Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

Hans-Peter Siebenhaar Wien


D


er Trip nach Kalifor-
nien ist ganz nach dem
Geschmack des ehe-
maligen Kanzlers. Wer,
wenn nicht Sebastian
Kurz, wüsste sich mit all den Großen
und Mächtigen im Silicon Valley,
dem Epizentrum der digitalen Revo-
lution, als weltgewandter Macher für
den Wahlkampf daheim zu inszenie-
ren. Vertrauliches Gespräch mit App-
le-Chef Tim Cook, eine entspannte
Plauderei mit Netflix-Gründer und
-CEO Reed Hastings oder ein Spazier-
gang durch die mit Robotern ausstaf-
fierten Hallen des Elektroautopio-
niers Tesla – gerne im lässigen Outfit
mit Leinensakko und Jeans, stets mit
dem passenden Lächeln für die Ka-
meras. Nur von Google wird Kurz mit
einem Treffen des obersten Lobbyis-
ten Kent Walker abgespeist. Das
aber hat einen guten Grund. Schließ-
lich hat sich der Ex-Kanzler mit der
Einführung der Digitalsteuer beim In-
ternetgiganten keine Freunde ge-
macht. Aber selbst dieser Aspekt
dient der Inszenierung für den Wahl-
kampf. Der Einsatz für internationale
Steuergerechtigkeit kommt kurz vor
der Wahl Ende September zu Hause
gut an.
Den mitreisenden österreichischen
Journalisten liefert er Wahlslogans:
„Ich bin froh, dass wir hier Vorreiter
sind. Es braucht Steuergerechtig-

keit.“ In das Mikrofon des Privatsen-
ders Oe24.tv formuliert er vor dem
türkisblauen Himmel der Bay-Area
populäre Kurz-Botschaften: „Meine
größte Sorge gilt dem Arbeitsmarkt.
Denn ein großer Teil der Jobs wird
automatisiert werden.“
Auf Schritt und Tritt begleiten die
Medien Kurz. Auf allen Kanälen kön-
nen die Bürger daheim Worte und
Taten des talentierten Kommunika-
tors beobachten.

Starke Umfragewerte


Kurz tritt in Kalifornien nicht wie ein
Kanzlerkandidat auf, sondern wie ein
Kanzler – der er nicht mehr ist. In-
nerhalb von wenigen Tagen war Kurz
im Zuge der Ibiza-Affäre sein Amt los-
geworden. Ein heimlich gedrehtes Vi-
deo vom Vizekanzler und damaligen
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache
brachte Ende Mai das Aus der kon-
servativ-rechtspopulistischen Regie-
rung – nach nur 17 Monaten. Die Op-
position machte den 32-Jährigen mit
einem konstruktiven Misstrauensvo-
tum zum jüngsten Altbundeskanzler
in der Geschichte der Zweiten Repu-
blik. Mit versteinerter Miene verließ
Kurz, der sich um das Parlament in
seiner Amtszeit nie viel gekümmert
hatte, den Nationalrat in der Hof-
burg. Kein anderer Bundeskanzler
hat bislang eine kürzere Amtszeit auf-
zuweisen. Das schmerzt.

Ob das Projekt Wiederwahl gelingt,
ist auch aus deutscher Perspektive ei-
ne wichtige Frage. Der Österreicher
profilierte sich als einer der großen
Kontrahenten von Bundeskanzlerin
Angela Merkel in der Flüchtlingsfra-
ge, seine Regierung fuhr gegenüber
Russland einen deutlich versöhnli-
cheren Kurs als Berlin, und insge-
samt hat Kurz die christdemokrati-
sche ÖVP in eine rechtskonservative
Bewegung verwandelt, die nicht sel-
ten mit den Positionen des einen
oder anderen Rechtspopulisten in
Osteuropa sympathisiert.
Die Chancen auf eine Wiederwahl
stehen gut. Nach einer aktuellen Um-
frage der Zeitung „Österreich“
kommt Kurz auf Zustimmungswerte
von 44 Prozent. Platz zwei erreicht
der designierte Chef der FPÖ, Nor-
bert Hofer mit 20 Prozent, und dann
erst kommt die SPÖ-Chefin Pamela
Rendi-Wagner mit nur 17 Prozent.
Kurz ist allerdings beliebter als die ei-
gene Partei (36 Prozent). Weit abge-
schlagen dahinter die SPÖ und FPÖ
mit um die 20 Prozent.

Festplatten vernichtet
Doch beim zweiten Anlauf um die
Macht läuft nicht alles nach Plan. Im
Juni machte ihm eine heftige Diskus-
sion über intransparente Großspen-
den aus der Industrie an seine Partei
zu schaffen. Die Kontroverse münde-

te Anfang Juni in eine Neuordnung
der Parteienfinanzierung, um private
Großspenden einzudämmen.
Außerdem wurde aufgedeckt, dass
ein enger Mitarbeiter von Kurz im
Kanzleramt am Ende der Regierung
unter falschem Namen fünf Festplat-
ten von Druckern mit unbekannten
Inhalten von der Firma „Reisswolf “
in Wien schreddern ließ. Er habe auf
dreimaliges Schreddern bestanden.
„Er hat unsere Mitarbeiter immer
wieder aufgefordert, die schon ge-
schredderten Partikel wieder auf das
Förderband zu legen und neuerlich
zu schreddern“, sagte „Reiss-
wolf “-Chef Siegfried Schmedler der
Wiener Wochenzeitung „Falter“. In
der 25-jährigen Unternehmens -
geschichte sei es nie passiert, dass je-
mand „unter falschem Namen und
mit solchem Aufwand Festplatten
vernichten hat lassen“. Wie Kurz im
ORF einräumen musste, wurden auf
den Druckern Daten aus dem öster-
reichischen EU-Ratsvorsitz im zwei-
ten Halbjahr 2018 ausgedruckt. Das
zweifelhafte Vorgehen war nur aufge-
flogen, weil der Kurz-Vertraute die
Rechnung über die Vernichtung des
digitalen Inhalts von 76 Euro nicht
bezahlt und das betroffene Unterneh-
men daher Anzeige erstattet hatte.
Immer wenn es eng wird, schweigt
Kurz gern und lang. Wenn das nicht
hilft, versucht er, den Skandal zu ei-

Österreich


Mission Wiederwahl


Die Chancen auf eine Rückkehr ins Kanzleramt Ende September stehen für Sebastian


Kurz gut – auch wegen seiner unbestrittenen Fähigkeit, Skandale an sich abprallen zu


lassen. Die Frage ist nur, mit welchem Koalitionspartner der ÖVP-Chef regieren wird.


ÖVP-Chef Kurz:
„Meine größte Sorge
gilt dem Arbeitsmarkt.“

NEUE VOLKSPARTEI/JAKOB GLASER

Von links und


von rechts


hagelt es fast


täglich neue


Untergriffe,


Diffamie -


rungen und


Dreck aus der


allertiefsten


Schublade.


Sebastian Kurz
ÖVP-Chef

Europa
DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151

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