Süddeutsche Zeitung - 22.02.2020

(WallPaper) #1

 Fortsetzung von Seite 11


Erst dann darf man hinein in die Stadt.
„Halt durch, Wuhan!“, steht auf Bannern,
die an den Lkws hängen, die von hier Es-
sen, Medikamente und Wasser in die nahe
gelegene Krisenregion bringen. Die Solida-
rität ist groß, sie hat aber auch ihre Gren-
zen. Die eigene Stadtgrenze zum Beispiel.
Wer in die Stadt möchte, wird durchleuch-
tet. An Checkpoints werden die Kofferräu-
me der Fahrzeuge durchsucht, die Tempe-
ratur der Insassen wird gemessen. Mithilfe
der Mobilfunkanbieter kann man sich per
SMS die Orte schicken lassen, an denen
sich das Handy zuletzt eingeloggt hat. Ist
Wuhan darunter, ist die Reise erst einmal
vorbei. Und wer hört, dass jemand seinen
Aufenthalt in der Quarantänezone geheim
gehalten hat, muss die Person melden. Die
Nummer der Denunziationshotline hängt
in der ganzen Stadt aus.
Der Taxifahrer, der in das Industriege-
biet außerhalb von Zhengzhou fährt, hat in
seinem Auto hinter den Vordersitzen Müll-
tüten vom Dach bis zum Boden befestigt,
um sich vor dem Virus zu schützen. In die-
sen Zeiten versucht jeder, sich bestmög-
lich abzuschotten.
So wie das Werk des iPhone-Fabrikan-
ten Foxconn, das mit Stacheldraht abge-
sperrt ist. Die Parkplätze sind leer, der
Wachmann vor der 2010 eröffneten Fabrik
hat seinen Kopf auf den Tisch gelegt – und
schläft. Außer ein paar Sicherheitskräften
gibt es hier ohnehin niemanden, den er be-
wachen könnte. Im Zentrum der Millionen-
stadt, an einem weiteren Standort von Fox-
conn, sind sogar die Türen mit einem Auf-
kleber versiegelt, um heimliche Bürobesu-
che zu verhindern.
Im Industriegebiet trifft man zwei Mitar-
beiter, Anfang zwanzig. Mit Reportern
spricht man nicht gerne, das mag der Ar-
beitgeber gar nicht. Dann sagt einer der
Jungs doch noch etwas: „Eigentlich sollen
wir bald wieder ins Werk.“ Was genau dann
gemacht werden soll, wisse er selbst nicht.
Ein Großteil seiner Kollegen fehle ja. Ein
anderer Arbeiter aus dem Viertel sagt, er
wisse gar nicht, wann es weitergeht. Eigent-
lich war der Stichtag der 9. Februar. Die of-
fizielle Anordnung war schon raus. Doch
dann verboten die Behörden plötzlich, die
Fabriken wieder zu öffnen. Der Großteil
der Produktion steht noch immer still. Im
Netz kursiert der Hashtag „WannGehtDie-
ArbeitInZhengzhouWeiter?“.
Das möchte auch Herr Chang gerne
wissen, der normalerweise morgens Teig-
taschen an die Arbeiter verkauft. Oder
Fräulein Gao, die in ihrer Bude sonst dicke
Hühnersuppe anbietet. Ihre Läden bleiben
auch heute wieder auf Anweisung geschlos-
sen. Ob man nicht mit der Regierung spre-
chen könnte wegen der Miete, fragt Fräu-
lein Gao. Sie verdiene ja nun seit Wochen
nichts.
„Das Ganze ist eine Katastrophe für die
chinesische Wirtschaft“, sagt ein älterer


Mann mit Wollmütze. Chen nennt er sich,
er ist vom Nachbarschaftskomitee und
trägt eine rote Binde der Partei am Arm. Er
ist eine Art Wächter des Wohnviertels, das
gegenüber dem Foxconn-Werk liegt. Im
Block von Chen darf nur alle zwei Tage je-
weils ein Familienmitglied die Wohnung
verlassen. Die Person muss sich in eine
Liste eintragen lassen.
Sein Viertel bewacht Chen wie seine ei-
gene Burg, noch gibt es keinen Krankheits-
fall. Auf einer Karte in seinem Handy ver-
folgt er die Meldungen in Echtzeit, einige
Kilometer entfernt gibt es schon zwei Er-
krankte. Um den Bahnhof Zhengzhou-Ost
sind es bereits Dutzende, in der ganzen
Stadt sind es offiziell fast 200. Das Virus
rückt näher. „Fieber messen!“, herrscht
Chen jeden Anwohner an, der durch das
Tor will. Menschen, die keine Maske tra-
gen, werden wieder ins Haus geschickt.
Chinas Parteichef Xi Jinping hat verlau-
ten lassen, dass es nun in den Händen ei-
nes jeden Kaders liegt, die Lage in den Griff
zu kriegen. Das hat in China zu einer Mas-
senmobilisierung von Beamten und rekru-
tierten Freiwilligen geführt, wie es das
Land seit der Ära Mao Zedongs nicht mehr
gegeben hat. Jede Lokalregierung, jede
Stadt, jeder Straßenzug verhängt eigene
Regeln und kontrolliert die Einhaltung der
Vorschriften, die man sich rasch ausge-
dacht hat, mit einer Armada aus eigenen
Fußsoldaten. Je strenger die Nachbarpro-
vinz oder nur der Häuserblock eine Straße
weiter agiert, desto größer der Druck, auch
seine eigenen Leute härter ranzunehmen.
Das mag erklären, warum der ältere Mann
mit der Wollmütze die Anwohner so an-
herrscht.

Was die Rückkehrer erwartet? Der alte
Chen kann das leicht beantworten: Quaran-
täne. Die dauert sieben, meistens 14 Tage.
Das Motto dieser Wochen hat die Kommu-
nistische Partei auf rote Banner drucken
lassen, die überall hängen: „Zu Hause blei-
ben ist die beste Medizin!“

Taipeh, 943 Kilometer
von Wuhan entfernt

Die Zentrale von Foxconn liegt weit weg
vom Seuchengebiet, im Süden von Taipeh,
der Hauptstadt Taiwans. Ohne diese Insel
kein iPhone, und ohne Taiwan überhaupt
keine Smartphones.
Fast alle Chips kommen von hier, auch
wenn die Werke der Firmen vor allem in
China stehen, weil die finale Produktion
dort billiger ist. Die Hersteller heißen Quan-
ta, Pegatron oder eben Foxconn, Unterneh-
men, deren Namen in Europa kaum je-
mand kennt. In China aber beschäftigen
sie mehr als eine Million Menschen, und al-

lein 800 000 arbeiten für Foxconn. Die Fir-
ma macht mehr Umsatz als BMW und
BASF zusammen, auch wenn die Zentrale
nicht unbedingt danach aussieht: ein Be-
tonkasten an einem Autobahnzubringer,
daneben Schrottplätze und finstere Spe-
lunken. An der Ecke ein vietnamesischer
Markt, ein paar Motorradkuriere sitzen
vor der Tür, die Schicht liegt hinter ihnen.
Sie trinken Bier, mexikanisches Corona,
ausgerechnet.
Die Zentrale von Foxconn wird ebenso
sorgfältig bewacht wie das Werk in Zheng-
zhou. Und auch sonst ist man ziemlich ver-
schlossen: „Das Unternehmen hat die
Anfrage geprüft und mich gebeten, Ihnen
mitzuteilen, dass der Besuch aufgrund von
Planungsproblemen leider nicht arran-
giert werden kann“, teilt eine Sprecherin
auf Anfrage mit. Apple hat sehr strenge Ver-
träge mit seinen Zulieferern. Und es gibt ei-
ne eiserne Regel: Wer plaudert, fliegt raus.
Noch ein Industriebau, ein paar U-Bahn-
Stationen weiter nördlich. „General Mana-
ger“ steht auf der Visitenkarte des Man-
nes. Er sitzt in einem Glaskasten im
siebten Stock, durch die Scheibe seines
Büros kann er seine Mitarbeiter beobach-
ten, die am Telefon Bestellungen aus aller
Welt entgegennehmen – auch wenn sie mo-
mentan nicht sicher wissen, ob sie die über-
haupt ausführen können. Alle tragen Mas-
ken. Auch der General Manager.
Seine Firma stellt Lüfter für Computer-
server her und winzige Bauteile für Smart-
phones, die verhindern, dass die Akkus
überhitzen. „Bitte schreiben Sie keine wei-
teren Details“, sagt der Manager, der sei-
nen Namen nicht in der Zeitung lesen
möchte. Sonst könne er nicht sprechen.
Vor ein paar Wochen noch war er für den
Verkauf von Lüftern zuständig, nun ist er
zum Verwalter der Krise geworden. Fünf
Werke betreibt seine Firma in China, das
größte im Süden des Landes in Shenzhen,
an der Grenze zu Hongkong. 5000 Wander-
arbeiter schuften dort im Zweischichtbe-
trieb. Normalerweise. Bislang haben es
nach den Neujahrsferien nur 1500 seiner
Leute zurück nach Shenzhen geschafft,
weil Millionen Menschen in China nicht
mehr reisen können.
Etliche Städte haben Ausgangssperren
verhängt, am schlimmsten getroffen hat
es Hubei, jene Provinz, in der das Epizen-
trum Wuhan liegt, wo das Virus ausgebro-
chen ist. Beinahe 60 Millionen Menschen
dürfen dort nicht mehr aus ihren Wohnun-
gen. Es ist, als würde man ganz Italien weg-
schließen.
„Zum Glück sind bislang nur 1500 Arbei-
ter wieder im Werk in China angekom-
men“, sagt der Manager. „Sonst würden
wir es mit der Quarantäne hier gar nicht pa-
cken.“ Die Arbeit wieder aufnehmen dür-
fen nämlich nur Werke, in denen alle Mitar-
beiter 14 Tage isoliert worden sind. Eine
Vorsichtsmaßnahme – und eine logisti-
sche Herausforderung für den Manager. In
den Schlafsälen in Shenzhen stehen norma-

lerweise jeweils vier Hochbetten, nun aber
braucht er für jeden Arbeiter einen eige-
nen Raum, er hat sogar schon Hotelzim-
mer angemietet. Und woher bekommt
man 5000 Masken am Tag? Manche Unter-
nehmen, die eigentlich Bauteile für Han-
dys produzierten, erzählt der Manager,
überlegten nun, selbst Masken herzustel-
len. Weil die Mundschutze an vielen Orten
ausverkauft sind. Dann sagt er noch: „Wer
das Werk verlässt, den schmeißen wir
raus. Wir können uns keine Ansteckungen
erlauben. Denn dann fängt die Quarantäne
von Neuem an.“
Und das wäre nicht nur für sein Unter-
nehmen ein Problem. Denn jeder chinesi-
sche Arbeiter, der krank ist, und jedes Un-
ternehmen, das schließen muss, fehlt in
den globalen Lieferketten. Und je mehr Lü-
cken sich auftun, desto größer wird der
Schaden für die Weltwirtschaft.

Etwa 75 Prozent aller iPhones auf der
Welt kommen heute aus China. Beim aller-
ersten iPhone machte die Arbeit in China
noch den Wert von 6,50 Dollar aus. Genau-
so viel bekam Foxconn für das Zusammen-
setzen jedes Gerätes. Heute beträgt die
Wertschöpfung 104 Dollar. Denn mittler-
weile kommen aus China: die Technik für
das kabellose Laden. Der stahlgebürstete
Rahmen. Die Module für das Touchdisplay
und die Teile für die Kamera. Die Lautspre-
cher. Die Antenne. Der Akku. Es wird ge-
ätzt, laminiert und verdampft, oft in Hin-
terhofwerkstätten, überall in China. In ei-
nem Land, das nun aber plötzlich still-
steht.
In Taipeh sagt der Manager: „Unser Ma-
terial reicht noch zwei Wochen. Hoffent-
lich geht das gut.“ Er spricht von einem
„Erdbeben“. Wenn das hier ein Erdbeben
ist, dann hat das Beben schon vor Wochen
begonnen und ist noch lange nicht vorbei.
Zwei Monate, schätzt er, könnten die meis-
ten Unternehmen überbrücken. Dann wür-
de das Geld ausgehen, Insolvenz. Die Frage
ist: Was macht so ein Erdbeben mit der
Weltwirtschaft?

Silicon Valley, 10 460 Kilometer
von Wuhan entfernt

Vor der Zentrale von Apple in Cupertino,
Kalifornien, scheint diese Frage weit weg
zu sein. Das kreisrunde Gebäude sieht aus
wie ein Raumschiff und schwebt auf
692 Stahlscheiben. Bis zu 120 Zentimeter
kann es sich bei einem echten Beben in je-
de Richtung bewegen, wie ein Eiswürfel
auf einer Untertasse. Erdbebensicherheit
ist wichtig in dieser Gegend, aber funktio-
niert das auch bei diesem Beben, das da
gerade vom Epizentrum in China aus über
die Welt kommt? Am Montag haben sie

Container werden im Jahr in
Wuhan umgeschlagen.
Der Hafen der zentral-
chinesischen Stadt ist ein
wichtiger Handelsplatz
entlang des mächtigen
Jangtse. Durch den Ausbruch
des Coronavirus sind einige
Schiffe in der Region an
der Weiterfahrt gehindert
worden. Der Verkehr auf
der Wasserstraße, die von
dort bis nach Shanghai fließt,
stockt. 2019 wurden
2,9 Milliarden Tonnen an
Handelsgütern über den
Jangtse transportiert. In dem
Wirtschaftsraum entlang
von Chinas Nationalfluss
werden 40 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts
erwirtschaftet.

arbeiten Angestellte des
chinesischen Apple-Zuliefe-
rers Foxconn zu Spitzenzeiten
in der Woche, wenn es viele
Bestellungen gibt. Der
Stundenlohn beträgt rund
1,60 Euro. Für Überstunden
erhalten sie an Werktagen
eineinhalb Mal so viel Lohn,
am Wochenende doppelt so
viel. Die hohe Arbeitsbelas-
tung wird von Menschen-
rechtsorganisationen
regelmäßig kritisiert. Gibt es
weniger zu tun, liegt die
Arbeitszeit bei 40 Stunden
über fünf Tage die Woche.
Insgesamt elf Urlaubstage
hat jeder Mitarbeiter
pro Jahr.

Zwei Monate können die
Zulieferer noch überbrücken.
Dann geht ihnen das Geld aus
66

Stunden


1,


Millionen


Ohne diese Insel kein
iPhone – und überhaupt
kein Smartphone

12 BUCH ZWEI Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020, Nr. 44 DEFGH

Free download pdf