DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,8.AUGUST2019 FORUM 15
D
urch die Geschichte der
deutschen Parteiendemo-
kratie zieht sich eine
Charakteristik, die gerade
verschwindet. Immer war
von „der Sonderrolle der CSU“ die
Rede. Diese Sonderrolle leitet sich da-
raus ab, dass die CSU nur in Bayern
wählbar ist, dass sie sich als Interes-
senvertretung Bayerns versteht und
diesen Fokus auch in der Bundespolitik
nicht ablegt. Geschadet hat der Repu-
blik dieser eine regionale Schwerpunkt
in der Parteienlandschaft nicht.
Doch nun läuft ein Experiment. Die
Frage, die ihm zugrunde liegt, lautet:
Was passiert, wenn es nicht nur mehr
eine Regionalpartei gibt, sondern nur
noch Regionalparteien? Bald gliedert
sich das Land parteipolitisch so auf: Die
CSU bleibt in Bayern. Die CDU wird de
facto eine westdeutsche Partei, die AfD
eine ostdeutsche, die Linke wird wieder
eine ostdeutsche Partei. Die SPD zieht
sich in eine Region zurück, die vom
westlichen Brandenburg bis zum öst-
lichen Nordrhein-Westfalen reicht, die
FDP bleibt eine westdeutsche Partei
ohne echte Schwerpunkte, die Grünen
reüssieren in den großen Städten. Wer
das für arg holzschnittartig hält, sollte
sich die neuesten Umfragen und Unter-
suchungen im Vorfeld der Landtags-
wahlen in Sachsen, Thüringen und
Brandenburg ansehen.
Die WELT hat kürzlich in Zusam-
menarbeit mit Wahlkreisprognose.de
ermittelt, welche Parteien in den Di-
rektwahlkreisen Erfolg haben werden.
CDU und SPD dürften in den drei Län-
dern gut 50 Wahlkreise an die AfD ver-
lieren, das wäre ein Drittel aller Wahl-
kreise. Das ist eine erdrutschartige
Veränderung, die sich in einer sehr
hohen Geschwindigkeit vollzieht. Davor
hat es etwa im Falle der Grünen zwei
Jahrzehnte gedauert, bis diese ihre
ersten Direktmandate holen konnten.
2002 gewann Hans-Christian Ströbele
in Berlin eines und war damit lange
auch der Einzige seiner Art.
Die AfD hat dies 2017 hingegen schon
im ersten Anlauf bei der Wahl zum
Bundestag geschafft. Die Bürger ma-
chen offensichtlich keine so große Un-
terscheidung mehr zwischen Erst- und
Zweitstimme. Sie wählen in beiden
Fällen ihre bevorzugte Partei. Deshalb
sind inzwischen auch die Grünen bei
den Direktmandaten erfolgreicher,
gerade in den Städten und im Westen.
Im Osten wird die Partei aber weiterhin
mit ein paar Ausnahmen eine Listen-
partei bleiben, also eine Partei, die nur
wenige Direktmandate holt und ihre
Abgeordneten vor allem über die Zweit-
stimmen in die Parlamente schicken
kann. Dieses Schicksal droht nun auch
CDU und SPD im Osten. Es gibt derzeit
noch keine Berechnungen, wie im Falle
einer Bundestagswahl die Verteilung
der Direktmandate aussehen würde.
Doch in Analogie zu den Landtags-
wahlen ist zu erwarten, dass die AfD
auch hier der Union und der SPD mas-
siv Mandate abnehmen wird. Laut einer
Emnid-Umfrage vom Wochenende
bekäme die AfD derzeit in Ostdeutsch-
land die meisten Stimmen. Sie liegt
dort bei 23 Prozent und damit knapp
vor der CDU (22 Prozent).
Ganz anders sieht es im Westen aus.
Da liegt die Union mit 27 Prozent vorn,
die AfD landet bei lediglich zwölf Pro-
zent. Schon gibt es Leute in der AfD,
die es für sinnvoll erachten, sie quasi
zur ostdeutschen CSU auszurufen. Im
Bundestag könnten in naher Zukunft
mehrheitlich direkt gewählte AfD-Poli-
tiker sitzen, die fast alle aus dem Osten
kommen. Will sie Westdeutsche über
die Liste hineinbringen, ist sie auf gute
Zweitstimmenresultate angewiesen. So
will es das Wahlrecht. Doch dem steht
die Schwäche im Westen entgegen. Die
AfD dürfte sogar bald wieder aus west-
deutschen Landtagen herausfallen. Sie
teilt dann das Schicksal der Linken, die
Wir wählen
jetzt regional
Keine der Parteien in Deutschland hat noch
bundesweite Kraft. Sie richten ihre Politik
zunehmend auf bestimmte Milieus in Teilen der
Republik aus. Damit folgen sie der Zersplitterung
in der Bevölkerung, statt diese zu überwinden
THOMAS VITZTHUM
LEITARTIKEL
nach einem Schub vor etwa zehn Jah-
ren heute im Westen stets an der Fünf-
prozenthürde entlangschrammen. Die
Linke ist wieder eine Ost-Partei und
auch da in arge Bedrängnis durch die
AfD geraten.
Die Folgen all dieser Entwicklungen
werden das Land prägen. Keine Partei
hat dann noch bundesweite Kraft. Gera-
de Direktmandate garantieren die engs-
te Verbindung zwischen Politik und
Wahlvolk. Jeder direkt gewählte Abge-
ordnete muss sich vor Ort rechtfer-
tigen, er unterhält Büros und Sprech-
stunden. Der Union geht mit dem Ver-
lust von Direktmandaten im Osten
diese Bürgernähe verloren. Das dürfte
zu einer weiteren Entfremdung zwi-
schen den Wählern im Osten und der
Partei führen. Gleiches gilt natürlich
für die SPD, nur ist bei ihr der Prozess
schon viel weiter fortgeschritten. Die
Schwierigkeiten, die FDP und Grüne im
Osten hatten, hingen immer auch mit
der fehlenden Repräsentanz in den
Kreisen zusammen.
VVVerändern wird sich aber auch dieerändern wird sich aber auch die
thematische Orientierung. Die Union
diskutiert derzeit intensiv über die Kli-
mapolitik. Dabei ist das im Osten kein
so großes Thema wie im Westen. Es
wäre logisch, über den Ausstieg aus der
Braunkohle, woran im Osten noch im-
mer viele Arbeitsplätze und Identitäten
hängen, erst nach den Wahlen zu spre-
chen; doch nimmt die Parteiführung
hierauf wenig Rücksicht. Ende August,
wenige Tage vor der Wahl in Sachsen,
will die Partei in Dresden einen Klima-
gipfel veranstalten. Das soll noch einmal
Schwung für den Wahlkampf geben.
Die Kernklientel, so scheint es bei
der CDU, wird längst im Westen ver-
ortet, die Konkurrenz mit den Grünen
dort ist das prägende Moment für die
aktuelle inhaltliche Ausrichtung. Die
AfD wird hingegen von der Union zur
NPD 2.0 erklärt und rechts liegen gelas-
sen. Die AfD konzentriert sich derwei-
len weiter auf das, was im Osten be-
wegt: Migration etwa. Doch auch die
Rechten geraten unter erhöhten Recht-
fertigungsdruck. Von ihrem direkt ge-
wählten Abgeordneten erwarten Men-
schen mehr als von einem, den sie gar
nicht kennen. Die AfD zwingt das wo-
möglich mittelfristig von der landes-
politischen Ebene ausgehend zu mehr
Realpolitik, während sich die anderen
Parteien im Osten mehr „Irrealpolitik“
erlauben können. Ein Beispiel dafür ist
der Vorschlag von Bayerns Minister-
präsident Markus Söder, den Kohle-
ausstieg schon 2030 zu vollziehen. Er
kann dies leicht fordern, Bayern fördert
keine Braunkohle, und die CSU wird im
Osten nicht gewählt.
Blühen uns ins Zukunft also mehr
Debatten, die einen Teil des Landes
brüskieren? Verwundern? Die nur einen
Adressaten in einem Teil des Landes
haben? Sehr wahrscheinlich ja. Die Par-
teien werden so für eine weitere Polari-
sierung sorgen. Die Entwicklungen und
Verschiebungen lassen sich kurzfristig
kaum aufhalten. Parteien aber müssen
ihre Verantwortung für das ganze Land
nicht nur im Blick behalten, sondern sie
auch übernehmen. „Die Parteien wirken
bei der politischen Willensbildung des
Volkes mit“, heißt es im Grundgesetz.
Des Volkes. Nicht dieses oder jenes
Teils des Volkes.
[email protected]
Die Linke istǑǑ
wieder eine
Ost-Partei,
und auch
die AfD wird
wohl diesen
Weg gehen
KOMMENTAR
OLAF GERSEMANN
Unsere
tägliche Steuer
K
limaschutz ist kostspie-
lig. Aber eigentlich nicht
kompliziert. Ein CO 2 -
Preis auf alles, der auf der gan-
zen Welt gleich hoch ist: Das
wäre ein Königsweg. Einmal
Rahmenbedingungen schaffen,
einen sozialen Ausgleich ein-
planen und dann die Markt-
kräfte den Rest erledigen lassen
- das wäre effektiv und effi-
zient. Das „Klimakabinett“ der
Groko könnte alsbald wieder
aufgelöst werden.
Doch genau hier liegt das
Problem: Die Lösung ist zu
einfach. Denn um Effektivität
und Effizienz geht es den sich
zuständig fühlenden Politikern
offenkundig nicht. Sondern
darum, missliebiges Verhalten
abzustrafen, soweit es nicht von
der eigenen Kernklientel an den
Tag gelegt wird.
Die Boshaftigkeit kommt mal
putzig, mal bizarr und mal ein
wenig sadistisch daher. Berlins
Grüne etwa wollen den Haupt-
stadttouristen für ihr ungefrag-
tes Kommen an die Kaufkraft –
per Pflichtticket für Busse und
Bahnen(das auch die Rad-
fffahrer und Fußgänger lösenahrer und Fußgänger lösen
müssten). Die Chefin des Um-
weltbundesamtes, eine gelernte
Grünen-Politikerin, schlägt
derweil eine SUV-Extrasteuer
vor (offenbar nicht ahnend,
dass es die eigentlich längst
gibt – in Form der von Hub-
raum und CO 2 -Ausstoß ab-
hängigen Kfz-Steuer).
Und dann findet auch noch
die Forderung, eine Fleisch-
steuer zu erheben, ein positives
Echo bei SPD, Grünen und Uni-
on. Dass dabei Geringverdiener,
die im Schnitt volle 15 Prozent
ihrer Lebensmittelausgabenfür
Fleisch und Fleischwaren auf-
wenden, überproportional ge-
troffen würden, ist Menschen,
die ihre Abgeordnetendiäten in
Bioläden tragen, offenbar egal.
Vielleicht dient es ja dem
Tierwohl, wenn Fleisch teurer
wird; und vielleicht schlafen
ruhebedürftige Kreuzberger
besser durch, wenn mehr Tou-
ris aus ihrem Sprengel heraus-
gepreist werden. Mit wirk-
samem Klimaschutz indes hat
derlei wenig zu tun. Oder nur
solange, wie es keine wirklich
zielgerichtete Klimapolitik
gibt. Spätestens dann nämlich
würde die Piesackerei im Re-
gelfall kontraproduktiv und im
günstigsten Fall überflüssig.
WWWas vielleicht nicht der un-as vielleicht nicht der un-
wichtigste Grund dafür ist,
dass die Aussicht auf einen
wirksamen Klimaschutz wei-
terhin schlecht ist.
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