Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 ZÜRICH UND REGION 15


Erstmals ha t die Tigermücke in Zürich den Winter


überlebt – ob sie dauerhaft bleibt, ist noch offen SEITE 16


Die Initianten fühlen sich hintergangen –


nun kommt ein neuer Vorstoss zum Seeuferweg SEITE 16


BEZIRKSGERICHTBÜLACH

Betrüger nützt


Verwechslung aus


28-Jähriger wollte 15 000 Franken
über Whatsapp einstreichen

TOM FELBER

«Ichsageesjetztoffenundehrlich»–un-
zählige Male benützt der Beschuldigte
vor einem Bülacher Einzelrichter ge-
nau dieseWorte. Dabei räumt der wegen
Diebstählen und Verkehrsdelikten
mehrfach vorbestrafte Mann, der schon
dreimal seinenFührerausweis abgeben
musste und seine Schulden auf 150000
Franken schätzt,selber ein,oft im Leben
gelogen zu haben.Er habe seine Einstel-
lungaberseitFebruarvölliggeändert.Er
habe jetzt eine feste Arbeitsstelle, und
seineFrau sei schwanger.
Dem 28-jährigen Schweizerkosova-
rischerAbstammung, der selber immer
wieder seine albanischeKultur ins Spiel
bringt, werden ein Betrugsversuch und
zwei Veruntreuungenvorgeworfen.Zwei
der Delikte gibt er zu, das dritte will er
partout nicht begangen haben. Erstaun-
licherweise erklärter sich trotzdem be-
reit,mit dem dritten Opfer, einem eben-
falls albanischstämmigen Mann, eine
Lösung für eine Entschädigung zu fin-
den.Wenn der Sohn eines Albaners
«einen Seich» gemacht habe, sitze der
Vater mit der Gegenpartei zusammen
und man findeeine Lösung, erklärt er.
«Ich lüge vielleicht jeden anderen an,
aber doch nicht meinenVater!»
Der Vorwurf: Er habe einen Um-
schlag mit 3500Franken veruntreut, die
aus demVerkauf von Flugtickets stamm-
ten. DenUmschlag nahm er im Septem-
ber 2017 im Flughafen Zürich von einem
befreundetenReisebürobetreiber ent-
gegen, er sollte ihn bei seiner Ankunft
in Pristina einem anderen Mann über-
geben.Er habe mehrfach solche Um-
schläge transportiert. Dieser Umschlag
sei ihm aber bei der Sicherheitskontrolle
im ZürcherTerminal von einem Zivil-
polizisten ohne Quittung abgenommen
worden, mit der Begründung, er dürfe
nicht so vielBargeld ausführen. Ab-
klärungen bei mehreren Behörden im
Flughafen habenkeinerlei Hinweise für
einen solchenVorfall ergeben.
Im zweitenFall versuchte der Be-
schuldigte, eineVerwechslung auszu-
nutzen: Im Juli 20 18 erhielt er eine
Whatsapp-Nachricht von einer Frau,
die ernichtkannte, aufseinSmartphone.
Diese glaubte, die Telefonnummer ge-
höre immer noch einemKollegen. Sie
fragte nach einemTreffen zum Lunch.
Der Beschuldigteantwortete noch in
derselben Minute und gab sich als ihr
Kollege aus. Er könne nichtkommen,
er habe ein Problem und müsse bis am
nächstenAbend15 000Franken auftrei-
ben.Er schicke einen Mitarbeiter für die
Übergabe. Die Frau wurde misstrauisch,
verständigtediePolizei,diedenBeschul-
digten beimTreffen verhaftete.
In einem drittenFall veruntreute der
Beschuldigte 950Franken, die ihm eine
Frau überwies, damit er ihr Flugtickets
buche. Der Staatsanwalt beantragt eine
unbedingteFreiheitsstrafe von sieben
Monaten wegen mehrfacherVeruntreu-
ung und versuchtenBetrugs. Im Schluss-
wort bittet der Beschuldigte den Rich-
ter ,keine Freiheitsstrafe,sondern eine
Geldstrafe auszufällen, damit seinJob
nicht gefährdet werde.
DerRichterverurteiltihnabergemäss
der Anklage in allen drei Punkten, seine
Geschichte mit der Sicherheitskontrolle
sei zu unwahrscheinlich. Bisherige Geld-
strafen hätten den Beschuldigten nicht
beeindruckt, und es bestünden Zweifel,
ob er eine weitere Geldstrafe überhaupt
bezahlen würde. DiesiebenMonateFrei-
heitsstrafe sindwegen derVorstr afen un-
bedingt, es besteht aber die Möglich-
keit der Halbgefangenschaft, so dass der
Mann seineArbeitsstelle nichtverliert.

Urteil GG1909035 vom 16.7.2019, noch nicht
rechts kräftig.

Gefährliche Feuerteufel

Viele Faktoren können Menschen zu Brandstiftern machen


Sie legenFeuer, um zu betrügen,


um den Staat zu bekämpfen


oder weil die Flammen eine


krankhafteFaszination auf sie


ausüben. Die Zahl der


Brandstiftungen hat jedoch


massiv abgenommen. Über die


Gründerätseln die Behörden.


JAN HUDEC,FABIANBAUMGARTNER


Es ist Samstagabend kurz vor Mitter-
nacht, Flammen schiessenaus der ers-
ten Etage einesWohn- und Geschäfts-
hauses an der ZürcherBäckerstrasse.
Das Feuer versperrt den Bewohnern
den Ausweg. In Panik springen einige
aus den oberen Etagen des brennen-
den Gebäudes. Zwei Männer und eine
Frau verletzen sich dabei schwer. Die
kurz darauf eingetroffenenRettungs-
kräfte holen weitere Bewohner aus der
Liegenschaft, drei von ihnenmüssen sie
mit Verdacht aufRauchgasvergiftung
ins Spital bringen.
Schon kurz nachdem die Feuer-
wehr den Brand gelöscht hat, finden die
Brandermittler verräterische Spuren.Ihr
Verdacht:Das Feuer brach nicht durch
einen technischen Defekt oder ein Miss-
geschick aus, es wurde absichtlich gelegt.
Kurz darauf nehmen sie einen 38-jähri-
gen Niederländer und eine 37-jährige
Mazedonierin fest.
Inzwischen haben sich dieVerdachts-
momente gegen den Mann erhärtet.
In seinemFall hat die Zürcher Staats-
anwaltschaft beim Zwangsmassnahmen-
gericht Untersuchungshaft beantragt.Es
liege ein dringenderTatverdacht gegen
ihn vor, schreibt sie auf Anfrage. Die
Frau befindet sich hingegen wieder auf
freiemFuss.Weitere Angaben will die
Staatsanwaltschaftderzeit nicht machen.
Nur so viel:«Die genauen Hintergründe
dies es Brandfalls sind nun Gegenstand
der weiteren Ermittlungen.»Das Motiv
für die Brandlegung liegt deshalb wei-
terhin imDunkeln.


Einfluss des1. Mai


Fälle wie diesersind zwarkeine Selten-
heit. Doch in den letzten zehnJahren ist
die Zahl der Brandstiftungen im Kan-
ton Zürich massiv zurückgegangen.Ver-
zeichnete diePolizei 2009 noch 202Fälle
von absichtlich gelegtemFeuer, waren
es im vergangenenJahr noch 72. Eine
abnehmendeTendenz ist auch auf natio-
naler Ebene zu beobachten–allerdings
mit einigen Schwankungen.Von über
1300 Vorfällen sank die Zahl innert
einesJahrzehnts auf rund 920.
Die Behörden stelltdiese Entwick-
lung vor einRätsel. Die Zürcher Kan-
tonspolizei beschäftigt zwölf Spezia-
li sten, die Brände und Explosionen
im Kanton untersuchen.Einen Erklä-
rungsansatzkönnten aus ihrer Sicht die
in den letztenJahren eher ruhig ver-
laufenen 1.-Mai-Kundgebungen bie-
ten. Früher sei es eher noch üblich ge-
wesen, dass DemonstrantenFahrzeuge
und andere Gegenstände angezündet
hätten, schreibt die Kantonspolizei auf
Anfrage. Da auch jeder brennende Con-
tainerals einzelnerFall aufgeführt wird,
kann dies die Statistik stark beeinflus-
sen. Dies alleinereicht aber kaum aus,
um denkontinuierlichenRückgang der
Brandstiftungen zu erklären.
Eine Rolle könnten auch Serien-
täter spielen. So wie der junge Mann,
dem der «Blick» vor einigenJahren den
Übernamen «Feuerteufel von Elgg» ver-
passte. Zwischen November 2010 und
Januar 2012 wurden imRaum Elgg öst-
lich vonWinterthur insgesamt 30Feuer
gelegt.19 Fälle konnten einem ehema-
ligen Feuerwehrmann nachgewiesen
werden, in 11 weiteren Fällen wurde der


jungeMann nach dem Grundsatz «Im
Zweifel für den Angeklagten» vor Be-
zirksgericht freigesprochen.
Das Ganze fing mit dem Legen von
kleineren Bränden an. So zündete er
zum Beispiel Scheiterbeigen an. Später
brannte in Elgg auch einReitstall. Doch
gerade die grösserenFälle konnten dem
Feuerwehrmann, der zum Teil auch
beim Löschen seiner eigenen Brände
beteiligt war, nicht zweifelsfrei nach-
gewiesen werden.
Vor Gericht sagte er damals aus, dass
er jeweils ein schlechtes Gewissen ge-
habt habe, wenn er Brände gelegt habe,
«aber dieWirkung derAdrenalinschübe
war stärker». Er habe unter einer be-
drückenden Überforderung gelitten.
Die Feuer zu entfachen, habe ihn für
kurze Zeit von derLast befreit.Vom
Gericht wurde er schliesslich zu einer
Freiheitsstrafe von zweieinhalbJahren
verurteilt. Diese wurde aber zuguns-
ten einer ambulanten Therapie auf-
geschoben, dem jungen Mann wurde
eine kombinierte Persönlichkeitsstö-
rung attestiert.

Die Mär vom Pyromanen


Zwar stellt man sich Brandstifter ge-
meinhin als Pyromanen vor, tatsäch-
lich sind sie das aber nur sehr sel-
ten. Dies sagt SteffenLau, Chefarzt

an der Klinik fürForensische Psych-
iatrie der Psychiatrischen Universi-
tätsklinik Zürich. Sein Beruf bringt es
mit sich, dass er es immer wieder auch
mit Brandstiftern zu tun bekommt,
beispielsweise wenn er psychiatrische
Gutachten für Gerichte verfassen muss.
Den typischen Täter gebe es nicht, sagt
er. «Und es gibt nur sehr wenige Men-
schen, die lediglich aus derFaszina-
tion amFeuer Brände legen.Vom Be-
griff des Pyromanen nehmen wirin der
forensischen Psychiatrie daher heute
eher Abstand»,sagt Lau.
Eine wichtigeRolle spielt das Motiv.
Es gibt Brandstifter,die ein kriminelles
Motiv verfolgen, und jene, bei denen
der Auslöser ein psychisches Problem
ist. Erstgenannte zünden zum Beispiel
ihr eigenes Haus an, um sich Geld von
der Versicherung zu erschleichen oder
denkmalpflegerischeAuflagen zu um-
gehen. Ein anderer Beweggrund kann
das Verwischen von Spuren sein, wenn
beispielsweiseein Mörder seine Opfer
verbrennt, so wie beimVierfachmord
in Rupperswil.Daneben gibt es auch
politisch motivierte Brandanschläge. In
den letztenJahren ist etwa derBaukon-
zern Implenia mehrfach insVisier von
Linksextremen geraten – ausgebrannte
Bagger undFahrzeuge waren dieFolge.
Bei den Tätern, deren Handlungen
sich eher durch psychischeAuffällig-

keiten erklären lassen, handelt es sich
beispielsweise umPersonen, die unter
grosser innerer Anspannung leiden und
diese Spannung so abbauenwollen.Lau
erinnert sich an denFall einer jungen
Frau mit Borderline-Störung, bei der
sich Betroffene oft selbst verletzen.
«In diesemFall hat die jungeFrau aber
regelmässigKinderwagen im Hausein-
ga ng ihresWohnblocks angezündet, als
Ventil gegen den Druck in ihrem Inne-
ren.» Andere wiederum suchten einen
Kick,weil sie sonst ein extremreizarmes
Leben führten, womöglich gar gesell-
schaftlich isoliert seien. Statt Schläge-
reien anzufangen oder imAuto zura-
sen, stecken sie Dinge in Brand.«Das
Feuer übt eine grosseFaszination aus,
weil es einerseits ja positiveAspekte hat
und andererseits auch eine enorme de-
struktive Kraft ist»,sagt Lau.
Wie bei anderen schweren Straf-
taten sind die Täter häufig Männer im
Alter zwischen15 und 30Jahren. Sie
zu therapieren, gestalte sich durchaus
schwierig, sagt Lau. «Es gibt einrele-
vantes Rückfallpotenzial.» Im Zen-
trum stehe deshalb dieFrage, warum
jemandFeuer lege. «Wenn es darum
geht, einen Kick zu haben, muss man
andere Erlebnisse für die Betroffe-
nen finden, die einen ähnlichen Effekt
haben», sagt Lau. «Vielleicht Bungee-
Jumping.»Am schwierigsten ist die Be-
handlung bei den echten Pyromanen.
Ein Ersatz für dasFeuer lässtsich nicht
so leichtfinden.

Millionenschaden an Gebäuden


Die Brandstifter richten einen erheb-
lichen Schadenan. Die Gebäudever-
sicherung des Kantons Zürich hat im
vergangenenJahr eine Schadenssumme
von 2,8 MillionenFranken bei Liegen-
schaftenregistriert.Dabei verursachte
ein gelegtesFeuer in einemWohnhaus
in Zürich im letzten November allein
Kosten von über 800000 Franken.
Für Schädenkommt dieVersiche-
rung nur auf, wenn es sich bei den
Tätern nicht um die Eigentümer eines
Gebäudes handelt.In einem solchenFall
gehen laut SprecherinBarbara Greuter
die Schadenersatzansprüche der Eigen-
tümerschaft an die Gebäudeversiche-
rung über. Dann bittet sie den Brand-
stifter zur Kasse.

Feuer übt einen Zauberauf die Menschen aus–und gelegentlichwirdeskriminell. MARIUS BULLING / KEYSTONE

QUELLE: POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK DES KANTONSZÜRICH2018 NZZ Visuals/lea.

Starker Rückgangbei Brandstiftungen im KantonZürich
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