Die Welt Kompakt - 08.08.2019

(Michael S) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,8.AUGUST


O


b in Fürth, Solingen
oder Wilhelmsha-
ven – überall
herrscht ein Pro-
blem: Alle drei Städte, quer
über die Bundesrepublik ver-
teilt, haben noch freie Lehrstel-
len zu bieten. Für die Region
Fürth waren zu Beginn des Mo-
nats August noch knapp 2200
freie unbesetzte Ausbildungs-
plätze gemeldet. Dem gegen-
über stehen rund 1100 suchen-
de junge Leute. Rein rechne-
risch hat jeder von ihnen die
Auswahl zwischen zwei Ausbil-
dungsplätzen; in einigen Ge-
genden kämen auf jeden Inte-
ressierten bis zu fünf freie
Lehrstellen, berichten Lokal-
medien.

VON FLORIAN GEHM

Das zeigt: Der Bedarf nach
jungen Arbeitskräftenin der
deutschen Wirtschaft ist groß.
Von einer Eintrübung der Kon-
junktur ist, zumindest bei der
Suche nach Nachwuchskräften,
noch nichts zu spüren. Das un-
termauern auch die Ausbil-
dungszahlen des vergangenen
Jahres: Insgesamt haben im
Jahr 2018 521.900 Personen ei-
nen neuen Ausbildungsvertrag
abgeschlossen. Das waren nach
endgültigen Ergebnissen des
Statistischen Bundesamtes
6200 Menschen mehr als im
Vorjahr – oder ein Plus von 1,
Prozent.
Treiber der Zahl waren aller-
dings ausschließlich Männer:
Die Zahl der von ihnen neu ab-
geschlossenen Ausbildungsver-
träge stieg um 2,6 Prozent –
während die Neuabschlüsse
von Frauen erneut leicht, um
einen Prozent, zurückgingen.
„Damit hält der seit zehn Jah-
ren zu beobachtende Trend,
dass Frauen immer seltener ei-
ne duale Ausbildung ergreifen,
weiter an“, teilten die Wiesba-

dener Statistiker mit. 2018 ha-
ben 25 Prozent weniger Frauen
eine duale Ausbildung begon-
nen als noch 2008. Die duale
Ausbildung gilt als deutsches
Erfolgsmodell. Doch der feh-
lende Nachwuchs wird zuneh-
mend zum Problem.
Dass die Ausbildungszahlen
in Deutschland überhaupt noch
klettern, verdanken die Unter-
nehmen vor allem Zuwande-
rern aus Syrien und Afghanis-
tan. Ihr Anteil an den neuen
Ausbildungsverträgen stieg be-
sonders kräftig an. Bei auslän-
dischen Männern verzeichnete
die Statistik ein Plus von 14,
Prozent – mit 5500 neuen Aus-
bildungsverträgen. Die Zahl
der ausländischen Frauen, die
2018 in eine Ausbildung starte-

ten, stieg weniger stark um nur
4,2 Prozent – in absoluten Zah-
len um rund 800 Verträge.
Ein Vergleich mit dem Vor-
jahr macht diese Zahlen beson-
ders interessant. Im Jahr 2018
haben insgesamt 61.032 Auslän-
der einen neuen Ausbildungs-
vertrag in der Bundesrepublik
abgeschlossen – neben Syrern
und Afghanen darunter vor al-
lem viele türkische Staatsbür-
ger. Zu gleichen Teilen absol-
vieren sie eine Ausbildung vor
allem in Industrie und Handel
sowie in handwerklichen Beru-
fen. Im Jahr 2017 schlossen
noch 54.792 Ausländer einen
Ausbildungsvertrag ab. Insge-
samt beträgt der Zuwachs in
reinen Zahlen also 6240. Das
bedeutet auch, ohne dieses mi-

grationsbedingte Azubi-Wachs-
tum wäre die Zahl der Auszu-
bildenen in Deutschland sogar
leicht rückläufig.
„Die Flüchtlinge sind ein
wichtiger Schub von zusätzli-
chen jungen Leuten für unser
Land“, erklärt Enzo Weber,
Forschungsbereichsleiter am
Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB), gegen-
über WELT. Denn die Nach-
wuchskohorten in der Bundes-
republik würden kontinuierlich
kleiner – „die Geburtenrate in
Deutschland liegt schon lange
deutlich bei unter zwei Kin-
dern je Frau“, so Weber.
Gleichzeitig bereitet der
deutschen Wirtschaft die „Stu-
dienneigung“ junger Menschen
Sorgen. „Immer mehr Schulab-
gänger gehen an Universitäten.
Bei der Besetzung von Lehr-
stellen haben heute viel mehr
Betriebe Probleme, Auszubil-
dende zu finden als noch vor
zehn Jahren“, erklärt Weber.
Tatsächlich begannen im Jahr
2007/2008 lediglich rund
362.000 Menschen ein Studi-
um – seit mittlerweile sechs
Jahren gibt es allerdings jähr-
lich mindestens eine halbe Mil-
lion neue Erstsemester in
Deutschland, wie weitere Zah-
len des Statistischen Bundes-
amtes zeigen.
AAAuch für Christoph Metzleruch für Christoph Metzler
vom Kompetenzzentrum Fach-
kräftesicherung des Instituts
der deutschen Wirtschaft (IW)
in Köln sind die Zahlen keine
Überraschung. „Bereits im ver-
gangenen Jahr haben wir einen
Anstieg bei Syrern und Afgha-
nen beobachtet.“ Junge Zuwan-
derer hätten mittlerweile ihre
Berufsvorbereitungsprogram-
me durchlaufen – „ein weiterer
Anstieg ist auch in Zukunft
wahrscheinlich“, sagt Metzler.
WWWeitere Dynamik könnten künf-eitere Dynamik könnten künf-
tig auch Zuzügler aus Osteuropa
in die Stellenmarkt bringen.

Auch mit Blick auf die Studi-
enzahlen erwartet Metzler ei-
nen Einfluss von Flüchtlingen:
„Es ist zu vermuten, dass der
Anteil weiterer internationaler
Studierender hoch bleibt.“ Der
eventuelle demografische Ein-
fluss kleinerer Geburtenjahr-
gänge kann gegebenenfalls
durch diese Faktoren ausgegli-
chen werden.
Bis dahin profitieren laut
Weber Wirtschaft und Flücht-
linge gleichermaßen von der
Entwicklung auf dem Arbeits-
markt. „Bald befindet sich die
Hälfte der arbeitsfähigen
Flüchtlinge in einem Beschäfti-
gungsverhältnis.“ Bisher arbei-
tet die überwiegende Mehrheit
allerdings in sogenannten Hel-
ferberufen – bei denen in
Deutschland bereits eine hohe
Arbeitslosigkeit herrscht. „Das
sind Jobs, die oft keine nach-
haltige Integration in den Ar-
beitsmarkt gewährleisten“,
sagt auch Weber. Deshalb soll-
ten sich Betriebe auch künftig
gezielt darum bemühen, offene
Lehrstellen mit Flüchtlingen
zu besetzen. „Am Ende“, sagt
Weber, „gewinnen beide. Die
einen eine Ausbildung und
nachhaltige Integration, die an-
deren zusätzliches Arbeitskräf-
tepotenzial“. Trotzdem, wider-
spricht Weber IW-Wissen-
schaftler Metzler, dürfe da-
durch nicht die Vorstellung
entstehen, dass sich auf diese
Weise die Effekte des demogra-
fischen Wandels eliminieren
ließen.
Anders äußerte sich IAB-
Chef Ulrich Walwei, noch kürz-
lich in einem Interview mit
WELT. Er erklärte, es sei pro-
blematisch unter den Deut-
schen und hier lebenden Aus-
ländern ausreichend viele für
„Fachkräfteengpassberufe“, et-
wa in der Pflege oder im Hand-
werk, zu begeistern. Walwei be-
obachtet einen generellen
Trend zu Studium und Büro-
job. „Die Flüchtlinge leben
auch in dieser Gesellschaft und
orientieren sich entsprechend,
deswegen fällt auch bei ihnen
die Vermittlung in diese Berufe
oft schwer.“ Zudem, so der
Wirtschaftswissenschaftler, sei
die „Ausbildungsneigung der
Flüchtlinge noch steigerungs-
fähig, und sie lösen auch etwas
häufiger als andere ihre Verträ-
ge wieder auf.“ Dies sei auch
auf den Anspruch mancher
Ausbildungsberufe zurückzu-
führen – hier bedürfe es besse-
rer Unterstützung und Ausbil-
dungsbegleitung.
Auch weitere Veränderungen
zeigt die Statistik: Bei allen
Neuabschlüssen belegte der
Beruf Kaufmann oder -frau im
Büromanagement mit 27.
Verträgen erstmals den Spit-
zenplatz. Dahinter folgen die
kaufmännische Ausbildung im
Einzelhandel, Kfz-Mechatroni-
ker, Verkäufer und die Ausbil-
dung zu Industriekaufleuten.
Gut ein Fünftel aller neu abge-
schlossenen Verträge konzen-
trierte sich auf diese fünf häu-
figsten Ausbildungsberufe.

Insgesamt haben 521.900 Personen im Jahr 2018 einen neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen

DPA

/ DANIEL BOCKWOLDT

Insgesamt
.

Türken, Syrer und Afghanen drängen in duale Ausbildung

*ohne Deutschland Quelle: Statistisches Bundesamt, ����

Neu abgeschlossene Verträge von Ausländern ����
EU-Länder*.

.

 

.





Übriges
Europa

Afrika davon Türkei

Asien

davon
Syrien

davon
Afgha-
nistan

Bewahrerdes


Erfolgsmodells


Die Zahl der neuen Azubi-Verträge ist


2 018 leicht gestiegen. Eine Zunahme gab


es vor allem bei Syrern und Afghanen


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