Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.08.2019

(Joyce) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019·NR. 182·SEITE 15


Mit Instex wollten die Europäer


denIran-Handel retten. Von Erfolg


gekrönt war das bislang nicht.Seite 16


Hamburg oder Toulouse? Der


Streit um ein neues Airbus-Werk


geht in die heiße Phase.Seite 18


Der Daimler-Vorstand Britta Seeger


hält den Vertrieb auch in schwierigen


Zeiten auf Erfolgskurs.Seite 20


Neuer Anlauf Zähes Ringen Pragmatische Führung


G


laubtman der neuseeländischen
Notenbank, geht es der Wirt-
schaft des schönen Landes prächtig.
„Die Beschäftigung befindet sich in
der Nähe ihres nachhaltigen Maxi-
mums“, schreibt die Royal Bank of
New Zealand in einer aktuellen Mittei-
lung. „Neue Daten, die ein Wachstum
der Beschäftigung und der Löhne zei-
gen, sind erfreulich.“ Und auch auf
mittlere Sicht sieht es gut aus: „Niedri-
ge Zinsen und höhere Staatsausgaben
werden zu einer Zunahme der gesamt-
wirtschaftlichen Nachfrage beitra-
gen.“
Diese wirtschaftliche Lagebeschrei-
bung findet sich in einem Kommuni-
qué, mit dem die Royal Bank of New
Zealand zur großen Überraschung der
Finanzmärkte eine Senkung ihres Leit-
zinses um einen halben Prozentpunkt
auf nur noch 1 Prozent ankündigte.
Die Nachricht schickte nicht nur die
Anleiherenditen für neuseeländische
Staatsanleihen auf neue historische
Tiefststände; auch in anderen Regio-
nen sanken die Anleiherenditen. In
Deutschland fiel die Rendite zehnjäh-
riger Staatsanleihen mit minus 0,
Prozent auf ein Allzeittief.
Die Begründung für die Leitzinssen-
kung überrascht. Weil die Wirtschafts-
daten eigentlich keinen Grund zur
Klage liefern, verweist die Notenbank
etwas diffus auf die „unsichere inter-
nationale Lage“. Damit akzentuiert
die neuseeländische Notenbank einen
Trend: Zehn Jahre nach der Finanzkri-
se treten die Notenbanken wieder zu-
nehmend als Versicherer gegen ge-
samtwirtschaftliche Großrisiken auf
den Plan. Doch der Versuch, durch Re-
gierungen angerichtete Schäden zu mi-
nimieren, ist gefährlich. Denn nicht
nur droht er die Notenbanken zu über-
fordern; er gefährdet auch ihre Unab-
hängigkeit.
Dies lässt sich in den Vereinigten
Staaten besichtigen, wo Donald
Trump von der Notenbank seit gerau-
mer Zeit eine kräftige Lockerung der
Geldpolitik verlangt. In der vergange-
nen Woche senkte die Fed trotz einer
robusten amerikanischen Konjunktur
ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunk-
te. Wer die anschließende Pressekon-
ferenz verfolgte, konnte sehen, wie
sich der Fed-Vorsitzende Jerome Po-
well schwertat, die Entscheidung
nachvollziehbar zu begründen. Powell
verwies auf die unter anderem durch
die Handelspolitik Trumps entstande-
nen internationalen Risiken.
Prompt legte Trump mit der Erhe-
bung zusätzlicher Zölle gegen China
nach, und als die Chinesen mit einer
Abwertung ihrer Währung reagierten,
wies der Mann im Weißen Haus seine
Notenbank darauf demonstrativ hin.
Offenbar ist er der Ansicht, mit einer
Eskalation des Handelskonflikts die
Fed zu weiteren Zinssenkungen veran-
lassen zu können. An den Finanzmärk-
ten wird dies jedenfalls erwartet.
Versicherungen sind gesamtwirt-
schaftlich häufig sehr sinnvolle Arran-

gements, aber ihr unschöner Nebenef-
fekt bleibt die Einladung zum Miss-
brauch. Was jede Versicherungsgesell-
schaft aus leidvoller Erfahrung als Ver-
sicherungsbetrug von Kunden kennt,
erfahren die Notenbanken als gesamt-
wirtschaftliche Großversicherer: Sie
werden von Regierungen ausgenutzt,
die auf effiziente Politik verzichten,
weil sie davon ausgehen, von den No-
tenbanken herausgehauen zu werden.
Ausgenutzt werden die Notenban-
ken auch von Teilnehmern an den Fi-
nanzmärkten, die immer weitere geld-
politische Lockerungen mit der Be-
gründung fordern, andernfalls droh-
ten schwere Kurseinbrüche mit unlieb-

samen Folgen für die Finanzstabilität.
Zu allem Überfluss riskieren die No-
tenbanken mit ihrer Bereitschaft, die
Wirtschaft durch geldpolitische Locke-
rungen gegen Unheil zu versichern,
ihr öffentliches Ansehen. Denn ihr
Einsatz für die Konjunktur wird ihnen
nicht gedankt, weil es einerseits häu-
fig an Verständnis für die gesamtwirt-
schaftlichen Zusammenhänge fehlt,
aber andererseits die Nebenwirkun-
gen expansiver Geldpolitik individu-
ell erlebt werden.
Das erfährt gerade die Europäische
Zentralbank, deren Präsident Mario
Draghi eine geldpolitische Lockerung
in Aussicht gestellt hat. Zwar lahmt
die Konjunktur in Europa, aber bisher
steht keine Rezession ins Haus, und
die Abweichung der aktuellen Inflati-
onsrate vom Inflationsziel der EZB ist
nicht so dramatisch, dass sie eine kräf-
tige geldpolitische Reaktion dringend
erforderte. Auch hier ist wie in den
Vereinigten Staaten und in Neusee-
land der Schluss gestattet, dass die
EZB in erster Linie die Wirtschaft ge-
gen globale Risiken absichern will.
Ein Ergebnis ist eine in ihren Extre-
men außer Rand und Band befindli-
che und von Verschwörungstheorien
und nationalistischen Untertönen
nicht freie Debatte über die Folgen
niedriger Zinsen für deutsche Sparer.
Der EZB kann man nur raten, sich zu-
rückzuhalten. Wenn Deutschland
doch in eine Rezession fallen sollte,
werden viele Sparer merken, dass sie
auch Arbeitnehmer sind. Für die meis-
ten Menschen sind Arbeitseinkom-
men wichtiger als Kapitaleinkommen.
Und die dann unter faulen Krediten
ächzenden Banken werden diejenigen
sein, die am lautesten nach Hilfe von
der EZB rufen. Nur durch Schaden
wird man klug, besagt ein Sprichwort.
Vielleicht dämmert dann sogar der
Bundesregierung, dass auch sie wirt-
schaftspolitische Verantwortung be-
sitzt.

D


ie Welt schaut gebannt auf den
eskalierenden Handelsstreit und
bangt um Hongkong. Wer aber glaubt,
die chinesische Regierung sei durch
diese Brandherde gelähmt, irrt gewal-
tig. Fast unbemerkt bahnt sich Peking
über den Inselstaat Papua-Neuguinea
einen Weg tief in den Pazifik, Ameri-
kas Vorhof. Die Regierung des Lan-
des, das zu Teilen einst deutsche Kolo-
nie war und mit seiner kulturellen
Vielfalt Touristen anzieht, bittet um
die Entschuldung durch China. Die
Idee ist genial: Die Chinesen bieten
schnelles Geld und helfen auf allen
Ebenen. Sie bauen Brücken und Stra-
ßen, bringen moderne Technik in die
Rohstoff- und Agrarindustrie, bauen
Schulen und Krankenhäuser. Wird der
neue Ministerpräsident erhört, kann
der Bittsteller sein Land rasch entwi-
ckeln und damit seine Macht sichern.
Aber natürlich werden spätestens
seine Nachfolger dafür zur Kasse gebe-
ten werden. Der Preis ist hoch – für Pa-
pua-Neuguinea aller Wahrscheinlich-
keit nach, für die Region mit Sicher-
heit. Denn mit einer Entschuldung
über lächerliche 7 Milliarden Euro er-
kauft sich China einen vergoldeten
Schlüssel zur Region. Es kommt an Bo-
denschätze wie das wichtige Nickel, es
greift auf Fischgründe zu und sichert

Teile seiner Nahrungsmittelversor-
gung. Das ist der Beginn. Kann Pa-
pua-Neuguinea dann seine Schulden
nicht zahlen, droht es gezwungen zu
werden, Besitz an Gasfeldern, Raffine-
rien oder strategischer Infrastruktur
Peking zu überschreiben – ein bewähr-
tes Modell, das China in anderen Welt-
gegenden ausprobiert hat. Auch steht
zu erwarten, dass China einen Marine-
stützpunkt auf der Insel fordern wird.
So dringen die Kommunisten im-
mer tiefer in die Reihe der verarmten
pazifischen Inselstaaten vor. Von der
westlichen Welt höchstens als erste
Opfer des Klimawandels wahrgenom-
men, hat Peking lange schon erkannt,
dass ihre Regierungen wichtige Stim-
men bei internationalen Verhandlun-
gen bieten. China würde mit seiner
Strategie auf Granit beißen, hätten
die kleinen Länder Alternativen. Die
Demokratien aber kommen über Ap-
pelle, sie unterstützen zu wollen,
kaum hinaus. Während Chinas Präsi-
dent Xi Jinping sie seit Jahren hofiert,
zeigt ihnen Amerikas Präsident Do-
nald Trump die kalte Schulter. Der re-
gionale Nachbar Australien kann Chi-
na, seinen größten Kunden und Inves-
tor, nicht bis aufs Blut reizen. Und für
die Europäer liegt der Pazifik am ande-
ren Ende der Welt. Mit Ausnahme
von Frankreich, das traditionelle Ver-
bindungen pflegt, übersehen sie des-
sen geostrategische Bedeutung und be-
schäftigen sich wie stets am liebsten
mit sich selbst.

che.SINGAPUR,7. August. Während
China von allen Seiten unter Druck gerät,
zeigt sich zugleich, wie Peking andere
Staaten in seine Abhängigkeit bringt. Die
neue Regierung von Papua-Neuguinea
hat China offiziell gebeten, die gesamten
Schulden des Inselstaates zu überneh-
men. Dies passiert zu einem Zeitpunkt,
an dem rund um die Welt die Debatte wie-
der hochkocht, ob China viele Entwick-
lungs- und Schwellenländer in eine
„Schuldenfalle“ lockt. Zugleich bat der
neue papua-neuguineische Ministerpräsi-
dent James Marape die Chinesen, ein Frei-
handelsabkommen möglichst mit weite-
ren Pazifik-Staaten aufzusetzen.
Damit festigen die Chinesen ihr Vor-
dringen in den Südpazifik: Seit Jahren ver-
suchen sie vor allem durch Entwicklungs-
hilfe immer mehr Inselstaaten unter ihren
Einfluss zu bringen. Mit der Unterstüt-
zung bei oft zweifelhaften Projekten ge-
winnen die Kommunisten Stimmen in
multilateralen Verhandlungen, können
auf Stützpunkte für die Marine hoffen und
gewinnen Zugriff auf Rohstoffe und Fisch-
vorkommen. So machte Marape den Chi-
nesen bei seiner Bitte um Entschuldung
eine verlockende Offerte: „Ich habe ihnen
angeboten, chinesische Investitionen in
den Agrarsektor, in die Fischerei und ins-
besondere in die Verarbeitung von Forst-,
Fisch-, Bodenschatz- und Ölprodukten so-
wie die Nahrungsmittelproduktion zu täti-
gen“, erklärte der frühere Finanzminister.
Konkret hat Marape den chinesischen
Botschafter in Port Moresby gebeten, die
Schulden in Höhe von 27 Milliarden Kina
(6,94 Milliarden Euro) zu refinanzieren.
Sie machen knapp 33 Prozent der derzeiti-
gen Wirtschaftsleistung des Inselstaates
aus. Es wäre das erste Mal, dass Peking die
gesamte Staatsverschuldung eines Ent-
wicklungslandes übernimmt. Marape
drängt darauf, dass die chinesische Noten-
bank, die Notenbank Papua-Neuguineas
und das dortige Finanzministerium ge-
meinsam einen Plan zur Entschuldung des
Inselstaates entwickeln.
Vieles spricht dafür, dass China sich für
die Übernahme der – aus chinesischer
Sicht – geringen Summe absichern lässt.
In Frage kommen dafür Raffinerien und
Gasfelder, an denen der Staat beteiligt ist
und auf die er bei der Entwicklung des
Landes setzt. Gerade erst hatte der franzö-
sische Total-Konzern gemeinsam mit Oil
Search aus Papua-Neuguinea und dem
amerikanischen Exxon-Konzern ein Groß-
projekt zu Förderung und Verflüssigung
von Gas im Wert von 13 Milliarden Dollar


unterzeichnet. China könnte, wenn sich
die arme Insel derart in Pekings Abhängig-
keit begibt, auch Forderungen nach einem
Stützpunkt für seine Marine erheben. Hei-
mische Zeitungen berichten, der chinesi-
sche Botschafter habe Marape schon auf-
gefordert, Peking bei dem Forum der pazi-
fischen Staats- und Regierungschefs auf
Tuvalu in der nächsten Woche zu unter-
stützen: Der Inselstaat dort erkennt Tai-
wan an und steht der kommunistischen
Diktatur kritisch gegenüber.
Deutsche und amerikanische Ökono-
men um das Kieler Institut für Welt-
wirtschaft (IfW) warnten gerade erst vor

der wachsenden Verschuldung, in die Pe-
king Entwicklungs- und Schwellenländer
treibe. „Staatliche chinesische Banken
haben rund ein Viertel aller Bankkredite
an Schwellenländer vergeben. China ist
damit weltweit der größte staatliche
Gläubiger und deutlich bedeutender als
etwa der Internationale Währungsfonds
oder die Weltbank“, heißt es in ihrem
Arbeitspapier.
„In der Vergangenheit wäre Australien
bei der Suche nach einer solchen Refinan-
zierung der natürliche Partner gewesen.
Nun aber sehen wir, wie China Platz in
der Region gewinnt und es aller Voraus-
sicht nach ein viel stärkerer Spieler in der
Geberlandschaft werden wird“, sagte
auch Matthew Clarke, Politologe an der
Deakin University in Australien.
Allein 2017 soll China dem Inselstaat
rund 3,7 Milliarden Dollar für den Ausbau
seiner Infrastruktur zur Verfügung gestellt
haben. Die frühere australische Ministerin
für Entwicklungshilfe Concetta Fierravan-
ti-Wells hat Pekings Vordringen im Pazifik
stark kritisiert: „Der ganze Pazifik ist voll
mit diesen nutzlosen Bauten, die niemand
unterhält, die im Grunde weiße Elefanten
sind. Ich war auf Inseln, auf denen man auf
irgendeiner Straße im Hinterland fährt,
und plötzlich tauchen chinesische Arbeiter
auf, die die Straße ins Nichts weiterbauen,
und man denkt, was soll das eigentlich al-
les?“, sagte Concetta Fierravanti-Wells. Zu-
gleich arbeiten zahlreiche chinesische Un-
ternehmen in Papua-Neuguinea, etwa bei
der Förderung von Nickel, das für Batte-
rien in Elektroautos gebraucht wird.

Das angedachte Abkommen besitzt
hohe geostrategische Bedeutung. Für die
lose Allianz der Demokratien Australien,
Amerika und Japan im Pazifik ist die An-
bindung an Peking ein schwerer Schlag.
„Das Hauptziel Pekings ist es, Amerikas
Kapazität einzuschränken und zugleich
Zugang zur pazifischen Tiefsee mit nu-
klearen Unterseebooten zu gewinnen“,
kommentiert Peter Jennings, Chef des
Australian Strategic Policy Institute und
der bekannteste Geostratege Australiens.
Canberra hatte sich zuletzt stärker be-
müht, seine Nähe zu den Pazifik-Staaten
auszubauen. Auch soll es mit dem Interna-
tionalen Währungsfonds (IWF) schon ers-
te Gespräche über eine Finanzhilfe für Pa-
pua-Neuguinea aufgenommen haben.
Amerika versprach in den vergangenen
Wochen immer wieder, die Inselstaaten
in Zukunft stärker stützen zu wollen.
Marape allerdings zeigte sich von den
Ideen wenig beeindruckt: Bei einem Be-
such Australiens hatte er zuvor angekün-
digt, die Hilfsbeziehung zum Geberland
Australien aufzukündigen und stattdes-
sen innerhalb von einem Jahrzehnt mit
seinem Land zu einem „Führer der pazifi-
schen Region“ auf Augenhöhe mit Austra-
lien heranwachsen zu wollen. Peking hat
unterdessen Pflöcke eingerammt: Beim
Gipfel der Pazifik-Anrainer (Apec) im ver-
gangenen Jahr auf Papua-Neuguinea über-
nahm Chinas Präsident Xi Jinping die tra-
gende Rolle, während Amerikas Präsi-
dent Donald Trump seine Teilnahme ab-
gesagt hatte.

Die Notenbanken wollen
dieWelt retten. Damit
tun sie sich überhaupt
keinen Gefallen.

Globale Jagd nach Bodenschätzen:Rohstoffausbeutung in Papua-Neuguinea Foto Bloomberg


dc.BERLIN,7. August. Jeder zehnte Aus-
bildungsplatz in Deutschland blieb im ver-
gangenen Jahr unbesetzt, weil es zu weni-
ge Jugendliche gab, die sich um Lehrstel-
len bewarben. Und daran wird sich in die-
sem Jahr trotz schwächelnder Konjunktur
nach Einschätzung des Deutschen Indus-
trie- und Handelskammertags (DIHK) we-
nig ändern. Zu Beginn des neuen Ausbil-
dungsjahres seien immer noch „Tausende
von Ausbildungsstellen in einer Vielzahl
von Berufen, Branchen und Regionen un-
besetzt“, berichtet DIHK-Präsident Eric
Schweitzer. „Während die Betriebe früher
unter zahlreichen Bewerbern auswählen
konnten, wählen heute immer öfter die Ju-
gendlichen ihren Ausbildungsbetrieb.“
Tatsächlich zeigen auch die Daten der
Bundesagentur für Arbeit, dass sich die
Knappheitsverhältnisse weiter zugunsten
der Bewerber verschieben: Auf der einen
Seite waren Ende Juli 207 000 der von Be-
trieben und Verwaltungen fürs neue Lehr-
jahr angebotenen Plätze noch nicht be-
setzt. Auf der anderen Seite waren bei
den Arbeitsagenturen Ende Juli aber nur
138 000 Bewerber gemeldet, die noch
nichts gefunden hatten. Und während die
Zahl der zu diesem Zeitpunkt noch unbe-
setzten Lehrstellen im Vergleich zum Vor-
jahr um 3,3 Prozent gestiegen ist, ging die
Zahl der noch unversorgten Bewerber um
knapp ein Prozent zurück. Rein rechne-
risch standen jedem von ihnen Ende Juli
damit 1,5 freie Lehrstellen zur Auswahl.
Insgesamt hatten sich seit dem vergan-
genen Herbst nach Zählung der Arbeits-
agenturen 479 000 junge Menschen um
eine Lehrstelle für das nun beginnende
neue Ausbildungsjahr beworben, was ei-
nem Rückgang um 4,5 Prozent im Vorjah-
resvergleich entspricht. Demgegenüber
hatte sich die Gesamtzahl der angebote-
nen Lehrstellen im gleichen Zeitraum um
2,1 Prozent auf 543 000 erhöht. Bis vor
zwei Jahren war es sogar üblich gewesen,


dass die Arbeitsagenturen bis Ende Juli
insgesamt mehr Bewerber registriert hat-
ten als freie Plätze.
Diese Verschiebungen bedeuten aller-
dings nicht, dass die Bewerber nun in al-
len Berufen und Regionen freie Auswahl
haben. Denn gleichzeitig klaffen Berufs-
wünsche und Bedarf in vielen Bereichen
immer stärker auseinander, was den Be-
werbermangel in weniger beliebten Beru-
fen zusätzlich verschärft. Besonders deut-
lich wird das, wo es um Tiere geht: Immer
mehr junge Menschen wollen Tierpfleger
werden – und zugleich fehlen immer
mehr Metzger. In der Tierpflege waren
Ende Juli deutschlandweit nur noch 66
freie Lehrstellen übrig, und das für 881 Ju-
gendliche, die noch suchten. In der gesam-
ten Lebensmittelherstellung, die neben
Fleischern auch Bäcker und andere Beru-
fe umfasst, gab es indes noch 1226 Bewer-
ber – und gleichzeitig 5933 unbesetzte
Lehrstellen.
Entsprechend besorgt zeigt sich neben
dem Lebensmittelhandwerk auch die Ar-
beitgebervereinigung Nahrung und Ge-

nuss, die 6000 Betriebe der Ernährungs-
industrie vertritt. Eine aktuelle Auswer-
tung des Verbands weist aus, dass in der
Branche zwar die Zahl der Beschäftigten
im vergangenen Jahr um rund ein Prozent
gestiegen ist, doch gilt das nicht für Auszu-
bildende. „Die Entwicklung der Beschäf-
tigtenzahlen kennt in den letzten Jahren
nur eine Richtung: nach oben“, sagt
Hauptgeschäftsführerin Stefanie Sabet.
„Umso besorgniserregender ist der anhal-
tende Rückgang bei den Auszubilden-
den.“ Deren Zahl sank um rund drei Pro-
zent, was die Betriebe „vor gewaltige Her-
ausforderungen stellt“, wie Sabet warnt.
Nicht immer ist die Kluft zwischen Be-
rufswünschen und Bedarf so tief wie im
Umgang mit Tieren. Es gibt sie aber auch
in Berufen, die einander vermeintlich we-
niger fremd sind, wie die Statistik der Ar-
beitsagentur zeigt. Beispielsweise waren
Ende Juli im Bereich Holzbearbeitung –
darunter Schreiner und Tischler – für
3200 Bewerber weniger als 2100 unbesetz-
te Lehrstellen übrig. Im Berufsfeld Metall-
bearbeitung standen dagegen knapp 1200
Bewerbern noch fast 2500 offene Lehrstel-
len gegenüber. Allerdings können Bewer-
ber und Betriebe selbst unter diesen Um-
ständen noch das Problem haben, dass sie
sich an weit voneinander entfernten Or-
ten befinden.
Vertreter betroffener Branchen und Be-
triebe buhlen mit Werbung, höheren Aus-
bildungsvergütungen und Zusatzleistun-
gen um die Gunst der Bewerber. Auswer-
tungen des Bundesinstituts für Berufsbil-
dung (BIBB) zeigen, dass die Vergütun-
gen in den Mangelberufen seit einigen
Jahren besonders kräftig steigen – wenn
auch teilweise von einem vergleichsweise
niedrigen Ausgangsniveau. Während es
im Durchschnitt aller Ausbildungsberufe
im vergangenen Jahr ein Plus von 3,7 Pro-
zent verzeichnete, ermittelte es im west-
deutschen Fleischerhandwerk eine Steige-

rung um 5,2 Prozent auf 823 Euro; für das
ostdeutsche Fleischerhandwerk gab es
laut BIBB keine belastbar auswertbaren
Daten. Die Vergütungen für angehende
Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk
wurden demnach indes in Ost und West
um rund sechs Prozent erhöht.
Daneben bemüht sich die Bundesagen-
tur für Arbeit, durch Information zu einer
Annäherung von Berufswünschen an den
Bedarf beizutragen. Für Nordrhein-West-
falen hat sie dazu gerade ihren „Ausbil-
dungsatlas 2019“ vorgelegt. Dieser zeigt
für alle einschlägigen Berufe auf, wie sich
dort jeweils die regionalen Knappheitver-
hältnisse aus Sicht der Bewerber darstel-
len. Das Kartenbild bestätigt die Statistik:
Für den Beruf des Tierpflegers ist das ge-
samte Land dunkelrot eingefärbt. Für Flei-
scher und Lebensmittelfachverkäufer,
aber auch etwa für IT-Kaufleute, Tiefbau-
er und Restaurantfachkräfte ist das Land
dagegen überwiegend dunkelblau, als Zei-
chen für starken Bewerbermangel.
Die Bundesregierung hofft indes, dass
sie durch die jüngst beschlossene gesetz-
liche Mindestvergütung für Auszubilden-
de bald mehr Jugendliche in die Mangel-
berufe lenken kann. Für den Ausbildungs-
jahrgang 2020 gilt erstmals eine Mindest-
höhe von 515 Euro im ersten Lehrjahr;
diese steigt dann bis 2023 schrittweise auf
620 Euro an. Für Lehrlinge im Prüfungs-
jahr werden dann bis zu 868 Euro als Min-
destlohn vorgeschrieben sein.
Ein Blick auf das Friseurgewerbe legt al-
lerdings nahe, dass die Vergütungshöhe
die Berufswahl junger Menschen doch
nur in begrenztem Maß beeinflusst. Laut
BIBB lag die Durchschnittsvergütung für
angehende Friseure 2018 im ersten Lehr-
jahr nur bei 498 Euro im Westen und 325
Euro im Osten. Der Friseurberuf ist aber
trotzdem so beliebt, dass es dort auch für
das neue Ausbildungsjahr insgesamt et-
was mehr Bewerber gibt als Lehrstellen.

Freie Bahn für Peking


Von Christoph Hein


Notenbanken als Versicherer


Von Gerald Braunberger


China weitet seinen Einfluss im Pazifik aus


Zu viele Tierpfleger, zu wenige Metzger


Immermehr Lehrstellen bleiben unbesetzt / Zugleich klaffen Berufswünsche und Bedarf stärker auseinander


Erstmals will Peking ein


ganzes Land entschulden.


Papua-Neuguinea lockt


mit Bodenschätzen – und


möglichen Militärbasen.


Ein Eichhornbaby wird versorgt. Foto dpa


Südkorea

Nordkorea

Australien

Indonesien

Malaysia

Vietnam

Papua-
Neuguinea

Philippinen

Japan

China

Peking

Port
Moresby

Pazi&k

F.A.Z.- Karte lev.
1 500 km

Singapur

Taiwan
Free download pdf