Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

18 PANORAMA Mittwoch, 17. Juli 2019


Die Notenbank setzt Alan Turing ein Denkmal


Die Bankof England ehrt den Mathematiker und Computerpionier mit einer Banknote


STEFAN BETSCHON


Allekennen AlanTuring. Und doch ist
er bis heute ein Unbekannter. Bald wird
seinKonterfei die britische 50-Pfund-
Note zieren, doch dürfte er deswegen
den Menschen nicht näherkommen. Die
Erfindungen und Innovationendes briti-
schen Mathematikers bilden die Grund-
lage der Computerwissenschaft, doch sie
sind abstrakt und schwer fassbar.


Ausgrenzung alsHomosexueller


Turing starb zu früh, er starb den fal-
schenTod. Und als er noch lebte, war
er gezwungen, ein falsches Leben zu le-
ben, sich selbst zu verleugnen.Turing
liebte Männer, und Homosexualität war
im Grossbritannien der1950erJahre –
wie auch schon zu OscarWildes Zeiten



  • eine «grobe Sittenlosigkeit» und ein
    Verbrechen.WährendWilde 1895 zwei
    JahreArbeitslager erleiden musste, die
    ihn gesundheitlich ruinierten,konnte
    sich Turing1952 dem Gefängnis entzie-
    hen, indem er sich der chemischen Kas-
    tration unterwarf.


Turing starb am7. Juni 1954 vermut-
lich durch eigene Hand.Todesursa-
che war eine Zyanidvergiftung. Neben
dem Bett fand man einen angebissenen
Apfel, in derKüche einKonfitüreglas
mit Zyanidlösung. Ob Turing sich tat-
sächlich selber umgebracht hat, ist nicht
erwiesen. Es wurde auch schon dieVer-
mutung geäussert, dassTuring ermor-
det wurde, weil er als Geheimdienstmit-
arbeiter zu viel wusste.
Turingwurde1912inLondongeboren.
Er war ein schwieriger Schüler, einseitig
mathematisch begabt. Doch selbst der
Mathematiklehrer fand seine Leistungen
«nicht sehr gut», wie er den Eltern mit-
teilte: «Er verbringt offensichtlich eine
ganze Menge Zeit mitFragen der höhe-
ren Mathematik und vernachlässigt da-
bei die grundlegende Arbeit.» Der erste
Arbeitgeber,für denTuring nach seinen
mathematischen Studien in Cambridge
und Princeton tätig war,war dieGovern-
ment Code and Cypher School,eineAb-
teilung des britischen Geheimdienstes.
NachAusbruch des ZweitenWeltkriegs
war Turing in Bletchley Park stationiert,
rund 70 Kilometer nordwestlichvon

London. Hierleisteteer wichtige Bei-
träge zur Entschlüsselung des Nachrich-
tenverkehrs der deutschenWehrmacht.
Aufsehen erregte er zu seinen Leb-
zeiten mit seinen Ideen von künstlicher
Intelligenz.1950 sagte er voraus, dass es in
«ungef ähr» fünfzigJahren erste Maschi-
nen geben werde,die menschlicheIntel-
ligenz imitierenkönnten.Turing hat zeit
seines Lebens nicht viel publiziert. Und
was gedruckt wurde, war selbst fürFach-
leute schwer verständlich.Turing darfals
der Vater des modernen Computersgel-
ten. Doch jene Ingenieure, die sich Ende

der 1940erJahre daranmachten, erste
praxistaugliche Computer zu bauen,
kanntenTurings Arbeiten kaum. Bitter
resümiert derTuring-Biograf Andrew
Hodges:«Schon um1950 warAlanTuring
ei ne Unperson.»

Held in Romanen undFilmen


Hodges hat mit mehreren BüchernTuring
demVergessen entrissen. Doch dann
drohte der Blick auf diesen bedeutenden
Wissenschafter durch Idealisierung ver-
stellt zu werden.Weil Turingkeine Auf-
zeichnungen hinterlassen hat,reizt er die-
Phantasie. So wirdTuring, der Marathon
laufendeMathematiker,der schnellrech-
nende Stotterer und introvertierteVisio-
när als Held vonRomanen und Spiel-
filmen immer wieder neu erfunden.
Und bald wird es Turing auch noch
auf Banknote geben.Wie dieBank of
England am Montag in London mitteilte,
so ll di eneue 50-Pfund-Note Ende 2021
in Umlauf gebracht werden undTuring
als «Vater der Computerwissenschaft
und der künstlichen Intelligenz ebenso
wie als Kriegshelden» ehren.

ZAHLENRÄTSEL NR. 163

SPIELREGELN«KR INGEL»:Die Ziffern 1
bis 7sind soeinzutragen,dasssie in jeder
Reihe einmalvorkommen.Zwischenzwei
Felderngilt: AusgefüllterKreis:EineZahl
ist das Doppelte der anderen.LeererKreis:
EineZahl ist um1 grösser als die andere.
KeinKreis: Keineder beidenEigenschaften
trifftzu.

Auflösung:
ZahlenrätselNr. 162

DerBundesverband deutscher Schwimmbäder fordertein hartesDurchgreifen gegen pöbelndeBadegäste. MARCEL KUSCH / KEYSTONE

Tatort Freibad

Schlägereien, Nötigungenund Diebstähle in deutschenFreibädern machen Schlagzeilen


JANAJANIKABACH


Erhitzte Gemüter statt kühlendes
Nass: Gleich in mehrere n Freibädern
Deutschlands ist es in den vergange-
nenTagen undWochen zuRandalen
gekommen. Im Düsseldorfer Rheinbad
etwa bedrängten am Samstag des letz-
ten Juni-Wochenendes Hunderte von
aggressivenJugendlichen eineFamilie,
nachdem sich derVater darüber aufge-
regt hatte, dass einige von ihnen über
die Badetücher der Gäste sprangen. Das
Freibad musste geräumt werden.Auch
am Tag darauf mussten die Eingangs-
pforten wegen der aggressiven Stim-
mung vieler Gäste vorzeitig geschlossen
werden. In beidenFällen war dafür ein
Grossaufgebot derPolizei nötig.
Am gleichenTag haben auch im Insel-
bad in Stuttgart-Untertürkheimrund 50
Personenrandaliert.Der Streit zwischen
Badegästen,Personal undPolizei eska-
lierte, nachdem mehrereJugendliche
den Anweisungen desBadepersonals
nicht hattenFolge leisten und dasBad
verlassen wollen.Wegen Handgreiflich-
keiten zwischen einem 36-Jährigen und
zweiBademeistern setzten die Beam-
ten Pfefferspray ein.WenigeTage zuvor
war es auch bei einemBadesee im hessi-
schenRaunheim zuAusschreitungen ge-
kommen.Als der Zugang zumSee wegen
des zu grossen Gedränges geschlossen
wurde, versuchten an die 200 wartende
Badegäste, das Gelände zu stürmen. Sie
warfen Steine und beschimpften die
Sicherheitskräfte. In Essen wiederum
attackierte eine Gruppe junger Männer
eine Zwölfjährige und zweiBademeis-
ter. Leichtverl etzt wurden die Opfer ins
Spital eingeliefert, die Täter flüchteten.
Der Bundesverband deutscher
Schwimmbäder schlägt nun Alarm und
fordert ein hartesDurchgreifen gegen
pöbelnde undrandalierende Badegäste.
Seit 15 Jahren nehme die Gewaltbereit-
schaft zu. Ein Problem sei auch, dass in
den Schwimmbädern bundesweit 2500
Fachkräfte fehlten.


1254 Straftatenin Berlin


Wieoft es tatsächlich zuAusschreitun-
gen und Übergriffen in deutschenFrei-
bädernkommt, wird landesweit nicht
erfasst. Anhaltspunkte liefert aber eine
Statistik aus Berlin. Diese wurde auf
eine entsprechende Anfrage des FDP-
Abgeordneten Marcel Luthe hin erstellt.
Die Statistik listet auf, wie viele und wel-
che Straftaten diePolizei zwischen dem



  1. Ja nuar 2016 und dem16.Mai 2019 in
    den gut60 Anlagen der BerlinerBäder-
    Betriebe erfasst hat.


Demnach wurden 2018 insgesamt
1254 Straftatenregistriert.2017 waren es
1021 gewesen und 2016 1098. In diesem
Jahr wurden bis zum16.Mai insgesamt
253 Straftaten erfasst. Besonders häu-
fig gab esFälle von Nötigung,Beleidi-
gung, Körperverletzung und Diebstahl.
Aber auchRaub, Hausfriedensbruch
und Unterschlagung führt dasRegister
auf. Rückläufig ist seit 2016 die Zahl der
angezeigten Sexualdelikte in den Berli-
ner Bädern.
Am meisten Straftaten gab es im ver-
gangenenJahr in dem für seine Mas-
senschlägerei 2015 berühmt geworde-
nen Sommerbad Neukölln am Colum-
bi adamm. Hier wurden 130 Straftaten
angezeigt, 63 mehr als imJahr zuvor.
Unter anderem wurden14 Fälle von
Körperverletzungen, 40 Diebstähle
und 67 sonstige Straftaten erfasst.Auf
Platz 2 derRangliste findet sich mit 123
St raftaten imJahr 2018 die Schwimm-
und Sprunghalle im Europasportpark in
Prenzlauer Berg; imJahr zuvor waren
dort etwas mehr, nämlich 137 Straf-
taten,registriert worden. Den dritten
Rang belegt das Sommerbad Kreuzberg,
wo 2018 der grösste Besucheransturm

verzeichnet wurde – ein Sprung von
189000 Badegästen imJahr 2017 auf
330 000im Jahr 2018.Insgesamt 122
Straftaten wurden hier 2018 erf asst,
gegenüber 51 imJahr zuvor.

Präventionseinsätzeder Polizei


Die herausgegebenen Zahlen seien mit
Vorsicht zu interpretieren, sagt Heidi
Vogt, Pressesprecherin derPolizei Ber-
lin. Denn die Straftaten seien nach der
Adresse desTatortes erfasst worden,
womit eine angezeigte Prügelei oder
ein Einbruch in einAuto im Nahbereich
einesFreibades in die Statistik mit ein-
geflossen seien.
Fürdie Sicherheit in denBädernsind
laut Vogt primär die BerlinerBäder-Be-
triebe verantwortlich, aber man agiere
natürlich unterstützend.Je nach Kapa-
zität und Einschätzung derLage zeige
die Polizei Präsenz vor Ort, führe «Prä-
ventionseinsätze» durch oder warne vor
Taschendieben.«Es gibtkeinen genauen
Fahrplan,aber aus Erfahrung wissen wir,
das s, sobald dieTemperaturen steigen,
schneller Situationen entstehen, die auch
einmal aus demRuder laufenkönnen.»

Das Sicherheitspersonal der Berli-
ner Bäder-Betriebe wird laut Unterneh-
menssprecher Matthias Oloew von einer
externenFirma gestellt und je nachWet-
terlage aufgestockt. «Das heisst, wenn es
warm wird,kommen viele Sicherheits-
leute,wenn esregnet,keiner.» Diese
Flexibilitätkönnten die BerlinerBäder-
Betriebe, die ihrPersonal fest anstellten,
selber nicht aufbringen. «Wir sind in ers-
ter LinieFachleute für dieWasserauf-
sicht.» Oloew wünscht sich, «dass alle,
die sich beobachtet oder sonst irgend-
wie belästigt fühlen, das auchkommu-
nizieren». Die BerlinerFreibäder seien
keine kriminalitätsbelasteten Orte, son-
dern «gut überwacht».
Ausserdem gibt es laut Oloew nun
mehr Schliessfächer, und für die ein-
zelnenBäder seien massgeschneiderte
Konzepte erarbeitet worden, um die
Lage zu entschärfen. Im Sommerbad
Kreuzberg etwa seien Nutzergruppen
getrennt worden.«Wir haben Leinen
gezogen»,sagt Oloew,«um jene Gäste,
die nurBahnen schwimmenwollen, von
jenen zu trennen, die springen wollen bis
zum Abwinken.»Das habe deutlich zu
einer Befriedung beigetragen.

Ein Entwurf der neuen Note. AP

Auf Mallorca


werden wieder


Stiere getötet


Das Verfassungsgericht kippt
einVerbot des Regionalparlaments

(dpa)·Nach gut zweiJahren werden
Torero s auf Mallorca wieder Stiere
töten.Am 9. August werde auf der Plaza
de Toros in Palma erstmals seitJuli 20 17
wieder eine Corrida stattfinden, be-
richtete die Zeitung «Diario de Mal-
lorca». Ende 2018 hatte das spanische
Verfassungsgericht ein vomRegional-
parlament derBaleareninselnvor zwei
Jahren verhängtes Verletzungs- und
Tötungsverbot gekippt.Das Madrider
Gericht erklärte damals mehrere Arti-
kel desreformierten balearischen Ge-
setzes über Stierkämpfe undTierschutz
für verfassungswidrig.
Das von Linksparteien beherrschte
Regionalparlament inPalma habe mit
demTötungsverbot seineKompeten-
zen überschritten, befanden die Richter.
Da der Stierkampf 2013 zum nationa-
len Kulturgut erklärt worden sei,könne
nur der Staat darüber entscheiden. Die
Richter waren in der Sache von derkon-
servativenVolkspartei des damaligen
Ministerpräsidenten MarianoRajoy an-
gerufen worden. Die StiftungFundación
Toro de Lidia hatte dasTötungsverbot
als «Barbarei» bezeichnet. «Der Stier-
kampfkunst wird ihre Essenz genom-
men, nämlich derTod.»

IN KÜRZE


Acht Bergleute sterben bei
Grubenunglück in Pakistan
(dpa)·Bei einem Grubenunglück in
der ProvinzBaluchistan in Südwestpaki-
stan sindmindes tensacht Bergleute ge-
tötet worden. Ein Stollen einesKohle-
bergwerks war am späten Sonntagabend
nach einer Explosion eingestürzt, als
zehn Bergleute dort unterTage waren.
ZweiKumpel hätten nach mehr als 50
Stunden lebendig geborgen werdenkön-
nen, sagte ein Gewerkschaftsvertreter.

Monsun gefährdet auch
bedrohte Tiere
(dpa)·181 Menschen sind wegen des
Monsuns in Indien, Nepalund Bangla-
desh ums Leben gekommen. Der heftige
Regen gefährdet nun auch vomAusster-
ben bedrohte Nashörner. Der Kaziran-
ga-Nationalpark in Indien, in dem rund
zwei Drittel allerPanzernashörner le-
ben, ist fastkomplettüberflutet.Wegen
der Wassermassen mussten dieTiere
durch die Fluten paddeln, um höhere
Gebiete zu erreichen. Mindestens 23 an-
dere Parktiere sind laut lokalen Medien
ertrunken.
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