SEITE 4·MONTAG, 2.MÄRZ2020·NR.52 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Westalliierte am Rhein
Beide Seiten bestätigen, dassdie
Front in Bewegung geratenist. Wäh-
rend die alliierte Offensiveaneini-
genStellenweiter auf heftigen Wider-
stand stößt, erreichen amerikanische
Truppen beiNeussden Rhein. Die
deutschen Einheiten ziehen sichdort
über den Flusszurück–in der Hoff-
nung, diese Linie über längereZeit
halten zukönnen.Weiter im Süden
erreichen alliierte Truppen dieStadt
Trier.Mit Bezugzur LageamNieder-
rhein spricht derWehrmachtbericht
vielsagend voneiner Abwehr-
schlacht, die „mit dergrößten Erbitte-
rung“ geführtwerde.
De GaullesProgramm
Der französische Ministerpräsident
sprichtvordem pr ovisorischenParla-
ment über den Wiederaufbau des
Landes. Wichtigste Voraussetzung
für die absolut notwendige„nationa-
le Wiedergeburt“ sei derAufbau der
nationalenWirtschaf tund der sozia-
len Einrichtungen. PrivateInitiative
sei wichtig, dieKoordination aller
Anstrengungen obliegeaber dem
Staat.Essollten alle Möglichkeiten
zum Aufbau einer mächtigen Indus-
trie ausgeschöpftwerden. Die land-
wirtschaftliche Produktionsolle ver-
doppeltwerden. In diesemZusam-
menhang nennt de Gaulle freilich
kein Bezugsdatum.Nord afrik aund
andereGebiete des französischen
(Kolonial-)Reiches solltengefördert
und entwickelt werden. Wieum
Zweiflernvon vornherein denWind
aus den Segeln zu nehmen, ergänzt
de Gaulle:Frankreichverfüg eüber
„starkeArme, klareKöpfeund muti-
ge Herzen“. Deshalb sei das alles
machbar,obwohl es dem Land insge-
samtgerade nicht gutgehe.Zu Be-
ginn seinerRede hatteder Minister-
präsident aufgezählt,wasalles nicht
vorhanden sei oder gegenwärtig
nicht funktioniere. Als ein Mittel zur
Wiederherstellung alter Größe gilt
die Vermehrung der Bevölkerung. Es
müssten, so de Gaulle, mehr Kinder
geborenwerden, sonstwerde Frank-
reich zu einem „sterbenden Licht“.
„Säuberung notwendig“
Der finnische ArbeitsministerWuori
sagt, alle diejenigen, die in derPolitik
während des Krieges aktiv an derZu-
sammenarbeit mit denAchsenmäch-
tenbeteiligtgewesen seien, müssten
ihrePostenaufgeben.Ansons tendro-
he eine Intervention der Alliierten.
Wuor ispricht es zwar nicht aus, aber
im Falle Finnlands hättedas eine In-
tervention derRotenArmee bedeu-
tet. Wuoriberuf tsichbei seinerFor-
derung auf dieAbschlusserklärung
vonJalta. Zusätzlichzuden notwen-
digen personellen Veränderungen
müsse Finnland innereReformen ein-
leiten und die Demokratie stärken.
Damit meine er ausdrücklichweder
die Abschaffung des privatenUnter-
nehmertums nochdie Verstaatli-
chung vonGrund und Boden.Wenn
Finnland dieZeichen derZeit nicht
erkenne, drohten dem Land eineRe-
volution und der Verlustjeglicher
Selbstbestimmung. pes.
bin. HANNOVER.Nachder Wahl am
Samstagwarteten die Kirchenjuristenmit
einerÜberraschung fürTobias Bilz auf:
Der 55 JahrealteTheologehat nicht wie
üblicheinigeWochenZeit, um sichauf
sein Amt als sächsischer Landesbischof
vorzubereiten. Sein Dienstbegannstatt-
dessen bereits amfolgendenTag. Die Son-
derregelgreift, weil derWechsel an der
Spitze der Evangelisch-Lutherischen Lan-
deskircheSachsens alles andereals regu-
lär verlief. Im OktoberwardortLandes-
bischof Carsten Rentzing zurückgetrete n,
nachdem nationalistischeTexteaus seiner
Studentenzeit bekanntgewordenwaren.
Der Wirbel umRentzing führte inner-
halb der sächsischen KirchezuKonfronta-
tionen, in denen sichauchdie politisch
aufgeheizteLageinSachse nwiderspiegel-te. Umso größer wardas Gewicht, das nun
der Wahl einesNachfolger szukam.Zur
Wahl standen dreiKandidaten, die alle aus
der sächsischen Kirchestammen:Oberlan-
deskirchenratTobias Bilz, die Superinten-
dentin UlrikeWeyer aus Plauen sowie Su-
perintendent Andreas Beuchel aus Mei-
ßen-Großenhain. Allen drei Bewerbern
wurde eine persönlicheNähe zum luthe-
risch-frommen Geprägedieser Landeskir-
chenachgesagt.Während derVorstellungs-
runden musste man
schongenau hinhören,
um Unterschiede zu er-
kennen. In Beuchel er-
kannten dennochviele
denjenigen, hinter dem
sichdie Anhänger Rent-
zings versammelten.
Andersals Bilz und
Weyerwar Beuchel
auchnicht als „Kandidat des Establish-
ments“vonder Kirchenleitung nominiert
worden,sondernerstnachträglich durch ei-
nigeSynodale.
Der Ablaufder Wahl machtedann je-
dochklar,dassdie Synode den Eindruckei-
ner Protestwahlvermeidenwollte. Oberlan-
deskirchenrat Bilz erreicht ebereits im drit-
tenWahlgang die erforderliche Mehrheit.
„Die Wahl warsoeindeutig wie nochniehier in Sachsen“,sagt Bilz, der 2015 schon
einmal zurWahl stand, damals aber im
sechs tenWahlgang Rentzing unterlag.
Als neuerLandesbischof sieht Bilzseine
Aufgabe darin, die Einheit der Landeskir-
chezustärken. Das Gesprächsklima in
Sachsen erlebt derverheirat eteVater von
drei Kindernderzeit so, dassman nur dar-
auf warte, den Gespräch spartner irgendei-
nem Extrem zuordnen zukönnen. „Man
überwach tsichgegenseitig“,klagt der lang-
jährig eLandpfarrer. Die Kirchedürfe da-
bei jedochnicht mitmachen. „Wir sindkein
Wächter, der ständigauf der Lauer liegt.“
Anlässlichder CausaRentzinghat die
Landeskircheeine Arbeitsgruppe einge-
setzt, die denUnte rschied zwischenwert-
konservativ undrechtsradikal herausarbei-
tensoll. Solche Schubladen möchteBilz
am liebstenganz hinter sichlassen. In sei-
ner Zeit als Jugendpfarrerhabe mal je-
mandvorgeschlagen, auf das Denken in
tradiertenRastern wie „liberal“ oder
„konservativ“ eineZeit langkonsequent
zu verzichten. Das seiwohltuendgewe-
sen und habe ihngeprägt, berichtet Bilz.
Ein unbefangeneres Denken wünscht er
sichauchmit Blickauf die kirchlichen
Strukturen. An vielenStellen sei die Kir-
chezustark traditionsbehaftetund zuwe-
nig risikofreudig.FrankfurterZeitung
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assdie Kandidatenfrag eihn
mit auf dieserReise begleitet,
hat Armin Laschetselbstver-
ständlicheinkalkuliert. Kaum
istder nordrhein-westfälische Ministerprä-
sident am Samstagabend in Jerusalem an-
gekommen, schartsichschon ein gutes
Dutzend Mitglieder der Mediendelegation
im Leseraum des geschichtsträchtigen
King-David-HotelsumdenMinisterpräsi-
denten. Zunächstaber will Laschetdavon
erzählen, wie sehr ihm Israel am Herzen
liege. Schon als Schüler,Student und spä-
terals Europaabgeordneterwarerimmer
wieder zu Besuch.Undwie sic hdas in
Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten für
jeden neugewählten Ministerpräsidenten
gehört, unternahm auchLaschetseine ers-
te größereAuslandsreise 2018 nachIsrael.
Ausseinem Gesprächmit Ministerpräsi-
dent BenjaminNetanjahu entstand da-
mals die Idee,dassNordrhein-Westf alen
ein eigenes Bürofür Wirtschaft, Bildung,
Jugend undKultur inTelAviv einrichten
könnte. Dessen offizielle Eröffnung ist
der eigentliche Anlassdes Besuchs.
Laschetschwä rmtvon der Start-up-Sze-
ne in Israel. Er hoffe,dasssichnun mög-
lichs tviele der innovativen Jungunterneh-
mer und Gründer mit Hilfedes neuen Bü-
rosmit der Industrie inNordrhein-Westfa-
len zusammentun, sagt der Ministerpräsi-
dent.Nachwenigen Minuten aber dreht
sichdas GesprächimKing-David-Hotel
dochnur nochumdie Kandidaten-Frage.
Laschetlässt sichgerne zu seinenÜberle-
gungen undRückschlüssen befragen,wagt
die eine oder andereSpitzegegenseine
beiden Mitbewerber.Nur zitieren lassen
will er sichzudem Thema nicht. Es soll ja
um Israelgehen.
Nun, da Laschetmit Friedric hMerzund
NorbertRöttgen um den CDU-Vorsitz
ringt und damit zugleichdeutlichmacht,
dasserder nächsteKanzlerwerden will,
istdie schon seit längeremgeplantezweite
Israel-Reise eine schöne Gelegenheit für
den Ministerpräsidenten, sichfür das Pu-
blikum zu Hause auf internationalemPar-
kett zu präsentieren.Um die kaum schlag-
zeilentaugliche Eröffnung des Auslands-
büros herum hat sichLasche tdeshalb ein
symbolischaufgeladenesund kamerataug-
liches Programm zusammenstellen lassen.
Die Botschaft, die er aus Israel senden
will: Während die beidenKonkur renten
nochnicht mal regieren, istLasche tlängst
auchschon alsStaatsmann trittsicher.Da trifft es sic hgut, dassLasche tam
Sonntag einenTermin mit dem israeli-
schen StaatspräsidentenReuven Rivlin be-
kommen hat.Lasche twill nachdem Mord
an demKasseler Regierungspräsidenten,
nachdem rechtsterroristischen Angriff
auf die SynagogeinHalle und demras sis-
tischen MassenmordinHanau einZei-
chen setzen. Er schäme sich, dasses
Jahrenachder BefreiungvonAuschwitz
wiederRassismus und Antisemitismus in
Deutschlandgebe, sagt LaschetinRivlins
Amtssitz und spielt dann auf dieRede an,
die Kanzlerin Angela Merkel 2008 in der
Knessethielt.Ja, es stimme, die Sicher-
heit Israelsgehöre zur deutschenStaatsrä-
son. Dochzur Staatsräson zähle auch, die
Sicherheit der Juden in Deutschland zu si-
chern. An Rivlingewandt, ergänzt er :„Ih-
nen das zu signalisieren istein ganz wich-
tiges Thema dieses Besuches: In Deutsch-
land gibt es einenstarkenStaat, einestar-
ke Zivilgesellschaft, dieRassismus, Anti-
semitismus und Diskriminierung bekämp-
fenwird.“
Kaum ein anderes Bundesland hat so
engeBeziehungen zu Israel wie Nord-
rhein-Westfalen. JohannesRau(SPD) war
ein verlässlicherFreund Israels.Nachihm
setzten alle Ministerpräsidenten eigene po-
litische Schwerpunkte, um die Beziehun-
genzuintensivieren. Die Landesregierung
vonPeer Steinbrück(SPD) unte rzeichnete
2004 eineVereinbarung zur wissenschaftli-
chen Zusammenarbeit.Unter JürgenRütt-
gers (CDU) belebten beideSeiten 2008
den Schul- und Jugendaustausch.Unter
HanneloreKraft (SPD)gabessechs Jahre
später abermals eine gemeinsame Ab-sichtserklärung,diesmal zumAusbauder
ZusammenarbeitmitYadVashem, der zen-
tralen Gedenkstättefür die sechs Millio-
nen jüdischen Opfer der nationalsozialisti-
schenVernichtungspolitik. Bei seinem Be-
suchdortsagt Laschet, der Opfer der
Schoa zu gedenken bleibe unerlässlich.
„Dennaus der Geschicht eerwächs tuns
die Verantwortung,neuenAnfängen zu
wehren.“
An zweigroße Staatsmänner will La-
sche tunbedingtnocherinnern–gemein-
sam mitKonrad Adenauer,dem ausKöln
angereisten Enkel des ersten Bundeskanz-
lers, und mit Moshe Ben Eliezerund Orit
Etzioni,deren Großvater David Ben Guri-
onwar.„Am14.März1 960 hatteStaats-
gründerDavid Ben Gurion dieGröße,erst-
mals einen deutschenKanzler zu empfan-
gen“, sagt LaschetimTel Aviver HausBen
Gurions, das heuteein Museum ist. Nach
dem Menschheitsverbrechen der Deut-
schen an den Juden schien eine Aussöh-
nungfür mehrereGenerationen unmög-
lich. Dochdas vertrauensvolleVerhältnis,
das sichzwischen den beiden erfahrenen
StaatsmännernAdenauer und Ben Guri-
on nach ihrem ersten Treffenvor 60 Jah-
renentwickelte, wardie Grundlage, auf
der beideStaaten fünf Jahrespäter diplo-
matische Beziehungen aufnahmen. „Ben
Gurion istauchfür uns Deutsche prä-
gend“,sagtLaschet.
An diesemMontag will Laschet vonTel
Aviv aus direkt nachBerlin fliegen. Dort
will er sichmit seinenKonkur renten Merz
und Röttgen treffen, um über dieRegeln
für denWettkampf und ein passendesFor-
mat für dieVorstellungsrunden zu spre-
chen.Foto dpalöw. WIEN.In der Slowakeiwirdes
nachder ParlamentswahlvomSamstag
einen politischenWechsel geben. Die
sozialdemokratische Smer-Parteimit ih-
remVorsitzendenRobertFico wurde
erstmals seit 2006 nicht mehrstärkste
Kraft, sondernfiel auf 18 Prozent.
Wahlgewinner istder bisherigeOpposi-
tionspolitiker Igor Matovičmit seiner
Protestparteider „Gewöhnlichen Leute
und unabhängigen Persönlichkeiten“
(Olano). Sie erhielt nachdem am Sonn-
tagverkündetenvorläufigen Ergebnis
25 Prozent derStimmen und benötigt
damit mindestens zweiKoalitionspart-
ner für eine Mehrheit der insgesamt
150 AbgeordnetenimParlament in
Pressburg(Bratislava). DieWahlbeteili-
gung lag mit 66 Prozent so hochwie zu-
letzt im Jahr 2002.
Insgesamt konnten sechs Parteien
die Hürde für den Einzugind en Natio-
nalrat überwinden. Darunter istnicht
die liberale „ProgressiveSlowakei“
(PS), die 2019 bei der Europawahl noch
stärkste Kraf tgewordenwarund deren
KandidatinZuzanaČaputováim ver-
gangenen Jahr bei der Direktwahl ums
Präsidentenamtobsiegte. Sie trat zu-
sammen mit derPartei „Gemeinsam“
(„Spolu“) auf einer Liste an und schei-
terteknapp mit 6,96Prozent an der Hür-
de, die fürWahlbündnisse bei sieben
statt fünf Prozent liegt.Ebenfalls unter
den Erwartungen undUmfrag ewerten
blieb die rechtsextreme „Volkspartei
UnsereSlowakei“ (LSNS), deren Anfüh-
rerMarian Kotleba gelegentlichinNeo-
nazi-Uniformen aufgetretenist.
Das Wahlergebnis istein Spiegel der
Veränderungen, die im Land nach dem
Doppelmordvon 2018 am Journalisten
JánKuciak und seinerVerlobten Marti-
na Kušnírovávorsichgegangen sind.
Kuciak hatteüber dieVerflechtungen
zwischen Kriminellen undPolitik,Jus-
tiz undPolizei berichtet.Sein letzter,
postumveröffentlichter Artikel enthüll-
te,dasseine Verbindungsfrau der Mafia
bis inFicos Sicherheitskabinett und of-
fenbar auchindessen engste private
Umgebung gelangt war. Es gabMassen-
proteste im ganzen Land, die Leutetrau-
tenden Amtsträgernnicht mehr.Der
Polizeichef, der Innenministerund
schließlichauchFico alsRegierungs-
chef mussten zurücktreten; seitherwei-
tere Regierungsmitglieder,Richter,
Staatsanwälteund Beamte. Inzwischenkonnten der geständigeMordschütze,
mutmaßliche Mittelsleuteund der mut-
maßlicheAuftraggeber des Mordes an
Kuciak vorGerichtgest ellt werden, ein
zwielichtiger Geschäftsmann namens
MariánKočner.Aucherhatteein dich-
tesNetzinJustiz, Behörden undPolitik
vonAbhängigkeiten, dasteils auf Er-
pressung,teils aufKorruption beruhte.
Er hatte–wasnatürlichauchbedeu-
tungsloserZufall seinkönnte–in Brati-
slava eine Wohnung neben derFicos.
Der Niedergang der Smer hattesich
aberschon bei dervorigenWahl 2016an-
gedeutet,als die zuvor mit absoluter
MehrheitregierendePartei 28 Prozent
erhielt.Sie zählt in Europa zur sozialde-
mokratischenParteienfamilie,wo man
sie wegennationaler und populistischer
Töne sowie Korruptionsaffären zwar
mit immer spitzerenFinger nanfas ste,
aber gleichwohl in den eigenenReihen
hielt ;wie daskünftig nachihrem Misser-
folg sein wird, dürftewohl auchvon der
Entwicklung derPartei abhängen.Fico
musste2018 das Amt des Ministerpräsi-
denten an seinenParteivizePeter Pelle-
grini abgeben, nicht aber denParteivor-
sitz. Er lenktedie Regierungweiterhin
„vomRücksitz aus“.Nungibt es Gerüch-
te über eine Spaltung.
VonPräsidentinČaputovámit derRe-
gierungsbildung beauftragt wirdnachal-
len Gepflogenheiten nun Matovič.Seine
Olano istder klassischeFall einerstraff
geführten Ein-Mann-Partei. Er hat sich
als Anti-Fico undKorruptionsaufdecker
profiliertund wurde dafürbelohnt,dass
er den schwungvollstenWahlkampf al-
ler demokratischen Oppositionskräfte
gemacht hat.Aufsehen erregteerbei-
spielsweise, indem er dieVilla eines frü-
herenFinanzministers in Cannesauf-
sucht eund mit Plakaten beklebte: „Das
istEigentum der Slowakischen Repu-
blik“.Wegenseines provokanten, ironi-
schenStils,aber auchwegen seiner ideo-
logischen Flexibilitätwurde Matovičge-
legentlichmit de mbritischen Premiermi-
nisterBoris Johnsonverglichen.Die Par-
teien, die alsKoalitionspartner inFrage
kommen, sind sämtlichebenfallsvon
„sta rken Männern“ undvormals er folg-
reichen GeschäftsleutengeführteFor-
mationen: „Freiheit und Solidarität“ mit
dem Wirtschaftsliberalen RichardSulík,
„Für die Leute“mit dem früheren Präsi-
denten AndrejKiskaund „Wir sindFa-
milie“ des schillernden BorisKollár.mic. PARIS.Die französischeRegie-
rung hat sichnachfortgesetzten Störma-
növern der Opposition entschlossen,
die parlamentarische Debatteüberdie
Rentenreformabzubrechen und das Ge-
setzgebungsverfahren zu beschleuni-
gen, wie diesVerfassungsartikel 49.3 er-
mögli cht. PremierministerEdouar dPhil-
ippe kündigteamSamstagabend an, die
Rentenreformmit derVertrauensfrage
zu verknüpfen. Der Gesetzestext gilt
demnachals angenommen, solltenicht
eineMehrheit derAbgeordne tender Re-
gierung das Misstrauen aussprechen.
Linksparteiund die rechtsbürgerliche
Oppositionreichten Misstrauensanträ-
ge ein.Die Regierungspartei La Républi-
queenmarcheverfügt mit 300Abgeord-
netenüber die Mehrheitinder 577 Sitze
zählendenNationalversammlung.
Philippe begründeteden Rückgriff
auf Verfassungsartikel 49.3 mit derBlo-
ckadestrategie der Linkspartei La
France Insoumise (LFI): „Dieinhaltli-
cheDiskussion hat nicht aufgenommen
werden können.“ LFI-Chef Jean-Luc
Mélenchon hattedie Parlame ntsdebatte
über dieRentenreformmit dem Graben-
krieg des Ersten Weltkriegsverglichen:
„Wir werden den Schützengraben hal-
ten, solangeesnötig ist, auchwenn wir
unter Beschussstehenwerden.“Seine
17 Abgeordnete zählendeFraktionreich-
te allein 23 000 Änderungsanträge ein,
insgesamtwurden annähernd 41 000
Änderungsanträgegest ellt. Während
der dreizehn DebattentagemusstedieSitzung wiederholtwegenAusfälligkei-
tenund regelwidriger Einwürfe der LFI-
Abgeordnetenunterbrochen werden.
Nach der Ankündigung des Premiermi-
niste rs versammelten sichamSamstag-
abendvor der Nationalversammlung
spontanmehrer ehundertDemonstran-
ten, umgegendas Verfahren zu protes-
tieren. DasWahlkampfbüroPhilippes in
der Hafenstadt LeHavr ewurde mitStei-
nen beworfen, davorkipptenProtestie-
rende Müll aus.
Der Vorsitzende derrechtsbürgerli-
chen Partei Les Républicains (LR),
Christian Jacob, bezeichnete die Ren-
tenreformals „unverantwortlich“. Es
sei einZeichen der Schwäche des Pre-
mierministers,dasserauf Artikel 49.
zurückgreife. Marine LePenpranger te
den„Zynismus“derRegierungan,die
ein Referendum über dieRentenreform
abgelehnt habe. „DieFranzosenwer-
den ihr diesesunwürdig eManövernicht
verzeihen“, äußerte die Vorsitzende des
RassemblementNational (RN).
Ziel derRentenreformist es, die nach
Berufsgruppen organisier ten42Renten-
kasse nineinem einheitlichen System
aufgehen zu lassen. Das soll einegröße-
re Mobilität der Beschäftigten beför-
dern. Die Regierung hat dabei lange
Übergangszeitenvorgesehen. DasRe-
formprojekt hat in der ohnehinvonso-
zialen Spannungengeprägten Gesell-
schaf tgroße Verlustängste gewecktso-
wie berufsständische Abwehrreaktio-
nen heraufbeschworen.1945
Sieg einer Protestpartei
Sozialdemokraten unterliegen deutlichinSlowakei
Philippe will Debatteüber
Rentenreform abkürzen
Premierminister: Gesetzespaket mit Vertrauensfrage
verknüpfen/Opposition:Unverantwortlich
Ein starkesSignal senden
EigentlichmussLaschet
nur einKontaktbür ovon
Nordrhein- Westfalenin
Israel eröffnen,esist
aberauch eine Chance,
den Staatsmannzu geben.
VonReiner Burger,Jerusalem/TelAvivSchämt sichfür Antisemitismus: Laschet legt Kranz inYadVashem nieder. Fotodpapca. BERLIN. Der frühereBundes-
präsident Joachim Gauckbefürwortet
Toleranz auchgegenüber der AfD. Zu
einer offenen, demokratischen Gesell-
schaf tgehöreStreit, sagteGauckbei
einer Veranstaltung. Er persönlich
sympathisierenicht mit der AfD.
„Aber ichkann es auchnicht ab,
wenn man alleWähler der AfD alsFa-
schis tenbezeichnet.“ Solangedie AfD
nicht verboten sei, müsse man sie am
Diskursteilhaben lassen.
Die LagerversöhnenTobias Bilz istneuerBischof in SachsenDIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN2. MÄRZ
Gauck:Toleranz
für AfD-Wähler
Für die Herstellung derFrankfurterAllgemeinen Zeitung wirdausschließlichRecycling-Papierverwendet.