Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

20 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.29 21.JULI


rün leuchtend setzt er
schlendernd zum Gitar-
renspiel an, bei Rot steht
er aufrecht mit Gitarre
und breitet die Arme
aus: Elvis Presley ist seit Anfang Juli
das neue Ampelmännchen im hessi-
schen Bad Nauheim.

VON VIKTORIA SCHULTE

Zehn Kilometer weiter, in Fried-
berg, ein ähnlicher Anblick: Die grüne
Elvis-Silhouette legt auf Zehenspitzen
den bekannten Hüftschwung hin,
während die Fußgängerampel bei Rot
einen Elvis zeigt, der breitbeinig vor
einem Mikro steht. In der Gegend war
der King of Rock’n’Roll von 1958 bis
1960 stationiert, gewohnt hat er in
Bad Nauheim.
Ebenfalls seit Anfang Juli hat Ha-
meln Ampelmännchen in Form von
Rattenfängern installiert. Auch in an-
deren Städten gibt es besondere Am-
peln, etwa in Augsburg (mit dem Kas-
perle aus der Puppenkiste), in Wien
(mit gleichgeschlechtlichen Paaren),
in Mainz (mit Mainzelmännchen), in
Duisburg (mit Bergmännern), in Trier
(mit Karl Marx, der dort geboren wur-
de) oder in Bergkamen im Ruhrgebiet,
wo es nicht nur Ampeln mit Kumpeln
gibt, sondern seit Mitte Juli auch Rö-
mer in Rot und Grün mit Helm, Schild
und Speer.
Die Invasion der Ampelmännchen
mit prominenten oder historischen
Vorbildern hat in jüngster Zeit eine
ganze Reihe von Städten im deutsch-
sprachigen Raum erfasst. Bürgermeis-
ter und Tourismusverantwortliche
nutzen die Fußgängerampel als Wer-
beträger. Schließlich sieht sie jeder,
der in der jeweiligen Stadt zu Fuß un-
terwegs ist, und viele kommen sogar
extra vorbei, um ein Foto von den
Kult-Ampeln zu machen. Die Städte
erhoffen sich von den neuen Leucht-
männchen nicht nur ein cooleres Ima-
ge, sondern vor allem mehr Besucher.
In Emden waren die Spezialampeln
allerdings ein Politikum. Ursprüng-

lich wollte man in der Geburtsstadt
des Komikers Otto Waalkes dessen
Ottifanten-Figuren leuchten lassen.
Das hätte aber gegen die Straßenver-
kehrsordnung verstoßen. Darin heißt
es: „Im Lichtzeichen für Fußgänger
muss das rote Sinnbild einen stehen-
den, das grüne einen schreitenden
Fußgänger zeigen.“ Für die vierbeini-
gen Cartoon-Rüsseltiere gab es des-
halb kein grünes Licht. Stattdessen er-
scheint Otto seit Juni jetzt selbst auf
den Ampeln – bei Grün hüpfend, bei
Rot stehend, jeweils mit wehendem
Haar und Käppi. Otto bezeichnet die
persönlichen Ampeln als Höhepunkt
seiner Karriereund gab sich vorab be-
reits vom verkehrserzieherischen
Nutzen überzeugt: „Dann geht ganz
sicher niemand mehr bei Rot über die
Straße! Und bei Grün auch nicht. Alle
würden stehen bleiben und die Am-
peln angucken. Dann wär’s in der
Stadt auch nicht immer so hektisch.“

EIN SYMBOL FÜR HEIMATDer Köl-
ner Kommunikationswissenschaftler
Holger Sievert hält die Ampelmänn-
chen-Inflation nicht nur für eine Tou-
ristenattraktion. Er sieht in den spe-
ziellen Lichtsignalen auch ein Hei-
matsymbol, regionale Identifikations-
figuren: „Wenn durch die Ampel-

männchen nicht gerade eine politi-
sche Aussage getroffen wird wie mit
den homosexuellen Pärchen, die es in
einigen Städten gibt, soll das Symbol
auch lokale Identität stiften. Es kann
den Einwohnern helfen, sich mit et-
was zu identifizieren in einer Welt,
die immer komplexer wird.“
In Deutschland gibt es bereits eine
Leuchtfigur, der diese gesellschaftli-
che Bedeutung zugewachsen ist: das
Ost-Ampelmännchen. Es wurde 1970
zum offiziellen Lichtsignalstandard
in der DDR. Nach der Wende sollte es
abgeschafft werden, überlebte aber
dank Bürgerprotesten und steht in
den ostdeutschen Bundesländern
seither flächendeckend als positives
Symbol für den Osten. Erfunden hat
den heutigen Klassiker der Verkehrs-
psychologe Karl Peglau in den 60er-
Jahren. Bewusst gestaltete er seine
Männchen unperfekt mit Bäuchlein,
Hut und Knollennase, weil er darauf
setzte, dass die Menschen besser
achtgeben würden, wenn es ihnen
ähnlich sähe.

BADEMATTEN, FRUCHTGUMMI
Längst ist das Ost-Ampelmännchen
auch zu einer eigenen Marke, zum
Kassenschlager geworden. In mehre-
ren Berliner Läden wird eine ganze
Palette an Produkten angeboten, die
alle mit der Figur versehen sind: T-
Shirts, Schneekugeln, Badematten,
Stifte, sogar Fruchtgummis gibt es als
Ampelmännchen. Und in Erfurt, wo
es rund ein Dutzend verschiedene
Ost-Männchen gibt (zum Beispiel
Wanderer und Schüler, auch ein Am-
pelmädchen mit Handtasche), bietet
die lokale Touristeninformation zwei-
stündige Ampel-Touren an. Ob die
neuen Ampelmännchen ebenfalls das
Zeug zum Kultprodukt haben? Eher
nicht, glaubt Holger Sievert: „Das
sind keine eigenen Marken, die bauen
nur auf bereits existierende Marken
auf.“ Die Nachfrage nach Rattenfän-
ger-Badematten oder Karl-Marx-
Fruchtgummis dürfte sich in der Tat
in Grenzen halten.

G


Rot-grüne


Bewegung


Was haben Elvis Presley, Karl Marx


und Otto Waalkes gemeinsam?


Sie machen simple Fußgängerampeln


zu Identitätsstiftern


Ampelparade (v. o.)Berg-
mann in Duisburg, Elvis
Presley mit Hüftschwung in
FFFriedberg, Karl Marx inriedberg, Karl Marx in
TTTrier, Ost-Ampelmännchenrier, Ost-Ampelmännchen
mit Regenschirm in Erfurt,
Mainzelmännchen in
Mainz, Wanderer mit
Rucksack in Erfurt und
ein hüpfender Otto Waalkes
in Emden

Dann geht ganz


sicher niemand


mehr bei Rot über


die Straße! Und


bei Grün auch nicht


OTTO WAALKES

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