Die Zeit - 25.07.2019

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6 POLITIK 25. Juli 2019 DIE ZEIT No 31


Spielregeln für Giganten


V


or neunzig Jahren gab es den
größten Börsencrash aller Zei-
ten, der als »Black Thursday« in
die Geschichte eingegangen ist.
Damals verfolgte natürlich kei-
nes der involvierten unterneh-
men das Ziel, das Vermögen
seiner Anleger zu vernichten und sie in den Ruin
zu stürzen. Trotzdem war dies das Ergebnis.
Heute sind der schludrige umgang mit Daten
oder individuelle Überwachung auch nicht das
Geschäftsziel von Google, Amazon, Facebook
und Co. Dennoch beschleicht manch einen ge-
nau dieses Gefühl – und als Weckruf warnt die
Harvard-Professorin Shoshana Zuboff bereits
vor einem »surveillance capitalism«.
Manche reagieren darauf mit Kulturpessi-
mismus. Das Smartphone wegwerfen, sich aus
den sozialen Medien abmelden, nichts mehr
online bestellen und nur noch bar bezahlen –
all das sind Ratschläge, die kursieren. liberale
kann das nicht überzeugen. Wenn die Regeln
oder ihre Durchsetzung nicht gut genug sind,
müssen wir beides – Regeln wie Durchsetzung



  • eben besser machen, statt trotzig alles zu ver-
    dammen und auf die faszinierenden Möglich-
    keiten der Digitalisierung völlig zu verzichten.
    Deshalb müssen wir in Europa den nächs-
    ten Schritt gehen: Kluge Regeln brauchen
    starke institutionen, die Regelverstöße fest-
    stellen und sanktionieren können. Konkret:
    Wir brauchen eine European Data Agency
    (EDA), eine europäische Behörde für die Da-
    tenaufsicht.
    Mir ist bewusst, dass ich damit den einen
    oder die andere verwirren werde: Ein Politiker
    der Freien Demokraten fordert eine neue Be-
    hörde? um große Konzerne wirksamer als bis-
    her zu regulieren? Ja, genau.
    Denn liberalen geht es nicht um möglichst
    wenig Staat, sondern um möglichst viel Frei-
    heit für jede und jeden Einzelnen. Egal, ob die
    Freiheitseinschränkung durch staatliche Über-
    wachung oder Diskriminierung, überbordende
    Bürokratie, fiskalische Belastung oder eben
    durch Konzerne entsteht, die ihre Marktmacht
    ausnutzen. Diesen Grundsatz auf die neuen
    Fragen unserer Zeit anzuwenden ist ein sinn-
    volles Fortdenken der ordoliberalen Tradition,


die sich schon in der Schaffung des Bundes-
kartellamts konkretisierte.
Bisher kreist die Debatte um die Markt-
macht einzelner Datenkonzerne meist aus-
schließlich um Fragen und Antworten des
Wettbewerbsrechts. Es war auch richtig, wenn
Margrete Vestager als Eu-Wettbewerbskom-
missarin zum Beispiel von Facebook verlangte,
Geschäftsfelder zu trennen. Aber das instru-
ment der Entflechtung stößt nun einmal an
Grenzen in der digitalen Plattform-Ökonomie,
deren Wesen ja gerade die Verflechtung ist.
Wettbewerb ist eine Antwort auf viele, aber
nicht auf alle Fragen, die sich bei der Nutzung
unserer persönlichen Daten stellen. Oder in
den Worten von Vestager selbst: Sie sei sehr
glücklich mit dem Hammer des Wettbewerbs-
rechts – aber deshalb werde nicht jede Frage
des digitalen Binnenmarktes zu einem Nagel.
Neben dem Wettbewerb unter den Daten
verarbeitenden unternehmen und unserem
bewussten umgang mit den eigenen Daten
brauchen wir also eine neue, alles um-
klammernde Antwort: Datensouveränität muss
sie lauten.
Datensouveränität zum einen gegenüber
dem Staat – hier herrscht in Deutschland zum
Glück eine hohe Sensibilität, wie auch der an-
haltende Widerstand gegen die Vorratsdaten-
speicherung zeigt. Dieselbe Gegenwehr haben
übrigens auch die Träume vom zweiten Großen
Wohnzimmer-lauschangriff mancher landes-
innenminister via Zugriff auf Alexa und Co.
verdient. Zum anderen ist es aber ebenso zwin-
gend, Datensouveränität gegenüber Facebook,
Google und Co. durchzusetzen. Global gese-
hen, ist die Eu hier mit der Datenschutz-
Grundverordnung, trotz aller ihrer Schwächen,
beispielhaft vorangegangen.
Was zunächst gut klingt, tönt jedoch schnell
hohl, wenn es um die Kontrolle geht. Wer in der
Europäischen union überwacht, ob diese Regeln
auch wirklich eingehalten werden? Diese Frage
ist nicht trivial, hier sollte niemand naiv sein.
Ein Beispiel: Der Facebook-Mitgründer Chris
Hughes hat kürzlich in einem Gastbeitrag in der
New York Times offengelegt, Facebook habe in
der Vergangenheit konkrete uS-amerikanische
Vorgaben zum umgang mit privaten Daten wis-

Johannes Vogel ist
FDP-Bundestags-
abgeordneter

sentlich ignoriert. und das Wall Street Journal be-
richtet von E-Mails von Mark Zuckerberg, die
diesen Verdacht erhärten. Wer kann also garan-
tieren, ob das heute mit der Eu-Datenschutz-
Grundverordnung anders ist?
Facebook ist nur ein Beispiel unter vielen,
wie etwa Amazons und Googles medialer
Eiertanz über die Frage gezeigt hat, ob und
wie Mitarbeiter Alexa- und Google-Assistant-
Aufzeichnungen – also mitunter sogar Schlaf-
zimmergespräche – auswerten. und es geht
auch nicht nur um amerikanische unterneh-
men: Auch in Europa wächst das Netzwerk
TikTok der chinesischen Firma ByteDance,
das in den uSA bereits häufiger installiert
wird als Facebooks instagram. Wollen wir uns
überall hier allein auf Aussagen der Firmen
verlassen? und glaubt irgendjemand, dass die-
se zu zittern beginnen, wenn der – sicher aller
Ehren werte – landesdatenschutzbeauftragte
von zum Beispiel Rheinland-Pfalz anruft, weil
in Deutschland die Zuständigkeit bei den ein-
zelnen landesbehörden liegt?
in Analogie zum Verbraucher- und An-
legerschutz der Finanzmarktaufsicht brauchen
wir also eine Eu-Datenmarktaufsicht. Nur so
wird die Kontrolle der Regeln für Datenschutz
und -sicherheit gestärkt und damit auch effek-
tiv vereinheitlicht. Der neue Eu-Datenschutz-
ausschuss, in dem die nationalen Datenschutz-
beauftragten sitzen, ist zwar ein Schritt in die
richtige Richtung. Das reicht aber bei Weitem
nicht aus, auch weil einzelne Datenschutz-
behörden gerade dort, wo die großen iT-unter-
nehmen ihre Zentralen in der Eu haben, im-
mer noch zu nachsichtig sind. So wie seit den
großen Finanzkrisen niemand mehr an Sinn
und Zweck einer handlungsfähigen und robus-
ten Finanzmarkt- und Bankenaufsicht zweifeln
sollte, so sollte im Jahr 2019 niemand die Not-
wendigkeit einer echten Aufsichtsbehörde für
den Datenmarkt infrage stellen. Denn schon
heute sind nicht mehr nur Finanzströme die
lebensadern unserer Wirtschaft und Gesell-
schaft, sondern eben auch die Datenflüsse.
Konkret verlangt dies: Erstens eine euro-
päische, mit ausreichend Personal und iT-
Kompetenz ausgestattete Behörde für den
ganzen großen Markt der Eu, die auf Augen-

höhe mit den Konzernen operiert und ein-
heitliche Prüfstandards sicherstellt. Diese soll-
te sich dann auch auf die großen Player und
Brennpunkte des Datenschutzes konzentrie-
ren, nicht auf ungefährliche Alltagskonstella-
tionen. Zweitens braucht es eine umfassende
Auskunftspflicht seitens der unternehmen,
Zitationsrechte gegenüber allen Verantwort-
lichen inklusive des Topmanagements und
das Recht, jederzeit alle Standorte, Codes und
Algorithmen einsehen und prüfen zu können.
Eben ganz so, wie bei der Finanzaufsicht
auch. und drittens muss es tatsächliche Sank-
tionskompetenz für die europäische Behörde
geben, die, wo nötig, auch den Mut hat, die
in der Eu-Datenschutz-Grundverordnung
vorgesehenen effektiven Bußgelder in Millio-
nen- oder auch Milliardenhöhe und andere
Auflagen zu verhängen.
Die Zeit für eine European Data Agency ist
reif. Warten wir nicht erst auf einen Daten-
crash im Weltmaßstab und lassen wir den Kul-
turpessimismus nicht weiter um sich greifen.
Ebenso wie naive Heilserwartungen gegenüber
Firmen aus dem Silicon Valley übertrieben wa-
ren und sind, ist es heute deren Dämonisie-
rung. Die Digitalisierung bleibt eine faszinie-
rende Chance auf mehr Selbstbestimmung
und Vernetzung von Menschen. Konkret er-
lebbar wird diese oft durch Produkte und
Dienstleistungen von erst kleinen und später
manchmal großen unternehmen. Daran ist
nichts Schlechtes – im Gegenteil: Es ist kein
Zufall, dass autoritäre Regierungen in China
und anderswo genau diese westlichen Firmen
bei sich nicht haben wollen. Aber wir müssen
hier bei uns sicherstellen, dass alle Firmen, die
mit unseren Daten operieren, also mit etwas,
das im 21. Jahrhundert zum Kern unserer Per-
sönlichkeit und intimsphäre gehört, jederzeit
und vollständig nach unseren Regeln spielen.
So prägen wir in Zeiten eines neuen
Systemwettbewerbs mit chinesischem »Social
Scoring« und anderem den technischen Fort-
schritt im lichte unserer Werte. und dadurch
gewährleisten wir für uns Bürgerinnen und
Bürger etwas, das auch im digitalen Zeitalter
selbstverständlich sein muss: Freiheit durch
Souveränität.

Wenn Europa die


internetkonzerne


zivilisieren will,


braucht es


eine mächtige


Gegen instanz: Eine


European Data


Agency. Ein


Gastbeitrag
VON JOHANNES VOGEL

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Das Smartphone
wegwerfen? Hilft
leider auch nicht

Symbolfoto (o., Ausschnitt): Westend61/imago; kl. Foto (u.): T. Bartilla/imago
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