Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1

Hans-Jürgen Jakobs München


D


er Regen ist bei Auto-
rennen der beste Re-
gisseur – so einen je-
denfalls hatte die For-
mel 1 lange nicht mehr.
Am vorigen Sonntag in Hockenheim
schlingerten die Rennfahrzeuge über
den Motodrom, das sieggewohnte
Mercedes-Team blieb erstmals ohne
Punkt. Und am Ende brauste der
deutsche Ferrari-Pilot Sebastian Vet-
tel vom zwanzigsten und letzten
Platz auf Position zwei vor. „Mehr
Wahnsinn? Geht nicht!“, jubelte das
Schweizer Boulevardblatt „Blick“.
Für den Eigner des Motorsport-Zir-
kus, den US-Konzern Liberty Media
des Milliardärs John Malone, war der
verregnete Grand Prix von Deutsch-
land ein unverhoffter Thriller. Lange-
weile hatte sich zuvor ausgebreitet:
Mercedes ist schließlich auf dem bes-
ten Weg, die Rennserie zum sechsten
Mal hintereinander zu gewinnen. Zu-
dem machen die Deutschen mit Fer-
rari und Red Bull stets die Sieger un-
ter sich aus, die anderen sieben
Teams sind chancenlos. „Die Formel
1 hat ein Problem, und jeder weiß
es“, titelte die „New York Times“.
30 Monate nach dem teuren Kauf
des Formel-1-Geschäfts wollen die Ei-
gentümer aus den USA nun für ganz
andere Verhältnisse sorgen, für
Sport, Spiel, Spannung. Ein neues
Regelwerk („Concorde Agreement“)
soll sportliche, technische und finan-
zielle Dinge so aussteuern, dass mehr
Chancengerechtigkeit entsteht. Ziel:
eine globale Medien- und Entertain-
ment-Marke mit Vergnügungsgaran-
tie. Der börsennotierten Formula
One Group, die 2019 erstmals zwei
Milliarden Dollar Umsatz schaffen
dürfte, soll es so leichter fallen, mit
hohen Gewinnen den enormen Ein-
stiegsaufwand wieder einzuspielen.

Allein 4,6 Milliarden Dollar hatte es
gekostet, den Finanzinvestor CVC
auszukaufen und vom Langzeit-Im-
presario Bernie Ecclestone, 88, die
Rechte zu ergattern. Der „Chairman
emeritus“ macht sich seitdem einen
Spaß daraus, in Interviews zu erklä-
ren, wo seine Nachfolger patzen.
„Es ist jetzt wichtig, für mehr Wett-
bewerb zu sorgen“, sagt Sean Brat-
ches. Zwar habe es stets dominante
Teams gegeben, aber es dürfe künftig
nicht mehr so leicht sein, Sieger vor-
herzusagen. Er sitzt im F1-Truck auf
dem Hockenheim-Motodrom, der
Blick fällt durch eine verdunkelte
Scheibe auf Parcours und Tribüne.
Zusammen mit Ross Brawn (Technik)
und Chase Carey (CEO) lenkt der
Marketingchef die Formel 1.
Das neue „Concorde Agreement“
mit den Teams und dem Verband
FIA gibt ihm Anfang 2021 die Chance,
alles neu auszurichten. Ziel: mehr
„fighting“, mehr Kampf, eine „Revo-
lution“. Ende Oktober entscheide
man über den Inhalt, verkündet Brat-
ches. Fest steht etwa der Einsatz neu-
er Reifen oder die Standardisierung

mancher Teile; die Autos sollen bes-
ser überholen können, und die Kos-
ten sollen nicht ausufern. Zudem ist
fix, dass das Budget jedes Teams 2021
bei 175 Millionen Euro begrenzt wird
(nicht dabei: Gehälter für Fahrer und
Spitzenleute sowie Marketingausga-
ben). Für die Jahre darauf wird über
eine weitere Absenkung debattiert.
Die Finanznorm ist erstmals Teil des
„Concorde Agreements“.
Zudem fließt den kleineren Teams
künftig ein relativ größerer Teil der
Marketingeinnahmen zu. Rennställe
wie Williams, die am Existenzmini-
mum fahren, sollen so erhalten wer-
den – und neue Teams dazustoßen.
„Als 2016 der Rennstall Manor liqui-
diert wurde, gab es – anders als in an-
deren Sportarten – keine Milliardäre,
die einsteigen wollten“, erinnert sich
Bratches. Das gab ihm zu denken.
Jetzt will er Fairness und eine „besse-
re Verteilung der Einnahmen“.
Hinter den Kulissen wird hart über
Details mit jedem Team gerungen. So
scheiterte die Formel 1 mit der Idee,
den Motor zu vereinfachen.

CEO Carey & Co. loben ihr Produkt
als Top-Weltmarke aus, neben Olym-
pia und Fußball-WM. Doch im Pulk
der Teams und Fahrer sind Nationen
wie China, Japan, Indien, USA oder
Russland nicht oder schwach vertre-
ten. Europäer geben den Ton an. Als
der Brasilianer Felipe Nasr 2016 auf-
hörte, stürzten die Einschaltquoten
in dem für die Formel 1 wichtigsten
TV-Land um 22 Prozent ab. In der
Formel 3 und Formel 2 sollen nun
Fahrer gezielt aufgebaut werden, die
für mehr Vielfalt sorgen, etwa der
Chinese Yao Ming oder die Kolumbia-
nerin Tatiana Calderon. Der amerika-
nische und der chinesische Markt
würden eine lange Zeit brauchen,
warnen die US-Vermögensverwalter
von Pivotal, „oder sich vielleicht nie
erfolgreich entwickeln“.
Dass die Autokonzerne global um-
denken und Verbrennermotoren
durch Elektroantriebe ersetzen, zeigt
bei der Formel 1 Wirkung. Man sei
immer Avantgarde bei Motoren ge-
wesen, sagt Manager Hatches, es ha-
be nur an der Marketingstimme ge-
fehlt, das zu erklären. So würden im
Rennwagen 30 Prozent der Energie
wieder genutzt, der 1,6-Liter-Hybrid-
Motor sorge für 1 000 PS.
Tatsächlich ist die Formel E mit
ihren Elektro-Boliden zum Rivalen
geworden. Künftig fährt sogar Merce-
des mit. Die vielen Stadtrennen lo-
cken. Hatches bleibt hier zurückhal-
tend – vielleicht weil die Schwesterfir-
ma Liberty Global an der defizitären
Formel E 30 Prozent hält.
Die Formel 1 wird 2019 erstmals
das meiste Geld mit der Rechtever-
wertung machen: rund 720 Millionen
Dollar. Da die Rechte mittlerweile oft
ins Pay-TV wandern, leiden wie in
England und Italien zwar die Zu-

Formel 1


Revolution an


der Rennstrecke


Investor Liberty Media setzt auf neue


Regeln für die Rennserie.


Formel-1-Rennen in
Hockenheim:
Eigentümer Liberty
Media will für neue
Verhältnisse sorgen.

Jan Huebner

Mediengeschäft


720


MILLIONEN


Dollar erbringt 2019 die Verwer-
tung von Rechten der Formel 1,
hauptsächlich im TV. Das ist nun
der stärkste Geschäftszweig.

Quelle: Deutsche Bank


Liberty hat eine


Bilanz gekauft. Nun


merken sie, wie schwer


es ist, etwas zu ändern.


Bernie Ecclestone
Ex-Formel-1-Chef

Unternehmen & Märkte


1


MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


26

Free download pdf