SEITE 16·MONTAG,2.MÄRZ2020·NR.52 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Früher fülltenKolonialwaren wie Kaf-
fee, Kak ao, Tee, Tabak,Gewürze und
Kautschuk die pittoresken Lagerhäuser
der HamburgerSpeicherstadt.Das ist
langevorbei, dochdas Hafenvierteler-
zählt nochimmer beste Hamburger
Wirtschaftsgeschichte. Ein üppiger
Band des ArchitekturhistorikersRalf
Langemit 440 brillantenAbbildungen
berichtet jetzt erstmals über Planung
und Bau diesesweltweitgrößten Lager-
hauskomplexes, seineRekonstruktion
nachdem ZweitenWeltkrieg und die
Revitalisierung.
Anlass für den Bau der seit 2015 zum
Unesco-Welterbe zählenden Speicher-
stadt auf zwei Elbinselnwar1881 das
Zollanschluss-Abkommen mit dem
DeutschenReich. Darin wurde der Han-
sestadteinGroßteilihresHafensals
Freihafen zugestanden,wo Importgüter
weiterhin zollfreigelagert,veredelt und
verarbeitet werden durften. Mehr als
16 000 Menschen mussten umgesiedelt
und insgesamt 1000 Häuser abgerissen
werden für das innovativeHafenlogis-
tikzentrum mit Kränen,Aufzügen und
Seilwinden und der Anbindung an Ei-
senbahn,Straßen, Fleete und das eige-
ne Elektrizitätswerk. Die aufTausen-
denvon Ei chenpfählen errichtetenneu-
gotischenRotklinkergebäude mit Gie-
beln, Erkern undTürmchen gelten als
Musterbeispiel norddeutscher Back-
steinkultur.ImZweiten Weltkrieg zurHälfte zerstörtund bis 1967 originalge-
treu wieder aufgebaut, wurde die Spei-
cherstadt bis in die 1990er Jahrezur La-
gerung genutzt.
Am Ende allerdings hatten nur mehr
TeppichhändlerrentableVerwendung
für die leeren Böden undden alt ertümli-
chen Handbetrieb mit Seilwinden und
Handkarre.Container und automati-
sierte Lagerverwaltungssysteme mach-
tenden Freihafenstatus zum Anachro-
nismus. 2004 wurde die Speicherstadt
zollrechtlichzum Inland. DerNeubau
der Hafen-City bescherte den alten
Speichergebäuden einen überraschen-
den Boom: Diegründerzeitliche Archi-
tektur,die sic hzur Touris tenattraktion
gemauserthat, beherbergt heutehinter
alten Fassaden Agenturen, Verlage,
Theater,eine Musical-Akademie und
schic ke Szenelokale. An das alteLeben
erinnerndas Deutsche Zollmuseum,
das Maritime Museum, das Gewürzmu-
seum undals Herzdes Ganzen dasSpei-
cherstadtmuseum. Dortzeigen Fotos
und Werkzeuge, wie seinerzeit in den
Speicherngearbeitet wurde, undKaf-
fee-, Tee- undKak ao-Verkostungen er-
innerndaran, wie die Speicherstadt
einstduftete. ULLAFÖLSINGRalf Lange: Die Hamburger Speicher-
stadt. Geschichte, Architektur,Welterbe.
Döllingund GalitzVerlag, München, Ham-
burg2019, 384 Seiten, 40 Euro.Der Coronavirus breitet sichin
Europaweiter aus. Damit sind
auchdie Sorgenüber dessen
wirtschaftlicheFolgen zurückgekehrt,
die an denFinanzmärkten zunehmend
eingepreistwerden.
Dazugehörtauch, dassdie Wahr-
scheinlichkeit fürweiter eZinssenkun-
gennun deutlichhöher eingeschätzt
wird–sowohl für dieVerei-
nigtenStaaten als auchfür Eu-
ropa. Dabei istdie amerikani-
sche Wirtschaf twohl weniger
anfällig für den Corona-Fall-
out.Dennocherwarteteine
Mehrheit der Marktteilneh-
mer eine Zinssenkung durch
die amerikanische Noten-
bank bis zum Sommer 2020.
Auch mit Blickauf die Eu-
ropäischeZentralbank (EZB)
werden Zinssenkungen wie-
der wahrscheinlicher.FührendeVertre-
terder EZB plädieren bereits für einko-
ordiniertesVorgehen vonGeld- undFis-
kalpolitikgegendie befürchtetennegati-
venKonjunkturfolgen der Erkrankungs-
welle. Noch mehr expansivePolitik also
zur Stützung derWirtschaf tund zur Be-
ruhigung der Märkte.
Damit isteine möglichegeldpoliti-
sche Trendwende derFrankfurterNo-
tenbank nun wieder hinfällig. Der
Markterwartung einerweiteren Locke-
rung der Geldpolitikkönnteschon bald
entsprochenwerden.
Dochwas bedeutet das für denkurz-
und mittelfristigen Konjunkturaus-
blick? Sehrwenig bis nichts. Eine mar-
ginale Zinsänderung, nochdazu auf oh-
nehinextrem tiefem Niveau, wirdkaum
positiveEffekteauf Kreditnachfrage
und Investitionen habenkönnen.
Die längerfristigen negativenFolgender Niedrigzinspolitik sollteman aber
nicht aus denAugenverlieren,etwa
den Trend zu einersteigendenVerschul-
dung.Staaten, Unternehmenund priva-
te Haushaltenutzen die Möglichkeiten
des billigen Geldes und bauen zusätzli-
cheSchulden auf. Der Schuldenbergin
den EWU-Volkswirtschaftenist auf Re-
kordniveau angewachsen.
Ein weiteres Problem dau-
erhaf terNiedrigzinsen sind
die sogenannten „Zombie-Un-
ternehmen“. Banken halten
eigentlichinsolventeFirmen
durch billigeneue Kredite
über Wasser und schonen so
ihreBilanzen. Dasverhindert
die notwendigeErneuerung
des Unternehmenssektors
und drückt auf die gesamt-
wirtschaftliche Produktivität.
Schließlichsind Fehlalloka-
tionen mit unabsehbarenFolgen zu be-
fürchten,denn Investitionen werden
durch die verzerrten Preissignale in die
falschenKanäle geleitet.Immobilien-
oder Aktienblasen bauen sichauf, die
mit ihrem Bersten den Finanzsektor
und dieganze Volkswirtschaftineine
tiefeKrise stürzenkönnen.
Das Reaktionsmusterauf die neue
Epidemie unterscheidetsichnicht von
anderen Krisen. Im Ergebnis bleiben
die Zinsen niedrig, und dieVerschul-
dungwächst.Die damit einhergehen-
den Risikensteigen weiter an. Die oftzi-
tierte Alternativlosigkeit hat aber Gren-
zen, und diese rückennäher.Eswäre
insbesonderefür die EZB daher besser,
dieses Mal dem Druckder Märktezuwi-
derstehen und die Zinsen nicht noch
weiter abzusenken.
DerAutorist Chefvolkswirtund LeiterResearch
der DZ Bank.D
er all gemeine,flächendecken-
de Mindestlohn in Deutschland
hat gerade seinen fünftenGe-
burtstaghinter sich.Vordem
Hintergrund einesstarkenAnstiegsder
Lohnungleichheit insbesondereamunte-
renEnde der Lohnverteilung hat ihn die
Bundesregierung im Januar 2015 einge-
führt. Der Mindestlohn wurde auf einen
Stundenlohnvon8,50 Eurofestgelegt.So-
mit warein erheblicherTeil der Arbeitneh-
mer direktvonder Einführung betroffen:
Sechs Monatevor dem Startlag der Lohn
vonungefähr 15 Prozent allerBeschäftig-
tenunterhalb der Mindestlohngrenze. Mit
einemVerhältnis des Mindestlohns zum
Medianlohnvon0,48 hatteder Mindest-
lohn in Deutschland eine ähnlichhohe
Reichweitewie im VereinigtenKönigreich
(0,49), abereine höhere als in denVerei-
nigtenStaaten (0,36),und eine niedrigere
als inFrankreich(0,61). In einer neuen
und umfassendenStudie (Dustmann, Lind-
ner,Schönberg,Umkehrer ,und vomBer-
ge,2020) analysieren wir die Effekteder
Einführung des Mindestlohns.
Noch vorder Einführungwarntenviele
Ökonomen in Deutschlandvorden negati-
venKonsequenzen, die dieser Eingriff für
den Arbeitsmarkt haben würde. Diese
Warnungen kamenkeineswegs überra-
schend: Mindestlohneinführungen und -er-
höhungen wurdenvonvielen Ökonomen
schon immer mit viel Sorge betrachtet.In
ihrer einflussreichen Analyseder Erhö-
hung des Mindestlohns in denVereinigten
Staaten brachen David Cardund Alan
Krueger (1995) mit ökonomischerKon-
vention, indem sie basierend auf sehr
gründlichen empirischen Analysen von
Mindestlohnerhöhungen in verschiede-
nen Staaten derVereinigten Staaten argu-
mentierten, das sdiese nur sehrgeringeEf-
fekteauf die Beschäftigung hatten.Sakrileg ökonomischer Prinzipien
In einerZeit, in der theoretische Betrach-
tungen dieWirtschaftswissenschaften do-
minierten, schienen diese aufrein empiri-
scher Analysebasierenden Ergebnisse vie-
len Ökonomen geradezuein Sakrileg
grundlegender ökonomischer Prinzipien
zu sein.Stellvertrete nd sei hierder Nobel-
preisträger James M. Buchanan aus einem
Aufsatz im„Wall StreetJournal“ 1996 als
Antwortauf di eArbeitenvonCardund
Krueger zitiert:
„Die umgekehrte Beziehungzwi-
schen der nachgefragten Mengeund dem
Preis istderKernsatz in denWirtschafts-
wissenschaften, dervoraussetzt, dass das
Wahlverhalten des Menschen ausrei-
chendrational ist, umVorhersagen zu er-
möglichen.Sowie keinPhysikerbehaup-
tenwürde, ,Das Wasser läuftbergauf‘,
würdekeinselbstbewussterÖkonom be-
haupten,dass Erhöhungendes Mindest-
lohns die Beschäftigung erhöhen.Eine
solche Behauptungwäre,wenn sie ernst-
haftvorgebracht wird,gleichbedeutend
mit dem Leugnen, dass es in derWirt-
schaftauchnur einen wissenschaftlichen
Mindestgehaltgibt...“.
Andere widersprachen, wiePaul Krug-
man, ebenfallsNobelpreisträger,der dar-
auf hinwies,dassdie Er gebnissevon Card
und Krueger,obgleichsie einfachste öko-
nomische Prinzipienzuverletzenschie-
nen, empirischstabil seien. In derTatbe-
stätigen dieMehrzahl der ökonomischen
Studien über Mindestlohnerhöhungen
weitgehend dieResultate vonCardund
Krueger.Heuteist der Mindestlohnzuei-nemLieblingsinstrumentgerade konserva-
tiver Politikergeworden, umUngleichheit
im Arbeitsmarkt und Lohnstagnation, ins-
besondereamunteren Endeder Lohnver-
teilung, anzugehen.Viele Regierungen in
der EuropäischenUnionhaben in denver-
gangenen Jahren entweder Mindestlöhne
eingeführtoder sie erhöht.
Vordiesem Hintergrund erscheint es
dannauchnicht überraschend, dasswir in
unsererStudiekeinen Hinweis darauffin-
den, dassdie Einführung des Mindest-
lohns in Deutschland,wie zuvor befürch-
tet, die Beschäftigungswahrscheinlichkeit
vonNiedriglohnarbeiternverringer that.
Weiterhin zeigen wir,dassdie Einführung
des Mindestlohns den LohnvonNiedrig-
lohnarbeitern,relativ zu dem LohnvonAr-
beitnehmernmit höherem Lohneinkom-
men,signifikant erhöhthat.Zum Beispiel
hattenBeschäftigte,dievorderEinfüh-
rung des Mindestlohnswenigerals 8,
EurojeStundeverdienten, im Jahr nach
der Einführung ein im Schnittum6,7 Pro-
zenthöheres Lohnwachstum als im Jahr
zuvor .Zudem hat der Mindestlohn das
Lohnniveau inRegionen mit eher niedri-
gemEinkommensniveau relativ zuRegio-
nen mit höherem Einkommensniveau an-
gehoben,ohne dabei die Beschäftigung in
diesenRegionen zuverringern. Der Min-
destlohnhat daher dazu beigetragen ,die
Lohnungleichheit sowohl zwischen Arbeit-
nehmernals auchzwischenRegionen zu
verringern. Diese Ergebnisse bestätigen
die Resultatevon anderenStudien, die die
Einführung des Mindestlohns in Deutsch-
land untersuchen.
Als Reaktion auf die empirischen Befun-
de vonCardund Krueger haben in denver-
gangenen Jahrzehntenviele Ökonomen
untersucht,warumArbeitsmärkteMin-
destlohnerhöhungen absorbierenkönnen,
ohnedasssichnegativeBeschäftigungs-
effekteeinstellen. Die KritikvonBucha-
nan an der empirischen EvidenzvonCard
und Krueger basiert auf der Annahme,
dassesauf Arbeitsmärkten immer einen
„vollkommenen“Wettbewerb gibt.Dieservollkommene Wettbewerb führtdazu,
dassArbeitnehmer entsprechendihrer
Produktivität entlohntwerden. Lohnerhö-
hungen, die überdem Produktivitäts-
wachstum liegen,verringer ndaher die
Nachfrage nach Arbeitnehmern.
Allerdingsist der Wettbewerb auf Arbeits-
märkten oftnicht vollkommen, undUnter-
nehmen haben alsFolgeeine erhebliche
Lohnsetzungsmacht. In einem solchen
Fall könnenLöhne unterhalb der Produkti-
vität vonArbeitnehmernliegen. Daskann
dann dazu führen, dassMindestlohnerhö-
hungen nicht zu einem Beschäftigungs-
rückgang führen. Auchist es möglich,
dassUnternehmenunterschiedlich pro-
duktiv sind, so dassproduktivereUnter-
nehmen ArbeiternhöhereLöhnebezah-
len können. Eine Erklärung fürfehlende
Beschäftigungseffektekann dann sein,
dassArbeitnehmer mit Löhnen unterhalb
des Mindestlohnesvonkleineren, weniger
produktivenUnternehmen zugrößeren,
produktiverenUnte rnehmenwechseln.Wechsel in produktivereBetriebe
Dies istgenau die Hypothese,die wir in
unserer Studie empirischüberprüfen. Da-
bei untersuchen wir erstmalig,welche Aus-
wirkungen der Mindestlohnauf dieVertei-
lung vonArbeitnehmern zwischen Betrie-
ben hat.Unsere Analysezeigt starke Evi-
denz für eineReallokationvonArbeitneh-
mernzwischen Betrieben:Aufgrund des
Mindestlohnswechseln Niedriglohnarbei-
terzu„produktiveren“ Betrieben, die
mehrVollzeitstellen anbieten, übereine
höherqualifizierte Belegschaftverfügen,
einen höheren Lohn fürvergleichbareAr-
beit zahlen, mehr Arbeitnehmer beschäfti-
genund stabilere Arbeitsverhältnisse bie-
ten. DieserReallokationseffekt vonArbeit-
nehmernimNiedriglohnbereichinpro-
duktivereBetriebe erklärtinsgesamtetwa
25 Prozent des Lohnanstiegesdurch die
Mindestlohneinführung. Darüber hinaus
istder Anteil an Betriebenmit weniger als
drei ArbeitnehmerninRegionen, diestär-kervom Mindestlohn betroffenwaren, zu-
rückgegangen,während die durchschnitt-
liche Betriebsgröße und der Anteil angrö-
ßeren Betriebengestiegen sind.Das führt
dazu, dassdie Qualität der Betriebeinden
stärkervom Mindestlohn betroffenen Re-
gionen durchschnittlichgestiegen ist. Ge-
meinsam mit dem Ergebnis, dassdie Ein-
führung des Mindestlohns die Beschäfti-
gung nichtverringer that, deuten diese Er-
gebnissedarauf hin,dassder Mindestlohn
die Arbeitsproduktivität durch eineUm-
verteilung der Arbeitnehmerzuprodukti-
verenBetrieben gesteiger that.
Wiealso is tdie Mindestlohneinführung in
Deutschlandzubewerten? Obgleichdie
Ergebnisse zu Löhnen,Beschäftigung und
Produktionseffizienzdarauf hindeuten,
dassdie Wohlfahrtgestiegen ist, müssten
für eineabschließende Bewertung aber
auchweiter eKanälewie Preissteigerun-
genfür Konsumenten und zusätzlicheKos-
tenfür Arbeitnehmer,die den Betrieb
wechseln, berücksichtigt werden. Diese
werden in der Studie nicht untersucht.
FürImplikationen unsererStudienergeb-
nisse für die laufende Mindestlohndiskus-
sion musszudem beachtetwerden,dass
die Mindestlohneinführung zu einemZeit-
punkt sehrgesunder wirtschaftlicher Ent-
wicklung stattgefunden hat.Zwischen
2010 und 2016 wuchs das Bruttoinlands-
produkt in Deutschland um 20 Prozent,
während die Arbeitslosigkeitvon5,5 Pro-
zent im Jahr 2011auf 3,9 Prozent im Jahr
2016 gefallen ist. Gleichzeitig istdie Be-
schäftigungvon41,6 Millionen Menschen
2011 auf 43,6 Millionen in 2016gewach-
sen. Die Ergebnisse lassen sichdaher
nicht ohneweiteres auf andere Arbeits-
märkte, Mindestlohnerhöhungen, oder
auf andereZeiträumeübertragen.Christian Dustmann istProfessor für
Economics amUniversity CollegeLondon,
Direktor des Centrefor Research and
Analysis of Migration (CREAM)und Mitglied
im Research Networ kdes RWI–Leibniz-Institut
für Wirtschaftsforschung.Corona und die Alternativlosigkeit
VonStefanBielmeierDERVOLKSWIRT EUROPLATZFRANKFURT
WIRTSCHAFTSBÜCHER
Die Speicherstadt
Ein StückHamburgerWirtschaftsgeschichte
Im ManagementvonWertpapierportfo-
lios is tbesondersdann Professionalität
gefragt,wenn Risiken undKomplexität
zunehmen oder wenn exaktePerfor-
mance-Analysen gefordertsind. In die-
sem gut lesbaren und lehrreichen Hand-
buchwirdimDetail nachvollzogen,
worauf es bei der professionellenVer-
waltungvonWertpapierportfolios an-
kommt. Eskann als das führende Hand-
buch zum Portfoliomanagementim
deutschsprachigen Raum betrachtet
werden. DieAutorenorientieren sich
an dem klassischenAblauf eines Invest-
mentprozesses. Sie erläuternpraxisnah
und fundiertdie theoretischenFunda-
mentedes Portfoliomanagements und
bekannteInvestmentstrategien, außer-
demden Ei nsat zderivativer Instrumen-
te und die Berechnung der Anlage-Per-
formance.
Die jüngsterschienene sechste A ufla-
ge isterheblicherweiter tund berück-
sichtigt alle wichtigen aktuellen Ent-
wicklungen.Regulatorische Neuerun-
genwerden behandelt,etwa der Anle-
gerschutz durch die EU-Finanzmarkt-
richtlinie Mifid II und dieVerord nung
über Basisinformationsblätter fürver-
packt eFinanzprodukte(PRIIP) sowie
die EU-Benchmark-Verord nung.Zu-
dem neue Themen wie die sogenann-
ten„Smart-Beta-Strategien“. Außer-
dem geht es umNach haltigkeitsaspekte
im Investmentprozess.AuchThemenwie Robo-Advisorsund wichtigeAnlei-
heformen wie beispielsweise Coco-
Bondswerden behandelt, also Anlei-
hen, die beim Eintrete nbestimmter Er-
eignisse in Aktiengewandelt werden.
Die Autorenarbeiten die Praxisrele-
vanz der Themen heraus und liefernvie-
le, stetsgut nachvollziehbareBeispiele.
Die fundierte und eingängigeDarstel-
lungsweise–auchder un verzichtbaren
mathematischenZusammenhänge–ist
ein großer Pluspunkt dieses Buches.
Die umfassenden Möglichkeiten zum
Nach rechnen deraufgeführtenZahlen-
beispiele tragen erheblichzum Ver-
ständnis bei.Fürwissenschaftlichorien-
tierte Leserwerden viele Literaturhin-
weise bereitgehalten. Ein Blickindas
Literaturverzeichnis zeigt, dassdas
Handbuchden neuestenStand derFor-
schungreflektiert. Das Buchist eine
lohnende Lektürefür Profis wiePortfo-
liomanager,Vermögensverwalter ,Bank-
mitarbeiter oder Mitarbeiter in denFi-
nanzabteilungenvonUnternehmen. Be-
sonderseignetsichdas Buchfür Dozen-
tenund Studierende im Bereich Bank-
und Finanzwirtschaft. Die Neuauflage
diesesStandardwerks dürfteeine große
Leserschaftfinden. MARKUS SPIWOKSChris toph Bruns/Frieder Meyer-Buller-
diek: ProfessionellesPortfoliomanage-
ment, 6. Auflage, Schäffer-PoeschelVerlag,
Stuttgart2020, 1077 Seiten, 90 Euro.FRANKFURT. Mitbestimmung,wie sie
in Deutschlandgelebt wird, schwächtUn-
ternehmen undganze Volkswirtschaften.
Da warensichviele Wirtschaftsforscher
in den 1970er Jahren sicher.Das Resultat
der Mitbestimmung seiein „signifikantge-
schrumpfterKapitalstock, höhereArbeits-
losigkeit,geringer eEinkommenund eine
grundsätzlicheReduzierung der Produk-
tion und derWohlfahrt“.Zu diesemver-
nichtenden Schlusskamen beispielsweise
die amerikanischen Ökonomen Michael
Jensen undWilliam Meckling im Jahr- DieVäterdes „Shareholder-Value“
-Ansatzesvermuteten, Arbeitnehmer wür-
den ihrestärkereVerhandlungsposition
nutzen, um Lohnerhöhungen durchzuset-
zen, Entscheidungen zu blockieren und
Verhandlungen zu erschweren.
Das Betriebsrätegesetz in Deutschland
trat am 4.Februar 1920 in Kraft–die Mit-
bestimmungfeierthundertstenGeburts-
tag. Undwer die altenAufsätze liest, wun-
dertsich, dassdie deutscheVolkswirt-
schaf thundertJahreMitbestimmung
überhauptüberlebt hat und heutesogar
erfolgreicher istals jemals zuvor.Sind die
schädlichenAuswirkungen der Mitspra-
chewomöglichnur ein Mythos?
Zu diesem Ergebnis kommen Simon Jä-
ger, Wirtschaftsprofessor am Massachu-
setts InstituteofTechnology (MIT), Ben-
jamin Schoefer (UC Berkeley) und Jörg
HeiningvomNürnbergerIAB in einer ak-
tuellenForschungsarbeit.Umdie tatsäch-
lichenFolgen der Mitbestimmung zu er-
fassen, nutzten sie ein natürliches Experi-
ment,das durch eine Reform im Jahr
1994 möglichwurde. Neugegründete Ak-
tiengesellschaftenmit weniger als 500
Mitarbeitern können hierzulande seit-
dem imAufsichtsrat auf Arbeitnehmer-
vertreterverzichten, die Eigentümer ha-
ben das alleinigeSagen. Dankdieser Re-form konnten die ÖkonomenUnterneh-
men vergleichen, diekurz vorund kurz
nachdem Stichtag gegründetwurden.
Aufdiese Weise warensie in der Lage,
kausaleZusammenhänge zu identifizie-
ren, wassonstauf dem Gebiet der Mitbe-
stimmungquasi unmöglichist:Unzählige
Faktoren beeinflussen, wie sichein Unter-
nehmen entwickelt.
Das Ergebnisder Studie,die au fDaten
des Institutsfür Arbeitsmarkt- undBe-
rufsforschung basiert,ist eindeutig:„Im
starkenGegensatz zu denVorhersagen
des Shareholder-Value-Ansatzeskönnen
wir nachweisen,dasssichdurch die Mit-
bestimmung die Kapitalintensität er-
höht“, bilanzieren die Autoren. Wenn Ar-
beitnehmervertr eter imAufsichtsratsit-
zen, werdeinden betroffenen Unte rneh-
men mehrinProduktionsgüter in vestiert
und eingeringerer Anteildes Umsatzes
an Zuliefere rausgelagert.Zusätzli ch stie-ßendie Forscher darauf, dass Unterneh-
menmit Mitbestimmungproduktiversei-
en,also im Durchschnittdie Arbeitneh-
merdankdes zusätzlichen Kapitals ei-
nen höheren Mehrwertproduzierten.Ne-
gativeAuswir kungen aufdie Gewinne
derUnternehmenkamen nicht ans
Licht,genausowenig rissen die Arbeit-
nehmerhöhere Anteile der Einnahmen
an sich.
Wiediese, fürfrühereForschergeneratio-
nenersta unlichen Ergebnisse zu erklären
sind? DieÖkonome nverweisen aufneuere
Modelle, die einenbreiteren Blickauf das
ZusammenspielvonKapitalvertr eternund
Arbeitnehmern ermöglichen. Sokönnedie
Mitbestimmung beispielsweisedieKommu-
nikationverbessern.Mögli cherweise hät-
tendie Arbeitnehmervertr eter zudem eine
längerfristigePerspektiveimBlick als Ak-
tionä re undManager.Das kann sichaus-
zahlen. JOHANNESPENNEKAMPIllustrationPetervonTresckowDer Mythos der bösen Mitbestimmung
Arbeitnehmersollten imUnternehmen besser nicht mitreden, hieß es lange–zu Unrecht
Wasder Mindestlohn bewirkt
WieProfisinvestieren
Standardwerkzum Portfoliomanagement
Die Lohnuntergrenze
in Deutschland is teine
Erfolgsgeschichte, denn
dieEinführung hatte
einen positi ven
Nebeneffekt.
VonChristian Dustmann