Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1
nome, das vernetzte und das elektrische Fahren –
investieren. Ohne Einsparungen ist das ein unmög-
liches Unterfangen. „Auf den rückläufigen Markt
reagieren wir mit strenger Kostendisziplin und Er-
höhung unserer Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Con-
tinental-Chef Elmar Degenhart. Die Unternehmens-
leitung habe bereits mit dem Aufsichtsrat die Stra-
tegie besprochen, wie das gelingen solle. Die
Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern wür-
den einem Sprecher zufolge umgehend beginnen.
Im Gegensatz zum Conti-Großaktionär Schaeffler
oder Konkurrent Bosch spricht der Konzern nicht
von Stellenstreichungen. „Der Großteil unserer
Kunden sitzt in Europa, Nordamerika und China.
Wenn wir in irgendeiner Form Maßnahmen ergrei-
fen müssen, dann betrifft das in der Regel alle drei
Regionen“, sagt Finanzchef Schäfer. Nach dieser
Lesart wären auch deutsche Standorte betroffen.

Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel
Konzernbetriebsrat Hasan Allak hingegen rechnet
nicht mit einem Arbeitsplatzabbau in Deutschland.
„Continental hat sich im Gegensatz zur Konkurrenz
noch nicht klar zum Stellenabbau bekannt“, sagt
Allak. „Ich gehe nicht davon aus, dass im Falle von
Stellenstreichungen Arbeitsplätze an deutschen
Standorten betroffen sein werden.“
Laut Allak habe der Betriebsrat die Konzernfüh-
rung bereits sehr früh auf die personellen Heraus-
forderungen aufmerksam gemacht, die im Zuge
des Wandels in der Automobilindustrie nun auftau-
chen. „Betriebsrat und Konzernleitung hätten
schon jetzt stabile Strukturen gebraucht, um die
Mitarbeiter durch diesen disruptiven Wandel mit-
tels Fortbildungen und Schulungen mitzuneh-
men“, sagt Allak.
In der Übergangszeit kann Continental aber auf
eine gut gefüllte Kasse zurückgreifen. Dem Kon-
zern stehen liquide Mittel in Höhe von 4,8 Milliar-
den Euro zur Verfügung. Frank Schwope von der
NordLB sieht daher das Unternehmen auch für Kri-
senzeiten solide aufgestellt.
Und auch das weiterhin stabile Reifengeschäft
nimmt Continental ein bisschen den Druck. Im Ge-
gensatz zum Automotive-Bereich, wo der Umsatz
im zweiten Quartal um 3,1 Prozent auf 6,8 Milliar-
den Euro zurückgegangen ist, stiegen die Einnah-
men in der Rubber-Group um 2,5 Prozent auf 4,
Milliarden Euro. Dennoch muss Continental aufs
Tempo drücken, um den Anschluss an die elektri-
fizierte Konkurrenz nicht zu verlieren.
Für den künftigen Vitesco-Chef Andreas Wolf ist
„die Zukunft zweifellos elektrisch.“ Die Transfor-
mationsphase werde zunächst von einem Antriebs-
mix geprägt sein. Hier wird der 48-Volt-Hybrid-An-
trieb eine zentrale Rolle spielen. Marktforscher von

IHS Markit rechnen damit, dass weltweit die An-
zahl dieser Antriebe zwischen 2020 und 2030 um
fast 530 Prozent zunehmen wird. Mit VW hat Conti
auch bereits einen Großkunden gefunden. Die
Hannoveraner sind im Bereich des 48-Volt-Antriebs
Systemlieferant von VW. Die Wolfsburger greifen
im neuen Golf, der Ende des Jahres auf den Markt
kommen wird, auf Continentals 48-Volt-Antrieb zu-
rück.
Große Hoffnungen setzt Continental auch auf ei-
nen neu entwickelten 48-Volt-Mild-Hybrid-Antrieb,
den der Zulieferer auf seiner Techshow in Laatzen
Anfang Juli präsentierte hat. Mit ihm können Fahr-
zeuge mit bis zu 90 Kilometern pro Stunde elek-
trisch bewegt werden. Bislang war es nicht mög-
lich, tonnenschwere Hybrid-Fahrzeuge mit so nied-
rigen Spannungen elektrisch zu bewegen.
Der Vorteil von Mild-Hybrid-Antrieben gegen-
über Vollhybriden sind die geringen Kosten. Diese
sind entscheidend, wenn Zulieferer wie Continen-
tal mit der Elektromobilität Geld verdienen wol-
len. Denn bislang ist die E-Mobilität für den Dax-
Konzern ein Verlustgeschäft. „Der Bereich der
E-Mobilität leistet noch keinen Gewinnbeitrag“,
sagt Schäfer.
Aber der 60-Jährige sieht eine Trendwende: „Wir
hatten viele Jahre auf ein nennenswertes Wachs-
tum im Bereich der E-Mobilität gehofft, das dann
doch nicht kam“, sagt er. „Jetzt aber sehen wir,
dass die Kunden immer mehr Komponenten und
Systeme für Elektroantriebe nachfragen und dass
die Wachstumsdynamik zunimmt.“
Zeitgleich aber entscheidet Conti-Chef Elmar De-
genhart, wie im Falle der Zellfertigung für Lithium-
Ionen-Batterien, auch auf die Produktion von Fest-
körperbatteriezellen – der nächsten Batteriegenera-
tion – zu verzichten. „Mit der voraussichtlich erst
nach 2030 verfügbaren Festkörpertechnologie
lässt sich von Continental kein attraktives Ge-
schäftsmodell mehr aufbauen“, sagt Conti-Chef De-
genhart.
Ein weiterer Grund könnte der hohe Investitions-
bedarf sein. Volkswagen investiert derzeit zweistel-
lige Milliardenbeträge, um eine eigene Zellfertigung
auf die Beine zu stellen. Continental kann vor dem
Hintergrund der geplanten Kosteneinsparungen
solche Summen nicht aufbringen. Im Gegenteil:
„Geplante Investitionen kommen auf den Prüf-
stand. An bereits begonnenen Bauprojekten wie
neuen Werken halten wir jedoch fest“, sagt Schä-
fer. „Insgesamt werden wir unsere Investitionsquo-
te jedoch anpassen. Bislang sollte diese über acht
Prozent liegen. Jetzt planen wir mit einer Quote
leicht unter acht Prozent.“


Kommentar Seite 27



Neuentwicklung


Ein halber


Voll-Hybrid


A


uf seiner jährlichen Techshow hat Conti-
nental eine kleine Sensation vorgestellt:
einen neu entwickelten 48-Volt-Mild-Hy-
bridantrieb, der sich von üblichen Elektroantrie-
ben mit einer Spannungen von 48 Volt unterschei-
det. Mit ihm können Fahrzeuge bis zu einer Ge-
schwindigkeit von 90 Kilometer pro Stunde rein
elektrisch bewegt werden. Bislang war es nicht
möglich, tonnenschwere Hybridfahrzeuge mit so
niedrigen Spannungen elektrisch zu bewegen.
Eigentlich sind Mild-Hybridantriebe dazu ge-
dacht, den Antriebsstrang unauffällig zu unter-
stützen, beispielsweise bei der Beschleunigung
des Fahrzeugs oder der Rückgewinnung von
überschüssiger Bewegungsenergie, im Fachjar-
gon auch als Rekuperation bezeichnet. Auf diese
Weise soll der Verbrauch von Verbrennungsmo-
toren gesenkt werden.

Neuartige Wasserkühlung
Bewegen sich Hybridfahrzeuge rein elektrisch, wie
zum Beispiel der Toyota Prius, arbeitet der elektri-
sche Teil des Antriebs üblicherweise mit einer
Hochvolttechnik, die Spannungen von bis zu 800
Volt erzeugt. Man spricht von sogenannten Voll-
Hybridfahrzeugen.
In der Praxis kann so ein Fahrzeug bei defensi-
ver Fahrweise elektrisch über die Straßen glei-
ten. Sobald man kräftiger beschleunigt, schaltet
sich allerdings sofort der Verbrennungsmotor
ein. Continentals 48-Volt-Aggregat hingegen ent-
wickelt eine doppelt so hohe Leistung wie ge-
wöhnliche Antriebe dieser Spannungshöhe. „Un-
ser Entwicklungsziel war es, mit 48-Volt-Techno-
logie eine Fahreffizienz zu erreichen, wie sie
bislang nur Hochvoltsystemen vorbehalten war.
Das haben wir jetzt erreicht“, sagt Stephan Reb-
han, Leiter Technology & Innovation Powertrain.
Oder anders gesagt: Continentals Mild-Hybridan-
trieb funktioniert wie ein Voll-Hybridantrieb.
Möglich macht das eine neuartige Wasserküh-
lung. Auch die Position des 48-Volt-Antriebs ist
verändert. Dieser wird nicht mehr vor dem Ver-
brenner an der Kurbelwelle montiert, sondern
dahinter und damit zwischen dem Verbren-
nungsmotor und dem Getriebe. Laut Continental
senke das den Spritverbrauch und damit den
CO 2 -Ausstoß gegenüber vergleichbaren Fahrzeu-
gen mit Verbrennungsmotoren um 20 Prozent.
Der größte Vorteil dieses E-Antriebs sind aber
seine geringen Kosten. Die elektrischen Kompo-
nenten seien laut Conti kompakter und günstiger
aufgebaut, wodurch der beanspruchte Bauraum
nur geringfügig größer ausfällt als beim bisheri-
gen 48-Volt-System. Autobauer müssen daher
nicht das Fahrzeugdesign ändern, wenn sie auf
Contis Neuentwicklung zurückgreifen. Auch das
Gewicht verändere sich nur minimal.
Voll-Hybridfahrzeuge, wie jene von Toyota,
benötigen außerdem höhere Spannungen, um
elektrisch zu fahren. Dementsprechend steigen
die Sicherheitsvorkehrungen und mit ihnen die
Kosten. Continental verspricht sich wegen der
Kostenvorteile seiner Lösung eine hohe Markt-
durchdringung.
In etwa vier Jahren rechnet Continental mit der
Serienreife. Gefertigt werden könnte der Antrieb
im Werk in Ungarn. Roman Tyborski

1,


-32 %


1,


Umsatz


22,3922,


in Mrd. Euro



  1. Halbjahr 2018 1. Halbjahr 2019


Continental
Aktienkurs in Euro

Nettoergebnis
in Mrd. Euro

-1,2 %


Veränderung
seit


  1. Januar 2019:


HANDELSBLATT Quellen: Bloomberg, Unternehmen

1.1.2019 7 .8.


160

150

140

130

1

110

Analysten-
empfehlungen
Letzte 12 Monate

KGV
12/

Börsenwert


10,


Mrd. Euro


23,
Verkaufen

Halten

Kaufen

3


19


10


imago/Sven Simon


Auf den


rückläufigen


Markt


reagieren wir


mit strenger


Kosten -


disziplin.


Elmar Degenhart
Vorstandschef
Continental

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DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151


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