Nebenbei wäre es ein starker Beitrag für mehr
Verkehrssicherheit.
ZEIT: Wären sie mit einem solchen Verbot ab
2030 einverstanden, Herr Diess?
Diess: Das halte ich für zu ambitioniert. Erstens,
weil wir bis dahin immer noch zu viel strom aus
Kohle erzeugen. Zweitens braucht dieser struk-
turwandel Zeit. Innerhalb von zehn Jahren eine
komplette Wertschöpfungskette umzubauen, ohne

Fabriken zu schließen, ohne Entlassungen, halte
ich für überzogen.
Özdemir: sehen sie das doch so ähnlich wie den
Wettlauf zum Mond. und beim Katalysator hieß
es auch: geht nicht. Dann hat die Politik beschlos-
sen, dass er kommt – und er war da.
Diess: Natürlich geht alles. Die Frage ist, um wel-
chen Preis. Am Verbrennungsmotor hängen heute
rund 200.000 Arbeitsplätze. Dann wird es unter-
nehmen geben, die schließen müssen, weil sie kei-
ne oder nicht schnell genug Alternativen finden.
Außerdem sind Elektroautos nun mal teuer, be-
dingt durch die Rohstoffe, das lässt sich nicht leug-
nen. Die Politik würde einen großen Fehler ma-
chen, wenn sie teile der Bevölkerung von der in-
dividuellen Mobilität ausschließen würde. Dann
wäre die Angst vor einer deutschen gelbwesten-
Bewegung berechtigt. In Paris war der Auslöser für
die Proteste die Erhöhung der Benzinpreise um
zehn Cent. Die ersten schaufensterscheiben, die
dort zerbrochen sind, waren die von tesla.
Özdemir: Das ist natürlich ein Warnsignal. Wenn
wir etwas gegen das Erstarken des Rechtspopulis-
mus unternehmen wollen, müssen wir uns um
gleichwertige Lebenswelten in der stadt und auf
dem Land kümmern. Das schließt die Mobilität
mit ein.
ZEIT: Herr Özdemir, sie weichen aus. Herr
Diess sagt im Kern, Ihre Forderung eines Aus-
stiegs bis 2030 ist Quatsch, das wird Arbeits-
plätze kosten.
Özdemir: Aber einfach so weiterzumachen bedeu-
tet das Ende der deutschen Autoindustrie. Mir
macht es sorge, wie manche sich gegen Innovatio-
nen aufbäumen. Wenn Verkehrsminister Andreas
scheuer und andere so tun, als ob alles so weiter-
gehen könnte wie bisher, und dabei noch Applaus
einfahren von den Populisten von ganz rechts,
dann ist das unehrlich und falsch. Die Verkehrs-
wende eröffnet uns die Chance, auch in Zukunft
erfolgreicher Automobilstandort zu bleiben. Na-
türlich würde eine grüne Verkehrsministerin oder
ein grüner Verkehrsminister nicht nur Dinge vor-
schlagen, die in der Betriebsversammlung von
Volkswagen auf Beifallstürme stoßen.
ZEIT: Wären sie mit einem tempolimit einver-
standen, wie es die grünen fordern, Herr Diess?
Diess: Ich glaube, wir brauchen keines. Die stre-
cken ohne tempolimit nehmen ohnehin ab. Vie-

lerorts wird die geschwindigkeit abhängig von der
Verkehrslage flexibel reguliert.
Özdemir: Dann können wir ja ein tempolimit
machen.
ZEIT: Was spräche dagegen, Herr Diess?
Diess: Noch mal: Wir brauchen es nicht, erst recht
nicht für Elektrofahrzeuge. Wenn sie damit mit
200 stundenkilometern über die Autobahn bret-
tern, ist die Batterie nach einer halben stunde leer.
Deswegen fahren E-Autos schon jetzt tendenziell
langsamer als Verbrenner.
ZEIT: Herr Özdemir, muss man, um den Auto-
verkehr zu reduzieren, nicht auch an die Pendler-
pauschale ran?
Özdemir: Ja. Wir müssen die Pendlerpauschale
ökologisch ausrichten. Die Politik muss künftig
sagen: Alle Verkehrsmittel sind gleichberechtigt.
Heute bevorzugen wir das Auto und diskriminie-
ren die Bahn, den öffentlichen Nahverkehr oder
das Fahrrad. Ich will nicht mehr in städten leben,
in denen für Autos schneisen gebaut werden, so
wie das nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutsch-
land gemacht wurde.
ZEIT: träumen sie heimlich von einer stadt ohne
Autos, Herr Özdemir?
Özdemir: Von einer stadt mit deutlich weniger
Blech, Motorenlärm, Luftverschmutzung und
mehr Platz zum Leben. Was aber nicht heißt, dass
es keine Autos mehr gibt.
ZEIT: Aber so ganz ohne Autos, wäre das nichts für
die grüne seele?
Özdemir: Das wird nicht gehen, weil viele Hand-
werker und andere Menschen darauf angewiesen
sind. Wenn die Autos, die Herr Diess verkauft,
künftig effizienter genutzt würden, wäre viel ge-
wonnen. Heute ist das Auto ein stehzeug, kein
Fahrzeug. Eine stunde am tag fährt es, die rest-
lichen 23 stunden steht es herum und nimmt
wertvollen Platz weg.
ZEIT: Wir schlagen Ihnen nun jeweils zwei Be-
griffe vor, und sie entscheiden sich spontan für
einen. Mit nur einem satz als Begründung. Herr
Özdemir, Daimler oder Volkswagen?
Özdemir: Natürlich der Daimler. Der ist sponsor
des VfB stuttgart. Volkswagen sponsert die falsche
Mannschaft.
ZEIT: Herr Diess, Verkehrsminister Özdemir oder
Verkehrsminister Andreas scheuer?
Diess: Ich glaube, dass alle die Zeichen der Zeit
erkannt haben, dass die Weichenstellungen ... Ach
so, ich muss mich für einen entscheiden. Also
dann Andreas scheuer. Er ist der aktuell Handelnde
und hat zuletzt viel richtig gemacht, unter ande-
rem mit der in Aussicht gestellten eine Mil liar de
Euro für Ladesäulen.
ZEIT: Herr Özdemir, Veggie-Day oder tempolimit?
Özdemir: tempolimit. Wer das ablehnt, ist so ver-
bohrt wie die Waffennarren von der NRA, der ame-
rikanischen Waffenlobby. Anscheinend hat jedes
Land etwas, wo der gesunde Menschenverstand aus-
setzt, und bei uns ist das wohl das Recht auf Rasen.
ZEIT: Herr Diess, greta thunberg oder Martin
Winterkorn?
Diess: greta thunberg. Ich finde es schon beein-
druckend, was sie bewegt.

20 WIRTSCHAFT


Ist das Auto schuld am Klimawandel?


Der grünen-Politiker Cem Özdemir und VW-Chef Herbert Diess über suVs, das Ende des Verbrenners und die dreckige seite der E-Mobilität


»Das Auto ist für zwölf Prozent der


CO₂-Emissionen verantwortlich«


»Wie gravierend der Klimawandel wird, hängt nicht vom


SUV und auch nicht alleine vom Auto ab«


Cem Özdemir,
grünen-Politiker

2008 wählte seine Partei ihn zum
Co-Vorsitzenden

2018 gab er dieses Amt ab. Heute
sitzt er für den Wahlkreis stuttgart
im Bundestag und leitet dort den
Verkehrsausschuss

Herbert Diess,
Chef der Volkswagen Ag

2015 wechselte er von BMW zum
Wettbewerber nach Wolfsburg,
zunächst als Chef der Marke VW

2018 wurde er Vorstands-
vorsitzender des Konzerns und
verkündete eine Elektro-Offensive

Fotos: Andre Kirsch für DIE ZEIT
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