Die Welt Kompakt - 22.07.2019

(avery) #1
Hinter der dreimaligen Ablehnung
des Parlaments von Theresa Mays
AAAustrittsvertrag mit der EU steht einustrittsvertrag mit der EU steht ein
ungelüftetes Geheimnis, um das die
öffentliche Meinung einen scheuen
Bogen macht. Die Position Remain
wagt sich nicht richtig hervor, weil
ihr jahrelang eingetrichtert worden
ist, es sei Verrat an der Volksmei-
nung, gegen das Referendumsresultat
zu opponieren. Eine schlechterdings
unpatriotische Haltung, so sagen das
Brexit-Establishment und auch die
Downing Street, unpatriotisch und
undemokratisch; das soll einschüch-
tern. Ähnlich verfährt in den USA
Donald Trump, der Leute, die anderer
Meinung sind als er, als „unamerika-
nisch“ bezeichnet und sie am liebsten
exilieren würde wie jüngst die vier
US-Kongressabgeordnetinnen. Man
fffühlt sich unangenehm an das be-ühlt sich unangenehm an das be-
rüchtigte US-Kongresskomitee zur
Untersuchung von „Unamerican Acti-
vities“ erinnert (HUAC), an Senator
Joseph McCarthy und seine Kom-
munistenjagd. So macht Trump heute
Jagd auf alle Trump-Gegner, denen er
unterstellt, nicht den Willen des Vol-
kes zu repräsentieren, sprich: seinen
Willen.

Hunderterlei Gründe haben zur Ab-
lehnung des Deals von Theresa May
geführt – einer blieb bisher ungenannt:
Das Parlament, die Volksvertretung,
fffühlt sich unwohl, einen Willen erfüllenühlt sich unwohl, einen Willen erfüllen
zu müssen, der nur einem Teil des Vol-
kes entspricht. Die Abwehr steigert sich
noch, je näher die Möglichkeit eines
EU-Austritts ohne Vertrag, je näher ein
No Deal heranrückt. Die Spaltung der
Gesellschaft im Gefolge des Referen-
dums gebiert mögliche eruptive Re-
aaaktionen: Bei einem No Deal wärenktionen: Bei einem No Deal wären
sogar Tory-Abgeordnete bereit, ihre
Regierung zu stürzen und für einen
Misstrauensantrag der Opposition zu
stimmen, auch wenn dies Neuwahlen
zur Folge hätte. Ein Premierminister
Boris Johnson würde unter einem Da-
moklesschwert antreten, wollte er ver-
suchen, mit Brachialgewalt den Brexit
durchzusetzen. Dies ist der letzte Fluch
von David Camerons Entscheidung, ein
Plebiszit über Europa abzuhalten wie
ein Abzählspiel. Sie liebt mich, liebt
mich nicht, sie liebt mich ... Und das
vor dem Hintergrund einer historisch
gewachsenen Ignoranz der Inselbewoh-
ner gegenüber ihrem „Vorhof“, dem
europäischen Festland.
Die britische Gesellschaft nach Jah-
ren einer bürgerkriegsähnlichen De-
batte zu versöhnen kann nur über den
Weg eines zweiten Referendums gelin-
gen, getragen von größerer Kenntnis
der Implikationen, auch der verfas-
sungsrechtlichen, als sie 2016 vorlag.
Und es müsste eine Sperrklausel ent-
halten, die wenigstens eine Zwei-Drit-
tel-Mehrheit für den Ausgang postu-
liert, wollte man wirklich von einem
„Volksentscheid“ sprechen.
[email protected]

D


as Rennen um den neuen
VVVorsitzenden der briti-orsitzenden der briti-
schen Konservativen
Partei, der zugleich Pre-
mierminister sein wird,
hat die Insel gefangen genommen wie
ein zwingendes Stück der laufenden
Theatersaison. Die Briten sind ein
Theatervolk – „die ganze Welt ist eine
Bühne“, wie Shakespeare gedichtet hat


  • , und wer agiert besser auf den Bret-
    tern, die die Welt bedeuten, als Boris
    Johnson mit seiner schauspielerischen
    Begabung? Freilich, jeder Schauspieler
    ist auch ein Chamäleon, insofern er die
    unterschiedlichsten Rollen beherrschen
    lernt: wie Johnson schon in seiner
    Oxford-Zeit, als Präsident der Oxford
    Union, des berühmtesten Debattier-
    klubs der Welt, wo es zum Talentnach-
    weis gehört, auch eine Meinung, die
    nicht die eigene ist, rhetorisch mit
    Bravour darstellen zu können. Was
    man wirklich glaubt, ist weniger wich-
    tig als die Fähigkeit, jede Position
    glanzvoll zu vertreten und den ge-
    bührenden Applaus einzuheimsen.
    Hut ab vor den Brexiteers, die sich
    mit Inbrunst in den Gedanken gewor-
    fen haben, die EU zu verlassen unter
    der Annahme, „To Take Back Control“,
    die „Versklavung“ durch Brüssel zu
    beenden. Viele glauben wirklich daran.
    Bei Boris Johnson jedoch kann man
    nicht sicher sein, ob er Brexit nur als
    Rolle spielt, um seinen Ruf als Star der
    politischen Bühne zu festigen mit dem
    Ziel, Premierminister zu werden. Das
    dürfte seine bisher größte Rolle sein,
    sollte er – was man allgemein annimmt

  • von den Tory-Mitgliedern gewählt
    werden. Aber die Downing Street ist
    keine Oxford Union, und hinter der
    Fähigkeit, wechselnde Rollen rheto-
    risch darstellen zu können, muss der
    Kern einer eigenen Position hervor-
    treten, einer unauswechselbaren. Sonst
    verrauscht der Beifall schnell und Ent-
    täuschung tritt an seine Stelle.
    Man kennt bisher nur eine Position,
    an der Johnson über den Vollzug des
    Brexit hinaus wirklich hängt, die er
    mehr als nur eine theatralische Sen-
    dung verficht: seine Überzeugung, die
    britische Gesellschaft nach dem Brexit
    versöhnen zu wollen, sie zu vereinen
    zu neuem Gemeinschaftsgefühl. Sein
    Schicksal hängt an dem Erfolg dieses
    Plans, er kann sich sein Regierungs-
    programm sparen, wenn diese Ein-
    tracht nicht gelingt. Aber sie kann
    nicht gelingen. Denn „Brexit“ und
    „Einheit“ sind ein Widerspruch in


sich. Die Bevölkerung soll eine Kehrt-
wende der britischen Politik akzeptie-
ren, die nur von knapp mehr als einer
Hälfte im Referendum gebilligt wurde?
Das beständige Reden vom „Willen des
Volkes“, den es zu erfüllen gelte, passt
mehr zu Demagogen als zu Demokra-
ten. Nicht einmal bei einer Wahl um
einen Unterhaussitz, auch nicht bei
der Parlamentswahl, würde man einen
solchen Satz verwenden.
Das Direktwahlrecht (Winner Takes
All) besagt lediglich, dass für die
nächsten fünf Jahre der Legislatur-
periode eine Mehrheit der Wähler
dieses oder jenes Ergebnis herbei-
geführt hat. Das müsste ein wankelmü-
tiges „Volk“ sein, das nach fünf Jahren
seine Wahlentscheidung über ein so
zukunftsweisendes Thema wie den
Brexit umkehren und die Sieger von
gestern des Platzes verweisen könnte!
Das Referendum von 2016 passte eben
nicht zum Modus üblicher Wahlent-
scheidungen, es ging vielmehr um eine
Weichenstellung für die Zukunft. Ein
folgenschwerer Schritt: Eine Entschei-
dung von bahnbrechender Dimension
wie die EU-Frage wurde dem Winner-
Takes-All-Prinzip der Direktwahl un-
terworfen, das üblicherweise nur bei
Wahlen für die beschränkte Zeitschie-
ne einer Legislaturperiode gilt und
daher auch bei knappstem Ergebnis
gültig ist. Den Brexit als einen Volks-
entscheid auszurufen, als „The Will Of
The People“, entgegen dem üblichen
britischen Wahlmodus, ist mithin ein
Schlag gegen die Legitimität der Ent-
scheidung selbst. Der Brexit stößt 48
Prozent der Bevölkerung ins Abseits
und untergräbt damit jede Chance
einer Versöhnung.

Die tiefe Scham


des Parlaments


Brexit und Einheit oder Versöhnung sind


Widersprüche. Das spürt auch das britische


Unterhaus und hat Angst vor der Zukunft.


Nach Jahren einer bürgerkriegsähnlichen


Debatte kann nur der Weg eines zweiten


Referendums helfen


THOMAS KIELINGER

LEITARTIKEL

Ein Premierminister Boris Johnson


würde unter einem


Damoklesschwert antreten


ǑǑ


DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,22.JULI2019 FORUM 15


KOMMENTAR

TORSTEN KRAUEL

Hin zum


Waffengang


D


ie „Kanonen des August“,
berühmt seit dem Werk des
Amerikanerin Barbara Tuch-
man über den Ausbruch des Ersten
WWWeltkriegs, scheinen wieder geladeneltkriegs, scheinen wieder geladen
zu werden. Ein flüchtiger Blick auf die
Lage im Nahen Osten kann durchaus
Kriegsangst nähren. Im Persischen
Golf treiben die Dinge augenschein-
lich auf einen Waffengang zu. Er wür-
de nicht auf den Golf beschränkt blei-
ben. Rund um Israel regen sich die
VVVerbündeten des Iran in verdächtigererbündeten des Iran in verdächtiger
WWWeise. Eine Hamas-Delegation be-eise. Eine Hamas-Delegation be-
sucht seit Freitag den Iran. Die von
Teheran hochgerüstete libanesische
Schiitenmiliz Hisbollah signalisierte
am Samstag Kampfbereitschaft.
Und doch ist die Lage weniger dra-
matisch als der Augenschein. Trump
sendet Signale, die bisher den Schluss
zulassen, dass er den großen Konflikt
scheut. Nach dem Abschuss einer
US-Aufklärungsdrohne durch ira-
nische Revolutionsgarden vor einem
Monat hat er noch getwittert, der Iran
habe einen „großen Fehler gemacht“.
Dann brach er in letzter Minute einen
VVVergeltungsschlag ab. Jetzt, nach denergeltungsschlag ab. Jetzt, nach den
Angriffen auf Tankschiffe, verzichtete
Trump auf kriegerische Tweets. Statt-
dessen schickte er Soldaten nach Sau-
di-Arabien – aber nur 500 Mann. Das
Kontingent hat symbolischen Wert.
Der Iran wiederum spricht eben-
fffalls mit mehreren Zungen. Der Au-alls mit mehreren Zungen. Der Au-
ßenminister und ein ehemaliger
Staatspräsident befürworten öffent-
lich Gespräche mit den USA. Der
oberste Religionsführer Ali Khamenei
verweigert sie, sanktioniert aber nicht
die Befürworter. Sogar die Kaperun-
gen der Tanker lassen mehrere Sicht-
weisen zu. Entweder die Revolutions-
garden versuchen, Teheran auf
Kriegskurs zu zwingen. Oder Teheran
antwortet auf Londons Festsetzung
eines mit iranischem Öl beladenen
Tankers in Gibraltar und will zeigen,
was geschähe, sollten die Europäer
Trump unterstützen.
Beide Seiten üben sich in Nadel-
stichen. Kann Trump den Preis einer
Eskalation so präzise umreißen, dass
Gespräche für Teheran sinnvoller
aaaussehen als ein Kriegskurs? Gilt dasussehen als ein Kriegskurs? Gilt das
umgekehrt auch für den Iran mit Blick
aaauf Trump und Europa? Das siehtuf Trump und Europa? Das sieht
zumindest für die nächsten Tage und
WWWochen schwierig aus. Trump hatochen schwierig aus. Trump hat
keinen bestätigten Verteidigungs-
minister und liegt mit dem iranischen
Nachbarn Türkei im Streit. London hat
keine klare politische Führungsstruk-
tur. Europa und Trump liegen über
Kreuz, und Putin wittert eine Chance,
zusammen mit der EU Trumps neue
Finanzsanktionen zu umgehen.
In solcher Lage sind gute Nerven
gefragt, keine Hektik und keine gro-
ßen Worte. Die Bundesregierung
behält die Nerven, das ist richtig so.
Die Lage ist zu offen, um Türen zu-
zuschlagen.
[email protected]

РЕЛИЗ


programm sparen, wenn diese Ein-

РЕЛИЗ


programm sparen, wenn diese Ein-
tracht nicht gelingt. Aber sie kann
РЕЛИЗ


tracht nicht gelingt. Aber sie kann

ПОДГОТОВИЛА

versöhnen zu wollen, sie zu vereinen

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versöhnen zu wollen, sie zu vereinen
zu neuem Gemeinschaftsgefühl. Sein

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Schicksal hängt an dem Erfolg dieses

ПОДГОТОВИЛА

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Plans, er kann sich sein Regierungs-
ПОДГОТОВИЛА

Plans, er kann sich sein Regierungs-
programm sparen, wenn diese Ein-programm sparen, wenn diese Ein-ПОДГОТОВИЛА

ГРУППА

mehr als nur eine theatralische Sen-

ГРУППА

mehr als nur eine theatralische Sen-
dung verficht: seine Überzeugung, die

ГРУППА

dung verficht: seine Überzeugung, die
britische Gesellschaft nach dem Brexit
ГРУППА

britische Gesellschaft nach dem Brexit
versöhnen zu wollen, sie zu vereinenversöhnen zu wollen, sie zu vereinenГРУППА

"What's News"

versöhnen zu wollen, sie zu vereinen

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zu neuem Gemeinschaftsgefühl. Sein

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Schicksal hängt an dem Erfolg dieses

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Plans, er kann sich sein Regierungs-

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Plans, er kann sich sein Regierungs-
programm sparen, wenn diese Ein-
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tracht nicht gelingt. Aber sie kanntracht nicht gelingt. Aber sie kann"What's News"
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