Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

4 POLITIK 1. August 2019 DIE ZEIT No 32


»Der Druck wird nicht nachlassen«


Warum eine alternde gesellschaft trotz des Aufstands der Jungen keine vernünftige Klimapolitik hinbekommt


und der deutschen Automobilindustrie gute Zeiten bevorstehen. Ein Interview mit dem Zukunftsforscher stephan Rammler


Stephan Rammler, 51, leitet als
wissenschaftlicher Direktor das Institut für
Zukunftsstudien und Technologiebewertung
(IZT) in Berlin, eine sowohl öffentlich als auch
privat finanzierte Einrichtung.
Zu seinen Forschungsgebieten gehören die
Verkehrs- und die Energiepolitik.


DIE ZEIT: glauben sie, der Klimawandel ist ein
Modethema und verschwindet wieder von der
tages ordnung? Weil er von anderen themen ver-
drängt wird, von der nächsten Wirtschaftskrise
zum Beispiel?
Stephan Rammler: Das ist unsinn. Der Klima-
wandel wird nicht aufhören. Er nimmt für uns alle
spürbar sogar noch an Fahrt auf. Jedes Jahr wird es
neue, noch dramatischere Zuspitzungen geben,
und sie werden uns alle immer wieder daran erin-
nern, wie wenig Zeit uns bis zum Point of no Re-
turn nur noch bleibt. Hinzu kommt, dass die
Jungen immer klarer begreifen, dass Arbeitslosig-
keit, soziale ungleichheit, Wirtschaftskrisen und
Klimawandel einen gemeinsamen ursprung ha-
ben: nämlich die politisch schlecht regulierbare
kapitalistische Marktwirtschaft.
ZEIT: Die Klimabilanz des sozialismus war auch
nicht gerade besser.
Rammler: Ich will nicht den sozialismus einfüh-
ren. Mein Punkt ist, dass sich unsere Wirtschafts-
ordnung an den Interessen und Lobbys weniger
ausrichtet und prinzipiell zum Erzeugen großer
ungerechtigkeit neigt. Der Klimawandel fordert
das sich drastisch verändernde Machtgefüge zwi-
schen den generationen zusätzlich heraus. Deswe-
gen wird auch der Druck der Jüngeren nicht nach-
lassen, endlich etwas Wirksames dagegen zu tun.
ZEIT: Warum sollte es in einer alternden gesell-
schaft keine vernünftige Klimapolitik geben?
Rammler: Das ist der große test, den unsere De-
mokratie gerade bestehen muss. Wir reden näm-
lich von einer ganz anderen Politik als bisher. In
den siebziger- und Achtzigerjahren musste man
nur Filter in schornsteine einbauen oder Kataly-
satoren für Autos vorschreiben, schon galt das
Problem im grunde als gelöst. Das nannte man
umweltschutz, und es war schon konfliktreich
genug, denn es hat geld gekostet. Heute aber geht
es um etwas noch viel größeres und viel umfas-
senderes – nämlich um Nachhaltigkeit. sie ist
weitaus konfliktreicher. Denn um sie zu erreichen,
sind enorme Veränderungen nötig, die alle Berei-
che unseres Lebens betreffen, nicht nur die Kos-
ten für Filter und Katalysatoren. Da stellt sich für
mich schon die Frage, ob das in einer stark altern-
den und zudem zunehmend ungleichen gesell-
schaft möglich ist.


ZEIT: Was genau lässt sie zweifeln?
Rammler: Nehmen wir mal das Beispiel Verkehrs-
politik. sie wird in Zukunft eines der zentralen
klimarelevanten Politikfelder sein. Früher musste
ein Verkehrsminister ja eigentlich nicht viel mehr
tun, als straßen zu bauen und neue Bahnhöfe zu
eröffnen. Er hat im grunde Lebenschancen über
Infrastruktur-Investitionen erweitert. Das war eine
einfache und meist populäre Politik, die die Älte-
ren in ihren Ansprüchen stark geprägt hat. Heute
müsste ein Verkehrsminister diese etablierten An-
sprüche massiv begrenzen. Er müsste aus Klima-
schutzgründen die fossilen Möglichkeitsräume re-
duzieren – ohne die Menschen in ihrer Mobilität
allzu drastisch einzuschränken. Das erfordert einen
völlig anderen Politikstil.
ZEIT: Wie kann der aussehen?
Rammler: Man muss in der Verkehrs-
politik heute alles zusammendenken:
städtebau für kurze Wege, Digitalisie-
rung für neue Dienstleistungen und
technologische Effizienzgewinne. und
gleichzeitig muss man die etablierten,
über fünfzig Jahre eingeübten Mobili-
tätsroutinen verändern, also: morgens
ins Auto zu steigen, damit zur Arbeit zu
fahren und das Auto dann tagsüber un-
genutzt stehen zu lassen. Oder: alle
Wege mit dem eigenen Auto zu ma-
chen. Diese gewohnheiten sind mäch-
tiger und veränderungsresistenter als
alle in stahl und Beton gegossenen Infrastruktu-
ren. und hier kommt die alternde gesellschaft ins
spiel: Warum wohl halten die deutschen Auto-
bauer immer noch am Verbrennungsmotor fest,
warum verkaufen sie tonnenschwere suV? Weil
sie damit noch sehr viel geld verdienen! Die Auto-
industrie wird im reichen Deutschland vom Kon-
sum der Babyboomer getragen, die sich diesen
Luxus mit ihren oft hohen gehältern und üppigen
Renten leisten können. In einer alternden gesell-
schaft wird zwangsläufig das Alte stabilisiert: alte
gewohnheiten, alte Einstellungen, alte Interessen.
ZEIT: Welche politische schlussfolgerung ziehen
sie daraus?
Rammler: Es gibt nicht die eine Lösung allein.
Aber ein großer schritt wäre für mich ein neuer
generationenvertrag, der den veränderten Zu-
kunftshorizont der jüngeren generation sehr viel
stärker berücksichtigt.
ZEIT: Was heißt das konkret?
Rammler: Der alte generationenvertrag bestand
sinngemäß auf folgender Abmachung: Die Älteren
zogen die Jüngeren groß und übergaben ihnen die
Welt in einem besseren Zustand – dafür sorgten
die Jüngeren dann später für die Älteren, wenn

diese nicht mehr selbst für sich sorgen konnten.
Das funktionierte, solange es ein gleichgewicht
zwischen den generationen gab. Aber durch den
demografischen Wandel entsteht nun ein enormes
ungleichgewicht: Auf einmal dominieren die Älte-
ren, die tendenziell strukturkonservativer sind und
auch einen kürzeren Zukunftshorizont haben als
die Jüngeren, während die Jüngeren politisch un-
terrepräsentiert sind, aber gleichzeitig immer grö-
ßere soziale Lasten tragen müssen.
ZEIT: Wie würden sie das ändern?
Rammler: Die unter 30-Jährigen stellen in
Deutschland eine sehr kleine Wählergruppe dar,
ihre stimmen entscheiden keine Wahlen. Dadurch
wird keine Politik für sie gemacht. Der neue Deal
müsste darin bestehen, dass die Älteren
ein stück weit Macht abgeben und an
die Jüngeren übertragen. Über die ge-
nauen Ausgleichsmechanismen wäre zu
diskutieren. Aber wie wäre es zum Bei-
spiel, wenn ältere Menschen bei Wah-
len künftig ihr stimmrecht nach be-
stimmten Regeln auf Jüngere übertra-
gen könnten, zum Beispiel auf ihre
Enkel? genauso, wie es heute Erstwäh-
ler gibt, könnte es künftig ja auch
Letztwähler geben.
ZEIT: Das liefe im Kern darauf hinaus,
dass die Demokratie für die Alten abge-
schafft wird. Ist das Ihr Ernst?
Rammler: Es gibt ja auch gute gründe,
ab einem bestimmten Alter und gesundheits-
zustand den Führerschein abzugeben. Oder man
könnte stimmen unterschiedlich gewichten, so-
dass jede generation gleichmäßig vertreten ist. Ich
weiß, dass das erst mal seltsam klingt, für manche
vielleicht skandalös. Aber womit wir es gerade zu
tun haben, sind mehrere Megatrends, die sich ge-
genseitig sogar noch verstärken: der Klimawandel,
die Alterung, die Digitalisierung. Wahrscheinlich
ist der Kapitalismus, so wie wir ihn heute in West-
europa und Nordamerika erleben, einfach nicht
kompatibel mit dem, was wir an umwälzungen
und gerechtigkeitserwägungen in den kommen-
den Jahren bewältigen müssen. Da müssen unge-
wöhnliche Ideen erlaubt sein.
ZEIT: Warum sind sie skeptisch, was die Auswir-
kungen der Digitalisierung betrifft? Darin liegen
doch auch Chancen.
Rammler: große sogar! Das will ich gar nicht be-
streiten. Die digitale transformation könnte zu
einer neuen Form des Wirtschaftens führen, die
sozial gerechter wäre, viel ökologischer als heute
und geopolitisch klüger. Dazu bräuchten wir
dann aber auch eine neue Form der Verteilung
von Vermögen und Wertschöpfung, neu verhan-

delte kollektive Leitbilder und Ziele. Denn selbst
wenn wir in Zukunft noch ein ähnliches Job-
niveau haben sollten, werden es andere Jobs sein,
die womöglich sehr viel weniger unmittelbare
Wertschöpfung generieren und deswegen auch
schlechter bezahlt sein werden. Damit landen wir
also auch wieder bei den Zukunftschancen der
jungen ge ne ra tio nen.
ZEIT: Viele Ökonomen sagen: Es ist überhaupt
nicht klar, ob die Digitalisierung unter dem strich
Arbeitsplätze vernichtet. und es wird neue, gut
bezahlte Berufe geben, etwa in der Entwicklung
von künstlicher Intelligenz.
Rammler: Das funktioniert aber nur, wenn wir
durch ein steigendes Wirtschaftswachstum dafür
sorgen, dass die wegfallenden Arbeitsplätze durch
neue ersetzt werden. Das bedeutet: noch mehr
Konsum und Ressourcenverbrauch. Dann müss-
ten wir aber den Planeten weiter ausbeuten und
würden alle Bemühungen konterkarieren, den
Klimawandel zu stoppen. Nachhaltig wäre das ge-
rade nicht. Ziel wäre also eine Digitalstrategie, die
ganz neue klimafreundliche Lebensstile ermög-
licht, statt das tempo und damit die Zerstörungs-
kraft der heutigen Produktionsweisen und Kon-
sumstile nur noch zu beschleunigen.
ZEIT: Was wird dann aus der deutschen Auto-
industrie?
Rammler: Die unternehmen selbst werden gar
nicht unbedingt ökonomische Einbußen haben.
sie werden sich zu Mobilitätsdienstleistern wan-
deln und weiter geld verdienen.
ZEIT: sie werden also keine Autos mehr bauen?
Rammler: sie werden andere und weniger Autos
bauen. Heute ist es doch so: Die Menschen bewe-
gen sich mehr als jemals zuvor und so schnell wie
nie. gleichzeitig aber stehen die meisten Pri vat-
autos im Durchschnitt 23 stunden am tag unge-
nutzt in der gegend herum. Das ist ein irrationaler
Luxus, der in der künftigen Mobilitätswelt nicht
aufrechtzuerhalten sein wird. Wir müssten Mobili-
tät intelligenter organisieren, besser vernetzen, fle-
xibler gestalten. Wir brauchen digital vernetzte
Fahrzeugflotten, die rund um die uhr bereitste-
hen, um Menschen zu transportieren.
ZEIT: Was dann nur etwas für stadtbewohner wäre.
Rammler: In den städten ist der Veränderungs-
druck aber auch am größten. Es werden in den
kommenden Jahren und Jahrzehnten noch mehr
Menschen noch dichter zusammenwohnen. umso
unlogischer und unerträglicher wäre es, noch mehr
Fahrzeuge in den städten herumfahren zu lassen.
In den vergangenen 50 Jahren war die gesamte
Verkehrspolitik darauf ausgerichtet, das Autofah-
ren attraktiv, preiswert und angenehm zu machen.
Das geht nicht mehr.

ZEIT: und was machen die Leute, die auf dem
Land wohnen?
Rammler: Da braucht man eine kluge Politik und
darf nicht, wie in Frankreich, ökologische Fra-
gen auf das gerechtigkeitsempfinden der Leute
prallen lassen. Ich würde mir eine Wirtschafts-
politik wünschen, die den umbau der Auto-
industrie in Richtung elektrischer Antriebe und
digitaler Mobilitätsdienstleistungen massiv be-
schleunigt und vor allem die öffentlichen Ver-
kehrsmittel in strukturschwachen Regionen aus-
baut und modernisiert.
ZEIT: Warum, glauben sie, geschieht das nicht?
Rammler: Als Wissenschaftler bin ich zuneh-
mend sprachlos über viele Politiker. Nichts von
dem, was jetzt auf der Welt passiert – von der
Erderwärmung bis zur urbanisierung –, ge-
schieht urplötzlich, alles hat sich abgezeichnet,
wurde von Wissenschaftlern genau so vorherge-
sagt. und zwar schon vor über 30 Jahren. Man
hätte also genug Zeit gehabt, politisch damit
umzugehen. Das hat man aber nicht gemacht
und stattdessen wichtige und konfliktreiche
sachpolitische Fragen immer wieder der Macht-
politik untergeordnet.
ZEIT: Macht zu haben ist die Voraussetzung für
politisches Handeln.
Rammler: Aber man muss dann auch etwas daraus
machen. Das ist nicht geschehen. Deswegen steht
man jetzt unter so großem Handlungsdruck. Aber
anstatt nun den Bürgern die unausweichlichkeit
des umsteuerns zu erläutern, nimmt der Verkehrs-
minister Zuflucht in der Vergangenheit. Andreas
scheuer und seine Kompagnons aus Bayern haben
fast zwanzig Jahre lang durch Nichthandeln mit
dazu beigetragen, dass die ländliche Region so
abgehängt ist, wie sie es jetzt ist – und jetzt ver-
kauft er die dadurch erzwungene Automobilität
als individuelles Freiheitsversprechen. Das ist
schwer erträglich.
ZEIT: sie sind Zukunftsforscher, aber wer sagt
denn, dass die Zukunft wirklich so wird, wie sie
vermuten?
Rammler: Ich betreibe keine Prognostik, sondern
spreche über mögliche Zukunftsoptionen: szena-
rien dessen, was mit unterschiedlicher Wahr-
scheinlichkeit erwartbar ist. trotzdem würde ich
nie sagen, wie es genau kommen wird. Der beste
Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst
mitzugestalten. Die jungen Menschen haben da-
mit begonnen, unangenehme und radikale Fragen
zu stellen, schon sind sie dabei, eigene radikale ge-
staltungsformen zu finden. Die Wissenschaften
sollten sich mit ihnen verbünden.

Die Fragen stellte Marc Brost

Rammler ist
Professor für
Transportation
Design & Social
Sciences in
Braunschweig

Eine Demonstration
gegen den Abriss von
Dörfern, die dem
Braunkohle-Tagebau
weichen sollen

Fotos: David Klammer/laif (o.); Andrea Grambow & Joscha Kirchknopf für DIE ZEIT (u.)
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