Die Zeit - 25.07.2019

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  1. Juli 2019 DIE ZEIT No 31 WIRTSCHAFT 25


Boris,


der


Baumeister


Ein Doppeldecker mit Pannen


Es war eines der großen Wahlkampfversprechen,
mit denen Boris Johnson 2008 ins londoner
Rathaus eingezogen war: Er, der neue Bürger-
meister, würde den Bewohnern der Stadt ihre
»Routemaster« zurückbringen. Die roten Dop-
peldeckerbusse galten als Symbol von Swinging
london, seit 1956 waren sie kreuz und quer
durch die Stadt gekurvt. Sie wurden millionen-
fach fotografiert und gingen in die Popkultur ein.
Schon 2005, drei Jahre vor Johnsons Amts-
antritt, stellten die Kultfahrzeuge ihren Dienst
endgültig ein, nur als Hochzeits- oder Partyfahr-
zeug kann man sie noch mieten. Sie waren tech-
nisch hoffnungslos überholt und obendrein
ziemliche Dreckschleudern. Ausgerechnet eine
Eu-Richtlinie zwang die londoner Verwaltung
zudem, den gesamten Busbetrieb der Stadt auf
moderne Niederflurtechnik umzustellen, um
auch Rollstuhlfahrer und gebrechlichere Bürger
befördern zu können.
Dabei wurden auch schnöde Gelenkbusse
eingesetzt, wie sie durch jede x-beliebige euro-
päische Stadt fahren. Die erfüllten zwar ihren
Zweck. Geliebt wurden sie von den londonern
und den Besuchern der Hauptstadt aber nie.
Johnson versprach, die alten Doppeldecker
neu aufzulegen, was erst einmal nach keiner allzu
schlechten idee klang – hätten die modernen
Modelle sich nicht als Fehlkonstruktion ent-
puppt.
2012 kamen die Ersten der neuen Routemas-
ter zum Einsatz, sie fuhren mit einer Mischung
aus Diesel- und Elektroantrieb. Die Busse hatte
einen stolzen Preis: 350.000 Pfund pro Fahrzeug.
Viel schlimmer allerdings war, dass der neue, alte
Bus zwar als Touristenattraktion taugte, aber
nicht als Fortbewegungsmittel durch den dich-
ten londoner Stadtverkehr.
im inneren der Doppeldecker entwickelte
sich im Sommer enorme Hitze, insbesondere, da
sich in der ersten Baureihe kein Fenster öffnen
ließ. und auch der noch vor einigen Jahren fort-
schrittliche Antrieb der Busse gilt mittlerweile als
überholt.
Johnsons Nachfolger im Bürgermeisteramt,
Sadiq Khan, entschloss sich deshalb im Dezem-
ber 2016, keine weiteren Routemaster zu bestel-
len. Die Rechnung für Johnsons Prestigeprojekt
zahlten die londoner trotzdem: knapp 300 Mil-
lionen Pfund für 800 Busse, heute umgerechnet
339 Millionen Euro.


Eine Brücke ins Nirgendwo


london und New York verbindet seit je eine Ri-
valität. Die beiden Finanzmetropolen wetteifern
um Geld und Ruhm – und um die Gunst der
Touristen. Wie ein Kind, das dem anderen die
Schaufel im Sandkasten missgönnt, neidete
Johnson den New Yorker Kollegen ein großes
Erfolgsprojekt: die beliebte Touristenattraktion
»High line« im Zentrum Manhattans. Die rund
zwei Kilometer lange, ehemalige Güterzugtrasse
war seit 2006 schrittweise zu einer Parkanlage
umgebaut worden. Heute zieht sie pro Jahr sie-
ben Millionen Besucher an.
Johnson wollte einen derartigen Coup auch
für london. Doch ein Areal, das sich dafür eig-
nete, war nicht mehr verfügbar: Das Kingsland-
Viadukt im Nordosten der Stadt war bereits als
Bahnstrecke reaktiviert worden.
Ein altes Projekt der Schauspielerin Joanna
lumley kam Johnson gelegen. lumley hatte


schon seit einiger Zeit eine »Garden Bridge« über
die Themse gefordert, als Gedenkstätte für die
verstorbene Prinzessin Diana. ihre idee wurde
allerdings nie umgesetzt.
Doch dann witterte Boris Johnson die Chan-
ce, den Plan für seine Zwecke zu kapern und aus
der »Garden Bridge« eine Art londoner »High
line« zu machen. im Herbst 2013 verkündeten
Johnson und lumley ihre gemeinsame Vision
und stießen sogleich auf großen Widerstand.
Gegner des Vorhabens kritisierten die hohen
Kosten, den undemokratischen Planungsprozess


  • und den fehlenden Nutzen der Brücke.
    im August 2017, als Johnson schon gar nicht
    mehr im londoner Rathaus saß, wurde das Pro-
    jekt aufgegeben. Doch schon allein die Planun-
    gen hatten 53 Millionen Pfund verschlungen,
    43 Millionen Pfund davon stammten aus öffent-
    lichen Kassen.


Ein Turm ohne Besucher

Als Boris Johnson Bürgermeister wurde, stand
das Großereignis seiner Amtszeit bereits fest:
2012 würde london die Olympischen Sommer-
spiele ausrichten. Dafür wurden neue Sportstät-
ten und Bahn-linien gebaut. Aber nach John-
sons Meinung fehlte in den Planungen etwas
Entscheidendes: ein Monument, das auch im
Nachhinein an die Olympischen Spiele erinnern
würde, so wie der einst für die Weltausstellung in
Paris errichtete Eiffelturm. Kleiner ging es für
Johnson nicht.
Das Ergebnis lässt sich heute im londoner
Olympiapark besichtigen, zwischen Stadion und
Schwimmhalle. Ein zweiter Eiffelturm ist den
Erbauern nach Meinung der meisten Beobachter
nicht gelungen. im Gegenteil: Das 115 Meter
hohe Bauwerk erinnert an eine Schraube, um die
ein Stück Draht gewickelt ist. Johnson selbst be-
zeichnete den Turm als »mutierte Posaune« und
»Wasserpfeife«. Sprüche klopfen kann der Mann,
so viel muss man ihm lassen.
Angesichts dieses Spotts geriet es fast zur Neben-
sache, dass auch die Besucherzahlen hinter den
Erwartungen zurückblieben. Statt der erhofften
350.000 Besucher kamen im ersten Jahr nach der
Eröffnung 2014 nur 123.000 Menschen.
Finanziert wurde der Turm zu großen Teilen
von lakshmi Mittal, dem Vorstandsvorsitzenden
des Stahlkonzerns ArcelorMittal. Der reichste
Einwohner Großbritanniens steuerte 19 Millio-
nen Pfund bei. Doch die Bürger mussten eben-
falls blechen: 3,1 Millionen Pfund, um genau zu
sein. Auch die jährlichen Verluste glichen öffent-
liche Kassen aus.
Nachdem das Monument 2016 um die längs-
te und höchste Rutsche der Welt ergänzt wurde,
was weitere drei Millionen Pfund kostete, stiegen
immerhin die Besucherzahlen.

Eine Seilbahn aus den Emiraten

Auch ein weiteres Vorhaben Johnsons erschien
auf den ersten Blick nicht völlig abwegig: eine
Seilbahn als Teil des öffentlichen Nahverkehrs,
komplett finanziert aus Werbeeinnahmen, so
ähnlich wie es der Bürgermeister schon bei ande-
ren Großprojekten versprochen hatte.
25 Millionen Pfund sollte die Seilbahn über
die Themse kosten. Pünktlich zu den Olympi-
schen Spielen sollte sie eine Verbindung zwi-
schen zwei Wettkampfstätten herstellen. Nach
bewährtem Schema fand Johnson für sein Pro-
jekt einen zahlungskräftigen unterstützer aus

Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London, designierter Premier von Großbritannien

Foto (Ausschnitt): Jonno Rattman/Redux/laif

der Wirtschaft: Die Fluggesellschaft Emirates mit
Sitz in Dubai sagte zu, für 36 Millionen Pfund
zehn Jahre lang das Sponsoring zu übernehmen. Zu
diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass der erste
Kostenvoranschlag nicht realisierbar war.
Das Ende der Geschichte: Öffentliche Kassen
steuerten 24 Millionen Pfund bei. Die Seilbahn
wurde zwar rechtzeitig zu den Olympischen Spie-
len fertig und war unter den Zuschauern des
Sportereignisses durchaus populär. Danach bra-
chen die Benutzerzahlen ein. Rund 25.000 Touris-
ten fahren heute im Schnitt pro Woche mit der
Emirates Air line.
Regelmäßige Nutzer gibt es quasi keine, was
auch an einem kuriosen umstand liegt: Pendler
müssen bei jeder Fahrt einen Aufpreis für die Nut-
zung der Seilbahn zahlen.

Ein Palast für die Nation

Der Crystal Palace war der Stolz des alten Großbritan-
niens: 1851 anlässlich der Weltausstellung im londo-
ner Hyde Park errichtet, galt der Koloss aus Eisen und
Glas als Symbol der britischen Dominanz im 19. Jahr-
hundert. 1854 wurde der Palast vom Hyde Park nach
lewisham verlegt, wo er im Jahr 1936 zum Entsetzen
der londoner bis auf die Grundmauern niederbrann-
te – und nicht wieder aufgebaut wurde.
Vor Johnsons Zeit als Bürgermeister waren Pläne
für einen Wiederaufbau des Kristallpalasts immer
wieder gescheitert. Doch Johnson empfand die
leerstelle offenbar als solche Demütigung der einst
so strahlenden Weltmacht, dass er 2013 urplötzlich
einen neuen investor aus dem Hut zauberte: die
chinesische ZhongRong Group. Kurz nach einer

China-Reise des Politikers erklärten die immobi-
lienentwickler aus Shanghai ihre Absicht, das Bau-
werk in london für 500 Millionen Pfund neu zu
errichten. Die londoner Bezirksverwaltung schloss
einen Exklusivvertrag mit den neuen Geldgebern
aus China. und dann passierte lange: nichts.
Erst später wurde bekannt: Die ZhongRong
Group wollte das Projekt auf eher chinesische
Weise umsetzen: Der Geschäftsplan sollte geheim
bleiben, Baugenehmigungen ignoriert werden. Die
investoren wollten das Gelände zwar für 125 Jahre
pachten, sich aber nicht an den Verwaltungskosten
beteiligen. Die Wunde im Stadtbild – und in den
Herzen mancher londoner – klafft bis heute.

Siehe auch Politik, Seite 2:
Boris Johnson führt ein tief gespaltenes land

Als londoner Bürgermeister wollte Boris Johnson mit


Großprojekten glänzen. Etliche endeten im Desaster.


Ein Worst-of VON MARC LATSCH


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