Süddeutsche Zeitung - 31.07.2019

(Darren Dugan) #1
interview: klaus hoeltzenbein
und christofkneer

F


lorian Kohfeldt ist 36, aber der
Jüngste ist er nicht. Julian Nagels-
mann, der im Sommer aus Hof-
fenheim zu RB Leipzig umzog, ist
immer noch erst 32. Gemein ist
den beiden einzigen Dreißigern unter den
18 Bundesliga-Trainern, dass ihnen zuge-
traut wird, sehr lange in diesem stressigen
Geschäft zu bleiben. Einen entsprechen-
den Wunsch hat Werder Bremen am Diens-
tag im Trainingslager in Grassau offiziell
dokumentiert: Dort, in der Nähe des
Chiemsees, gab der Klub die erstaunlich
frühe Vertragsverlängerung mit Kohfeldt
um zwei Jahre bis zum Sommer 2023 be-
kannt. In Bremen haben solche Langzeit-
modelle Tradition: Otto Rehhagel und Tho-
mas Schaaf trainierten den SV Werder je-
weils erfolgreich über 14 Jahre. Nur Volker
Finke (16 Jahre beim SC Freiburg) blieb im
deutschen Profifußball länger bei einem
Verein. Im Interview erklären Florian Koh-
feldt und der ehemalige Nationalspieler
und heutige Werder-Geschäftsführer
Frank Baumann, 43, den Reiz der Kontinui-
tät und formulieren ehrgeizige Ziele.


SZ: Herr Kohfeldt, zum Einstieg eine Fra-
ge zur Kurzlebigkeit des Geschäfts: Wie
sehr vermissen Sie Max Kruse?
Florian Kohfeldt:Also körperliche Ent-
zugserscheinungen konnte ich bisher noch
nicht feststellen ... (lacht). Aber klar, es
fehlt einem natürlich was, wenn ein guter
Typ weg ist, mit dem man zwei Jahre viel
Zeit verbracht hat. Wir haben uns fachlich
immer sehr gut ausgetauscht, er war ein
immens wichtiger Spieler für mich, und na-
türlich fehlt mir auch mal ein Flachs oder
der ein oder andere Sieg im Tischtennis...
... das heißt: Sie haben gewonnen?
Kohfeldt:Die Gesamtwertung geht klar an
mich. Wenn Max was anderes behauptet,
dann lügt er.
Und den Fußballspieler, den Stürmer Kru-
se, Ihren besten Torschützen der vorigen
Saison: Wie sehr vermissen Sie den?
Kohfeldt:Ganz ehrlich: Ich vermisse ihn
nicht, jedenfalls wäre „vermissen“ das fal-
sche Wort. Wir wollen jetzt die Chancen
nutzen, die sein Abschied bietet, in unse-
rem Offensivspiel war ja doch vieles auf
Max zugeschnitten. Er war überragend
beim vorletzten Pass, aber er kam eben oft
aus der Tiefe, und manchmal hat uns dann
vorne drin ein Spieler gefehlt. Jetzt können
wir Positionen und Räume etwas anders be-
setzen. Und ich habe auch mit großer Freu-
de registriert, dass sich die Mannschaft in
den letzten Spielen der vergangenen Sai-
son schon etwas von Max emanzipiert hat.
Inwiefern?
Kohfeldt:Nuri Sahin, Maxi Eggestein, Da-
vy Klaassen, unsere Außenverteidiger: Sie
haben das Spiel zuletzt immer besser nach
vorne verlagert, und sie haben Max immer
weniger dafür gebraucht.


Herr Baumann, hätten Sie Max Kruse hal-
ten können, wenn Sie gewollt hätten?
Frank Baumann:Wir hätten es versuchen
können, dann hätten wir aber unser Ge-
haltsgefüge sprengen müssen und jetzt ei-
nen Spieler weniger im Kader. Aber es ist ja
so, wie Flo sagt: Max kam vor drei Jahren
zu uns, als wir keinen guten Fußball ge-
spielt haben, und für unsere Entwicklung
hin zu einer guten, kombinationsstarken
Mannschaft war Max brutal wichtig. Aber
zuletzt hatten wir das Gefühl, dass er nicht
mehr ganz so entscheidend fürs große Gan-
ze ist. Und dazu kommt natürlich, dass er
bei seinem letzten großen Vertrag auch
nochmal gutes Geld verdienen wollte.
Er spielt jetzt bei Fenerbahce Istanbul.
Baumann:Ja, und das ist zu respektieren.
Er hat, als er zu uns kam, auf Geld verzich-
tet, er hätte damals schon lukrativere Sa-
chen im Ausland machen können.


Bekannt ist, dass Werder auf dem Markt
nicht mithalten kann, wenn die reichen
Vereine aus dem In- und Ausland mitbie-
ten. Herr Kohfeldt, warum verlängert ein
ambitionierter Trainer wie Sie vorzeitig
und ohne Not seinen Vertrag bei einem
Klub, der klare Grenzen hat? Und dann
auch noch bis 2023, nach guter, alter Bre-
mer Sitte quasi auf Lebenszeit?
Kohfeldt:Na, ich hoffe mal, dass ich schon
noch ein bisschen länger lebe ... Aber Sie ha-
ben natürlich Recht: Es gab faktisch kei-
nen Druck, jetzt schon zu verlängern, doch
mir war dieses Bekenntnis wichtig, aus ver-
schiedenen Gründen.
Aus welchen?
Kohfeldt:Zunächst mal bin ich trotz der
Grenzen unseres Standorts überzeugt,
dass unser Potenzial längst nicht ausge-
reizt ist. Hier geht noch viel mehr. Ich mei-
ne damit nicht das Geld, sondern unsere
Art, Fußball zu spielen und die vielen, klei-
nen, klugen Personal-Entscheidungen.
Und Werder ist halt was Besonderes, diese
Beziehung zwischen Stadt, Fans und Ver-
ein ist einzigartig. Da hat das kleine Bre-
men aus meiner Sicht definitiv einen
Standortvorteil. Das ist das eine.
Und das andere?
Kohfeldt:Das andere ist die Mannschaft.
Ich nenne stellvertretend mal Milot Rashi-
ca oder Maxi Eggestein: Das sind Spieler,
die noch jung und schon ganz schön gut
sind, die aber trotzdem noch besser wer-
den können. Und es ist vor allem Franks
Verdienst, dass wir mit unserem Kader
auch Werte geschaffen haben.
Das heißt, Werder wird Spieler auch mal
teuer verkaufen und das Geld wieder in-
vestieren können ...


Kohfeldt:... ja, deshalb glaube ich, dass wir
unseren Kader in Verbindung mit unserem
Fußball auf ein immer höheres Niveau
bringen können. Es wird nicht leicht, mit
Standorten mitzuhalten, an denen deut-
lich mehr Geld vorhanden ist – aber ich
glaube daran, dass wir das schaffen kön-
nen. Deshalb bleibe ich hier.

Herr Baumann, ist diese frühzeitige Ver-
tragsverlängerung auch ein Signal nach
außen? Nehmen Sie Ihren umworbenen
Trainer demonstrativ vom Markt und si-
gnalisieren allen Interessenten, dass sie
sich ihre Anrufe sparen können?
Kohfeldt:Ich möchte da noch kurz reingrät-
schen und was in eigener Sache sagen: Mir
geht das mit diesen Spekulationen alles
viel zu schnell. Ich bin ein junger Trainer
und empfinde es immer noch als Privileg,
hier arbeiten zu dürfen. Schauen Sie sich
doch mal an, wie viele Trainer letzte Saison
kritisiert oder entlassen wurden! Hier ha-
be ich ein Vertrauensverhältnis zu Frank
Baumann wie ich es wohl unter keinem an-
deren Vorgesetzten an einem anderen
Standort hätte. Er ist neben meinem Trai-
nerteam auch fußball-fachlich mein wich-
tigster Ansprechpartner. Er ermutigt
mich, hier in Ruhe mein Ding zu machen
und auch mal was auszuprobieren.
Was meinen Sie mit Ausprobieren?
Kohfeldt:Na, unser Fußball ist gemessen
an der individuellen Qualität im Kader ja
nicht ganz normal. Wir haben nicht die teu-
ersten und nicht die besten Spieler der
Welt. Trotzdem denken wir unseren Fuß-
ball von vorne. Erst definieren wir unsere
Offensive, dann die Defensive – wir versu-
chen, mit einer kleineren Mannschaft wie
eine große zu spielen. Das ist nicht ohne Ri-
siko, aber ich glaube, ich bekäme mit
Frank ein Problem, wenn ich diesen Fuß-
ball nicht spielen würde. Selbst wenn ich al-
so einen rein egoistischen Blick auf meine
Karriere werfen würde, käme ich zu dem
Schluss: Diese Bedingungen, mich als Trai-
ner zu entwickeln, hätte ich nirgendwo
sonst. Warum sollte ich weggehen?
Baumann:Die Komplimente kann ich
gerne zurückgeben. Mit der Vertragsver-
längerung wollen wir dem Trainer vor al-
lem unsere Wertschätzung dokumentie-
ren. Wir wissen, dass wir einen sehr, sehr
guten Trainer haben – und Werder war im-
mer am stärksten, wenn es auf dieser Posi-
tion Kontinuität gab.

Aber ein Signal nach außen war es auch?
Baumann:Es war vor allem ein Signal an
Spieler, intern wie extern. Für Spieler ist
ein Trainer als Faktor extrem wichtig. Ich
weiß noch, wie ich selbst 1999 nach dem
Abstieg mit dem 1. FC Nürnberg lange über-
legt habe, wohin ich wechseln soll. Es ging
lustigerweise um zwei Trainer, die heute
Ikonen in Bremen sind: Otto Rehhagel und
Thomas Schaaf. Rehhagel war damals Trai-
ner in Kaiserslautern und ein Jahr zuvor
Meister geworden, Schaaf hatte gerade
Werder übernommen.
Die Geschichte lehrt, dass Sie sich damals
gegen Otto Rehhagel entschieden haben.

Baumann: Nicht gegen Rehhagel, für
Schaaf! Mit Otto Rehhagel habe ich mich
damals in Frankfurt in einem Café an der
Alten Oper getroffen und mehr so übers Le-
ben philosophiert ...
...also Rehhagel hat wahrscheinlich philo-
sophiert? ...
Baumann:... und mit Thomas Schaaf habe
ich mich in einem Frankfurter Flughafen-
Hotel getroffen – und hauptsächlich über
Fußball geredet! Thomas hat mich damals
überzeugt, und so ist es jetzt eben auch mit
Flo. Die Spieler wollen mit ihm arbeiten.
Ich weiß nicht, ob Maxi Eggestein ohne Flo-
rian Kohfeldt bei uns verlängert hätte. Spie-
ler registrieren definitiv, was für einen tol-
len Trainer wir haben.

Herr Kohfeldt, wofür soll der SV Werder
bis 2023 stehen?
Kohfeldt:Schön wäre, wenn wir in vier Jah-
ren wieder hier sitzen würden und sagen
könnten: Werder ist eine Mannschaft, die
für eine gewisse Art von Fußball steht. Der
erste Gedanke soll immer der offensive
sein – „Mut“ ist dabei der zentrale Begriff.

Ich sage meinen Spielern immer: Wenn ihr
die Wahl habt zwischen einem Querpass
und einem vertikalen Pass, dann entschei-
det euch für den vertikalen. Immer! Und
wenn wir diese fußballerische Linie auch
in schwächeren Phasen nicht verlieren,
dann wäre ich sehr zufrieden.
Baumann:Das ist übrigens auch ein
Punkt bei der Vertragsverlängerung: Flo
weiß, dass er sich darauf verlassen kann,
dass der Verein auch im Falle von schwä-
cheren Phasen zu ihm stehen würde.
Kohfeldt: Die fußballerische Linie
durchziehen, heißt übrigens nicht, dass
wir bedingungslos ins Verderben stürmen.
In erster Linie will ich drei Punkte, und das
ist keineswegs so banal, wie es klingt. Es ist
der zweite Aspekt, der mir in der Entwick-
lung bis 2023 wichtig ist: Ich will, dass man
hier wieder ans Gewinnen denkt, dass die-
ser Gedanke wieder selbstverständlich ist.

Das war er nicht?
Kohfeldt:Als ich als Co-Trainer hier im Pro-
fibereich anfing, habe ich mich nicht ge-
traut, das so zu sagen, aber ich habe
schnell gemerkt: Hier ist irgendwas nicht
so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich sa-
ge das jetzt auch bewusst mal öffentlich:
Damals war der ganze Verein zufrieden,
wenn wir einmal im Monat gewonnen ha-
ben. Und wenn wir dann gewonnen hatten,
haben wir gefühlt bis Donnerstag nicht
mehr richtig mit Vollgas trainiert, jetzt mal
überspitzt gesagt. Damit meine ich gar
nicht nur die Spieler, der ganze Verein war
so drauf. Und dann hat Frank einen ent-
scheidenden Satz gesagt ...
Baumann:... da bin ich aber gespannt ...
Kohfeldt:Frank hat gesagt, es kann
nicht sein, dass wir jedes Jahr den Nichtab-
stieg wie die Champions League feiern.

Frank hat diesen Glauben und diese grund-
sätzliche Gier hier wieder reingebracht.
Baumann:Ich habe in Bremen als Spie-
ler eben auch die Zeiten erlebt, in denen al-
le völlig selbstverständlich an den Sieg ge-
glaubt und so gehandelt haben. Das hat
mich geprägt. Das fordern wir jetzt auch
wieder ein, in allen Bereichen, vom Green-
keeping bis zur Ausbildung unserer Trai-
ner. Natürlich haben wir Anfang des Jahr-
tausends auch von ein paar glücklichen
Umständen profitiert: Einige erfolgreiche-
re Klubs hatten Probleme, es gab die Kirch-
Krise, und so konnten wir die Großen mit
unseren Mitteln ein bisschen ärgern.

Ärgern ist gut ... 2004 haben Sie hier mit
Werder das Double geholt und mit Tho-
mas Schaafs berühmter Mittelfeldraute
und Frank Baumann auf der zentralen
Sechserposition die Bayern düpiert.
Kohfeldt:Dieses 3:1 von Werder in Mün-
chen hab’ ich damals auf dem Domshof in
Bremen gesehen, mit ein paar Kumpels
und ein paar Bier. War ein guter Tag.
Sie waren 21. Haben Sie damals schon ana-
lysiert, was da passiert?
Kohfeldt:Nee, das war noch die komplette
Fanbrille.
Sie haben auf dem Domshof doch be-
stimmt gedacht: Diese Mannschaft will
ich mal trainieren!
Kohfeldt:Wäre eine schöne Geschichte,
aber leider nein. Als ich mit 28 meinen ers-
ten Trainervertrag als U16-Coach bei Wer-
der unterschrieb, habe ich zum ersten Mal
daran gedacht, dass das vielleicht mal ein
Beruf sein könnte, von dem man dauerhaft
leben kann. Meine Frau hat ein Bild von
mir gemacht, wie ich diesen Vertrag unter-
schreibe, das war bei mir zu Hause. Der Ver-
trag kam damals ja noch mit der Post.

Viele aktuelle Bundesligatrainer kommen
aus dem Jugendbereich. Lernt man da am
meisten für den späteren Job?
Kohfeldt:Ich habe am meisten in meiner
Zeit als Co-Trainer bei den Profis gelernt.
Da war ich für die Gegneranalyse zustän-
dig und habe jede Woche drei Bundesliga-
spiele gesehen und diese für die Spieler zu
sieben- bis zehnminütigen Clips zusam-
mengeschnitten. In dieser Zeit habe ich
mehr von der Struktur dieses Spiels ver-
standen als je zuvor.
Wenn der Mut so wichtig ist für die Wie-
dererkennbarkeit von Werder Bremen:
Dann geben Sie doch mal mutige Saison-
ziele aus!
Baumann:Es gibt sicher zehn, elf Klubs in
der Bundesliga, die mehr finanzielle Mög-
lichkeiten haben als wir, trotzdem haben
wir uns vor der letzten Saison ein sehr am-
bitioniertes Saisonziel ausgegeben: Ja, wir

wollen nach Europa! Wir wollen auch künf-
tig klare und mutige Ziele benennen.
Was den Druck gewaltig erhöht.
Baumann:Ja, aber damit leben wir gerne.
Als ich 2016 hier Geschäftsführer wurde,
gab es einen Prozess, in dem die strategi-
schen Ziele für die nächsten fünf Jahre defi-
niert werden sollten. Da hieß es unter ande-
rem: In dieser Zeit solle Werder „dauerhaf-
tes Mitglied der Bundesliga“ sein. Da habe
ich gesagt: Leute, das kann doch nicht das
Ziel für die nächsten fünf Jahre sein! Wir
wollen mehr! Und spätestens seit Flo hier
Trainer ist, fahren wir nach Dortmund
oder München nicht mehr mit dem Ziel,
dass auch ein 0:3 ganz okay wäre. Wir wol-
len auch dort unseren Fußball durchbrin-
gen und auf Sieg spielen.

Ist die Vertragsverlängerung mit Florian
Kohfeldt auch der Versuch, an die erfolg-
reichen Zeiten unter den Langzeittrai-
nern Rehhagel und Schaaf anzuknüpfen?
Baumann:Kontinuität ist ein großer Teil
der Geschichte von Werder Bremen, aber
sie bringt nichts, wenn man versucht, sie
künstlich herzustellen. Kontinuität mit
den falschen Leuten führt auch nicht zum
Erfolg. Aber bei Flo sind wir überzeugt ...
Kohfeldt:... wobei ich selbst 2023 erst
ungefähr ein Drittel der Amtszeit von Reh-
hagel oder Schaaf erreicht hätte...
Baumann:... aber es geht bei Kontinui-
tät ja nicht nur um den Trainer. Unseren
Aufsichtsrat führt Marco Bode, im Sport ha-
ben wir viele erfahrene Experten: Thomas
Schaaf ist als Technischer Direktor zurück
im Verein, Tim Borowski ist Co-Trainer, im
Nachwuchsbereich arbeiten Mirko Votava,
Thomas Wolter und Christian Brand.

Alles ehemalige Werder-Profis.
Baumann:Ja, die Personen zeigen, dass
wir wieder eine einheitliche Werder-Idee
in den Verein bringen wollen; die Idee ei-
nes offensiven Fußballs und auch Werte,
die wir vermitteln möchten. Es gibt in Euro-
pa nur drei, vier Klubs, die wirklich eine ei-
gene Idee vertreten: der FC Barcelona, Ajax
Amsterdam, RB Leipzig und noch ein, zwei
Spanier. Wir wollen den alten Werder-Spi-
rit wiederbeleben, und da bieten sich gute
Leute an, die das bei Werder schon mal er-
lebt haben. Aber wir wollen auch nicht in
den alten Zeiten verharren. Deshalb haben
wir mit Flo ja einen modernen Trainer.
Für Kontinuität steht ja schon dieser pro-
minente Stürmer, der vier Jahre älter ist
als der Trainer: Schwärmen Sie doch mal
von Claudio Pizarro, Herr Kohfeldt!
Kohfeldt:Das fällt mir wirklich nicht
schwer, ich weiß nur nicht so genau, wo ich
anfangen soll. Also erst mal sehe ich ihn je-
den Tag im Training: Der ist immer noch
richtig gut. Wenn der ins Spiel kommt, ha-
ben die anderen immer noch Angst, dass
gleich was passiert.
Baumann:Und unsere Fans werden
gleich nochmal lauter, wenn der Trainer
ihn zur Einwechslung heranwinkt. Inzwi-
schen applaudieren ja sogar die gegneri-
schen Fans, wenn Claudio reinkommt.
Kohfeldt: In irgendeinem Spiel hat
Frank auf der Bank mal zu mir gesagt:
Bring doch den Claudio jetzt! Wir brauchen
mehr Schwung in der Bude! Claudio hat
auch intern einen Riesen-Einfluss auf unse-
re Spieler. Der liebt dieses Spiel so sehr, das
färbt auf die anderen ab. Auch Davy Klaas-
sen und Nuri Sahin sind solche Typen. Für
einen Trainer gibt es nichts Besseres, als
ein paar solcher Jungs im Kader zu haben.
Baumann:Und Claudio ist auch sehr
wichtig für den Mut, den wir wieder im Ver-
ein haben wollen. Er steht einfach für Er-
folg.
Kohfeldt:Wenn wir zwei Mal hinterein-
ander gewinnen, flippt er nicht aus, son-
dern fragt ganz ruhig: Warum sollen wir ei-
gentlich nicht Meister werden? Er lebt den
Erfolg brutal vor.

Herr Kohfeldt, ist es eine Ehre für Sie oder
nervt es eher, wenn Sie nach Ihrer Ver-
tragsverlängerung jetzt in die Rehha-
gel/Schaaf-Reihe gestellt werden?
Kohfeldt:Es nervt nicht, aber wir haben
noch nichts gewonnen und uns noch für
keinen internationalen Wettbewerb quali-
fiziert. Ich sehe mich im Moment also null-
kommanull in dieser Ahnenreihe.
Können Sie im Jahr 2019 noch etwas von
Otto Rehhagel übernehmen, irgendwas
aus dem Geschichtsbuch?
Kohfeldt:An das Werder von Otto Rehha-
gel kann ich mich kaum mehr erinnern,
aber ich darf heute mit einigen seiner Spie-
ler zusammenarbeiten: Marco Bode, Mir-
ko Votava, Thomas Wolter, und wenn man
mit ihnen spricht, hört man immer dassel-
be: Otto Rehhagel hat es verstanden, eine
Gruppe zu schaffen, ein Klima herzustel-
len. Das ist auch mir wichtig. Denn das,
was wir hier machen, ist ja kein Job, wie ihn
andere Leute machen. Ein funktionieren-
des Team zu bauen, diese Fähigkeit wird
niemals altmodisch.

Können Sie dazu wie Rehhagel stadion-
laut auf dem kleinen Fingern pfeifen?
Kohfeldt:Nein. Da ist Otto sicher uner-
reicht.
Kennen Sie ihn persönlich?
Kohfeldt:Vor etwa anderthalb Jahren habe
ich ihn kennengelernt.
Und? Was hat er gesagt?
Kohfeldt:Er sagte: Junge, ich kenne dich
aus dem Fernsehen.
Ihnen ist bestimmt eine wahnsinnig
schlagfertige Antwort eingefallen.
Kohfeldt:Überhaupt nicht. Ich glaube, ich
habe gesagt: Hallo Herr Rehhagel, nett, Sie
kennenzulernen.

DEFGH Nr. 175, Mittwoch, 31. Juli 2019 23


„Claudio Pizarro
liebtdieses Spiel
so sehr, das färbt auf
die anderen ab.“

„Ja, wir wollen nach
Europa!Wir wollen auch
künftig klare und
mutige Ziele benennen.“

„Wir versuchen,
mit einerkleineren
Mannschaft
wie eine große zu spielen.“

„Für einen Trainer gibt’s nichts Besseres, als solche Jungs im Kader zu haben“ – Trainer Florian Kohfeldt mit Nuri Sahin. FOTO: NORDPHOTO/IMAGO

SPORT


Nur zehn in 38 Jahren
Die Cheftrainervon Werder Bremen seit 1981

„Hier geht noch viel mehr“


Werder Bremen setzt die Tradition langfristiger Trainerbeziehungen fort. Der Vertrag mit Florian Kohfeldt
wird schon jetzt bis Sommer 2023 verlängert. Ein Interview mit dem 36 Jahre alten Chefcoach und
Klub-Geschäftsführer Frank Baumann über Kontinuität und Ambition wie einst mit Rehhagel und Schaaf

Der einstige Nationalspieler und heutige SVW-Geschäftsführer Frank Baumann
(re.) vertraut seit Oktober 2017 auf Chefcoach Florian Kohfeldt. FOTO: NORDPHOTO/IMAGO

Otto Rehhagel 4/1981 – 6/1995
Aad deMos 7/1995 – 1/1996
Dixie Dörner 1/1996 – 8/1997
Wolfgang Sidka 8/1997 – 10/1998
Felix Magath 10/1998 – 5/1999
Thomas Schaaf 5/1999 – 5/2013
Robin Dutt 7/2013 – 10/2014
Viktor Skripnik 10/2014 – 9/2016
Alexander Nouri 9/2016 – 10/2017
Florian Kohfeldt seit 10/2017
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