Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1

  1. Juli 2019 DIE ZEIT No 31


GLAUBEN & ZWEIFELN 44


E


s ist ein sonniger Nachmittag in
San José, als Pastor Andy Wood
zügigen Schrittes in seine ab­
gedunkelte Kirche läuft und sich
anschickt, das Silicon Valley aus
der Gottlosigkeit zu befreien.
Wood schreitet durch die Zu­
schauermenge wie ein Rockstar, er winkt, er lächelt,
er verteilt High Fives. Dann springt er auf die
Bühne, ein sportlicher Mann in Jeans hemd und
Turnschuhen, die schwarzen Haare zum undercut
rasiert. Eben erst ist er mit dem Flugzeug aus los
Angeles gelandet. Jetzt ruft er ins Mikrofon: »Was
geht ab, leute? Willkommen in der Echo Church!«
Die Echo Church ist Woods eigene Schöpfung.
Aus dem Nichts hat er diese Gemeinde aufgebaut,
die mit den meisten Kirchen in Deutschland so
viel gemein hat wie ein iPhone mit einem Kabel­
telefon. Die Echo Church ist ein Gotteshaus wie
aus der Zukunft.
Wood schlendert über die Bühne, eine Hand in
der Hosentasche, in der anderen das Mikro. um
ihn herum sind riesige Bildschirme montiert, auf
denen er überlebensgroß zu sehen ist. Dutzende
Scheinwerfer strahlen ihn an, hinter ihm prangt
das logo seiner Gemeinde, drei Balken, die aus­
sehen wie das WlAN­Symbol auf einem Smart­
phone bei vollem Empfang.
Normalerweise leitet der 37­Jährige hier Mes­
sen, die an Popkonzerte erinnern. Eine Band
spielt, und Hunderte meist junge Menschen stre­
cken ihre Hände in die luft und singen aus voller
Kehle Jesus­lieder. immer mehr Besucher bringen
inzwischen Ohrschützer mit in Woods Gottes­
dienst, weil es so laut wird.
Heute aber ist der Geistliche Gastgeber für eine
besondere Art von Messe: 600 Kirchengründer
versammeln sich zu einer Konferenz namens Ex­
ponential. ihr Ziel: das Silicon Valley und von dort
aus das ganze land zu missionieren. So schnell wie
möglich. Nur Gott könne die »unchristlichste Ge­
gend der uSA retten«, ruft Wood von der Bühne.
Wie in Europa haben die Kirchen auch in den
uSA mit sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen. Das
betrifft besonders die Gegend um San Francisco, wo
laut dem Pew Re search Center, einem Meinungs­
forschungsinstitut mit Sitz in Washington, nur noch
rund ein Fünftel der Christen einmal pro Woche zur
Messe gehen – es ist einer der niedrigsten Werte im
ganzen land. Doch eine neue Generation von Evan­
gelikalen meint nun eine lösung für dieses Problem
gefunden zu haben, ausgerechnet hier im Silicon


Valley, wo technischer Fortschritt zu einer Ersatz­
religion geworden ist. Sie nennen sich church planters
und wollen Kirchen säen wie Bauern Getreide. Dazu
gehen sie vor, als würden sie ein Start­up gründen,
nutzen inkubatoren und investoren, entwerfen ehr­
geizige Wachstumsmodelle. Auf nicht wenigen
Visitenkarten in San José steht »kingdom entrepre-
neur«, unternehmer im Reich Gottes.
Die Botschaft, die sie vertreten, kann man über
die kircheneigene Echo­Church­App abrufen. Es ist
eine konservative, bibeltreue lehre, die da via Online­
Gottesdienst gepredigt wird, verpackt in unterhalt­
same Vorträge voller persönlicher Anekdoten. Die
Überschriften klingen wie profane You Tube­ Tuto­
rials: »Hol dir dein Selbstvertrauen zurück!«, »Was
hält dich davon ab, großzügig zu sein?« oder »Wie
man die Gier loswird«. in einer Predigt spricht Wood
darüber, wie seine Kirche zu Schwulen und lesben
steht. Zusammengefasst: Wir wollen euch in unseren
Gottesdiensten, wir kümmern uns um euch – aber
gottgewollt ist eure Sexualität sicher nicht.
Als Andy Wood im Silicon Valley mit seiner
Rede fertig ist, tritt Dave Ferguson auf die Bühne,
der Mann, der sich Exponential ausgedacht hat.
Ferguson gründete einst eine Gemeinde in Chica­
go, war erfolgreich, eröffnete Ableger wie ein boo­
mendes unternehmen Filialen. Aber irgendwann
wollte er mehr. Also entwarf er mit einem Freund
ein Modell, das helfen sollte, das Reich Gottes
schneller und effektiver zu vergrößern.
Fergusons Konzept basiert auf fünf Kurven, die
er nun auf die Bildschirme der Echo Church pro­
jiziert. Zwei der linien zeigen nach unten,
»declining« und »plateauing« steht daneben. Das
seien, sagt Ferguson, 80 Prozent der Kirchen im
land. Sie verlieren Besucher oder sta gnie ren. Die
dritte und die vierte Kurve zeigen leicht nach oben:
»growing« und »reproducing«. Das sei der Rest, sagt
Ferguson, wovon 16 Prozent leicht wachsen und
vier Prozent neue Standorte gründen und expan­
dieren. Am wichtigsten aber ist Ferguson die fünf­
te linie. Sie ist seine Vision. »multiplying« steht
daneben. Die Kurve ragt steil nach oben.
Die uSA sind berühmt für ihre sogenannten
Megakirchen, die ihre Gottesdienste in giganti­
schen Hallen feiern und deren Pastoren zu regel­
rechten Popstars aufsteigen, mit Zehntausenden
Followern auf in sta gram. Dave Ferguson findet,
dass das der falsche Ansatz ist: Möglichst viele
Menschen in große Gebäude zu locken, das sei
nicht die Mission des Christentums. Es gehe
nicht um Sitz­, sondern um Sendungskapazitä­

ten, lautet einer seiner liebsten Slogans. lieber
viele kleine Kirchen im ganzen land als riesige an
wenigen Orten.
Glaubt man Ferguson, stehen die uSA derzeit
an einem entscheidenden Punkt. Er erklärt es wie
ein Verkäufer eine geniale Geschäftsidee, anhand
einer einfachen Rechnung: 80 Prozent der Ameri­
kaner sagen, sie glauben an Gott, aber nur 18 Pro­
zent gehen sonntags in die Kirche. »Stell dir vor,
du machst einen Burger­laden in einer Stadt auf,
in der die meisten Menschen Burger lieben, aber
noch keine essen!« Eine bessere Ausgangslage ist
für ihn kaum vorstellbar.
Deshalb hat Ferguson Exponential erfunden und
veranstaltet Konferenzen in New York, Chicago,
Houston und vielen anderen Städten, um Hunder­
ten, oft Tausenden Teilnehmern zu erklären, wie man
die Gläubigen in den Gottesdienst holt: durch Kir­
chengründungen nach dem Schneeballsystem. und
irgendwann, hofft er, wird eine christliche lawine
nicht nur durch die uSA rollen, sondern über die
ganze Welt. Es gibt inzwischen rein spanischsprachi­
ge Events, dazu sind Konferenzen im Ausland in
Planung, auch in Deutschland.

E


xponential ist ein typisches Beispiel
dafür, dass innovationen in der Kirche
in den uSA oft aus der konservativen
Ecke kommen. Gemäßigte Kirchen
verlieren Mitglieder, viele Evangelikale
gewinnen Anhänger. und dieser Trend spiegelt
sich in der Politik. Einer umfrage des Pew Re­
search Center zufolge wählten 81 Prozent der wei­
ßen Evangelikalen und Freikirchler Donald Trump.
Es ist ein sich selbst verstärkendes System: Der uS­
Präsident macht Klientelpolitik für konservative
Christen, die revanchieren sich, indem sie in ihren
Gottesdiensten für Trump werben.
Man spürt die Aufbruchsstimmung in San José
in jedem Seminar. in einem Workshop analysiert ein
ehemaliger Software­Entwickler, der jetzt als Pastor
arbeitet, die Zielgruppen der Kirche, er spricht über
Babyboomer, Marginalisierte und Flüchtlinge. Die­
se leute müsse man gewinnen, dann könne man zu
einer mächtigen Bewegung werden. Sein Slogan:
»Make church great again«.
in einem imagefilm, der über die leinwände
flimmert, spricht ein Football­Coach darüber, wie
wichtig es sei, neue leaders für die Kirche zu fin­
den, also Führer, Anführer, Führungsfiguren. »Der
größte Anführer aller Zeiten war Jesus Christus.«
Nur woran erkennt man einen neuen leader?

Einer, der die Fusion aus Kirche und Silicon
Valley perfekt verkörpert, ist Pat Gelsinger. Der
schmächtige unternehmer in Sakko und Jeans er­
innert ein wenig an Bill Gates. Als er auf die Büh­
ne tritt, fragt er als Erstes: »Kennt ihr uSB? Wi­Fi?
PC?« Die leute nicken. »ich habe geholfen, diese
Techniken zu entwickeln.« Heute leitet der 57­Jäh­
rige die Firma VMware, ein Tochterunternehmen
von Dell. Er lässt Kennziffern über die leinwand
flimmern: 7,9 Mil liar den Dollar Gewinn, 23.000
Mitarbeiter, eins der Top­Five­Software­unter­
nehmen der Welt. Dann die Kontrastfolie: Num­
mer­eins­Religion in der Bay Area sei »keine«, 50
Prozent der Bewohner seien »post-Christian«, also
ehemalige Christen, die die Kirche verloren habe.
Gelsinger malt das Schreckbild einer kaputten,
orien tie rungs losen Gesellschaft. Sein Gegenrezept:
ständiges Missionieren, von Montag bis Sonntag,
selbst im Büro. Klar, sagt er, er sei ein CEO. Aber
sein wahrer Beruf: »Vollzeit­Gottesdiener!«
Gelsinger stellt einen Fonds vor, der »Start­up­
Kirchen« fördert, einen »Gründungsbeschleuni­
ger«. Das Ziel: 1000 neue Kirchengemeinden im
Silicon Valley innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Sein Fonds unterstützt die Gemeinden mit bis zu
20 Prozent ihres Budgets, aber nur über drei Jahre.
Er glaubt an eine K.­o.­Regel, an die sich investo­
ren halten: Wenn eine Kirche nach drei Jahren
nicht erfolgreich ist, wird sie es nie. Zum Abschluss
seiner Rede ruft Gelsinger in die Menge: »Verän­
dern wir etwas für die Ewigkeit!«
Eine Gemeinde zu führen wie ein Start­up, das
ist keine Vision mehr. Andy Wood hat vor­
gemacht, wie das geht. Trifft man ihn zwischen
den Panels auf einen Kaffee, lernt man einen
Mann kennen, der kaum eine halbe Stunde ruhig
sitzen kann, ohne auf sein Handy zu schauen, der
SMS schreibt, während er im Gespräch ist, You­
Tube­ Videos aufruft, wenn er einen Witz machen
will. Wood passt in die Bay Area.
Er war noch Student, als er in Dallas mit sei­
ner Ehefrau seine erste eigene Gemeinde auf­
baute. Aber das reichte ihm nicht. Zu einfach.
Also ging er raus aus dem Bible­ Belt, der christ­
lichsten Region der uSA, und rein in die un­
christlichste, nach Kalifornien. Wood erzählt
nun erst mal ein modernes Gleichnis, die Ge­
schichte von zwei Schuhverkäufern, die auf
Dienstreise nach Afrika geschickt werden. Der
eine kommt zurück und meldet seinem Arbeit­
geber: Niemand trägt Schuhe, es gibt keinen
Markt für uns in Afrika. Der andere kommt zu­

rück und sagt: Der Markt ist weit offen, niemand
trägt Schuhe! So sieht Wood sich selbst im Silicon
Valley: ein Schuhverkäufer Gottes.
und er scheint ein guter Verkäufer zu sein. in
wenigen Wochen trieb er mehr als eine Mil lion Dol­
lar ein für seine Echo Church, 17 größere Kirchen
investierten in sein Projekt. Heute führt Wood eine
Gemeinde mit 25 Mitarbeitern und über 2000 Mit­
gliedern an drei verschiedenen Standorten. Hält er
eine Messe, wird sie per live stream an alle Standorte
und ins internet übertragen.

W


ood will einer »coolen« Kirche
vorstehen. Früher habe er sich
geschämt, seine Freunde mit in
den Gottesdienst zu bringen. Zu
peinlich die Talare der Pastoren,
zu unverständlich die Sprache, zu streng die Moral­
vorstellungen. Seine Echo Church soll anders sein:
offener, moderner, weniger streng. Jeder sei will­
kommen, sagt Wood. Sie hätten kürzlich sogar
eine ehemalige Prostituierte aufgenommen. »ich
kann dir den link zu ihrer Geschichte schicken«,
sagt er, »sie steht auf unserer Home page.«
Marketing ist Pflicht in der Echo Church, Wood
hat eigens ein Kreativitäts­ und Kommunikations­
team gegründet. Gerade die jüngere Generation
suche Zugehörigkeit, das sehe man ja schon daran,
wie populär manche Modemarken seien. Die Kir­
che müsse also wiedererkennbar sein wie Adidas
oder Nike. »Wir haben eine Marke, die dafür steht,
liebe in die Welt zu senden.« Deshalb die drei
Balken, das Echo.
Als die Konferenz auf ihr Ende zugeht, steigt
Andy Wood wieder auf die Bühne. Das licht in
der Halle ist abgedunkelt, die Band unterlegt seine
Rede mit leiser Musik. Wood erzählt, wie er da­
mals in Dallas mit sich gerungen habe: Eine Kir­
che gründen, kann ich das wirklich? Dann habe er
den Ruf Gottes vernommen. »Ab da gab es nichts
mehr, was mich aufhalten konnte.«
Einigen hier im Saal gehe es bestimmt ähnlich.
»Es wird keinen besseren Moment geben als heute,
zu sagen: ich bin dabei«, verkündet Wood, wäh­
rend sich seine Mitarbeiter vor ihm postieren, eine
kleine Armee aus Geistlichen in roten T­Shirts.
Wer den Ruf Gottes höre, der solle jetzt vortreten,
mit ihnen beten und sich auf den Weg begeben,
ruft Wood. Zögerlich erheben sich Männer und
Frauen im Publikum und gehen nach vorn. Es
dauert nicht lange, dann ist an der Bühne kaum
noch Platz.

Pastor Andy Wood (l.) will mit seiner Kirche Kalifornien missionieren

80 Prozent aller Amerikaner glauben an Gott Junge Evangelikale sind toleranter


Z E I T-GRAFIK/Quelle: Pew Research Center
(rundungsbedingte Dierenzen sind möglich) Zahlen von Grafik 1
von 2017, Zahlen von Grafik 2 und 3 von 2014

glauben nicht an
eine höhere/
spirituelle Macht

der weißen evangelikalen/
freikirchlichen Christen haben
2016 Hillary Clinton gewählt

aber glauben an
eine höhere/
spirituelle Macht

Anteil der evangelikalen Protestanten, die
folgenden Aussagen zustimmen:

Die gleichgeschlechtliche Ehe ist zu befürworten

Homosexualität sollte von der Gesellschaft akzeptiert sein

Mehr Zuwanderer verändern die Gesellschaft zum Besseren

Eine starke Regierung und ihre Sozialleistungen sind vorzuziehen

Strengere Umweltschutzgesetze sind ihren Preis wert

Staatliche Beihilfen bringen mehr Nutzen als Schaden

glauben an eine
höhere/spirituelle
Macht

ja nein

Glauben Sie
an Gott?

glauben an Gott,
wie er in der Bibel
beschrieben ist

56 % 9 %


80 %


16 %


von ihnen wählten
Donald Trump

81 %


19 %


23 % 10 %


jüngere evangel. Protestanten (geb. 1981–96)

ältere evangel. Protestanten (geb. vor 1981)

23 %

32 %

13 %

27 %

43 %

36 %

45 %
23 %
51 %

27 %

41 %

55 %

45%

Make church great again!


Das Silicon Valley ist eine der unfrommsten Gegenden Amerikas. Gerade hier wollen evangelikale Christen zeigen,


wie die Kirche wachsen kann – und bedienen sich der Mittel von Start­ups VON SEBASTIAN KEMPKENS


Fotos: echochurchlive
Free download pdf