Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 INTERNATIONAL 3


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«Peking macht alles richtig»

Chinas Freunde loben imUno-Menschenrechtsrat das Vorgehen inder RegionXinjiang


Nachdem 22Länder in einem


Brief ChinasPolitik in Xinjiang


kritisiert haben, loben 37 andere


StaatenPekingsPolitik.Was


bedeutet der ungewöhnliche


Briefwechsel im Uno-


Menschenrechtsrat?


PATRICK ZOLL


LetzteWoche gab es dickePost für den
Präsidenten des Uno-Menschenrechts-
rats in Genf. 22 Botschafter übergaben
ihm einenBrief,indem sie ChinasVor-
gehen gegenreligiöse Minderheiten in
der Provinz Xinjiang scharf kritisierten.
Die Unterzeichnerländer – alles west-
liche Demokratien – fordernPeking
dazu auf, die Menschenrechte zurespek-
tieren und aufzuhören,willkürlich Uigu-
ren und Angehörige andererreligiöser
Minderheiten in Xinjiang zu inhaftie-
ren und deren Bewegungsfreiheit zu
beschneiden.Laut gut fundierten Schät-
zungen sperrtPeking in Xinjiang mehr
als eine Million Menschen in Umerzie-
hungslager. Zu den Unterzeichnern ge-
hörte auch die Schweiz.
Am Freitag erhielt China seine
Revanche. In einem separaten Brief
lobten 37Länder China für seine Mass-
nahmen gegen islamistischenTerroris-
mus in Xinjiang. «Wir stellen anerken-
nend fest, dass die Menschenrechte in
China imRahmen des Kampfes gegen
den Terrorismus und bei der Deradika-
lisierungrespektiert werden», schrie-
ben die Unterzeichnerländer, darunter
Nordkorea,Russland und Saudiarabien.


Angst vor Peking


Solche Briefe an den Präsidenten des
Rates sind aussergewöhnlich, zumindest,
dass sie vonLändergruppen gemeinsam
geschrieben werden. «Es ist eine krea-
tive Art, mit der heiklenFrage umzu-
gehen, wer dieFührung übernehmen
soll», sagt Michael Ineichen, der bei der
Menschenrechtsorganisation Internatio-
nal Service for Human Rights (ISHR) in
Genf für den Menschenrechtsrat zustän-
dig ist.Für eine gemeinsame Erklärung
im Rat braucht es einLand,das diese ein-


bringt und vorliest. Immer mehrLänder
schreckten davor zurück, dies beiFragen
zu China zu tun, sagt Ineichen. Denn sie
fürchteten,vonPekingbestraftzuwerden.
Mit dem Gegenbrief landetePeking
einen Punktesieg: 22 zu 37 ist ein deut-
liches Resultat. Die «Global Times»
schlachtetediesgenüsslichaus.«Chinaist
auf dem richtigenWeg im Kampf gegen
Terrorismus und Extremismus», titelte
das Sprachrohr derKommunistischen
Partei Chinas.

Das Schweigen in Osteuropa


Der Briefwechsel zeugt vom wachsen-
den Graben in Sachen Menschenrechten
zwischenChina und den westlichenLän-
dern, die das heutige Menschenrechts-
system in der Nachkriegszeit massgeb-
lich geprägt haben.Die Mehrheiten sind
klar zugunsten Chinas. Einerseits stel-
len sichLänder, die es selber mit den

Menschenrechten nicht so genau neh-
men, anPekings Seite.AndereRegie-
rungen tun dies, weil sie wirtschaftlich
von China abhängig sind oder sichVor-
teile erhoffen.
Interessant ist auch, welche Län-
der nicht unterschrieben haben.Im so-
genannten 16+1-Format führt China
mit 16 ostmitteleuropäischenLändern
einenregelmässigen Dialog.Aus dieser
Gruppe getrauten sich einzig die drei
baltischen Staaten, den chinakritischen
Brief zu unterzeichnen.Länder wie
Polen, Ungarn oder Tschechien schwei-
gen. Indienoder Indonesien versuchen
ebenso, keine Position beziehen zu müs-
sen. Überraschender ist, dass Kasach-
stan und Kirgistan abseitsstehen.Auch
ethnische Kasachen und Kirgisen sind
in denLagern in Xinjiang gelandet, und
die Behandlungethnischer Minoritä-
ten in Xinjiang ist in diesenLändern zu
einem innenpolitischenThema gewor-

den.Auseinem anderen Grund sind die
USA abwesend: Sie sind im vergange-
nen Jahr unter Protest aus dem Men-
schenrechtsrat ausgetreten.
Unter den gegenwärtigen Stärkever-
hältnissen ist es praktisch ausgeschlos-
sen, dass der Uno-Menschenrechtsrat
eine chinakritischeResolution verab-
schiedet.Auch hatPeking verstanden,
wie es die Mechanismen desRats spie-
len lassen muss, um Kritik abzuschwä-
chen oder zu blockieren. Im Novem-
ber musste sich China dem Universel-
len Überprüfungsprozess (UPR) unter-
ziehen, bei dem die Mitgliedsländer des
Rats alle viereinhalbJahre Rechen-
schaft über ihre Menschenrechtssitua-
tion ablegen.Auffallend vieleLänder
lobten in den StellungnahmenPeking
und stellten allenfalls unkritischeFra-
gen. Beobachtergehendavonaus, dass
China dieseLänder zu diesemVerhal-
ten «ermutigt» hatte.

China sperrt in Xinjiang eine Million Uiguren in Umerziehungslager. 37 Länder finden, dass das in Ordnungsei.THOMAS PETER / REUTERS

Türkei will noch


ein Schiff nach


Zypern senden


Reaktionauf Strafmassnahmen
der EU imStreit umBohrrechte

VOLKERPABST, ISTANBUL

Die türkischeRegierunghat sich am
Dienstag unbeeindruckt vom Sank-
tionsentscheid der EU gegeben.In einer
Medienmitteilung erklärte dasAussen-
ministeriuminAnkara, dassderBeschluss
keine Auswirkungen habe auf die Ent-
schlossenheit derTürkei, ihre Bohrungen
imöstlichenMittelmeerfortzusetzen.An-
lässlicheinesBesuchsinNordmazedonien
dopp elteAussenministerMevlütCavuso-
glu nach und stellte inAussicht,ein vier-
tesSchiffindieRegionumZypernzuent-
senden. DieRegierungeninAnkaraund
Nikosia,die keine diplomatischen Bezie-
hungen miteinander unterhalten, bean-
spruchen sich teilweise überschneidende
Hoheitsgewässer. In derRegion um die
Mittelmeerinsel werden ergiebige Gas-
vorkommen vermutet.

Türkische Schiffe vorZypern


Die EU hat am Montag ihren Mitglieds-
ländern Zypern und Griechenland, das
als Garantiemacht für die Griechisch-
zyprioten ebenfalls in den Streit ver-
wickelt ist, denRücken gestärkt. Die
Strafmassnahmen gegen dieTürkei um-
fassen unter anderem dieKürzung von
EU-Geldern sowie dieAussetzung von
Verhandlungen über ein Luftverkehrs-
abkommen. Zwei türkische Bohrschiffe
befinden sich,teilweise unter Schutz der
türkischen Marine, zurzeit in der Nähe
Zyperns. Zudem hält sich ein auf seis-
mologische Erkundungen ausgerichte-
tes Schiff im Süden Zyperns auf.
Die international anerkannte grie-
chischzypriotischeRegierunghatfürihre
ausschliesslicheWirtschaftszonemehrere
BohrlizenzenanwestlicheEnergi efirmen
vergeben.VergangenesJahr kam es zu
einerEskalation,alsdietürkischeMarine
versuchte, die Anfahrt eines Schiffes des
italienischen Unternehmens Eni zu ver-
hindern.Auch bei der Entsendung eige-
ner Bohrschiffe geht es derTürkei vor
allem um eine Machtdemonstration.Zu-
mindest dort, wo das Bohrschiff «Fatih»
tätig ist, gibt es laut den meisten Exper-
ten kaum Hinweise auf Gasvorkommen.

Folge desZypernkonflikts


Der Streit ist letztlich eineKonsequenz
des ungelöstenKonflikts auf der seit
1974 in ein griechisches und ein türki-
schesTerritorium geteilten Insel.Ankara
ist die Garantiemacht für dieTürkisch-
zyprioten und stellt sichauf den Stand-
punkt, dass ohne einen abschliessenden
Friedensvertrag, der dieRechte der bei-
den Bevölkerungsgruppenregelt, keine
Lizenzen vergeben werdenkönnen.
Ebenso ist es in denAugen Anka-
ras vor der Beilegung desKonflikts un-
möglich, sich mit Zypern auf eineFest-
legung der jeweiligenWirtschaftszonen
zu einigen. In denAugen Nikosias und
der EU stellen die Aktivitäten der tür-
kischen Bohrschiffe allerdings einenkla-
ren Rechtsbruch dar.Die zypriotische
Staatsanwaltschaft soll laut Medien-
berichten Haftbefehle gegen die Besat-
zung der «Fatih» ausgestellt haben.

«Mutter Europa» angelt sich den Top-Job


Ursula vonder Leyen hat wenig EU-Erfahrung, ist aber in Brüssel keine Unbekannte


NIKLAUS NUSPLIGER,STRASSBURG


Dass die neue EU-Kommissions-Präsi-
dentinUrsula von der Leyen heisst,ist
einerseits überraschend,war sie doch
von den Staats- undRegierungschefs
der EU vor zweiWochen aus heite-
rem Himmel ins Spiel gebracht worden.
Andererseits war ihr Name in den letz-
ten Jahren immer wieder gefallen, wenn
es um die Besetzung von europäischen
Spitzenposten ging. Im Gespräch ge-
wesen war sie beispielsweise als Nato-
Generalsekretärinoder als EU-Aussen-
beauftragte – wobei sie sich nun mitdem
Kommissionspräsidium den wichtigsten
BrüsselerTop-Job geangelt hat.


Brüsseler Kindheitsjahre


In den zweiWochen zwischen ihrer
Nominierung und ihrerWahl durch das
Europaparlament führte vonder Leyen
zunächst eine inhaltsleere Kampagne.
Sie vermied Medienauftritte und warb
über ihrenTwitter-Account zunächst
vor allem alsFrau für das EU-Kommis-
sions-Präsidium. «Europa ist eineFrau»,
twitterte sie, als sie sich anschickte, erste
Chefin der EU-Kommission zu werden.
Viel Aufmerksamkeit wurde von der
LeyensRolle als Mutter von sieben Kin-
dern zuteil, die sie in denAugen man-
cher BrüsselerJournalisten als «Mutter
Europas»prädestinierte, welche die zer-
stritteneFamilie der europäischen Staa-


ten zusammenhalten würde. Sie selber
verwies zudem gerne darauf, dass ihr
Vater Ernst Albrecht vor seiner Zeit als
niedersächsischer Ministerpräsident als
EU-Beamter tätig gewesen war. Ursula
von der Leyen kam1958 in Brüssel zur
Welt und verbrachte dort ihre ersten
Kindheits- und Schuljahre.
Dass sie in den letztenJahren in Brüs-
sel oft beiPersonaldiskussionen genannt
wurde, hat freilich andere Gründe. Zum
einen war zu hören, die engeVertraute
von Bundeskanzlerin Angela Merkel
habe ihren Zenit überschritten oder
müsse nach Brüssel wegbefördert wer-
den.Zumanderen versprühte sie alsVer-

teidigungsministerinauf dem internatio-
nalenParkett jenen Geist der transnatio-
nal en Kooperation, der sie nun auch für
das neue Spitzenamt qualifiziert.
InDeutschlandmachtesieanderSeite
Merkels alsFamilien- und Arbeitsminis-
terin Karriere, bevorsie 2013 insVertei-
digungsministerium aufstieg. Dort wurde
sie aber mit allerhandPannen und Skan-
dalen inVerbindung gebracht, als grosses
Malheur geltendie vielen teuren und in-
transparenten Beraterverträge.Auch der
Zustand der Bundeswehr sorgte immer
wiederfür Kritik.In Brüssel setzte sich
die 60-jährige ausgebildete Ärztin der-
weil alsVermittlerin und Brückenbaue-

rin in Szene. Als Griechenland derTür-
keiAnfang2016 mitteninderFlüchtlings-
krise vorwarf, es kontrolliere seineKüste
nicht, fädelte von der Leyen mit Athen
und Ankara einen Nato-Marine-Einsatz
imöstlichenMittelmeerein,derzueinem
verbessertenLagebild beitrug.

Kooperativer Geist bei derNato


Als glühende Europäerin hüllte von der
Leyen deutsche Interessen stets in einen
multilateralen Mantel und erklärte die
Kooperation zur verteidigungspoliti-
schen Maxime – auch wenn die unter
dem Kürzel Pesco bekannte EU-Vertei-
digungsunionnur langsameFortschritte
macht.Trotz Meinungsunterschieden mit
DonaldTrump blieb von der Leyen stets
überzeugteTransatlantikerin.
Von der Leyen ist eine guteKommu-
nikatorin, die sich auchauf Englisch und
Französisch auszudrücken weiss, aber
mitunter schulmeisterlich wirkt. In den
letztenTagen blieben ihreÄusserungen
zurEU-PolitikzudemoftimUngefähren,
lieber strich sie Gemeinsamkeiten her-
vor, als Differenzen auszutragen.Wenn
Ursula von der Leyen voraussichtlich am


  1. November ihr Amt alsKommissions-
    präsidentin übernimmt,wird sie integrie-
    rende Fähigk eiten benötigen.Angesichts
    ihresknappenWahlresultatsistaberfrag-
    lich, ob sie sich imParlament genügend
    Rückhalt erarbeiten kann, um ihre poli-
    tischenVorstellungen umzusetzen.


CDU-Chefin wird Verteidigungsministerin


(dpa)·PolitischerPaukenschlag in Ber-
lin: Die CDU-Vorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer soll neue deutsche
Verteidigungsministerin im Kabinett
von Kanzlerin Angela Merkel werden.
Das bestätigteRegierungssprecher Stef-
fen Seibert am Dienstagabend in Berlin.
Die CDU-Politikerin soll Ursula von
der Leyen nachfolgen, die das Europa-
parlament zuvor zur neuen EU-Kom-
missions-Präsidentin gewählt hatte. Der
Wechsel an der Spitze desVerteidi-
gungsministeriums soll nach Informatio-
nen der Nachrichtenagentur DPA schon
am Mittwoch erfolgen.

Sonst sindkeine Veränderungen im
Bundeskabinett geplant. Die Ernen-
nung im Bundespräsidialamt sei für die-
sen Mittwoch vorgesehen. Somit nimmt
Merkel an ihrem 65. Geburtstag ihre
Wunschnachfolgerin als Kanzlerin in
ihre Regierungsmannschaft auf.
Die frühere saarländische Minister-
präsidentin Kramp-Karrenbauer hatte
erst im Dezember den CDU-Vorsitz
übernommen.Merkel hatte Stunden
zuvor bereits angekündigt, die wichtige
Funktionkönne man nicht unbesetzt
lassen. «Es wird eine sehr schnelle Neu-
besetzung geben», sagte die Kanzlerin.

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