Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

20 WIRTSCHAFT 8. August 2019 DIE ZEIT No 33


Ist das Grundeinkommen gerecht?


Vergangene Woche schrieb unser Autor ROMAN PLETTER, warum er ein grundeinkommen für unfair hält. Jetzt antworten die ZEIt-Wirtschaftsräte


Dietmar Persian, 60, ist Bürger-
meister von Hückeswagen

Wiebke Wagner, 45, ist
Psychologin in Potsdam

Luis Hanemann, 35, arbeitet als
Venturecapitalist in Berlin

Dana schuster, 47, ist derzeit
arbeitssuchend in Bonn

Daniel gebhard,19, studiert
Maschinenwesen in München

Anuschka Eberhardt, 42, lebt
auf der schwäbischen Alb

Befürworter versprechen
sich vom Grundeinkommen
einen sozialen Ausgleich

DIE ZEIT: Warum wäre ein grundeinkommen richtig?
Dietmar Persian: Die Digitalisierung bedeutet, dass
wir mit menschlicher Arbeit allein nicht mehr genug
verdienen können.
Luis Hanemann: Heute werden viele überflüssige
Dinge getan, nur damit die Leute in Arbeit sind. Ich
denke zum Beispiel an den Braunkohle-Abbau. Die-
ser Zwang zu arbeiten führt zu Ressourcenverschwen-
dung und heizt den Klimawandel an. Wenn man
künftig nur das herstellen wollte, was nötig wäre, gäbe
es deutlich weniger Arbeit. Dann müsste die Vertei-
lung des Wohlstands neu geregelt werden.
Daniel Gebhard: Mit einem grundeinkommen lässt
sich Wohlstand fair verteilen, wenn durch künstliche
Intelligenz nicht mehr so viele Jobs da sind. Aber das
geht nur auf lange sicht. geschieht es dagegen über
Nacht, dann lassen viele die stifte fallen und machen
sich ein schönes Leben – bei dem aktuellen Fachkräf-
temangel wäre das für die Wirtschaft fatal.
ZEIT: Wie hoch sollte es sein?
Persian: Zwischen 1000 und 1500 Euro.
Hanemann: Es sollte dem Verdienst mit Mindestlohn
in Vollzeit entsprechen, also etwas mehr als 1000 Euro
netto.
Gebhard: ungefähr 1000 Euro, also etwa 200 Euro
mehr als das durchschnittliche Einkommen eines
single-Hartz-IV-Haushalts.
ZEIT: Wie sollte es finanziert werden?
Persian: Die Digitalkonzerne werden mit immer we-
niger Einsatz immer mehr verdienen. Das muss ent-
sprechend besteuert werden. Wir brauchen deshalb
ein anderes steuersystem, in dem der umsatz stärker
besteuert wird oder der Einsatz von Maschinen. Zu-
dem sichern wir einigen Menschen ja heute schon die
Existenz, doch davor gibt es bürokratische Prüfungen:
Bei Hartz IV, bei der grundrente, beim Kindergeld,
beim Bafög oder der grundsicherung – diesen großen
Aufwand könnte man sich sparen.
Hanemann: Alle möglichen sozialtransfers wären
nicht mehr nötig, da kommt eine riesige summe zu-
sammen. sollte sie nicht ausreichen, muss man end-
lich die steuern eintreiben, die durch schlupflöcher
oder Hinterziehung nicht bezahlt werden. Aber neben
dem grundeinkommen sollte es weiterhin staatliche
Leistungen geben für Menschen mit besonderen Be-
dürfnissen.
Gebhard: Für mich ist es schwer vorstellbar, dass ein


grundeinkommen aktuell finanzierbar ist. Aufgaben,
die keinen spaß machen, möchte dann keiner mehr
machen – damit fallen auch eine Menge steuerein-
nahmen weg. In Zukunft führt kein Weg an einer Fi-
nanzierung mittels einer Maschinensteuer vorbei.
ZEIT: Warum ist es gerecht?
Persian: Es ist ein Menschenrecht, ein Leben in Wür-
de zu führen, und dafür braucht man eben entspre-
chende Ressourcen. Ich glaube auch nicht, dass sich
viele Leute auf die faule Haut legen würden. sie bekä-
men vielmehr die Freiheit, sich mehr um andere zu
kümmern. Das sehe ich bei den Ehrenamtlichen bei
uns in der stadt. Damit wird man kein geld verdie-
nen, aber es ist für die gesellschaft wichtig.
Hanemann: Ein grundeinkommen könnte größere
Chancengleichheit herstellen und die Menschen un-
abhängiger von der Frage machen, ob sie nun viel erben
oder nicht. Ich denke auch an meinen eigenen Aufstieg.
Ich bin in einem »Problemviertel« groß geworden und
habe erlebt, wie superintelligente Menschen den Auf-
stieg nicht geschafft haben, weil sie nicht die finanziel-
len Mittel hatten. Ich spüre die unterschiede heute
noch. Viele Leute, mit denen ich zusammenarbeite,
merken nicht, wie privilegiert sie sind. Es gibt Men-
schen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben und
trotzdem nie auf einen grünen Zweig kommen. Ich
empfinde das jetzige system nicht als gerecht.
Gebhard: Alle, auch diejenigen mit Arbeit, sollten das
grundeinkommen erhalten. Die Zahlung sollte dann
aber an einige Bedingungen geknüpft werden wie so-
ziales Engagement oder die Pflege eines Menschen.
ZEIT: Was würden sie ändern, wenn sie ein grund-
einkommen in Höhe von etwa 1000 Euro bekommen
würden?
Persian: Ich wüsste nicht, wofür ich mehr geld aus-
geben sollte. Wahrscheinlich würde ich das geld eher
Menschen geben, die es brauchen, innerhalb der Fa-
milie, oder es spenden.
Hanemann: Bei mir würde sich nichts ändern, da ich
gut verdiene und gerne arbeite – und es finanziell
keinen großen unterschied macht.
Gebhard: Mir geht es als student ganz gut. Meine El-
tern unterstützen mich, ich habe ein stipendium und
einen Werkstudentenjob. Wenn ich ein grundein-
kommen bekäme, würde ich den wahrscheinlich
nicht mehr machen, mir mehr Freizeit gönnen und
mich bei studentischen Wettbewerben beteiligen.

DIE ZEIT: Warum lehnen sie ein grundeinkommen
ab?
Dana Schuster: Mir kommt die Forderung nach ei-
nem bedingungslosen grundeinkommen fast so naiv
vor wie die nach »bedingungsloser Liebe«. sich da-
nach zu sehnen bleibt doch ein kindlicher Wunsch:
einfach nichts tun zu müssen, um seine Bedürfnisse
erfüllt zu bekommen.
Wiebke Wagner: Es ist eine schöne utopie, Lohn und
Arbeit zu entkoppeln. Für mich und mein umfeld ist
Arbeit eine selbstbestätigung, ein Mittel zur In te gra-
tion und teilhabe. sie verspricht uns einen größeren
gewinn als bloß den monetären. Diese Ansicht mag
für Künstler, Handwerker und Akademiker gelten,
aber wohl nicht für die gesamte gesellschaft! Wir
profitieren davon, dass die Kitas früh öffnen und Bus-
fahrer auch an silvester arbeiten – Arbeiten, die Men-
schen vielleicht lieber nicht machen würden, wenn es
ein grundeinkommen gäbe.
Anuschka Eberhardt: Bedingungslos sollte niemand
vom staat geld bekommen, man sollte sich in irgend-
einer Weise engagieren – sei es familiär, ehrenamtlich
oder beruflich. Die Vorstellung, dass dann gesell-
schaftliches Engagement und Kreativität nur so
sprühten, halte ich für utopisch.
ZEIT: Welche andere Möglichkeit zur grundsiche-
rung wäre fair?
Schuster: Ich glaube nicht, dass eine pauschale grund-
sicherung in Höhe von Hartz IV ausreicht. Eine
grundsicherung sollte individuelle Bedürfnisse eines
Menschen absichern, zum Beispiel gesundheits ausga-
ben oder höhere Mieten in den Ballungszentren.
Wagner: Ich bin für eine grundsicherung für Kinder,
denn die Entwicklungschancen in diesem Land hän-
gen stark vom Einkommen der Eltern ab. In meinem
Beruf erlebe ich immer wieder, dass der gesetzgeber
Kindern einen unterschiedlichen Bedarf zugesteht. so
ist nach der trennung der Eltern der unterhalt ab-
hängig vom Einkommen des unterhaltspflichtigen:
Kinder reicher Eltern bekommen viel unterhalt, Kin-
der armer Eltern wenig – das schwankt zwischen 350
und 750 Euro. Das ist ungerecht! Der tatsächliche
Bedarf für ein Kind sollte einmal berechnet werden.
Meinem gefühl nach läge er so bei 800 Euro. Es soll-
te so viel sein, dass ein Aufwachsen in der Mittel-
schicht möglich ist.
Eberhardt: Bei den mir bekannten Hartz-IV-Emp-

fängern habe ich den Eindruck, dass es ausreicht, um
alles Lebensnotwendige übergangsweise zu finanzie-
ren – eine urlaubsreise muss hier meines Erachtens
nicht dazugehören, diese können sich auch viele hart
arbeitende Menschen nicht leisten.
ZEIT: Welche Bedingungen sollten mindestens
gelten?
Schuster: Es ist eine gute und erwachsene Haltung,
das Leben als ein geben und Nehmen zu betrachten –
das gilt auch für geldflüsse. Warum sollte nicht jeder
verpflichtet werden, ein Ehrenamt zu machen?
Wagner: Ich bin für ein ausgeprägtes öffentliches sti-
pendienwesen. Wer etwas sinnvolles für die gesell-
schaft tut, kann unterstützt werden – man muss aber
für sein geld arbeiten. In schweden kann man etwa
gefördert werden, wenn man zum Beispiel ein altes
Holzboot aufwendig restauriert. gut so.
Eberhardt: Man sollte einen grund haben, morgens
aufzustehen, sei es wegen der Kinder oder sonst einer
Aufgabe. Wenn die Eltern den Kindern längerfristig
einen Alltag mit Hartz IV vorleben, animiert dies im
schlechtesten Fall den Nachwuchs zur Nachahmung.
Fast jedem ist es möglich, sich einige stunden pro
Woche gesellschaftlich zu engagieren.
ZEIT: Was würden sie ändern, wenn sie ein grund-
einkommen in Höhe von etwa 1000 Euro bekommen
würden?
Schuster: solange jemand arbeitslos ist, wären 1000
Euro grundsicherung zu wenig! Wenn ich aber einen
Job hätte, dann würde ich das geld in meine Alters-
vorsorge investieren und auch für die Kinder geld
zurücklegen.
Wagner: Ich würde auf jeden Fall weiter arbeiten. Mit
dem zusätzlichen geld würde ich öfter mit allen Kin-
dern essen gehen. Das wäre echt eine Entlastung. Ein
Essen mit sechs Personen kostet schnell 100 Euro.
und man müsste die Kinder nicht immer ermahnen:
»Bitte nur ein getränk pro Person, und schaut mal in
diesem Bereich der Karte hier.«
Eberhardt: Ich würde mich weiter um meine Kinder
kümmern sowie ums Haus und unseren weitläufigen
garten, der viel Arbeit macht. Aber wir könnten den
Kindern den Wunsch nach einem strandurlaub er-
füllen, statt gebrauchter Fahrräder mal ein neues kau-
fen oder das Haus schneller abbezahlen. Es wäre
durchaus ein willkommenes Zubrot, es bleibt aller-
dings die Frage nach der Finanzierung.

Ja! Nein!


D e r Z E I T-


Wirtschaftsrat


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Foto: Deepol/plainpicture; kleine Fotos: Maxe Probst (u.)
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