FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MONTAG, 2.MÄRZ2020·NR.52·SEITE 3
N
ainas Geschichteist ver-
störe nd,abernichtsUnge-
wöhnliches in Indien. Sie
beginntvoretwadreiein-
halb Jahren, als die junge
Frau ihren späterenPeini-
gertrifft.Naina istzudiesemZeitpunkt
schonverlobt. Deretwasälter eMann, den
sie kennenlernt, heißt Ashish. Naina
trennt sichvon ihremVerlobten,reißtsich
gegenden Willen ihrer Elternlos. Ashish
verspricht ihr, sie zu heiraten, sobald ein
Gerichtsverfahren gegenihn abgeschlos-
sensei. Er wirdbeschuldigt, an einer Grup-
penvergewaltigungbeteiligt gewesen zu
sein.Naina erfährt, dassihm vorgeworfen
wird, er sei mit einem Hammer auf die
Frau losgegangen. DochAshish versichert
ihr,die Vorwürfe seien erfunden.
Es dauertweniger als ein halbes Jahr,
bis er auchihr gegenübergewalttätig wird.
Er findetnichtigeGründe, um aufNaina
einzuprügeln. Das Essen, das siegekocht
hat, schmeckt ihm nicht.Oder sie hat sei-
ne Kleidung nichtgewaschen. Er sperrt
sie in dergemeinsamenWohnung ein,
zwingt sie zum Sexund zur Prostitution.
Er filmt sie mit anderen Männernund be-
nutzt das Material als Druckmittelgegen
sie.Mit derZeit werden dieÜbergriffe hef-
tiger .Erbenutzt einen Hockeyschläger so-
wie einenWasserkocher,umsie zu schla-
gen, auf denKopf, die Arme und die Bei-
ne. Einmal prügelt er mit einer Pfanne so
auf sie ein, dassdas Metall danachvöllig
verformt ist. „MeineKüchenutensilienwa-
renalle verbogen,weil er michdamit ver-
prügelt hatte“, sagtNaina.
Die 21 JahrealteFrauerzählt ihreGe-
schichteauf der Dachterrasseeines Frau-
enhauses in der indischen Hauptstadt De-
lhi; sie hat neben einer Sozialarbeiterin
Platzgenommen.Naina trägt einerote
Brille, derenRänder zu den Seiten spitz
zulaufen. Sie hat dunkelbrauneAugen,
ihreHaarefallen hinab bis zum Kinn. Am
rechtenUnterarmträgt sie eineTätowie-
rung. Naina wirkt wie eine Jugendliche.
Zu ihrem Schutz hat sie sicheinen fal-
schenNamen gegeben. „Naina“ istHindi
und bedeutet „schöneAugen“. Es istauch
der Name einer Hindu-Göttin.
Die Gewalt, dieNaina erlitt, istextrem.
Aber ihrFall steht für das,wasauchviele
andereFrauen in Indien erleben müssen.
Laut dem Amt für Kriminalitätsstatistik
wurden im Jahr 2018 in Indienmehr als
33 000Vergewaltigu ngengemeldet. Da-
mit wirdinIndienetwa alle fünfzehn Mi-
nuten eineFrau oder ein Mädchenverge-
waltigt.Die Dunkelzifferdürftealler-
dings hochsein. Rund 28 Prozent derge-
meldetenOpfer warenminderjährig.Wie
anderswokommen die meistenGewalt-
täte raus dem persönlichenUmfeld, also
aus Familie,Bekanntenkreis oder demAr-
beitsumfeld. Ein Drittel allerverheirate-
tenFrauen in Indien macht Erfahrungen
mit häuslicher Gewalt.ImJ ahr 2018 hat-
tenineiner Studie 500 Befragte Indien
als dasgefährlichste Land fürFrauen auf
der Welt eingestuft.
FürFrauen undMädchen istesdaher
wichtig, dassesOrteder Zuflucht gibt,so
wie das Frauenhaus der Organisation
Shakti Shalini, in dem auchNaina wohnt.
Es liegt amRande eines Slums im Süd-
osten der Megastadt.Eine Gruppe junger
Frauen in bunten Saris läuftüber dieStra-
ße.Vor dem Eisentor kickenJungen einen
Fußball hin und her.ImHaus halten die
Mitarbeiter derNichtregierungsor ganisati-
on einTreffenab.Im Hinterhof sitzenKin-
derumeinenTisch herumund lernenEng-
lisch. Siekönnen einanderkaum hören;
auf einer Baustellenebenan lärmt eine
Kreissäge.Aufdem Boden des Hinterhofs
haben sicheinigeFrauenauf Deckennie-
dergelassen und schneidenPapier zurecht.
Sie stellen Notizbücher her,die mit klei-
nem Gewinnverkauftwerden.
Für Naina istdie Gewalt nacheiner
Weile zumNormalzustand geworden. „Ir-
gendwann habeich ihn gebeten, mi ch ein-
fach nur mal schlafen zu lassen“, berich-
tetsie auf der Dachterrasse. Sie erreichte
einen Punkt, an dem sievöllig erschöpft
und verzweifelt war. Fünfmalversucht
sie, vordem Mannwegzulaufen. Einmal
fleht sie ihreElter nan, sie sollten sie in
eine andereStadt bringen, damit sie sich
vorAshish versteckenkann. Dochdie El-
tern lehnen denWunschab. Für sieist
Naina dieverloreneTochter ,die Schande
über dieFamiliegebracht hat. Der Mann
redetihr ein, sie selbstsei für die Gewalt
gegensie verantwortlich. Er wirft ihr so-
garvor,ihreFamilie und ihrenVerlobten
verlassen zu haben. Dabei hattesie das ja
ihm zuliebegetan.
Barti Sharma, die 80 JahrealteDirekto-
rinvon Shakti Shalini, begründetdie Ge-
walt an Frauen mit den nochimmervor-
herrschenden patriarchalischen Denk-
mustern in Indien. Selbstdie Opfer seien
davonnicht frei. „DieFrau gibt sich unter-
würfig: Er istmein Ehemann. Das gibt
ihm dasRecht,michzuschlagen.“ Es gibt
immernoch vieleFälle in Indien, in de-
nen weiblicheFötengezielt abgetrieben
und neugeborene Mädchengetöte twer-
den. Viele dieserFälle geschehen auf dem
Land.Dabei seien es auchFrauen aus der
Mittel- und Oberklasse, die Gewalt
schweigend hinnähmen, sagt Bharti Shar-
ma. „Die sozialenTabus undNormen
sind so eng, dasssie es sichtausendmal
überlegen, bevorsie Ratsuchen.“Ein Ver-
säumnis sei außerdem, dassdie Vergewal-
tigung in der Ehe in Indien bis heute
nicht strafbar ist.
Wasfür ein Problem Indien hat,wurde
derWelt vorein paarJahrendurch den
grausamenFall einer Gruppenvergewalti-
gung bewusst. Im Jahr2012 hatten in Delhi
sechsMänne reine23 J ahre alteangeh ende
Physiotherapeutin in einem Busmehrfach
vergewaltigt,geschla gensowie ihr eine ros-
tige Eisenstangeeingeführt. Diejunge Frau
hieß JyotiSingh. Da in IndienVergewalti-
gungsopferinder Presse nicht mi tihrem
echten Namengenanntwerde ndürfen,
wurdesie „Nirbhaya“getauft, dieFurchtlo-
se.Die Verletzungender jungenFrauwa-
rensoschwer, dass sie zweiWochen später
in einemKrankenhaus in Singapur an den
Folgen starb.Landesweit demonstrierten
danach Menschen fürmehrRecht eundbes-
serenSchutz fürFrauen.
Schon damals hatten die Demonstran-
tendie sofortigeHinrichtung der vier er-wachsenen Haupttätergefordert. Im März
2014waren sie schließlichzum Tode verur-
teilt worden. Dochdie Vollstreckung ver-
zöger te sich. Eine langwierigeBerufung
und diverse Anträgeauf Verfahrensprü-
fung verzögerten den Prozess. DerFall
warseit Anfang dieses Jahres dann wieder
zu einem Themageworden, nachdem die
Hinrichtung der Männer zunächstfür
Ende Januar und dann für den 1.Februar
angesetztworden war. Dochauchdamit
wardas Ende nochnicht gekommen. Ei-
nen Tagvor diesemTermin hattesichei-
ner der Angeklagten mit einem Gnaden-
gesuchanden Präsidentengewandt.N
irbhayasMutter Asha
Devi und ihrVaterBadri
Nath Singhstehen an je-
nem Taginvorder ster
Reihe des Obersten Ge-
richtshofsvon Delhi.
Eine hitzigeDiskussion istentbrannt.Die
Anwälteder Elternwerfenden Verurteil-
tenvor,mit juristischenTricks die Voll-
streckung hinauszuzögern.Nach dem sich
der Richter zurückgezogen hat, um sein
Urteil zu fällen, gehen die beiden Eltern
mit ernstenMienen aus dem Gerichts-
saal. Die Mutter,ein Tuch um die Schul-
tern gehängt, nimmt auf einer Bankvor
dem Gericht Platz. Während dasPaar auf
das Urteil wartet,sagt derVater: „In den
vergangenen sieben Jahren hat sichüber-
hauptnichts geändert. Es passieren im-
mer nochsoviele Vergewaltigungen und
Greueltaten anFrauen.“
Der Kampfgegen die Gewalt scheitert
seiner Meinung nachdaran, dassdas
Rechtnicht durchgesetzt wird.„Wenn sie
vorJahrengehängtworden wären,dann
hätten all dieseVergewaltigungsfällever-
hindertwerdenkönnen“, sagt er.Für ihn
und seine Ehefrau endetdieser Tagdannauchnicht mit der erhofften Nachricht.
Nach ein paarStunden ordnetder Richter
an, dassdie Hinrichtung abermalsver-
schoben wird. Die Mutter Asha Devi tritt
daraufhinvordie Kameras. Siesteht kurz
voreinem Zusammenbruch. „Das System
enttäuscht uns immer wieder.Ich werde
weiterkä mpfen, bis dieVerurteilten hän-
gen.“ Rundzwei Wochen später wirdein
neuerTermin für die Hinrichtungfestge-
legt.Sie soll nun an diesem Dienstagum
sechs Uhr morgens stattfinden.
Dochauchjetzt haben die vier Männer
wieder einenAufschub derHinrichtung be-
antragt.Das ganze Landwartet ab, ob es
in dieserWocheimTihar-Gefängnis in De-
lhi tatsächlichzur Hinrichtungkommt.So-
garder Henker wirdfür die Medien zu ei-
nem begehrtenGesprächspartner. Durch
ihn erfährtdie indische Öffentlichkeit
etwa,dassder Strick vorder Hinrichtung
mit Bananenschleimeingerieben wird.
Viele Inder empfinden solcheInformatio-
nen als Genugtuung. Sie halten härtere
Strafenfür dierichtige Antwortauf dieGe-
walt.Dabei istdie abschreckende Wirkung
der Todesstrafe umstritten. Sie führtzu-
dem dazu, dassmehr Vergewaltigungen
mit demToddes Opfersenden.
Die 21 JahrealteNaina berichtet im
Frauenhaus, wie die Misshandlungen ih-
resPartnersmit der Zeit die FormvonFol-
terannahmen. Sie zeigt, wie Ashishihr
an einemTagdie Hände hinter demRü-
cken zusammenband. Mit brutaler Kraft
und der Hilfeeines Kugelschreiberslo-
ckertereinigeihrer Vorderzähne. Dann
zwingt er sie, die Zähneeigenhändig her-
auszuziehen. Dabei nimmt er sie mit sei-
ner Handykameraauf, um später behaup-
tenzukönnen, sie habe sichdiese Grau-
samkeit selbstangetan. Sogar als sie ein
Kind vonihm erwartet,nehmen die Qua-
len kein Ende. Erst im siebten Monat ih-rerSchwangerschaftbeginnt Ashish lang-
sam,vonihr abzulassen. Es istpures
Glück, dassNaina irgendwann auf jeman-
den trifft,den sie um Hilfebitten kann.
Die Person steckt ihr dieTelefonnummer
vonShakti Shalini zu.
DieOrganisation, die sichvor allemum
Opfer häuslicher Ge walt kümmert,war im
Jahr 1986vonzweiFrauen gegründe twor-
den,deren Töchte rbei sogenanntenMit-
giftmordenverbranntworden waren. Da-
beibringen EhemännerihreFrauenum,
weil die Mitgiftnicht denErwartungen des
Mannes undseinerFamili eentspricht. In
dem Frauenhaus,das di eOrganisationvon
der Regierung gemietethat,kommenbis
zu zehnFrauen unter. Manchebleibennur
ein paarTage oder Wochen,ander eJahre.
DieOrganisation bietetpsychologische Hil-
fe undKurse zurWeiterbildung an. Die
Frauenkönne nunter anderemNähen, Eng-
lisch undFotografielernen.Diemeistenvon ihnen habenähnlicher-
schütterndeGeschichtenzuerzähle nwie
Naina. Da istdie heute 20 Jahre alte Phool,
die im Alter vonnur zehn Jahrenvonihrer
Familie alsHaushaltshilfe nach Delhige-
schicktwird. Ihre Arbeitgeber sc hlagen sie
und sperrensie ein. Mitdreizeh nJahren
wird siemit einemStock vergewaltig t. Und
da is tdie 23 JahrealteShaboo.Sie sitztauf
einemSesse linden Bü roräumender Or ga-
nisationund schau tstarr nach unten. Ihr
Vaterhattedie Familie verlassen, als er her-
ausfand, dass die Muttereine Affäre hatte.
Drei Jahrelang wirdsie vondem Partner
ihrer Mutter missbraucht.Die Mutterweiß
davon,tut aber nichts.Manchmalvergewal-
tigt ihrPeiniger Shabooeinmal in derWo-
che, manchmal dreimal amTag. „Wie er ge-
rade Zeit hat te“, sag tsie.I
hreTortur beginntkurz nachih-
remachtzehnten Geburtstag.
Der Täterhat gewartet,damit er
nicht wegendes Missbrauchs
Minderjährigerverfolgt werden
kann. „Ichhabe gesagt, dassich
es nicht möchte. Ichwehrte mich, aber sie
verprügelten mich“, sagt Shaboo. DieFa-
milie istfinanziellvondem Mann abhän-
gig, der alsFahrer für einen Internet-Fahr-
dienstinder indischen Hauptstadt arbei-
tet. Auchsie versucht mehrfach,wegzulau-
fen. Schließlichhilftein Freund ihr,Kon-
takt zu Shakti Shalini aufzunehmen und
zur Polizei zugehen.Dabeisind die Sicher-
heitsbehörden anfänglichnicht sehrko-
operativ.„Warumbistdunicht früher zur
Polizei gegangen?“, fragen die Beamten.
Sie wollen denFall zunächstgar nicht be-
arbeiten,weil er angeblich nicht in ihrem
Zuständigkeitsgebietpassier tsei.
Viele Opferhaben auchdamit zukämp-
fen, dassihnen die Schuld an der Gewalt
zugeschoben wird. Siewerden etwa ge-
fragt,warumsie um eine bestimmteUhr-
zeit draußenwarenoder warumsie sich
auf eine bestimmteArt angezogen haben.
Die Zustände bessernsichnur langsam.
So is tdie Zahl dergemeldetenVergewalti-
gungen in denvergangenen Jahren auch
deshalb gestiegen, weil sic hseit 2012
mehrFrauen trauen, dieVerbrechen zur
Anzeigezubringen. In prominentenFäl-
len wächst der Druckauf Polizei und Be-
hörden. Siegreiftdann sogar zur Selbstjus-
tiz, etwa im Fall einervergewaltigtenTier-
ärztin in Hyderabad im Dezember desver-
gangenen Jahres. Sie wurdevoneiner
Gruppe Männer angesprochen, die den
Reifen ihres Motorrollerszerstochen hat-
ten. Unterdem Vorwand, ihr zu helfen,
verschlepptendie Männer sie,vergewaltig-
tensie nacheinander undtötete nsie. Un-
tereiner Autobahnbrücke setzten sie ih-
renLeichnam mit Benzin in Brand.
Danachkommt es abermals zu Protes-
ten, bei denen die sofortigeHinrichtung
und Kastration der Männergefordertwird.
Bei einerTatortbesichtigung mit denTä-
tern in den frühen Morgenstundenkommt
es anschließend zu einem Zwischenfall.
Alle vier Männerwerden vonden Polizis-
tenerschossen. Sie hättenversucht, zu flie-
hen, behauptet die Polizei später.
Mit solchen Aktionenwollen die Behör-
den wohl zeigen, dasssie das Thema ernst
nehmen.Aber an der alltäglichen Gewalt
gege nüberFrauen wieNaina ändertsich
dadurch nichts. Gegen ihrenPeiniger As-
hish liegen mittlerweile mehrereHaftbe-
fehle vor. Aber er läuftimmer nochfrei
herum.Zusammen mit anderen Männern
kommt er zumFrauenhaus und droht ihr.
Er versucht sogar,eine der Betreuerinnen
der Organisation zu entführen. Siekann
sichnur mitstarkerGegen wehr aus dem
Auto retten.
Dochetwas hatsichschon verändertin
Indien.Frauenwie Naina,Shaboo und
Phool schweigen nicht mehrüber das,was
ihnen angetan wurde. Daran hatauchdie
Reaktion aufdas schreckliche Schicksal
Nirbhayaseinen Anteil.Trotzihrer ständi-
genAngstvor Ashish sagtNaina, esgehe
ihr heute viel besser.Als sie insFrauenhaus
kam, warsie auf nur 42 Kilogramm abge-
magert.Nun wiegt sieschon 56 Kilo-
gramm. Auch ihreSchüchternheit hatsie
abgelegt.Lange traut esie sic hnicht, mitan-
deren Menschen zureden. Dochseitdem
sie imFrauenhauslebt,hat sie ihr Selbstbe-
wusstsein zurückerlangt.Sie gib tden ande-
renBewohnernimFrauenhausTanzunter-
richt. KünstlicheZähnehaben ihreinstrah-
lendes Lächeln zurückgegeben. Ihr Sohn
Amanist mittlerweile ein Jahralt.Erist ihr
wie ausdem Gesichtgeschnitten.JoeBiden wartetelange,bis er aufder Büh-
ne erschien.Unmittelbar nachder Schlie-
ßung derWahllokale in SouthCarolina
warerzum Sieger erklärtworden–soein-
deutigwaren diePrognosen derVorwahl.
Er wussteaber:Sein Auftri tt in der Arena
der University of South Carolina musste
sitzen. Ein kraftvolles Signalwar gefragt.
Als Biden dieRede hinter sichgebracht
hatte,fiel die Anspannung dervergange-
nen Wochen vonihm ab. Erküsste seine
Frau Jill und nahm seineTochterAshley
in den Arm. Er drücktesie fest,schlossdie
Augenund atmete tiefdurch. Der schon
totgesagtePräsidentschaftsbewerber der
Demokraten istzurückimRennen.
„Wir habengewonnen –und zwarrich-
tig“,hatteerseinenAnhängerninColum-
bia, der Hauptstadt des Südstaates, am
Samstagabend zugerufen. Fast fünfzig
Prozent derStimmen erhielt der frühere
Vizepräsident, der damit nahezu dreißig
Punktevor dem zweitplaziertenBernie
Sanderslag. Kein Demoskop hatteeinen
solchenVorsprungvorhergesagt. Neben
der Familie Bidenstand Jim Clyburn, der
einflussreichste Demokrat des Bundes-
staates. „Du hastmichzurückgebracht“,
sagteBiden. Der afroamerikanischeKon-
gressabgeordnete hattedrei Tage vo rder
Abstimmung zurWahl Bidens aufgeru-
fen. Die EmpfehlungzeigteWirkung. In
der schwarzen Bevölkerung South Caroli-
nas, welche die Mehrheit der Demokra-
tenbildet, entschiedensichsechzig Pro-
zent für den 77 Jahrealten Kandidaten.
Das wardie Grundlageseines Erfolgs.Schwung für den „SuperTuesday“Schonvordem Wahltag hatteBiden ge-
sagt, wenn South Carolina ihm einen Sieg
schenke,werdeerd ie Nominierung seiner
Partei er ringen. „Jegrößer der Sieg, umso
größer der Schwung für den ,SuperTues-
day‘“, lautetedie Formel –amDienstag
wirdin14Bunde sstaaten und zweiAußen-
territoriengewählt.Dabei werden mehrals ein Drittel der Delegiertenstimmen für
den Nominierungsparteitagvergeben. Bi-
den machte in Columbia einegegenSan-
dersgerichtete ideologischeKampfansa-
ge:Die Demokraten wollten nicht das
„Versprechen einerRevolution“, sondern
Resultate. Alle, die einenKandidatenwoll-
ten, der ein Demokrat sei, und zwar schon
„sein Leben lang einstolzer Demokrat“,
sollten ihn unterstützen. Das solltehei-
ßen: Der selbsterklärte Sozialist Sanders,
der sichals unabhängiger SenatorvonVer-
montinder zweitenKammernurder Frak-
tion der Demokraten angeschlossen hat,
istkeiner echter Demokrat.
Sanders, der nachden Vorwahlen in
Iowa,New Hampshireund Nevada in die
Favoritenrollegerücktwar, verfolgteden
WahlabendvonVirginia aus,wo er schon
wiederWahlkampf für den „SuperTues-
day“ machte: Mankönne nicht in allen
Bundesstaaten gewinnen, sagteer; es
gebe viele undkeiner gewinne alle. Am
Dienstagwerde er siegen,schließlichwer-de er andersals die übrigen Bewerber von
einer „Bewegung“getragen.Tatsächlich
lag SandersinSouth Carolina bei den
Jungwählernwieder vorne. Für ihn
kommt esweiter auf die Mobilisierung bis-
heriger Nichtwähler an, die ihm in South
Carolina nur eingeschränktgelang.
Welche Dynamik Bidens Wahlerfolg
am „SuperTuesday“ entfaltenkann, ist
unklar:Zwarsprudelt nun endlichGeld
in dessen Spendenkasse. SeinWahlkampf-
budget warbislang imVergleichzudem
Sanders’ recht klein; vomEtatMichael
Bloombergs, der erst am Dienstagins Ren-
nen einsteigt und seineKampagne aus
der eigenenTasche finanziert,ganz zu
schweigen. DochwirdBiden sein frisches
Geld sokurzfristig allenfalls fürWerbung
ausgebenkönnen. DieZeit is tzukurz, um
sein Wahlkampfteam inKalifornien,Te-
xas, North Carolina und den anderenStaa-
tenauszubauen. Sandersund Bloomberg
verfügen hier überstarke Bodentruppen
–der Milliardär hat zudem den Berater-markt mitgroßzügigen Gehälternleerge-
fegt.Biden musssoamDienstagdarauf
setzen, in anderen Südstaaten seinen Er-
folg vomSamstagzuwiederholen. InTen-
nessee, Arkansas und Alabamaetwa le-
ben ebenfalls viele Afroamerikaner.In
Kalifornien undTexas, wo die meistenDe-
legiertenzuholen sind, führtSandersin
den Umfragen indes deutlich.Vertrauliche Gespräche?
Biden antwortete am Sonntagauswei-
chend aufFragen, ob esvertrauliche Ge-
spräche darübergebe,dassandere modera-
te Bewerberausscheiden sollten, um ihn
alszentralenGegenspieler Sanders’zuun-
terstützen. Erfordereniemanden dazu
auf, sagte er,jedermüsse das selbstwis-
sen. Klar sei aber,dassesmit einemPräsi-
dentschaftskandidaten Sandersschwer
werde, weiter dasRepräsentantenhauszu
kontrollieren.Andersals Bloomberg
sprach Biden Sanders somit nichtgänzlichab, DonaldTrump sc hlagen zukönnen. Er
hob stattdessen hervor, die Mehrheit in
der er sten Kongresskammer,die man 2018
mit moderaten Kandidaten gewonnen
habe, sei mit dem Sozialistengefährdet.
Noch am SonntagwarTom Steyer,ein
moderaterBewerber,aus dem Rennen
ausgeschieden. Davonkönnt eBiden profi-
tieren. Dessen Lager istindes glücklich
darüber,wenn die Senatorinnen AmyKlo-
buchar und ElizabethWarrentrotz ihres
bescheidenen Abschneidens bis zum
DienstagimRennen bleiben. Sie sollen in
ihren Heimatstaaten Minnesota und Mas-
sachusetts einenSieg Sanders’ verhin-
dern. Biden-Unterstützer legen indes
Pete Buttigieg nahe, über einenAusstieg
nachzudenken.Vorallem wirdder Druck
auf Bloombergerhöht, zugunstenBidens
zu verzichten. Der Grund für seinen spä-
tenEintritt insRennen –Bidens zwi-
schenzeitlicheFormschwäche–habe sich
erledigt.Nun heißt es: Bloombergstärke
Sandersund stehe Biden imWeg.Ein neues Leben: LangeZeit wurdeNainavonihremVerlobtengeschlagen, nun lebt sie in einemFrauenhaus in Delhi. Fotos Till FähndersDie alltägliche Gewalt
Kämpfenfür Gerechtigkeit: Asha Devi
und BadriNathSinghComeback-Joe will Sandersstellen
Nach BidensVorwahlerfolg wir dder Druckauf Bloombergerhöht, dieReihen gegenden Sozialistenzuschließen / VonMajid Sattar, Columbia
Vorsieben JahrenerschütterteeineGruppen vergewaltigungIndien .Nun sollendie Täter
gehängtwerden.Doch nochimmerwerden vieleFrauen in demLand misshandelt.
VonTill Fähnders, Delhi