Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1
M. Brächer, M. Telgheder Zürich,
Frankfurt

D


ie Ansage des Novartis-
Chefs war unmissver-
ständlich: „Ich habe
klargemacht, dass ich
nicht möchte, dass wir
Kompromisse bei unseren ethischen
Werten machen, nur um Geschäfts-
ziele zu erreichen“, das hatte Vas Na-
rasimhan vergangenen Dezember im
Interview mit dem Handelsblatt ge-
sagt. Eigentlich wollte der seit einein-
halb Jahren amtierende CEO mit den
Reputationsproblemen des Schweizer
Pharmakonzerns aufräumen. Jetzt hat
Novartis einen neuen Skandal am
Hals. Die amerikanische Zulassungs-
behörde FDA wirft dem Konzern vor,
zu spät über manipulierte Daten bei
einer Studie informiert zu haben.
Konkret geht es um die neue Gen-
therapie Zolgensma, mit der sich ei-
ne seltene Muskelerkrankung behan-
deln lässt. Mit einem Preis von gut
zwei Millionen Dollar gilt das Mittel
als das bislang teuerste Medikament
der Welt. Entwickelt wurde es von
der US-Firma Avexis, die Novartis im
vergangenen Jahr übernommen hat.
Für Novartis geht es bei dem Fall
nicht nur ums Image: Es drohen
empfindliche Strafen, zudem befin-
det sich das Mittel derzeit mitten im
Zulassungsprozess für den europäi-
schen Markt sowie für Japan.
Der Vorwurf: Bei der Erforschung
des Mittels sollen bestimmte Daten
aus Produkttests an Tieren manipu-
liert worden sein. Die Behörde geht
allerdings davon aus, dass die Sicher-
heit des Mittels nicht beeinträchtigt
sei. Sie verweist auf Studienergebnis-
se, denen zufolge die Vorteile der
neuen Therapie überwiegen. Man sei
„zuversichtlich, dass Zolgensma auf
dem Markt bleiben sollte“. Doch sei
es die Verantwortung der Pharmain-
dustrie, „wahrheitsgemäße, vollstän-
dige und akkurate Daten“ zu liefern.
Novartis-Chef Narasimhan betonte
am Mittwoch in einer eigens für das
Thema angesetzten Telefonkonferenz
mehrfach, dass es sich um einen
„kleinen Datensatz“ und „einen Ein-
zelfall“ handele und man weiterhin
volles Vertrauen in die Sicherheit,
Qualität und Wirksamkeit von Zol-
gensma habe. Die Manipulationen
beträfen ein Verfahren in der Tierver-
suchsphase, dass bei der Herstellung
von Zolgensma nicht benutzt werde.
Dennoch zeigt der gemeinsame Auf-
tritt von Narasimhan und Avexis-CEO
Dave Lennon, wie ernst das Unter-
nehmen den Fall nimmt.

Strafzahlungen möglich
Die FDA wirft Avexis vor, sie nicht
rechtzeitig informiert zu haben, als
die Datenmanipulation aus Tierver-
suchsstudien im Unternehmen be-
kannt wurden. Zu diesem Zeitpunkt
lief der Zulassungsprozess für Zol-
gensma bereits. Das Mittel wurde am


  1. Mai dieses Jahres in den USA zuge-
    lassen. Avexis informierte die FDA
    über die Datenmanipulation aller-
    dings erst einen Monat später. Laut
    Narasimhan war die Datenmanipulati-
    on innerhalb von Avexis sogar bereits
    im März bekannt geworden. Darauf-
    hin habe Novartis eine umfangreiche
    Untersuchung eingeleitet. Die FDA ha-
    be man erst informiert, als belastbare
    Ergebnisse der Untersuchung vorla-
    gen, so der Novartis-CEO. Man habe
    die Benachrichtung der Behörde
    nicht hinausgezögert, beantwortete


Narasimhan in der Telefonkonferenz
mehrere Nachfragen von Analysten.
„Wenn die Ergebnisse der Untersu-
chung früher vorgelegen hätten, hät-
ten wir auch früher informiert.“
Die US-Zulassungsbehörde droht
der Novartis-Tochter Avexis nun mit
zivil- und strafrechtlichen Konse-
quenzen. Die Reaktion der Behörde
über das Informationsverhalten fällt
harsch aus: „Wir brauchen wahr-
heitsgemäße wissenschaftliche Da-
ten, um regulatorische Entscheidun-
gen zu treffen“, twitterte FDA-Chef
Ned Sharpless. Man nehme das The-
ma sehr ernst. „Die Behörde wird ih-
re vollen Befugnisse nutzen, um
Maßnahmen zu ergreifen.“

Zulassung nicht in Gefahr
Der Konzern gelobt Besserung: Man
ergreife Maßnahmen, um künftige
Vorfälle bei der Entwicklung neuer
Medikamente zu verhindern. Trotz-
dem droht Novartis mehr als nur ein
Imageschaden: Zolgensma gilt als ers-
tes Medikament seiner Art. Mit dem
Mittel lässt sich die Spinale Muskel-
atrophie behandeln. Jährlich erkran-
ken in den USA rund 400 Kinder an
der seltenen Krankheit. Wegen eines
fehlerhaften Gens entwickeln sie kei-
ne normale Bewegungsfähigkeit,
müssen beatmet werden und sterben
früh. Bei der Therapie werden die
defekten Gene mit einem Virus ge-
tauscht. Die maßgeschneiderte Be-
handlung sorgte für Schlagzeilen,
weil sie rund zwei Millionen Dollar
kostet – allerdings über einen Zeit-
raum von fünf Jahren und abhängig
vom Behandlungserfolg. In Europa,
wo das Zulassungsverfahren für die
Therapie noch läuft, dürften ähnliche
Preise aufgerufen werden. Der Kon-
zern erwartet, dass die Vorgänge kei-
ne Auswirkungen auf weitere Zulas-
sungsverfahren haben werden.
Trotzdem trennten sich Novartis-
Aktionäre am Mittwoch von den Pa-
pieren des Konzerns. Die Aktien ver-
loren in Zürich mehr als drei Pro-
zent. Die weitere Entwicklung des
Falls sei schwer abzuschätzen, sagt
Michael Nawrath, Analyst bei der
Zürcher Kantonalbank. „Sollten sich
die Vorwürfe gegen Novartis jedoch
erhärten, würde dem Unternehmen
im wichtigen US-Markt Ungemach
drohen, mit hohen Kosten und ande-
ren Strafmaßnahmen.“
Dabei sollte mit dem neuen Fir-
menchef bei Novartis eigentlich alles
anders werden. Unter seinen Vorgän-
gern sah sich Novartis wiederholt mit
Korruptionsvorwürfen konfrontiert.
Dann wurde auch noch eine ominöse
Zahlung an den Trump-Anwalt Mi-
chael Cohen publik. Narasimhan ver-
sprach Besserung. Jetzt hat er den
nächsten Skandal am Hals.
„Der Fall Zolgensma zeigt, wie
schwer es doch ist, die Kultur bei
Novartis zu verändern“, urteilt Von-
tobel-Analyst Stefan Schneider. Nach
seiner Einschätzung hätte sich die
Zulassung von Zolgensma höchst-
wahrscheinlich verzögert, wenn die
FDA rechtzeitig Kenntnis von der Da-
tenmanipulation gehabt hätte. Eine
Zulassung wäre aufgrund der positi-
ven Ergebnisse aus den klinischen
Studien aber wohl so oder so erfolgt.
Direkte Auswirkungen auf den Um-
satz von Zolgensma erwartet der
Analyst nicht. Das Mittel gilt als po-
tenzieller Blockbuster mit mehr als
einer Milliarde Dollar Jahresumsatz.

Pharmaunternehmen


Datenskandal


bei Novartis


Die US-Zulassungsbehörde wirft dem Pharmariesen


vor, zu spät über Manipulationen bei der Entwicklung


eines neuen Medikaments informiert zu haben.


Vielversprechende Medikamente
Neuartige Gen- und Zelltherapien

Hersteller/Name Einsatzgebiet


Zolgensma


Zynteglo


Luxturna


Strimvelis


Yescarta


Kymriah


Imlygic


1 858 407 €


1 575 000 €


726 000 €


594 000 €


328 000 €


320 000 €


102 871 €


unter 100


unter 100


ca. 350


unter 10


ca. 970


ca. 630


k. A.


Spinale Muskelatrophie


Beta-Thalassämie


Retinitis pigmentosa


Adenosin-Desaminase-


Krebs


Krebs


Krebs


(SMA)


Mangel


(B-Zell-Lymphom)


(AML/B-Zell-Lymphom)


(Melanom)


Novartis


Bluebird Bio


NovartisSpark


Orchard Therap.


Gilead


Novartis


Amgen


HANDELSBLATT

1) ADA-SCID; 2) Weltweit kumuliert für das Unternehmen
Quellen: GBA, Unternehmen, Evaluate Pharma, Arzneiverordnungsreport

Kosten pro Behandlung
Patienten in Deutschland

Novartis-Labor: Für den
Pharmakonzern geht es
in dem Datenskandal
nicht nur ums Image.
Justin Keena

Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151

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