Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1




Die mittelständischen Unterneh-
men in Baden-Württemberg
sollen die Zukunft innovativ,
digital und nachhaltig mitge-
stalten. In Zeiten des (Klima-)
Wandels keine leichte Aufgabe.
Wie können derartige Herausfor-
derungen am besten bewältigt
werden? Welche Finanzierungs-
maßnahmen helfen dabei? Und
warum ist der Faktor Flexibilität
so entscheidend?

Wie es der Zufall wollte, fand das Mit-
telstandsforum am bis dahin heißes-
ten Tag des Jahres statt. Den rund
700 Teilnehmerinnen und Teilneh-
mern wurde jedoch nicht nur vom
Wetter, sondern auch thematisch
eingeheizt. Denn der Klimawandel
stellt die innovationsorientierte Un-
ternehmerschaft neben der Digitali-
sierung aktuell vor große Herausfor-
derungen. Der Mittelstand solle nicht
nur innovativ, sondern auch nachhal-
tig handeln und arbeiten, dürfe dabei
aber den ökonomischen Aspekt
nicht aus dem Blick verlieren, warnte

Ministerpräsident Winfried Kretsch-
mann. Aber wie bekommen die
mittelständischen Unternehmen in
Baden-Württemberg  das alles am
besten unter einen Hut?
Bernd Röck von der Firma Ruchti
ließ sich im Jahr 2011  auf das Aben-
teuer Unternehmertum ein. Damals
übernahm er den Dreimannbetrieb
seines Vaters, der Wohnungseinrich-
tungen entwickelte, jedoch nicht
selbst herstellte. Die Frage, die er sich
stellen musste: Wie geht es mit der
Firma weiter? Röck nahm Eigenkapi-
tal in die Hand und führte die Projekt-
entwicklung fort. Alles aus einer Hand
anzubieten, war seine Vision. Der
ganze Prozess habe »irrsinnig viel«
Geld geschluckt und wäre ohne die
Unterstützung der Sparkasse Heidel-
berg nicht realisierbar gewesen. »Ich
bin dankbar, dass ich von Anfang an
begleitet und vor allem auch ernst
genommen wurde«, so Röck.
Mittlerweile ist die Ruchti GmbH
ein 80 Mitarbeiter starkes Unterneh-
men, »hochmodern und innovativ«,
freute sich Steffen Förster von der

Sparkasse Heidelberg und betonte:
»Wer an Grenzen stößt, soll sich
Unterstützung suchen.« Es gibt För-
dermittel, zinsgünstige Darlehen
etwa, mit denen neuartige Ideen un-
problematisch finanziert werden
können. »Kein Vorhaben scheitert an
Sicherheiten. Wenn das Konzept
passt, finden wir Lösungen.« Der re-
gelmäßige Austausch mit den Ban-
ken sei dabei entscheidend. »Damit
wir frühzeitig reagieren können. Das
ist der Schlüssel zum Erfolg.«
Ähnlich wie Röck war es Thomas
Schranzhofer von der Firma CT-
Systemtrennwände ergangen. Zu-
sammen mit seiner Frau entschied
er im Jahr 2015, den Vertrieb von
Systemstellwänden voranzutreiben.
Dem Paar war klar: »Wir müssen auf
das digitale Pferd setzen, um schnel-
ler zu sein als die anderen.« Man
habe sich an der Industrie 4.0 orien-
tiert – sie sei das Maß aller Dinge,
auch für den kleinen Unternehmer.
Doch wie wird die Digitalisierung
als ständiger Prozess, in den immer
wieder neu investiert werden muss,

am besten unterstützt? Die BW-
Bank hat dafür eine neue Herange-
hensweise entwickelt. Der Kunde
soll stärker in den Fokus rücken,
seine Bedürfnisse differenzierter
beleuchtet und für den ermittelten
Schmerzpunkt eine Lösung gefun-
den werden. Dabei hilft unter ande-
rem der Digitalisierungscheck, der
hinterfragt: Wie steht das Unterneh-
men digital da? Schranzhofer ist
diesbezüglich gut aufgestellt. Auch
wenn der Weg steinig gewesen sei,
müsse man einfach mit der Zeit ge-
hen und sich darauf einlassen. »Wir
werden immer flexibler und können
heute von überall auf der Welt arbei-
ten. Dafür brauchen wir nur Internet


  • und am besten schnelles.« 
    Die Logik der Digitalisierung, die
    für Offenheit, Transparenz und Flexi-
    bilität sorgt, verknüpft Rudolf Pütz
    von Vitra mit der Organisation von
    Büroräumen. Er stellte die Frage nach
    der Agilität und forderte: »Die Raum-
    gestaltung muss flexibel bleiben. Der
    Mitarbeiter soll sich wohlfühlen.« Und
    dafür muss der Unternehmer sor-
    gen:  Die Bedürfnisse der Mitarbeiter
    sollen für  eine angenehme Atmo-
    sphäre berücksichtigt werden. Und


am besten setze man dabei immer
mehr auf Nachhaltigkeit.
Aber nicht nur der Klimawandel,
auch der Mut zum Wandel war
Thema beim 16. Mittelstandsforum.
Ioniq, das Corporate Start-up der
J. Wagner GmbH, beschäftigt sich
seit einigen Jahren mit Sonnen-
schutz. Und das obwohl die Kern-
kompetenz des schwäbischen
Mittelstandsunternehmens bei der
Beschichtung von Alufelgen, Ikea-
Regalen und Co. liegt. »Wer an
alten Strukturen festhält und sich
wenig risikobereit und offen
zeigt, behindert eine unternehme-
rische Fortentwicklung«, betonte
Dr. Valentin Langen, Managing
Director von Ioniq. Er ermutigte
die  Unternehmerschaft, sich auch
mal etwas zu trauen – gerade in
Zeiten des Wandels.

Flexibilität statt Endzeitstimmung


Veranstalter: Mitveranstalter: In Zusammenarbeit mit dem Zeitverlag:

Fotos: © Steffen Burger

In einem der zahlreichen Foren konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu
unterschiedlichsten Themen informieren, unter anderem über Work Hacks. Die Firma
sipgate etwa gab dazu spannende Einblicke in ihre 100 Prozent effiziente und agile
Arbeitsweise.


  1. Mittelstandsforum
    Baden-Württemberg 2019^
    Mittelständische Unternehmen
    mit Banken und Sparkassen
    zusammenzubringen, war Ziel
    des diesjährigen Mittelstands-
    forums. In der Messe Stuttgart
    informierten sich die Unterneh-
    mer über Finanzierungsmög-
    lichkeiten für innovative Projekte
    oder die Wichtigkeit des Büros
    als Keimzelle guter Ideen.
    Convent und DIE ZEIT organi-
    sierten die Konferenz, Mitver-
    anstalter waren das Staats-
    ministerium, die Sparkassen,
    Volksbanken und Raiffeisen-
    banken, die privaten Geschäfts-
    banken und Förderinstitute des
    Landes. Weitere Infos:
    http://www.convent.de/bw

  2. Juli 2019 | Stuttgart

  3. MITTELSTANDSFORUM BADEN-WÜRTTEMBERG


Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg

Die Schlagworte Abschwung und Rezession ließen im Eröffnungsplenum wenig Raum für
positive Prognosen. Doch Prof. Dr. Lars P. Feld machte Mut und forderte Flexibilität statt
Endzeitstimmung. Die Digitalisierung habe insgesamt betrachtet zu mehr Beschäftigung
geführt. »Ich sehe keinen Grund, warum sich das in Zukunft ändern sollte.«

Winfried
Kretschmann,
Minister-
präsident
von Baden-
Württemberg

Der Klimawandel ist das Thema un-
serer Zeit. Wie geht der Mittelstand am
besten damit um? Beim Klimawandel
sind gravierende Entwicklungen festzu-
stellen. Diese jedoch rein ökologisch zu
bekämpfen, ohne dabei ein Augenmerk
auf die ökonomische Komponente zu
legen, halte ich für falsch. So werden wir
die Welt nicht retten. Dafür aber mit
unserer innovationsorientierten Unter-
nehmerschaft, die starke Instrumente
mit marktwirtschaftlicher Imprägnie-
rung kreiert, damit wir beim Klimaschutz
etwas erreichen und gleichzeitig auch
die Wirtschaft voranbringen.

Vor welchen Herausforderungen stehen
mittelständische Unternehmen außer-
dem? Wir befinden uns in Zeiten des
Wandels – und darauf müssen wir schnel-
ler reagieren. Als erste Landesregierung
mit einer Digitalisierungsstrategie wissen
wir, dass Innovationen mit Herausforde-
rungen einhergehen. Unser großes Pro-
blem ist das Tempo, und das wirft die
Frage auf: Wie kann die Politik schneller
werden? Denn die aktuell zähen Prozesse
gefährden den internationalen Spitzen-
platz des Industriestandorts Baden-
Württemberg. Die Verwaltung muss
moderner und agiler werden, um mit
dem Tempo der Veränderung Schritt zu
halten. Unsere Steckenpferde Künstliche
Intelligenz und Transformationsprozesse
der Automobilbranche verlangen nach
zügigeren Entscheidungen; Bund und
Länder müssen sich committen, ohne
dabei den Blick in die Welt zu verlieren.

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22 WIRTSCHAFT 8. August 2019 DIE ZEIT No 33


W


enn Donald trump
ein Dokument nicht
mehr braucht, reißt
er es in stücke und
wirft es in den Pa­
pierkorb. Eine »An­
gewohn heit«, wie die
us­amerikanische Zeitung Politico berichtet –
und ein ständiger Rechtsbruch. Denn für
trump gilt der Presidential Records Act aus dem
Jahr 1978. Alle Memos, Briefe, E­Mails und Pa­
piere, mit denen Präsident und Vizepräsident in
Berührung kommen, müssen demnach auf­
bewahrt werden. Im Weißen Haus soll heute
eine ganze Abteilung damit beschäftigt sein, die
zerrissenen Papiere wieder zusammenzusetzen.
Damit sich trump nicht strafbar macht.
Wie Regierungen, Behörden oder einzelne
Politiker mit Dokumenten umgehen, sorgt
immer wieder für schlagzeilen. In Österreich
ließ dieser tage ein Mitarbeiter des ehemaligen
Bundeskanzlers sebastian Kurz fünf Festplat­
ten schreddern, die geheime Details über die
Ibiza­Affäre enthalten haben sollen. Dieser
Vorgang wiederum gilt heute als eigenständiger
skandal und wird unter dem schlagwort Reiss­
wolf­Affäre diskutiert – benannt nach dem
unternehmen, das mit dem schreddern beauf­
tragt wurde. Denn, was viele nicht wissen: Das
Vernichten von Daten ist inzwischen ein ge­
schäft. Eine ganze Branche verdient ihr geld
mittlerweile damit, analoge und digitale spu­
ren zu verwischen.
Barbara gehrke­Haan ist geschäftsführerin
der Mammut Datenvernichtung in Hamburg,
neben Reisswolf und Documentus eines der
größeren unternehmen am Markt. Fragt man
sie nach ihrem geschäftsmodell, betont sie,
dass nichts Anrüchiges hinter ihrer Arbeit ste­
cke. »seine Festplatten zu schreddern ist ein
selbstverständlicher Vorgang, den alle unter­
nehmen vornehmen sollten«, sagt sie. tatsäch­
lich ist es so, dass die meisten Kunden ihre
Daten professionell vernichten lassen, um sie
zu schützen. Das können Behörden, unter­
nehmen und Krankenhäuser sein, die ihre Ar­
chive ausmisten, aber auch Kleingewerbetrei­
bende und Privatkunden. Der grund ist meist
derselbe: sie alle möchten sichergehen, dass
personenbezogene Daten nicht in falsche Hän­
de geraten. Deswegen landen die unterlagen
nicht einfach in Papiercontainern, werden die
Festplatten ausrangierter Laptops nicht einfach
nur gelöscht, sondern enden bei Vernichtungs­
spezialisten.
träger digitaler Daten sind dabei aber im­
mer noch eine Ausnahme. Weitaus relevanter


Mit dem schreddern von Akten verdient eine ganze Branche


geld – aber ein skandal schadet ihrem Image VON MARC LATSCH


sind klassische Akten, die Vernichtung von be­
drucktem Papier macht bei Mammut, ähnlich
wie bei anderen Anbietern, meist 80 bis 90 Pro­
zent des geschäfts aus. »Wir leben ja auch vom
Wiederverkauf«, sagt gehrke­Haan. Chinesische
Recyclingfabriken waren lange Zeit die größten
Abnehmer der schredderware, aber auch in­
dische Firmen zählen mittlerweile zu ihren
Kunden. Die Menge ist gewaltig: Von den 16
Millionen tonnen Altpapier, die jedes Jahr in
Deutschland anfallen, stammen 500.000 ton­
nen aus der Papier­ und Aktenvernichtung.
Doch die Digitalisierung verändert das ge­
schäft. Immer weniger Akten werden analog ge­
führt, vieles läuft heute digital. gehrke­Haan ist
trotzdem optimistisch. »Die Branche wurde
schon vor acht Jahren totgeredet«, sagt sie. Der
Wandel vollziehe sich nur langsam. Die Daten­
schutz­grundverordnung habe sogar für einen
kleinen Boom gesorgt. Mehr
unternehmen würden sich über
eine sichere Papierentsorgung
gedanken machen.
und doch wappnen sich
die unternehmen für eine Zu­
kunft, in der statt Akten
zunehmend Festplatten ver­
nichtet werden sollen. Das Pro­
blem ist nur: Das ist deutlich
schwie riger, als Papierblätter zu
schreddern.
Johannes Obermaier ist Ex­
perte für Produktschutz und die
sicherheit industrieller Anla­
gen. Er arbeitet am Fraunhofer­
Institut für Angewandte und
Integrierte sicherheit in gar­
ching bei München und kennt
sich aus mit den unterschied­
lichen Löschalternativen. »Eine
einfache Formatierung der Fest­
platte reicht nicht aus«, sagt er,
»spezialisten bräuchten nur ein paar Minuten,
um an die Daten zu kommen.« Auch das Über­
schreiben der Festplatte bringe wenig. »schon bei
teilweise defekten Festplatten lässt sich nicht
mehr garantieren, dass ein Lösch­ oder Über­
schreibvorgang wirklich korrekt stattgefunden
hat«, sagt er. Empfehlenswert sei eine Verschlüs­
selung, um die Daten zusätzlich zu schützen.
Doch 100­prozentige sicherheit bietet den
Experten zufolge keine software­Lösung. Wie
bei Akten sei auch bei Festplatten daher das
schreddern eine oft gewählte Methode. Es gibt
sogar geräte, die Festplatten zu einer Art granu­
lat verarbeiten. Wer ganz sichergehen will, kann
die Festplatte hoch erhitzen.

Vernichtung ist aber nie gleich Vernichtung.
Zwischen drei sicherheitsklassen können Kun­
den wählen, deren unterlagen von vergleichs­
weise harmlosen telefon­ oder Lieferantenlisten
bis hin zu geheiminformationen des Bundes
reichen. Für jede sicherheitsklasse wiederum
gibt es empfohlene sicherheitsstufen. Je siche­
rer die Daten vernichtet werden sollen, desto
teurer wird es.
geld verdienen unternehmen wie Mammut
aber vor allem über die Masse der Daten, die sie
vernichten. Das einfache schreddern kostet nur
ein paar Euro – erst bei großen Aktenmengen
rechnet sich das. um mehr geld zu verdienen,
haben manche Firmen spezielle Angebote
entwickelt wie etwa eine gPs­gestützte Fahrzeug­
verfolgung beim Abtransport der Reste. »un­
sere Branche hat sich in den letzten zehn Jahren
sehr professionalisiert«, sagt thomas Braun,
geschäftsführer des Fach ­
verbands Akten­ und Daten­
träger vernichtung in Bonn.
Neben technischem Know­
how kommt es vielen Kunden
vor allem auf das Vertrauen an,
das sie in die unternehmen set­
zen können. Das erklärt auch,
warum so mancher in der Bran­
che kritisch auf die Reisswolf­
Affäre in Österreich blickt.
Während die Öffentlichkeit
über die geschredderten Fest­
platten diskutiert, kritisieren
manche Datenvernichter das
unternehmen, das den Job er­
ledigt hat. Ein Manager hatte
sich öffentlich darüber ge­
äußert. »Die haben sich wichtig
gemacht, das sollte nicht so
sein«, wirft Barbara gehrke­
Haan ihren Kollegen von Reiss­
wolf vor. Auch Braun fürchtet,
dass die mediale Aufmerksamkeit ihrem geschäft
schaden könnte. »Auf unsere Dis kre tion können
wir stolz sein«, sagt er. Die Anfrage der ZEIT für
ein gespräch zur Affäre lehnte das unternehmen
Reisswolf ab.
Was für die österreichische Öffentlichkeit
eine schlechte Nachricht ist, könnten Bran­
cheninsider aber auch als gute Arbeit interpre­
tieren. Eine professionell geschredderte Fest­
platte lässt sich nicht mehr rekonstruieren. »Die
teilchen sind am Ende so klein, da lässt sich
nichts mehr retten«, sagt Mammut­Chefin
gehrke­ Haan. Nicht einmal die geschulten
Mitarbeiter des Weißen Hauses könnten dann
noch etwas zusammensetzen.

Sebastian


Kurz


Der ehemalige österrei­
chische Bundeskanzler
ließ unmittelbar nach
der Ibiza­Affäre mehrere
Festplatten vernichten

Foto: Photo Simonis/Parlamentsdirektion; ZEIT-Grafik
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