Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
Am Donnerstag veröffentlicht der Weltkli-
maratIPCC einen Bericht, der beschreibt,
wie sich die Erderwärmung auf die Land-
flächen auswirkt. Immer mehr Landschaf-
ten könnten sich von Kohlenstoffspei-
chern in Treibhausgasquellen verwandeln
und die Erwärmung beschleunigen. Die
Pflanzenforscherin Anja Linstädter von
der Universität Bonn untersucht Böden in
Namibia und erklärt, was die Beobachtun-
gen dort für den Rest der Welt bedeuten.

SZ: Frau Linstädter, was hat der Boden
mit dem Klimawandel zu tun?
Anja Linstädter: Böden sind wichtige
Kohlenstoffspeicher. Weltweit enthält der
Boden mehr Kohlenstoff als alle Pflanzen
und die Atmosphäre der Erde zusammen.

Sie untersuchen Graslandökosysteme
wie Savannen, Wiesen und Weiden.
Warum sind die so wichtig?
Über zwei Drittel aller Landökosysteme,
mindestens 20 Prozent der Erdoberfläche,
werden von Gras bewachsen. Grasland ist
nach Feuchtgebieten und Wäldern in küh-
len Erdregionen der drittgrößte Kohlen-
stoffspeicher weltweit.

In Namibia verwandeln sich Grasland-
schaften in Wüsten. Was passiert da?
Es kommen immer mehrere ungünstige
Faktoren zusammen, meist langjährige
Dürren und eine Vorschädigung der Gras-
narbe durch zu starke Beweidung. Wenn
dieser Stress zu lange anhält, kann das
Ökosystem kippen, dann hilft auch kein
Regen mehr.
Warum?
In den trockenen Regionen fällt der
Niederschlag meist nicht als sanfter
Niesel, sondern brachial, große Mengen in
kurzer Zeit – so wie bei uns in Deutschland
während eines heftigen Sommergewitters.
Wenn der Boden nicht dicht bewachsen ist,
spült das Wasser die oberen Bodenschich-
ten einfach weg. Dabei werden auch die
Pflanzensamen weggeschwemmt, bevor
diese keimen und Wurzeln schlagen kön-
nen. Und wenn die Pflanzen weg sind, wird
als nächstes der fruchtbare Boden aus-
gelaugt und noch weiter abgetragen. Und
dann ist ein Gebiet tatsächlich mindestens
für Jahrzehnte verwüstet.

Gelten Ihre Erkenntnisse aus Namibia
auch in anderen Regionen?
Grundsätzlich lässt sich viel Wissen
übertragen. Eingeschränkt wird das nur
dadurch, dass es auf den verschiedenen
Kontinenten eine unterschiedlich lange
gemeinsame Evolution von Pflanzen und
Pflanzenfressern gab. Doch diese Kaska-
deneffekte, die wir in Namibia beobach-

ten, dass etwa zuerst die Vegetation geschä-
digt wird und schließlich der Boden degra-
diert, die lassen sich überall beobachten.

Wie lässt sich verhindern, dass Gras-
ökosysteme kippen und statt Kohlen-
stoff zu speichern, Kohlendioxid abge-
ben und das Klima weiter anheizen?
Das kommt auf die Region an. Im Wesentli-
chen geht es um ein angepasstes Manage-
ment: Graslandschaften müssen gehegt
und gepflegt werden. Auch die mehrjähri-
gen Gräser brauchen Beweidung – nicht zu
viel, aber auch nicht zu wenig. Wenn sie zu
wenig beweidet werden, ersticken sie an ih-
rem eigenen Pflanzenmaterial. Wenn sie
zu stark beweidet werden, haben sie nicht
mehr genug Reserven. Ein weiteres großes
Problem ist aber, dass viele Graslandschaf-
ten in Äcker verwandelt werden.
Dann wächst da Mais statt Gras, was ist
daran schlimm?
Die Böden sind oft nicht sehr nährstoff-
reich und schnell ausgelaugt. Dann bringt
man da nur noch mithilfe von viel Dünger
etwas zum Wachsen.
Warum nutzen Bauern Flächen, die
nicht als Äcker geeignet sind?
Weil es kurz einen höheren Ertrag bringt
als Weidetierhaltung. Und viele Menschen
wollen nicht mehr nur Subsistenzwirt-
schaft betreiben, sondern hoffen, Acker-
früchte anbauen und verkaufen zu kön-
nen. Das ist kurzfristig profitabler, mittel-
bis langfristig aber eine Katastrophe.

Was erhoffen Sie sich vom Bericht des
Weltklimarats?
Ich hoffe, dass mehr Menschen bewusst
wird, wie stark der Klimawandel die globa-
le Ernährungssicherheit bedroht. In
Deutschland verbinden viele mit dem Kli-
mawandel vor allem höhere Temperatu-
ren oder steigende Meeresspiegel. Klima-
wandel bedeutet aber auch mehr Extrem-
wetterlagen wie Dürren und Starkregen.
Wenn die im Wechsel auftreten, können
sie ganze Landstriche degradieren lassen,
auch hier in Deutschland. Solche fatalen
Wechselwirkungen müssten auch von der
Politik stärker berücksichtigt werden.
interview: hanno charisius

Rund einen Meter groß und bis zu sieben
Kilogrammschwer: So beschreiben For-
scher im FachblattBiology Letterseinen
Riesenpapagei, dessen Überreste sie ent-
deckt haben. Das versteinerte Skelett wur-
de in Neuseeland in Fossilschichten gefun-
den, die etwa 16 bis 19 Millionen Jahre alt

sind. „Niemand hat bisher die Überreste ei-
nes ausgestorbenen Riesenpapageis gefun-
den“, sagt Trevor Worthy, Erstautor der
Studie. Offen ist noch, ob Heracles inexpec-
tatus, wie die Wissenschaftler den Riesen-
papagei in Anlehnung an Herakles, den
Helden der griechischen Mythologie tauf-
ten, flugfähig war.
Wie der Name inexpectatus zudem an-
deutet, kam der Fund für die Paläontolo-
gen reichlich unerwartet. Dass sie den Rie-
senpapagei aber ausgerechnet auf Neusee-
land entdeckt haben, ist dagegen weniger
überraschend, schließlich ist Neuseeland
bekannt für seine Riesenvögel. Neben dem
gefundenen Heracles inexpectatus lebten
auf Neuseeland auch 2,5 Meter große Lauf-
vögel namens Moa, während Riesenadler
mit einer Flügelspannweite von drei Me-
tern über ihren Köpfen kreisten.
Recht naheliegend also, dass der größte
heute noch lebende Papagei ebenfalls auf
Neuseeland beheimatet ist. Der 60 Zenti-
meter große und vier Kilogramm schwere
Kakapo ist allerdings akut vom Ausster-
ben bedroht. tohe

von tobias herrmann

W


er ein Pferd in einem Stall hält,
sollte die Tür nicht nur mit einem
simplen Metallstift verriegeln,
sondern besser ein Vorhängeschloss daran
hängen – und selbst das könnte möglicher-
weise nicht genug sein. Wie Forscher kürz-
lich im FachmagazinPLOS Oneschrieben,
sind Pferde offenbar erstaunlich versiert
darin, Türen und Schlösser zu entriegeln.
Die Wissenschaftler um Konstanze Krüger
von der Hochschule für Wirtschaft und Um-
welt Nürtingen-Geislingen ermittelten an-
hand eines Fragebogens, den sie an Pferde-
besitzer weltweit verschickten, wie ge-
schickt Pferde im Türöffnen sind. Außer-
dem werteten sie 77 Youtube-Videos aus,
die Hengste oder Stuten beim Knacken un-
terschiedlichster Schließvorrichtungen zei-
gen.
Insgesamt trugen sie 513 Fallberichte
von Pferden zusammen, die eigenständig
und ohne vorheriges Training Türen und
Schlösser öffnen konnten. In vielen Fällen
waren es relativ simple Verriegelungen,
bei denen die Pferde einen Bolzen nach
oben oder zur Seite schieben mussten. Die-
se klassifizierten die Forscher als leichter,
auch weil die Tiere nur wenige Bewegun-
gen dafür benötigten.
Für einige Schlösser mussten die Pferde
dagegen komplexere Bewegungen ausfüh-
ren – und waren dennoch erfolgreich. So
öffneten die Vierbeiner 43 Drehverschlüs-
se, drückten 42 Türklinken nach unten,
knackten 40 Karabiner und meisterten
34 Mal elektrisch gesicherte Zäune, indem
sie mit ihrem Maul den isolierten Griff be-
wegten, ohne den unter Spannung stehen-
den Metallzaun zu berühren.
Die meisten Pferde hatten nur eine be-
stimmte Tür oder ein spezielles Gatter im
Griff. Allerdings gab es auch Pferde, die


den gleichen Schließmechanismus an ver-
schiedenen Orten betätigten oder sogar
mehrere verschiedene Verriegelungen
nacheinander lösten. Letztere beeindruck-
ten die Forscher besonders. „Bei einigen
Tieren kann man sagen, sie haben das ge-
nerelle Prinzip verschlossener Tore ver-
standen“, sagt Studienautorin Krüger.
Wie die Wissenschaftler aber selbst ein-
räumen, unterliege die Studie gewissen
Zweifeln, basiert sie doch zum Großteil auf
Schilderungen von Pferdehaltern – und
diese müssen nicht immer akkurat sein.
Auch kann nicht ausgeschlossen werden,
dass der ein oder andere Pferdehalter eine
vermeintliche Meisterleistung seines vier-
beinigen Freundes etwas zu wohlwollend
interpretiert oder ihm die Fähigkeit – an-
ders als behauptet – sehr wohl antrainiert
hat. Zumal auch das Videomaterial über-
wiegend leicht zu knackende Tore zeigt,
bei denen „nur“ ein Schieber horizontal
oder vertikal bewegt werden musste. In
neun Videos drücken die Pferde immerhin
eine Türklinke nach unten, von den kom-
plexeren Aufgaben existieren so gut wie
keine Filmaufnahmen.

Dass Pferde aber kognitiv dazu imstan-
de sind, auch kompliziertere Schließme-
chanismen zu knacken, ist zumindest
denkbar. Ein Beispiel dafür hat die Pferde-
forscherin Vivian Gabor geliefert. In ihrer
Doktorarbeit versuchte die wissenschaftli-
che Mitarbeiterin im Department für Nutz-
tierwissenschaften an der Universität Göt-
tingen, Pferden das Prinzip der Gleichheit
beizubringen. Dabei standen die Tiere vor
einem Flachbildschirm und sollten einen

Knopf drücken, sobald gleiche Symbole an-
gezeigt wurden. Jede richtige Aktion wur-
de mit einer kleinen Leckerei belohnt.
Nach einiger Zeit hatten die Tiere das Mus-
ter verinnerlicht und konnten schließlich
nicht nur gleiche Symbole, sondern auch
die gleiche Anzahl von Symbolen erken-
nen. „Mit der Studie konnten wir zeigen,
dass Pferde zu abstraktem Lernen in der
Lage sind und dabei eigene Regeln in ih-
rem Kopf erschaffen“, sagt Gabor und
fragt: „Warum sollen sie dann nicht auch
herausfinden, wie das Gattertor geöffnet
werden kann?“
Auch Melissa Schedlbauer, Tierärztin
und Pferdeforscherin an der LMU Mün-
chen, hält die Ergebnisse für valide. „Pfer-
de können tatsächlich sehr gewitzt sein“,
sagt sie. Das zeigen auch ihre eigenen
Erfahrungen. „Ich habe lange an einer Pfer-
deklinik gearbeitet. Die Pferde waren in
Ställen untergebracht, die mit einem be-
sonderen Schließmechanismus gesichert
waren“, sagt sie. „Um das Tor zu öffnen,
musste zunächst ein erster Riegel nach
oben gezogen und dann ein zweiter Riegel
nach links geklappt werden. Ein sicherer
Verschluss, möchte man meinen.“ Sie hät-
ten die Tiere jedoch unterschätzt: „Die
Pferde haben immer wieder beobachtet, in
welcher Reihenfolge wir Menschen die
Schieber betätigen. Am Ende mussten wir
ein Metallschloss anbringen, damit uns die
Tiere nicht ausbüchsten.“
Sind Pferde also besonders intelligent?
Auf manche treffe das bestimmt zu, sagt
die Tierärztin, allerdings werde kein Tier
als Genie geboren. Stattdessen sei ver-
meintliche kognitive Brillanz oft das Ergeb-
nis langwieriger Trial-and-Error-Verfah-
ren. Das sieht Vivian Gabor ähnlich. „Pfer-
de sind von Natur aus sehr neugierig.
Wenn sie Langeweile verspüren, ist es kei-
ne Überraschung, wenn sie mit dem Maul

an Türverschlüssen herumspielen und da-
bei irgendwann verstehen, wie die Stalltür
entriegelt wird“, sagt sie. Die in Zusammen-
hang mit dem Schlossknacken wohl wich-
tigste Eigenschaft der Vierbeiner sei je-
doch etwas anderes, sagen Schedlbauer
und Gabor: Pferde sind extrem scharfe Be-
obachter.

Keine Geschichte könnte diese These
wohl besser untermauern als die vom „klu-
gen Hans“. Der „kluge Hans“, so hieß ein
schwarzer Araberhengst des Mathemati-
kers Wilhelm von Osten, der um das Jahr
1900 herum einige Berühmtheit erlangte.
Wie sein Besitzer vor Zuschauern regelmä-
ßig demonstrierte, hatte er seinem Pferd
vermeintlich das Rechnen beigebracht. Ob
Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren
oder schlicht Dinge zählen, der „kluge
Hans“ lieferte stets das richtige Ergebnis,
indem er wiederholt mit seinem Vorderhuf
aufstampfte.
Recht schnell fiel Wissenschaftlern je-
doch auf, dass Hans nur dann klug war,
wenn er den Fragesteller sehen konnte.
Trug der Hengst Scheuklappen, hatte er
das Attribut „klug“ nicht länger verdient
und scheiterte kläglich. Der Psychologe Os-
kar Pfungst war es schließlich, der das Rät-
sel löste: Durch unbewusste Kopf- oder Au-
genbewegungen signalisierten die Frage-
steller dem Pferd, wann es mit dem Stamp-
fen aufzuhören hatte. Hans konnte also
mitnichten rechnen, sondern war stattdes-
sen in der Lage, subtilste Änderungen in
der Mimik von Menschen zu deuten – ei-
gentlich eine kaum minder beeindrucken-
de Fähigkeit.

Einst machte der „kluge Hans“
als rechnendesPferd Furore.
Dabei schaute er nur genau hin

Aus Weiden werden Wüsten


Eine Ökologin zum kommenden Weltklimabericht


Die BiologinAnja Linstäd-
terforscht am Institut
für Nutzpflanzenwissen-
schaften und Ressourcen-
schutz (INRES) der Univer-
sität Bonn. Derzeit arbei-
tet sie an einem Projekt
über Kipppunkte der
Wüstenbildung in Nami-
bia.FOTO: LYRA LINSTÄDTER

So könnte Heracles inexpectatus ausgese-
hen haben. ILLUSTRATION: BRIAN CHOO/AFP

Der Riesen-Papagei


Urzeitvogel soll rund einen Meter groß gewesen sein


Nichts wie raus hier


Viele Pferde können selbst komplizierte Verriegelungen öffnen, zeigen mehr als 500 Fallberichte.


Das spricht für ihre Intelligenz, aber mehr noch für eine andere Begabung


Die Studie basiert großteils auf
Schilderungen von Pferdehaltern.
Ob die immer die Wahrheit sagen?

14 HF2 (^) WISSEN Donnerstag, 8. August 2019, Nr. 182 DEFGH
Einfache Riegel oder Metallstifte an der Tür? Da kann man den Stall auch gleich offen lassen. FOTO: BORIS SCITAR / PA / VLM / PIXSELL
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