Die Welt Kompakt - 08.08.2019

(Michael S) #1

Popcorn gewünscht hat oder ein
Getränk. Nein, sagt sie, kein Ge-
tränk, sondern Popcorn. Sie isst
dann die Hälfte des Popcorns des
Mannes.
Der Mann schaut sich um, als
bemerke er erst jetzt, dass nie-
mand da ist. Er schaut mich an.
Ich sage: „Niemand hier.“
„Ja, das ist das Schöne daran.
Deshalb ist das hier das beste Ki-
no der ganzen Stadt.“ Er schaut
sich noch einmal um, erklärt
dann der Frau, dass er eigentlich
immer dort hinten sitzt, an der
Wand.
Im Grunde geht mir das so wie
dem Mann, ich mag die Multiple-
xe nicht, und am liebsten gehe
ich ins Kino, wenn wenig Publi-
kum da ist. Man fühlt sich be-
quem und elitär zugleich. Diese
Haltung ist für die Kinos bedroh-
lich und obendrein ein bisschen
dekadent. Wie soll das weiterge-
hen? Ich schaue die weinroten
Stoffwände an, die verstaubte
Palastanmutung. Ich denke an
das Kino von Frau Bopp, das es
längst nicht mehr gibt, dort sind
jetzt Wohnungen.
Das Licht geht aus, es sind blu-
menartige Deckenleuchter. Es
gibt keine Werbung und keinen
Trailer. Ich finde das großartig,
ein Traum. Bevor ein Bild zu se-


hen ist, kann man ein Rattern
hören, auch ein Knacken. Der
Projektor, die Filmrolle. Ich habe
natürlich die allermeisten Filme
mit Filmkopien gesehen, den-
noch bin ich jetzt sentimental
und happy. Once upon a time, es
war einmal.
Mein Sohn hat neulich erzählt,
wie er sich im kommunalen Kino
„Rio Bravo“ von 1956 angeschaut
hat, einen unserer Familien-Lieb-

lingsfilme. Es war eine runterge-
rockte Kopie, die Bilder spran-
gen, es waren die schwarzen
Punkte zu sehen, das Rauschen
zu hören. Mittendrin riss der
Film, und die Vorstellung musste
unterbrochen werden. Mein
Sohn erlebte das zum ersten Mal,
er war ein wenig empört, wie
könne so etwas sein? Das Unper-
fekte des Kinos gibt es nur noch
in Läden wie dem 4Star.

Das Bild ist gut, der Ton in
Mono. Die Farben erscheinen in
kaliforniensatten Sonnenstrah-
lentönen. Natürlich vergesse ich
das alles, sobald der Film läuft.
„Once upon a Time in Holly-
wood“ spielt 1969, die Helden
fahren ständig an Kinos vorbei,
die wunderschön sind. In den
Wohnungen hängen Filmplaka-
te, die für die Aushänge der Ki-
nos hergestellt wurden. Aber die
Leute in dem Film schauen un-
entwegt Fernsehen, die Hippies
schauen sich TV-Serien an, Leo
DiCaprio als Westerndarsteller
dreht Serien, Brad Pitt wohnt
hinter einem Autokino im Wohn-
wagen. Nur Sharon Tate, die Un-
schuldige, geht einmal ins Kino,
um sich selbst anzusehen. Sie ist
glücklich dabei.
Tarantino hat ein Märchen ge-
dreht, in dem selbst das Kino
nicht mehr richtig funktioniert,
es ist alt und fett und steht auf
der Kippe. Das Neue ist noch
nicht angekommen. 1969 kam
das Neue mit Macht, New Holly-
wood bescherte dem Film einen
Boom, ästhetisch und wirt-
schaftlich. Jetzt, hier, ist ganz
unklar, ob das Kino Bestand ha-
ben wird.
Der Film ist aus, das Popcorn-
Paar geht. Ich bleibe sitzen und

sehe mir im Abspann an, wie Leo
DiCaprio noch Zigarettenwer-
bung macht. Wahrscheinlich ist
das auch subversiv, oh, Zigaret-
tenwerbung im Kino, die trauen
sich was. Tarantino will ein Di-
nosaurier sein, seine Sentimen-
talität wirkt museal und ange-
strengt. Ich komme mir vor wie
im Film „The Last Picture
Show“, wo in der Kleinstadt
noch einmal „Red River“ gezeigt
wird und dann der Laden für im-
mer geschlossen wird. Zeit zu
gehen.
Im Foyer stehen etwa ein Dut-
zend Leute an der Kasse. Später
kommen noch ein paar. Ist okay
für einen Dienstagabend. Ich fra-
ge den Vorführer, wie alt das Ki-
no ist. Oh, sagt er, das Gebäude
sei von etwa 1919, der Besitzer
habe das Kino Anfang der 60er-
Jahre eingebaut. Er schaufelt das
Popcorn durcheinander, damit
es nicht klebt. An der Wand
hängt ein schwarzes T-Shirt mit
dem Aufdruck „4Star Theatre“.
Darüber steht groß geschrieben
„Support your local cinema“.
Das ist ein ehrbares Vorhaben.
Ich kaufe eines und gehe. Drau-
ßen geht die Sonne gerade unter,
die Leuchtreklame ist immer
noch nicht angeschaltet. The
Last Picture Show.

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