Handelsblatt - 08.08.2019

(Ann) #1

D


er Chef von Schneider
Electric ist viel unter-
wegs. Rund 70 Pro-
zent seiner Arbeitszeit
verbringe er auf Rei-
sen, erklärt Jean-Pascal Tricoire dem
Handelsblatt während seiner Visite
in der Deutschlandzentrale des Elek-
trotechnik-Herstellers in Ratingen.
In fünf europäischen Ländern trifft
er in acht Tagen so viele Mitarbeiter
und Kunden wie möglich, um sich in
dem weit verzweigten Unternehmen
mit mehr als 140 000 Mitarbeitern
und rund 25 Milliarden Euro Jahres-
umsatz auf den neuesten Stand zu
bringen. Seit seiner Ernennung zum
Vorstandschef 2006 hat Tricoire den
französischen Konzern konsequent
dezentralisiert und internationali-
siert. Er selbst wohnt seit Langem in
Hongkong – und lässt seinen Mitar-
beitern so bewusst viel Freiraum.

Herr Tricoire, vor wenigen Monaten
hat Schneider Electric den Umzug
seiner Deutschlandzentrale von Ra-
tingen nach Düsseldorf verkündet.
Haben Sie sich das neue Gelände
beim Flughafen bereits angeschaut?
Nein, damit habe ich mich nicht be-
schäftigt. Ich habe vollstes Vertrau-
en, dass die Mannschaft vor Ort eine
gute Entscheidung treffen wird. Ich
interessiere mich aber auch nicht so
sehr für Büros. Der beste Arbeits-
platz ist direkt beim Kunden. Ich
selbst zum Beispiel habe seit 20 Jah-
ren keinen eigenen Schreibtisch.
Und das ist gut so.

Viele Ihrer Kunden aus der Indus-
trie blicken sorgenvoll in die Zu-
kunft. Sogar das Wort Rezession
macht die Runde. Trotzdem reißen
sich Anleger seit Anfang des Jahres
regelrecht um Schneider-Aktien. Wie
erklären Sie sich das?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum
einen haben wir vor 15 Jahren begon-
nen, das Unternehmen konsequent
auf die Themen Effizienz und Nach-
haltigkeit zu fokussieren. Dabei geht
es um Energie-, aber auch um Pro-
zesseffizienz. Zum anderen haben
wir uns früh mit der Digitalisierung
beschäftigt. Das erste mit dem Inter-
net vernetzte Produkt haben wir 1997
vorgestellt – zehn Jahre vor allen an-
deren in der Industrie. Unsere erste
digitale Plattform, EcoStruxure, ha-
ben wir 2008 gestartet. Dadurch hat-
ten wir einen enormen Vorsprung.

Offenbar waren Sie zu früh dran:
Viele dieser Technologien setzen
sich erst jetzt langsam durch.
Vor 20 Jahren waren wir uns auch
noch nicht sicher, ob sich vernetzte
Produkte in der Industrie tatsächlich
durchsetzen werden. Ab 2003 haben
wir aber die ganze Firmenstrategie
darauf verwettet, also alles auf eine
Karte gesetzt. Es gab damals unglaub-
lich große Investments in die Tele-
kommunikations- und IT-Branche,
während die Automatisierungsher-
steller noch um proprietäre Stan-
dards kämpften. Dann kam mit dem
Internet und dem Aufkommen Künst-
licher Intelligenz eine gigantische
Welle mit IP-vernetzten Systemen
und Produkten auf uns zu, die sich in
den vergangenen Jahren sogar noch
beschleunigt hat. Das haben wir ge-
nutzt und sind heute als Unterneh-
men besser positioniert als je zuvor.

Ein konjunktureller Abschwung be-
reitet Ihnen also keine Sorge? Im-
merhin dürften Ihre Kunden aus der
Industrie dann weniger investieren.
Natürlich schätzen auch wir eine

prosperierende Wirtschaft. Aber ge-
rade Industrien, die auf schwierige
Zeiten zusteuern, sind mehr denn je
darauf angewiesen, ihre Prozesse ef-
fizienter und damit kostengünstiger
zu gestalten – auch unter Nachhaltig-
keitsaspekten, die heute immer rele-
vanter werden.

Um CO 2 einzusparen?
Mit dem Pariser Klimaabkommen vor

fünf Jahren ist diese Entwicklung un-
umkehrbar geworden. Alles wird
elektrisch, denn nur so lässt sich der
Verbrauch von Energie dekarbonisie-
ren. Hinzu kommt, dass immer mehr
Firmen ihre Produktion auf Industrie
4.0 umstellen. Investitionen in diesen
Bereichen dürften sogar eher zuneh-
men, um die Effizienz weiter zu erhö-
hen. Hier liegt auch ein großer Trei-
ber unseres zukünftigen Wachstums.

Auch Wettbewerber wie Siemens
oder ABB setzen auf diese Mega-
trends, bekommen aber keinen so
großen Vertrauensvorschuss von
den Anlegern.
Von unseren Wettbewerbern unter-
scheiden wir uns auch durch die Un-
ternehmensstruktur. Wir haben vor
1 5 Jahren begonnen, unser Geschäft
sehr konsequent zu internationalisie-
ren. Heute haben wir keine Zentrale
mehr, sondern mehrere Schneider-
Standorte in aller Welt, die sehr ei-
genständig arbeiten. Nehmen wir
China: Um in China Geschäfte zu ma-
chen, hilft es sehr, wie ein Chinese zu
denken. Das Gleiche gilt für Indien
oder die USA. Seit 2002 haben wir
den Umsatzanteil in Schwellenlän-
dern außerhalb Nordamerikas und
Europas Schritt für Schritt von 20
Prozent auf 45 Prozent erhöht. Im Er-
gebnis ist das Gesamtunternehmen
um den Faktor drei gewachsen.

Welche Auswirkungen hat der zu-
nehmend protektionistisch geprägte
Welthandel auf Ihr Geschäft?
Wenn ein Unternehmen multilokal
und nicht zentralisiert agiert, ist es
von Handelsbarrieren weniger be-
troffen. Wir betreiben alles lokal: Pro-
duktion, Forschung und Entwick-
lung, wir vertrauen immer auf lokale
Lieferanten. So bleiben wir anpas-
sungsfähiger an die lokalen Ökosyste-
me. Unsere Softwaresysteme in Chi-
na sind beispielsweise von vornhe-
rein für die dortigen Standards pro-
grammiert. Wir haben vergleichswei-
se wenige interkontinentale Waren-
flüsse und sind auch unempfindlich
gegen viele Auswirkungen von Han-
delskriegen.

Eine solche Organisation bindet
aber auch Managementkapazitäten.
Das ist eine Frage der Strategie. Man
kann ein Unternehmen entlang verti-
kaler Einheiten optimieren, wie es die
meisten Firmen tun. Das ist leichter
für das Reporting und das Manage-
ment. Oder man optimiert ein Unter-
nehmen unter Gesichtspunkten der
Schnelligkeit und Anpassungsfähig-
keit. Das ist zwar aufwendiger, aber
für mich der Schlüssel für die Heraus-
forderungen des 21. Jahrhunderts.

Macht das nicht im Gegenteil für Sie
als CEO alles noch viel komplizier-
ter?

Jean-Pascal Tricoire


„Wir stehen besser


da als je zuvor“


Trotz schwacher Konjunktur bleibt der Chef des


Elektrotechnik-Herstellers Schneider optimistisch –


und sieht sich gegen Handelskriege gut gewappnet.


Der Mananger Jean-Pascal Tricoire
studierte Ingenieurwesen und
Wirtschaftswissenschaften an der
Emlyon Business School im franzö-
sischen Écully. Anschließend arbei-
tete er als Manager bei Alcatel,
Schlumberger und Saint-Gobain,
bevor er 1988 zu Schneider wech-
selte. Seit 2003 führt er den Kon-
zern als Vorstandschef.

Das Unternehmen Schneider
Electric produziert industrielle
Steuerungs- und Automatisie-
rungstechnik sowie Produkte für
die Energieverteilung in der Nie-
der- und Mittelspannungstechnik
sowie Installationstechnik. Das
Unternehmen erzielte 2018 einen
Umsatz von rund 25 Milliarden
Euro. Zunehmend ist Schneider
auch im Bereich der Software-Ent-
wicklung tätig, etwa als Plattform-
entwickler für Gebäude- und
Industrietechnologien.

Vita Jean-Pascal Tricoire


Jean-Pascal
Tricoire: Der
CEO hat seit
20 Jahren
keinen eigenen
Schreibtisch.

Maurice Weiss für Handelsblatt

Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019, NR. 151

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