SEITE 12·DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019·NR. 182 Feuilleton FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
I
mH2 Zentrum für Gegenwarts-
kunst werden in dem weitläufigen
und dank der hohen Fensterwände
lichtdurchfluteten Raum des Glas-
palasts Fotografien, Gemälde und ganz
besonders Installationen ausgestellt, die
hier im Zeichen der Vergänglichkeit mit-
einander korrespondieren – und sehr po-
litisch daherkommen.
Der Industrieromantik ausstrahlende
Glaspalast bildet die geeignete Kulisse
für eine Ausstellung zur „Vanitas“, ist sie
als ehemalige Baumwollspinnerei doch
eines der schönsten Überbleibsel im his-
torischen Textilviertel Augsburgs. Die
Stadt galt lange Zeit als europäisches
Zentrum der Textilindustrie, konnte ei-
ner globalisierten Welt aber nicht stand-
halten. Den Glaspalast teilen sich mitt-
lerweile das Kunstmuseum Walter, das
H2 Zentrum für Gegenwartskunst und
die Staatsgalerie Moderne Kunst, eine
Zweigstelle der Pinakothek der Moderne
in München. Zum Teil dient der 1910 er-
richtete Bau lediglich als Verwaltungs-
und Bürogebäude.
Die von Thomas Elsen kuratierte Aus-
stellung tastet sich zunächst eher klas-
sisch an den Vanitas-Begriff heran. Fo-
tos von Herlinde Koelbl aus ihrem zuerst
in Hamburg im Jahr 2007 gezeigten
Werk „Haare“ zeigen, was der Titel
schon vermuten lässt: passend zum The-
ma, denn wo sonst wird die eigene Ver-
gänglichkeit so deutlich wie an den to-
ten Hautzellen? Die wenigsten bleiben
verschont von ausfallenden, sich lichten-
den und ergrauenden Haaren. Koelbl be-
dient sich klassischer barocker Vanitas-
Motive, indem sie einen Totenschädel
mit einem Haarbüschel ablichtet. Stefan
Moses’ Schwarzweißfotografien aus sei-
ner Reihe „Große Alte im Wald“, die be-
deutende Persönlichkeiten des öffentli-
chen Lebens wie Willy Brandt oder Gün-
ter Grass zeigen, wirken hingegen eher
wenig einfallsreich.
Eine Ausstellung, die den Vanitas-Be-
griff jedoch aus der Gegenwartsperspek-
tive betrachtet, kommt an aktuellen poli-
tischen Debatten nicht vorbei. Das Men-
schenleben ist vergänglich, doch wie
steht es um die Natur? Wir müllen sie zu,
verdrängen sie physisch, scheint die Ant-
wort einiger hier ausgestellter Künstler
zu sein. Ein ausgestopfter Hirsch von der
deutsch-französischen Bildhauerin und
Installationskünstlerin Gloria Fried-
mann macht den Auftakt. Das tote Tier
thront verloren und erhaben zugleich auf
einem Sockel aus Altpapier, anstatt sich
in seiner natürlichen Umgebung, dem
Wald, zu bewegen.
Zwei Installationen des Fotografen
Lois Hechenblaikner beeindrucken mit
seinem Blick auf den vulgären und exzes-
siven Konsum der Wintersporttouristen
in seiner Heimat Tirol. Die Folgen des
grenzenlos konsumierenden Menschen
vergegenwärtigt er in zwei Müllbergen
aus Ski-Ausrüstung – sowohl als Videoin-
stallation als auch auf einer großen Flä-
che des zweitausend Quadratmeter gro-
ßen Ausstellungsraums. Die Skier, Ski-
Schuhe und vieles mehr hat er, so heißt
es, selbst in Tirol aufgesammelt, als Über-
reste und Spuren der Feriengäste. He-
chenblaikner beschäftigt sich seit Jahren
mit den Auswirkungen des Massentouris-
mus auf die Pisten und Täler. „Was ist der
Skisport“, fragt er. „Die Bewirtschaftung
des Gefälles. Irgendwann hat das jemand
erfunden, dieses Gleitmittel in Weiß,
und dann ist eine Riesenindustrie daraus
geworden. Und auf einmal zieht sich die
Natur zurück, und damit rechnet der
Mensch nicht. Ein absurder Wettlauf, der
eigentlich eine Tragödie ist.“
Die Folgen des Massentourismus für
die Alpentäler sind verheerend, das sich
verändernde Klima erschwert den Anbie-
tern das Versprechen nach weißen Pisten
und fordert einen noch größeren Eingriff
in die Natur. Die Ausstellung bekommt
mit den Werken von Friedmann und He-
chenblaikner eine politische Relevanz
und prangert unser Konsumverhalten
und die Wegwerfgesellschaft an.
Nicht weniger verstörend ist auch die
brutale Darstellung eines geschlachteten
Tiers von Norbert Tadeusz, dem Meister-
schüler Joseph Beuy’s. Das Ölgemälde
zeigt den an den Hinterbeinen aufge-
hängten Leib eines Schweins, dessen Ge-
därme aus dem Inneren in eine Schubkar-
re gleiten.
Insgesamt präsentieren die ausgewähl-
ten Werke eine Gegenwart, die moti-
visch eher von „carpe diem“ als von „me-
mento mori“ geleitet ist. Der Umgang
des sich überlegen fühlenden Menschen
mit Natur und Tier droht in eine Tragö-
die zu münden, wie vor allem Hechen-
blaikners Arbeiten andeuten. Daneben
rundet ein Bild mit dem Titel „Das kol-
lektive Gewissen“ des Augsburger Künst-
lers Christofer Kochs die Ausstellung ab.
Es hängt an einer Wand gegenüber von
Hechenblaikners Müllbergen. Der durch-
sichtige Körper im Vordergrund des Bil-
des scheint vor allem Scham auszudrü-
cken – vielleicht über die Sinnlosigkeit
dieses Massenkonsums angesichts der
Erkenntnis über die Vergänglichkeit al-
les Irdischen. NORA SEFA
Vanitas Contemporary.Im H2 Zentrum für
Gegenwartskunst im Glaspalast, Augsburg;
bis zum 19. Januar 2020. Kein Katalog.
Wenn es zum Wesen eines Stars gehört,
Blicke auf sich zu vereinen, dann hatte
Keith Carradine einen seiner großen Mo-
mente in „Nashville“, dem Ensemblefilm
von Robert Altman. Der Sänger Tom
Frank sitzt auf einer Bühne, er hat nur
eine Gitarre dabei, die Stimmung im
Raum ist zerstreut. Dann beginnt er zu sin-
gen: „Say you want me, I’ll come running,
because I’m easy.“ Es sind einige Frauen
da, die sich angesprochen fühlen, aber die
eine, die gemeint ist, sitzt hinten in der
Ecke. Es war Lily Tomlin, mit der Carra-
dine damals dieses Spiel von Attraktion
und Unverbindlichkeit spielte, und Altman
fing es mit einer diskreten Kamera ein.
In den Jahren zwischen 1973 und 1980
war Keith Carradine für eine Weile eine
der größten Starhoffnungen des amerika-
nischen Kinos: ein feingliedriger, meis-
tens vollbärtiger Mann mit längeren Haa-
ren, der, selbst wenn seine Figuren oft auf
der falschen Seite des Gesetzes standen,
den legitimen Standpunkt eines Außensei-
ters vertritt. Es ist fast, als könnte man
diesen Figuren ansehen, dass Carradine
aus einer vielköpfigen Familie stammt,
aus einer Schauspielerdynastie, die es
nicht erlaubt, dass sich einer mit Gewalt
herausprofiliert. Es bedarf subtiler Mit-
tel. Der Vater John (er starb 1988) war
eine Legende im klassischen Hollywood.
Der Bruder David wurde in den frühen
siebziger Jahren mit der Serie „Kung Fu“
berühmt. In dem Western „The Long Ri-
ders“ (1980) von Walter Hill wurden die
drei Younger-Brüder von den Brüdern Da-
vid, Robert und Keith Carradine gespielt.
Keith hatte zu diesem Zeitpunkt schon
mehrere Rollen hinter sich, an die man
sich unbedingt erinnern wird: den Foto-
grafen E.J. Bellocq in Louis Malles „Pret-
ty Baby“, den Husar D’Hubert in Ridley
Scotts frühem Historienfilm „The Due-
lists“, und mehrfach hatte er mit Robert
Altman zusammengearbeitet (schon 1971
in „McCabe and Mrs. Miller“).
Einer seiner besten Filme ist „Trouble
in Mind“ (1985) von Alan Rudolph, ein
Krimi mit einem ganz eigenen Tonfall
und einer spannenden Männer-Partner-
schaft: Carradine traf auf Kris Kristoffer-
son, auch er zugleich Sänger. Solche Fil-
me werden heute nicht mehr gemacht,
sagt man in Amerika gern über solche Fil-
me, die meistens selbst schon von Filmen
erzählen, die heute nicht mehr gemacht
werden. Keith Carradine hat allerdings
problemlos in eine zweite Karriere gefun-
den, die ihn zu einem gefragten Seriendar-
steller werden ließ: Es begann mit fünf
Folgen in „Deadwood“, dann einer länge-
ren Phase mit „Dexter“, führte aber auch
zu einigen Auftritten in der Kult-Sitcom
„Big Bang Theory“ und schließlich einer
der großen Ehrenerklärungen, die es im
amerikanischen Showbiz für männliche
Schauspieler gibt: In der Serie „Modern
Secretary“ spielt Keith Carradine den fik-
tiven Präsidenten Conrad Dalton. Am
Broadway hatte er davor in David Hares
„Stuff Happens“ schon eine Interpretati-
on von dem realen Präsidenten George
W. Bush gegeben. An diesem Donnerstag
begeht Keith Carradine seinen siebzigs-
ten Geburtstag. Seine Tochter Martha
Plimpton führt die Schauspielerdynastie
fort. Die Zeichen stehen gut, dass man
auch ihn selbst noch des Öfteren zu sehen
bekommen wird. BERT REBHANDL
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Müllmonumente
HIROSHIMA,7. August
Siebenmal wird in Hiroshima am 6. Au-
gust, pünktlich um 8.15 Uhr, die Friedens-
glocke angeschlagen. Es ist der Moment,
in dem 1945 ein amerikanischer Bomber
über der Stadt die Atombombe ausklink-
te. Innerhalb einer Sekunde starben Zehn-
tausende, bis zum Jahresende wuchs die
Zahl der Opfer auf rund hundertvierzig-
tausend an. Die Glockenschläge eröffnen
die Gedenkzeremonie, zu der sich jähr-
lich Überlebende und ihre Familien, rang-
hohe Offizielle, ein Großteil des diploma-
tischen Korps aus Tokio sowie Tausende
von einfachen Bürgern im Friedenspark
einfinden. Der Schweigeminute folgen
Ansprachen des Bürgermeisters von Hiro-
shima und des Ministerpräsidenten, ein
Taubenschwarm fliegt auf, zwei Kinder
verlesen ein Friedengelöbnis.
Die kurze und würdevolle Zeremonie
ist der medial weithin sichtbare Teil einer
sorgfältig gepflegten Erinnerungskultur.
Dazu gehört neben verschiedenen Ge-
denkstellen im Park und der als „Atom-
bombenkuppel“ weltweit bekannten Rui-
ne der ehemaligen Industrie- und Han-
delskammer vor allem das Friedens- und
Gedenkmuseum. Es dokumentiert eben-
so sachlich wie erschütternd den Tod und
das massenhafte Leiden der Opfer und
führt in einer vorbildlich gestalteten päd-
agogischen Abteilung das zerstörerische
Potential der Bombe vor Augen.
Die Tradition einer auf Abrüstung ge-
richteten Erinnerungskultur wird seit
2015 ergänzt durch die musikalische In-
itiative „Music for Peace“, in deren Zen-
trum das Symphonieorchester von Hiro-
shima steht. Am Vorabend des diesjähri-
gen Gedenktages gab es nun unter der Lei-
tung seines ständigen Gastdirigenten
Christian Arming ein Konzert mit „Lied
V“, einem neuen Werk für Cello und Or-
chester seines Composers in Residence
Toshio Hosokawa, mit dem ersten Cello-
konzert von Dmitri Schostakowitsch und
der ersten Symphonie von Gustav Mah-
ler. Hosokawa lässt die melodische Linie
zu ausdrucksgeladenen Klangprozessen
auswuchern, die den ganzen Tonraum
ausfüllen – ein permanent unter Hoch-
spannung stehender Energiestrom, der
vom Solisten Steven Isserlis mit packen-
der Intensität zur Entfaltung gebracht
wurde und in den schattenreichen Ge-
räuschfarben der Orchestertutti einen
starken Widerhall fand. Das Orchester
war für Isserlis ein ebenbürtiger Partner.
Es gehört zu den japanischen Spitzenor-
chestern, ist reaktionsschnell und pflegt
einen prickelnd transparenten Klang. Auf-
fällig sind die brillante Bläsergruppe und
der einheitliche, extrem flexible Streicher-
klang. Seine Qualitäten konnte das Or-
chester bei der abschließenden Mahler-
Symphonie voll ausspielen, wobei es un-
ter Armings inspirierender Leitung mit
seinem Rubatospiel, den kleinen Schlen-
kern und Glissandi vor allem im langsa-
men Satz etwas Wiener Atmosphäre am
fernen Pazifik heraufbeschwor.
Die Initiative „Music for Peace“ hat
sich zur Aufgabe gemacht hat, den in Hi-
roshima hochgehaltenen Friedensgedan-
ken in die Welt hinauszutragen. Unter
den Unterstützern steht an vorderster
Stelle Martha Argerich mit dem Ehrenti-
tel einer Friedensbotschafterin des Or-
chesters. Initiator und treibende Kraft ist
Shoji Sato, im Hauptberuf Mitarbeiter ei-
ner Tokioter Künstleragentur, und als
künstlerischer Träger steht das Sympho-
nieorchester Hiroshima zur Verfügung.
Mit thematisch ausgerichteten Konzert-
programmen und unter Nutzung der glo-
balen Verflechtungen im heutigen Musik-
business bildet es die Drehscheibe eines
langfristig angelegten, internationalen
Austauschprogramms, das sich nicht nur
auf gegenseitige Orchesterbesuche und
Solistentätigkeiten erstreckt, sondern je
nach Projekt auch Orchestermusiker ein-
zeln oder in Gruppen einbezieht; eingela-
den waren diesmal der Berliner Kontra-
bassist Edicson Ruiz und der Hornist Ja-
vier Bonet aus Barcelona.
Der Musikeraustausch ist durchaus un-
gewöhnlich und verweist auf einen
Grundgedanken der Initiative. Über das
legitime Bemühen hinaus, das eigene Or-
chester besser am internationalen Markt
zu plazieren, geht es nämlich darum, mit
solchen Kooperationen den Erfahrungs-
hintergrund sowohl der einzelnen Musi-
ker als auch des gesamten Orchesters zu
erweitern und durch die menschlichen Be-
gegnungen etwas zur Verständigung über
die Kontinente, Sprachgrenzen und kultu-
rellen Eigenheiten hinweg beizutragen.
Orchesterpädagogik und Friedenserzie-
hung ergänzen sich. Und, so denkt man
sich in Hiroshima, was wäre zur Verwirkli-
chung dieser Idee besser geeignet als die
klassische Musik europäischer Prägung,
die sich im Fernen Osten einer ständig
wachsenden Beliebtheit erfreut?
Bereits sind zahlreiche Fäden nach Eu-
ropa und Kanada geknüpft worden. Eine
besonders enge Beziehung des Hiroshi-
ma-Orchesters besteht zur Sinfonia Var-
sovia; beide sind nach dem Krieg in einer
dem Erdboden gleichgemachten Stadt ge-
gründet worden, und zum hundertjähri-
gen Bestehen der diplomatischen Bezie-
hungen zwischen Japan und Polen wer-
den die beiden Orchester noch in diesem
Monat in Warschau in einer Mischforma-
tion auftreten, wobei gemeinsam Beetho-
vens Neunte gespielt wird und Martha Ar-
gerich mit Chopin auftritt. Vor kurzem
war auch schon Krzysztof Penderecki in
Hiroshima zu Gast. Er dirigierte nebst
Beethoven sein 2009 in Krakau unter Va-
lery Gergiev uraufgeführtes „Prelude for
Peace“ und sein zweites Violinkonzert;
als auswärtige Orchestermusiker waren
zwei Mitglieder des Dänischen Radio-
Symphonieorchesters mit von der Partie.
Im nächsten August wird das Orches-
ter mit zwanzig Gastmusikern aus Polen,
Dänemark, Frankreich, Deutschland und
den Vereinigten Staaten und mit Mitglie-
dern aus dem Johannes-Brahms-Chor
Hannover wiederum die Neunte in Hiro-
shima aufführen. Und die Überraschung:
Martha Argerich, deren Interesse für
neue Musik sich ansonsten in Grenzen
hält, wird als Solistin in der Urauffüh-
rung eines Klavierkonzerts von Dai Fuji-
kura zu hören sein. Die Schlusskadenz
wird sie auf Akikos Klavier spielen. Aki-
ko war ein junges Mädchen, das an den
Folgen der atomaren Strahlung starb. Ihr
Klavier hat überlebt, wurde restauriert
und wird in diesem Konzert eine heimli-
che Hauptrolle spielen. Die zerfetzten
Kleider und Alltagsgegenstände im Frie-
densmuseum Hiroshima sind stumme
Zeugen des Schreckens. Akikos Klavier
erzählt davon in Tönen. MAX NYFFELER
Keith Carradine Foto Picture Alliance
Wenn aus dem Schrecken Töne werden
Martha Argerich, Steven Isserlis, Krzysztof Penderecki: „Music for Peace“ schafft in Hiroshima neue Allianzen für den Frieden
Photograph – Ein Mann zeigt seiner
Großmutter das Foto einer Unbekann-
ten, die seine Verlobte sei. Regisseur Ri-
tesh Batra erzählt, was dann geschieht.
(F.A.Z. von gestern)
So wie du mich willst– Juliette Binoche
spielt eine Frau, die sich ein falsches
Facebook-Profil zulegt. Jünger, aber auch
schön und klug. Sie erzählt ihrer Thera-
peutin, wie das schiefging.
Und wer nimmt den Hund?– Streitbezie-
hungskomödie mit Martina Gedeck und
Ulrich Tukur von Rainer Kaufmann.
Kraft der
Leichtigkeit
Dem Schauspieler Keith
Carradine zum Siebzigsten
Stumme Klage des Gehörnten: Die Installation „L’envoyé special“ von Gloria Friedmann Foto Gloria Friedmann/ VG-Bildkunst, 2019
Neu im Kino
Kollektives Gewissen: Eine Ausstellung in
Augsburg beschäftigt sich mit dem Konzept der
„Vanitas“ aus konsumkritischer Perspektive.