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»Es gehört für mich
zum Erwachsenwerden dazu,
Verantwortung dafür zu
übernehmen, wie man sich fühlt«
können. Jobs klingt in dieser Rede so wahnsinnig über-
zeugt von der Idee, das wirklich Letzte aus jedem Moment
herauszuholen, dass ich für ein paar Stunden total geflasht
war. Bis ich angefangen habe, über die konkrete Umset-
zung nachzudenken.
Soll ich ihr wirklich sagen, dass ich sie liebe? Wenn heute
mein letzter Tag ist, dann ja, natürlich! Andererseits glau-
be ich, dass man auf diese Weise jemandem auch Angst
machen kann. Der andere mag vielleicht nicht gerade in
diesem Hyper-Modus sein. Sich selbst zu hundert Prozent
zu fordern bringt außerdem diesen Druck mit sich, immer
etwas Sinnvolles zu tun, und das jeden verdammten Tag!
Ich bin voll dafür, hundert Prozent zu geben, aber es ist un-
möglich, immer im letzten Gang zu fahren. Man muss auch
mal gar nichts machen, sich scheiße fühlen, unproduktiv
sein, den Müll rausbringen, weil er sonst stinkt, schlechte
Laune haben, obwohl die Sonne scheint und obwohl man
weiß, dass man keine haben müsste. Manchmal macht das
Leben mehr Sinn und manchmal weniger, und manchmal
auch überhaupt keinen. Es gibt Tage, da komme ich aus
der Uni und bin inspiriert und sprudel vor neuen Ideen.
Und dann es gibt Tage, da schaffe ich es gar nicht erst,
einen Fuß vor meine Tür zu setzen, oder langweile mich im
Hörsaal zu Tode. Für mich ist das auch okay so, solange das
Gefühl nicht zu lange anhält.
Mittlerweile kenne ich aus dem ersten Semester schon ein
paar beim Namen. Mit einigen habe ich Gruppenarbeiten
gemacht, mit anderen habe ich mich getroffen, um Bier zu
trinken, zu kochen oder ins Kino zu gehen.
Was ich auch gerade lerne, ist, dass ich nicht so allein bin,
wie ich immer dachte.
Es gibt da dieses Lied von Simon and Garfunkel, I Am a
Rock. Es handelt von der Tatsache, dass wir als Menschen
eigentlich immer einsam sind. Oder allein. Oder beides.
Für mich war das lange ein Thema, das mich sehr beschäf-
tigt hat. Ich war früher ganz gerne allein in Büchern oder
Filmen unterwegs oder habe einfach ungestört gezeichnet.
Und ich habe mich sehr wenigen Menschen wirklich ge-
öffnet. Das hat dazu geführt, dass ich mich oft gefühlt habe
wie eine Gummiente, die im großen Ozean verloren ge-
gangen ist, und extrem komisch draufgekommen bin.
Heute sträube ich mich immer noch, auf Partys oder so zu
gehen, aber ich habe gemerkt, dass es meistens schön wird,
wenn ich mich überwinde. Weil es mir guttut, durch ein-
an der ge bracht zu werden und mich auf andere Menschen
einzulassen. Ich habe immer noch den Instinkt, direkt nach
der Uni zur U-Bahn zu rennen. Aber hin und wieder bleibe
ich jetzt stehen und unterhalte mich mit Menschen. Ich
vergesse sogar manchmal, dass ich noch nach Hause und
irgendwas erledigen muss. Dann kann ich mich spontan
auf die anderen einlassen, im Moment sein und es genie-
ßen. Für andere ist so was, glaube ich, selbstverständlich,
für mich war es das lange nicht. Es gehört für mich zum
Erwachsenwerden dazu, Verantwortung dafür zu über-
nehmen, wie man sich fühlt. Wenn ich mich einsam fühle
und keinen Bock habe, mich so zu fühlen, dann muss ich
Leute anrufen, ihnen schreiben und auf sie zugehen und
darf nicht auf ein Wunder warten.
Trotzdem habe ich genug Tage, an denen ich nicht so
recht weiß, wo ich hingehöre und was ich hier eigentlich
auf der Welt zu suchen habe.
Vor Kurzem lief die letzte Staffel von Game of Thrones. Da-
mit geht etwas zu Ende. Genau wie vor einigen Wochen,
Der Autor in seiner neuen Wohnung. Vor ein paar Monaten ist er zu Hause ausgezogen