Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

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38 FEUILLETON 8. August 2019 DIE ZEIT No 33


Augenschmaus


Vor dem Essen kurz ein Foto: Eine anregende Ausstellung in Berlin erzählt


von der geschichte, wie aus Lebensmitteln Kunst wird VON TOBIAS TIMM


W


arum sieht ein gut gegrilltes,
noch nicht angeschnittenes steak
so braungrau hässlich, ja absto-
ßend aus, sobald man es foto-
grafiert? Eine Frage, die früher
nur die Profis der sogenannten Food-Photography
interessierte, die Kochbücher, Essensmagazine und
Werbung illustrieren. Heute beschäftigt das
Problem alle, die zu Hause am Esstisch oder im
Restaurant zunächst das smart phone zücken, um
das extrem vergängliche, in wenigen Minuten
nicht mehr vorhandene gericht festzuhalten, für
die eigene Fotothek oder gleich für all ihre Follower
in den sozialen Medien. Allein bei Insta gram findet
man heute 204 Millionen Bilder mit dem Hash tag
#food porn. Es sind dazu keine belastbaren statisti-
ken bekannt, aber das Fotografieren des Essens
scheint hierzulande zumindest quantitativ das
tischgebet abzulösen.
solche Fotos preisen das Handwerk der
Kochenden und deren ästhetisches gespür. Zu-
gleich dokumentiert man damit den eigenen ge-
schmack bei der Wahl des Restaurants und natür-
lich des gerichts. Das kennerhafte Reden über das
Essen hat vielerorts das gespräch über Musik,
Kunst, Literatur, Kino ergänzt, wenn nicht ver-
drängt. In Passau etwa, wo man neuerdings syri-
sches Lamm-Walnuss-Kebab oder shio Ramen mit
zwölf stunden lang gekochter Hühnerbrühe essen
kann. Oder in Berlin, das noch vor zwanzig Jahren
als kulinarische total-Brache galt, wo sich in den
vergangenen Jahren die Restaurants in erstaunli-
cher Weise vermehrt und spezialisiert haben, nun
neben fermentiertem Kohl aus der uckermark
auch zypriotisch zubereitete Milch-Hühner und

Ceviche von der Eismeerlachsforelle mit Kokos
und Koriander anbieten. In der neuen Hauptstadt
des verfeinerten Fressens widmet die Fotokunst-
halle C/O Berlin derzeit eine ganze Ausstellung
den Bildern vom Essen, und sie ist sehr viel interes-
santer, als der titel Food for the Eyes vermuten lässt.
Die Kuratorinnen susan Bright und Denise
Wolff blicken in ihrer Ausstellung vor allem auf die
lange tradition des Abbildens von Essen. Nicht
wenige Fotografen zitieren mit ihren Arrangements
von Früchten und Mahlzeiten die seit dem späten


  1. Jahrhundert gemalten stillleben: sharon Core
    rekonstruierte 2008 penibel die gemälde des
    amerikanischen Malers Raphaelle Peale und wähl-
    te alte Apfel- und Birnensorten, die dieser auch
    schon vor 200 Jahren gegessen hatte. Auf Cores
    Fotos fault das Obst – Vanitas-Motiv! – also noch
    ganz wie damals.
    Auch Holger Niehaus drapiert grapefruits,
    Bananen und Orangen wie die alten Meister, doch
    leistet er sich einen kleinen Verfremdungseffekt. Er
    hat das Obst geschält, die Orangen leuchten also
    nicht orange, die Bananen nicht gelb, sondern
    zeigen sich nackt und blass.
    Immer wieder stößt man in der Fotogeschichte
    des Essens auf kunsthistorische Verweise und
    Epochenmerkmale. so erinnert man sich beim An-
    blick der von Charles Jones um 1900 fotografier-
    ten Lauchstangen an Édouard Manets zwei Jahr-
    zehnte zuvor gemaltes spargelbündel, hingegen
    denkt man bei Paul strands schwarz-weißem still-
    leben einer Birne zwischen weißen schüsseln von
    1916 an den gemalten Kubismus aus dem dama-
    ligen Frankreich. Im wahrsten sinne konstrukti-
    vistisch mutet Irving Penns spätere Komposition


von rechteckigen Klötzen aus tiefgefrorenen Him-
beeren, Blaubeeren, Aprikosen und Erbsen an.
Nicht selten haben Fotografen gemüse und
Obst wie Akte inszeniert, als großmeister dieser
erotischen Essensaufnahmen gilt Edward Weston.
Er fotografierte in der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts Paprikas wie nackte Körper, man glaubt
Pobacken und verschränkte schenkel zu entde-
cken. Für manchen prüden sammler mögen diese
eleganten Abzüge in tausend schattierungen des
graus als surrogat für Westons echte Akte gedient
haben. sehr viel direkter hingegen sind die
Aufnahmen des für seine Bondage-Bilder bekann-
ten Japaners Nobuyoshi Araki, der ein rot-grünes
stangengemüse oder ein ungekochtes Eigelb so
feucht glänzend präsentiert, dass man hier wirklich
von Food-Porn sprechen kann.
Ethnologisch relevant werden die Aufnahmen,
wenn sie auch die Essenden abbilden. Die erwar-
tungsvollen gesichter der Menschen in einem
Fast-Food-Lokal am strand, die Martin Parr ab-
gelichtet hat, oder die italienische Familie Manzo
mit ihren vor der Kamera von Peter Menzel dra-
pierten Essensvorräten für eine ganze Woche.
Die Lösung für das Fotografieren von gegrill-
tem Rindfleisch hat übrigens der Metzger und
gastronom Nusret gökçe gefunden, der in der
Ausstellung fehlt, aber durch ein kurzes, von ihm
und dem Fußballer Franck Ribéry auf Instagram
geteiltes Video weltweit bekannt wurde. gökçe
badete das steak vor dem servieren einfach in
purem gold. Die so fotogenisierte speise soll
1200 Euro gekostet haben.

Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 7. september

Wie süß: Rosige Küchlein,
fotografiert von Martin Parr

Fotos: Martin Parr/Magnum Photos; Lisa Ducret/dpa Picture Alliance (l.)

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DIE ZEIT: Herr Parzinger, in der Kolonialis-
mus-Debatte war der französische Präsident
Emmanuel Macron weit vorausgeprescht, doch
ist bis heute kein einziges Raubkunstobjekt an
Afrika zurückgegeben worden. Für Felwine
sarr, einen der wichtigsten Kenner der Dis kus-
sion, gelten daher jetzt die Deutschen als be-
sonders fortschrittlich, wie er vor zwei Wochen
in der ZEIT sagte. Was hat sich da verkehrt?
Hermann Parzinger: Man sagt immer, in Frank-
reich geht alles viel schneller, doch manchmal
sind wir mit unseren komplizierten innerdeut-
schen Verhältnissen durchaus flotter. Wir haben
als stiftung durch Beschluss des stiftungsrates
schon eine Rückgabe hinbekommen, im Früh-
jahr 2018. Vielleicht muss ja jetzt Deutschland
Druck ausüben.
ZEIT: Bislang hatte man Ihnen oft vorgeworfen,
die Herkunft der umstrittenen Museumsobjek-
te jahrelang zu erforschen, um eine
Rückgabe zu verschleppen.
Parzinger: Wir müssen von dieser
schwarz-Weiß-Malerei weg. Klar
brauchen wir Provenienzforschung,
aber natürlich nicht bis zum
sankt-Nimmerleins-tag. Provenienz-
forschung heißt auch: Ich muss
schon anerkennen, wenn Dinge un-
rechtmäßig in die sammlung ge-
langt sind oder für bestimmte Com-
munitys besonders wichtig sind,
dass ich da zu Formen der Dauerleihgabe, der
Rückgabe oder des Austauschs komme.
ZEIT: Was halten sie von Zirkulation? Die Ob-
jekte blieben in deutschem Besitz, würden aber
durch afrikanische Museen wandern.
Parzinger: Bei Dingen, die unrechtmäßig erwor-
ben worden sind, unter Druck oder im Zuge
von Kampfhandlungen oder gewaltanwendun-
gen, da muss man schon über Rückgaben spre-
chen, da kann man nicht sagen: Das muss man
halt mal zirkulieren lassen.
ZEIT: Man hört immer wieder das Argument,
die Afrikaner könnten ihre Objekte nicht sach-
gemäß aufbewahren, deshalb seien sie in Europa
schlicht besser aufgehoben.
Parzinger: Das halte ich für ein sehr schwaches
Argument. Das geht nicht. Natürlich ist die
Lage dort in den Museen oft relativ prekär, ich
habe das selbst gesehen. Das Auswärtige Amt
hat deshalb jetzt eine Agentur eingerichtet, um
unterstützung leisten zu können.
ZEIT: Was kann die bewirken?
Parzinger: Ich habe das gerade ganz konkret in
Luanda erlebt, in Angola, im Nationalmuseum.
Da hat man uns einen großen Raum gezeigt in
einem Museum mit einer ansprechenden
Präsentation in Vitrinen. und dann führte man
uns in einen anderen Raum und sagte:
Eigentlich hätten wir hier gern ein Res-
taurierungs labor, aber es gibt keine geräte. und
das ist etwas, da kann man wirklich mit über-
schaubaren Mitteln viel erreichen. Man erwartet
von Deutschland nicht, dass man für viele Mil-
lionen ein Museum baut.
ZEIT: Was passiert mit den Benin-Bronzen, die
in vielen westlichen Museen lagern und die
schon sehr lange zurückgefordert werden?
Parzinger: Es gibt die Idee, dass in Benin City
ein Museum entstehen soll, das mit Objekten
aus europäischen sammlungen bespielt wird.


Ich denke, es wird auch zu Rückgaben kom-
men. Wir müssen einen Weg finden, damit
beide seiten profitieren.
ZEIT: Manche Kritiker befürchten, am Ende
könnten sich die europäischen Museen leeren.
Parzinger: Die Vorstellung, dass die europäi-
schen Museen bald leer sein würden, war von
Anfang an unsinnig. Ebenso unsinnig ist die
Vorstellung, nahezu alles, was im Zuge der Ko-
lonialzeit gesammelt worden ist, gehe auf Deals
zwischen ungleichen zurück. Das würde ich
schon differenzierter sehen wollen. Aber wenn
man sagt: Es geht jetzt erst mal darum, be-
stimmte symbolische Objekte zurückzugeben,
dann läge man gar nicht so weit auseinander.
Vor allem geht es um Zusammenarbeit. Man
kann nicht einfach Dinge einpacken und zur
Post bringen.
ZEIT: Als sie Archäologie studierten – war
Ihnen da klar, dass das auch ein sehr
moralisch und politisch relevantes
Fach sein kann?
Parzinger: Es war mir schon klar,
dass eine moralische Komponente
mit hinzukommen kann. Anderer-
seits muss man sich an juristischen
Leitlinien orientieren. Man kann
nicht sagen, dass das, was vor 100
Jahren zum Beispiel über Fundtei-
lungen legal zu uns kam, heute un-
rechtmäßig hier ist. Das ist schwie-
rig. und letztlich hat das ja oft zum Erhalt dieser
Dinge beigetragen, auch wenn das vielleicht
ungleiche Machtverhältnisse waren.
ZEIT: sind die Machtverhältnisse nicht immer
noch sehr ungleich? und dominieren nicht die
Europäer schon deshalb, weil sie mit ihrer sam-
melwut über so riesige Museen verfügen?
Parzinger: Ich habe einmal die südseeinsel
Vanuatu besucht und wurde von dem dortigen
Museumsdirektor ins Depot geführt. Er sagte:
»Keines dieser Objekte ist älter als 30 oder 40
Jahre. Wie gut, dass ihr in Europa das gesam-
melt habt und die Dinge viel weiter zurück-
verfolgen könnt. Wir haben das alles nicht
gesammelt.« Das waren Ritualobjekte, ge-
brauchs gegenstände, wenn die schadhaft waren,
hat man sie durch ein Ritual entweiht und neue
produziert. Dank der sammelwut der Europäer
können wir in Europa die Entwicklung bis ins


  1. Jahrhundert zurückverfolgen. Was die Kol-
    legen in der südseeregion fordern, ist freier Zu-
    gang, auch digitaler Zugang, zu den Objekten.
    Dass sie nach Deutschland kommen können,
    um mit diesen Dingen zu arbeiten.
    ZEIT: Wie sehr haben sie sich über Bénédicte
    savoy geärgert, die Kunsthistorikerin, von der
    Ihre Arbeit oft scharf kritisiert wurde?
    Parzinger: geärgert haben mich natürlich ihre
    Vergleiche des Humboldt Forums mit tscher-
    nobyl. Das fand ich einfach unangemessen in
    der Wortwahl und in allem. Wenn man aus
    einem Expertengremium austritt, in das man
    eigentlich nie wirklich richtig eingetreten ist,
    wenn man an unseren sitzungen zu Afrika nicht
    teilnimmt und dann nur sagt: Ihr befasst euch
    mit diesen themen nicht, dann bin ich schon
    enttäuscht. Aber das ist jetzt vergessen. Das
    thema wird sich weiterdrehen.


Die Fragen stellte Werner Bloch

»Das fand ich


unangemessen«


Hermann Parzinger, Chef der stiftung Preußischer Kulturbesitz,


über seinen umgang mit kolonialer Raubkunst und die Kritik daran


Der Berliner
Prähistoriker
Hermann Parzinger
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