Süddeutsche Zeitung - 22.02.2020

(WallPaper) #1

Z


u Weihnachten sandten die Aus-
tralier noch eine ganz herzliche
Einladung ins alte Mutterland,
einen Tourismus-Werbespot, der
Brexit-müde Briten ins Märchen-
reich auf der anderen Seite der Welt locken
sollte. Die Australier fuhren auf, was sie so
haben, und sie haben bekanntlich eine
Menge: weiße Strände und rote Wüsten,
den Uluru und die Oper von Sydney, Kängu-
rus und Koalas, von denen vier besondere
Prachtexemplare mit Kylie Minogue auf
einem Eukalyptusbaum herumsaßen. Alle
Baumbewohner sahen sehr glücklich aus.
Der Spot war witzig und lässig und smart,
die australische Sonne flutete mutmaßlich
graue britische Wohnzimmer.
Für den Durchschnittseuropäer ist Aus-
tralien eigentlich außer Sicht, aber das Gu-
te an den hochsympathischen Australiern
war ja immer, dass man sie auch nicht stän-
dig im Auge haben musste. Sie meldeten
sich halt einmal im halben Jahrhundert,
wenn sie wieder hinreißende Olympische
Spiele ausrichteten (Melbourne 1956, Syd-
ney 2000, vermutlich Brisbane 2032); an-
sonsten bereicherten sie die sozialen Netz-
werke regelmäßig um heitere Videos mit
wechselnden Beuteltieren. Meldungen aus
Australien landeten in Deutschland stets
im Vermischten. Das Höchstmaß an politi-
scher Brisanz war erreicht, als die australi-
sche Notenbank die 50-Dollar-Note mit ei-
nem falschen Buchstaben druckte und es
erst nach 46 Millionen Scheinen bemerkte.
Das war Australien vor dem Sommer
des Feuers. Ein Land, sagen manche, das
es so nicht mehr gibt. Das Märchenreich ist
zu Asche zerfallen, in britischen und ande-
ren Wohnzimmern erschauderte man bei
den apokalyptischen, orangestichigen Bil-
dern der Waldbrände, es sah aus, als hätte
Pieter Bruegel der Ältere einen „Mad
Max“-Film gedreht. Ein ikonisches Foto
zeigte ein „Joey“, ein junges Känguru, tot
und verkohlt, es hatte sich in einem Zaun
festgekrallt, als das Feuer es holte. Es war
ein lieblicher Leichnam, und gefühlt das
Ende der australischen Unschuld.


Die gigantische Rauchwolke der Brände
zog um den Erdball und färbte die Sonne in
Argentinien und Chile rot. Australien ist
plötzlich ganz nah, und die Welt stellt ver-
wundert fest, dass sie einige Schatten-
seiten ihres liebsten Sonnenlandes bisher
schlicht übersehen hat. Australien stößt
pro Einwohner mehr CO2 aus als jeder an-
dere Staat, es exportiert mehr Kohle als
jeder andere. Es verschwendet zu viel Was-
ser, es rodet zu viele Wälder. Es ächzt unter
dem Klimawandel, zu dem es selbst acht-
los beiträgt. Dabei könnte, dabei müsste
das reiche Australien doch ein globaler
Schrittmacher sein bei den erneuerbaren
Energien. Stattdessen blicken seine konser-
vativen Regierungen mit Stolz zurück auf
eine lange Geschichte der Sabotage inter-
nationaler Klimaabkommen. Es mag ein
wenig gemein klingen, aber das Beispiel
Australien gibt der Welt eine Ahnung da-
von, was die Abwesenheit politischer Füh-
rung mit einer Nation anrichten kann.
Der Sommer auf der Südhalbkugel geht
zu Ende, bald werden die letzten Brände ge-
löscht sein. Es gibt eine Frage, die sich jetzt
alle stellen, auch der deutsche Tourist, der
sich von Kylie und den Koalas hat überzeu-
gen lassen, und das nicht zum ersten Mal:
Ob dieser Sommer des Feuers Australien
verändert hat. Ob aus der Asche ein neues
und vielleicht sogar besseres Land ersteht.
Nur ein paar Kilometer entfernt von dem
Tal, in dem das tote Känguru im Zaun hing,
liegt nun wieder friedlich Lobethal in den
Adelaide Hills, eine Gründung preußischer
Protestanten, was ihren Nachkommen den
gedeihlichen Betrieb eines „Brauhauses“ er-
laubt. Aus verbrannter Erde wachsen hier
schon wieder die ersten neuen Triebe. Man
bekommt aber noch ein Gefühl für die grau-
same Macht des Feuers. Da stehen eine
Handvoll Häuser unberührt herum – und
in ihrer Mitte eine rußige Ruine. Die einen
hat das Feuer verschont, das andere hat es
sich genommen. Vielleicht hat ein Wind-
stoß einen Funken hinübergetragen.
Was macht das mit einer Nachbar-
schaft, mit einer Gesellschaft, wenn sie
sich mit einer so willkürlichen Gefahr ar-
rangieren muss?
Die Australier haben ein widersprüchli-
ches Verhältnis zu ihrer Natur, sie verehren
sie und zerstören sie. Womöglich haben sie
einfach zu viel davon, ihr Land ist 21-mal
so groß wie Deutschland. Nirgends ist der
Konflikt von Ökonomie und Ökologie so
klar illustriert wie in Australien, und auch
fast nirgends wurde er so klar entschieden.
Der Anbau von Reis und Baumwolle etwa
gilt unter den Bedingungen hier als nicht
sinnvoll bis komplett hirnrissig, was die
Australier freilich nie davon abhielt, unvor-
stellbare Mengen Wasser für den Anbau
von Reis und Baumwolle zu verbrauchen.
Die Natur macht es den Menschen aller-
dings auch seit jeher nicht leicht. Australi-
en, heißt es, habe nur zwei Jahreszeiten,
die Dürre und die Flut. Das Land ver-
brennt, das Land ersäuft, und wer im
Februar 2020 lokale Nachrichten schaut:
alles zur selben Zeit. Die Australier haben
so etwas wie ein Nationalgedicht, Doro-
thea Mackellar hat es verfasst, als sie mit
19 Jahren voller Heimweh in einem sicher-
lich grauen britischen Wohnzimmer saß.
„I love a sunburnt country“, lautet die be-
rühmteste Zeile, und weiter: „her beauty
and her terror“, die Schönheit und den
Schrecken, gleichermaßen.
Dem Schrecken begegnen die Australier
traditionell mit einer Gelassenheit, die an-
gesichts der bunten Auswahl tödlicher
Tiere, mit denen sie ihren Kontinent teilen,
wirklich bemerkenswert ist. Als argloser
Tourist steht man an einem Traumstrand
in Queensland und überlegt sich gerade,
was das da wohl für ein glitschiges, blaues


Ding im Sand sein könnte, als ohne jede
Hast ein Australier herantritt, die Qualle
aufhebt und sagt: „Wenn du das Ding an
der falschen Stelle anfasst, bist du tot.“
Australien ist ein Land der Zuversicht,
vielleicht muss ein Ort das sein, an dem
zwei von drei Menschen Hautkrebs krie-
gen. Ein geschwätziger Fernsehkommen-
tator dagegen, wenig überraschend ein Bri-
te, wirft die Frage auf, wie lang der Konti-
nent überhaupt noch bewohnbar sein wer-
de. Das klingt zunächst lächerlich, aber
schon nicht mehr ganz so lächerlich, nach-
dem man versucht hat, bei 43 Grad in Syd-
ney im Botanischen Garten spazieren zu ge-
hen. Wer vor 19 Jahren am Great Barrier
Reef tauchen war, verzaubert von Farben
und Formen des Lebens, und jetzt zurück-
kehrt, der findet abgestorbene Korallen,
schlaff und bleich. Die Meere erwärmen
sich, sagt etwas ratlos der Tauchführer,
sonst ein Aussie aus dem Werbespot, wahr-
scheinlich auf dem Surfbrett geboren.
„Kommt bald wieder, bevor es vorbei ist.“

Selbst der gelassenste Australier kann
die Folgen des Klimawandels nicht mehr
ganz ignorieren. Buschbrände gehören zu
diesem verdorrten Kontinent, 2009 töte-
ten sie 173 Menschen, fünf Mal so viele wie


  1. Aber früher gab es Gegenden, die ver-
    lässlich nicht brannten. Gegenden, in de-
    nen viele Menschen leben, an der Küste
    rund um die Metropolen Sydney und Mel-
    bourne. Heute sind selbst Sümpfe so tro-
    cken, dass sie brennen. Wenn Sümpfe bren-
    nen – wo ist es dann noch sicher? Die Aus-
    tralier haben den Sommer immer ersehnt.
    Jetzt müssen sie ihn fürchten.
    Der Sommer des Feuers ist ein Weckruf,
    die halbe Welt hat ihn gehört. Bei den Aus-
    traliern ist man nicht ganz so sicher.
    Mal reingeschaltet bei Sky News, dem
    Nachrichtensender, der wie knapp 60 Pro-


zent der australischen Tageszeitungen
zum klimapolitisch eindeutig positionier-
ten Medienimperium von Rupert Murdoch
gehört. Ein Sky-Mann sagt, es sei absurd,
dass eine Reduktion des CO2-Ausstoßes
die Brände hätte verhindern können: „Da
muss man schon ein Kind sein wie Greta
Thunberg, um dieses Märchen zu glau-
ben.“ Auch Vizepremierminister Michael
McCormack hat einen solchen Zusammen-
hang die Fantasie „innerstädtischer Ver-
rückter“ genannt. Der Mann gehört einer
Regierung an, die vor nicht mal einem Jahr
gewählt wurde. Die Wahl im Mai 2019 galt
als „Klima-Wahl“, und die Konservativen
haben sie gewonnen.
Gut,die Australier gibt es natürlich
nicht. Es gibt, ganz grob gesprochen, die
Australier, die in der Pause im Opernhaus
von Sydney bei Weißwein und Hafenblick
glaubhaft beteuern, Robert Habeck zu ken-
nen, und Witze über ihren konservativen
Premierminister machen, Scott Morrison,
Spitzname „ScoMo“, oder wie sie im Zeital-
ter des Rauchs sagen: „SmoKo“. Und dann
gibt es, mindestens so zugewandt, die Aus-
tralier, mit denen man sich an einer staubi-
gen Tankstelle in Queensland über ihren
Geländewagen, die Mindestgröße eines
Grills und die wichtigsten Handgriffe zur
Abwehr einer Krokodilattacke unterhält.
Die politischen Lager in Australien ha-
ben sich die Betreuung dieser beiden Grup-
pen sauber aufgeteilt. Um die Opernfreun-
de und theoretisch auch andere innerstäd-
tische Verrückte kümmert sich die sozial-
demokratische Labor-Partei, die ein wenig
daran krankt, dass manche ihrer Vertreter
zwar nicht mehr die Programmatik sowjeti-
scher Kader ausstrahlen, aber weiterhin
deren Charme. Der Pick-up-Fahrer neh-
men sich die Konservativen an, die „Coaliti-
on“ aus zwei Parteien: Morrisons Liberale
hätscheln die Wähler in den rasant wach-
senden Vorstädten, die Nationalen richten
sich an die Farmer, etwa mit dem Verspre-
chen, dass immer genug Wasser zum An-
bau von Reis und Baumwolle da sein wird.
Der Journalist Mungo MacCallum, be-
rüchtigt für seinen Vollbart und seinen

linksliberalen Drall, vertritt die These, die
Australier seien unter konservativen Regie-
rungen „wohlhabender, aber auch materia-
listischer und selbstsüchtiger geworden“.
Die Wähler, schreibt er, wollten „Ergebnis-
se“, und die vor allem für sich selbst. „Sie
wollen Besitz und Privilegien nicht verlie-
ren, auch wenn Verzicht dem Allgemein-
wohl helfen würde.“ Was MacCallum da
skizziert, lässt sich natürlich mühelos auf
viele andere Länder übertragen, in denen
Populisten die Menschen nur noch bedie-
nen, statt ihnen etwas abzuverlangen.
Spezifisch australisch ist der erbar-
mungswürdige innere Zustand der Groß-
parteien, der wirklich keineswegs dazu an-
getan ist, das Vertrauen der Wähler in die
Politik zu gewinnen. Sowohl Labor als
auch die Konservativen haben ihre Kräfte
in den vergangenen 15 Jahren vor allem
darauf konzentriert, Premierminister aus
den eigenen Reihen im Akkord zu demon-
tieren. „The Lucky Country“ heißt ein Stan-
dardwerk über Australien, Donald Horne
hat es 1964 geschrieben, der Kernsatz ist
immer noch aktuell: „Australien ist ein
glückliches Land, geführt von zweitklassi-
gen Leuten, die von seinem Glück profitie-
ren.“ Aber warum ist das so?
Scott Morrison könnte der zweitklas-
sigste aller australischen Premiers sein,
doch er ist ausgestattet mit einem schein-
bar unerschütterlichen Selbstvertrauen,
vielleicht, weil ihm seine Pfingstkirchen-
pastoren einst versicherten, es sei Gottes
Wille, dass er Premierminister wird. Morri-
son hat sich als Hardliner in der Einwande-
rungspolitik einen Namen gemacht, in sei-
nem Büro, liest man, habe er lang das Mo-
dell eines Flüchtlingsboots stehen gehabt.
Inschrift: „I stopped these“, ich habe die
aufgehalten. Morrison kommt aus der Tou-
rismus-Werbung, einer seiner ersten Ein-
fälle im Amt war, dass seine Minister Flag-
genpins auf dem Hemd tragen sollten, sel-
tener auf der Bluse, denn viele Frauen gibt
es in seiner Regierung nicht.
Im Wahlkampf 2019 war Morrison
schon abgeschrieben, in allen Umfragen
lag er zurück, auch in diesem Punkt hört

mandown underdas Echo von Brexit-Vo-
tum und Trump-Wahl. Aber er kämpfte bis
zuletzt, während sein Labor-Kontrahent
angeblich schon den Umzug ins Kirribilli
House vorbereitete, die Residenz des Pre-
mierministers im Hafen von Sydney. Morri-
son versprach, den Reichtum des Landes
und die Jobs seiner Menschen gegen Klima-
schützer und Einwanderer zu verteidigen.

Der Überfluss an Rohstoffen, Öl und
Gas, Eisenerz und Bauxit, war ein Segen
für Australien, aber auch ein Fluch, weil er
den Ehrgeiz, andere Industrien zu entwi-
ckeln, nicht gerade förderte. 72 Prozent
der australischen Exporteinnahmen kom-
men aus der Kohle, die Reserven würden
wohl noch hundert Jahre reichen. Hundert
Jahre Wohlstand. So einfach. Morrison
sprach nach seinem Sieg von einem Wun-
der, aber ein Wunder brauchte er gar nicht.
Die Australier begreifen sich als junge
Nation im ewigen Aufstieg, eine Nation, die
wie ihr Nationalvogel, der Emu, praktisch
nicht zu Rückwärtsbewegungen fähig ist.
Weniger Kohle? Das ist in der australi-
schen Psyche nicht vorgesehen. Der Marke-
ting-Mann Morrison scheint zu wissen,
wie seine Landsleute ticken. Sein Wahl-
kampfslogan war: „If you have a go, you
get a go.“ Wer hart arbeitet, kriegt eine
Chance – das „fair go“ ist ein fester Teil des
australischen Mythos. Und die Bergarbei-
ter in Queensland fanden es eben gar nicht
fair, dass ihnen innerstädtische Verrückte
offenbar mit Minenschließungen die Chan-
ce verweigern wollten, hart zu arbeiten.
Bodenständigkeit, das ist eine zentrale
Kategorie der australischen Politik. Unver-
gessen der Premier Bob Hawke, der einen
Weltrekord im Biertrinken aufstellte, 1,7 Li-
ter in elf Sekunden. Auch Morrison insze-
niert sich als einfacher Typ aus der Vor-
stadt, der, zumindest seit er regiert, gern

Footballkappen trägt. Sport, hat Donald
Horne in „The Lucky Country“ geschrie-
ben, sei für die Australier das Leben, „und
der Rest ist ein Schatten“. Wenn man böse
sein wollte, könnte man sagen: Zum Schat-
ten zählt demnach die Wissenschaft und ei-
niges mehr, was in einer Klimakrise even-
tuell hilfreich sein könnte. Auch die be-
rühmte australische Gelassenheit hat in an-
deren Momenten gewiss besser gepasst.
In Australien ist jedenfalls noch jeder Po-
litiker, der mit Ambition in der Klimapoli-
tik auffiel, vom Wähler bestraft worden.
Überrollt von der Murdoch-Presse und der
Kohle-Lobby, die ihre Maschinerie gegen
jeden in Gang setzen, der das Wort Roh-
stoffsteuer nur zu denken wagt.


  1. Januar, Australia Day in Adelaide.
    Bei der Parade durch die Stadt feiert sich
    die multikulturelle Gesellschaft, die Inder
    singen, die Chinesen tanzen, alle mit aus-
    tralischen Fähnchen in den Händen. Aber
    wenn man die Debatten im Vorfeld des Na-
    tionalfeiertags verfolgte, beschlich einen
    das Gefühl, dass es für manche konservati-
    ve Wähler gerade doch um mehr geht als
    um Feuer und Klima. Dass sie ihren austra-
    lischen Way of Life bedroht sehen, von all
    den Umbrüchen in der Welt, die lange nur
    eine ferne Ahnung waren. Von der Einwan-
    derung, die Melbourne bald zur ersten
    Stadt Australiens machen wird, die mehr-
    heitlich nicht weiß ist. Sie verstehen auch
    nicht, warum plötzlich über die Verlegung
    des Australia Day diskutiert wird. Hat am

  2. Januar 1788 nicht alles begonnen, als
    elf Schiffe, die „First Fleet“, dieses Land er-
    reichten? Dass für die Ureinwohner, die Ab-
    origines, an jenem Tag alles endete, das hal-
    ten sie für nicht ganz so wesentlich.


Die Robert-Habeck-Fans aus der Oper
gehen trotz allem zuversichtlich aus dem
Sommer des Feuers. Sie machen sich Mut
mit einem anderen nationalen Schock,
dem Port-Arthur-Massaker auf Tasmani-
en 1996, bei dem ein Amokläufer 35 Men-
schen tötete. Der konservative Premier
John Howard setzte Waffengesetze durch,
die zuvor als undenkbar galten. Neunzig
Prozent der Bürger begrüßten das. Port Ar-
thur, das war politisch ein atemraubender
Moment kollektiver Erkenntnis.
Die meisten Australier widmen sich
nach dem Feuer erst mal praktischen Din-
gen. Sie spenden für die Opfer, Kylie Mino-
gue mehr als 300 000 Euro. Überall helfen
Freiwillige beim Wiederaufbau. In Anzei-
gen und Leitartikeln werden die Leute auf-
gefordert, doch in den betroffenen Gebie-
ten Urlaub zu machen. Oder notfalls auch
einfach ein Hotelzimmer zu bezahlen, oh-
ne hinzufahren. Sofort ist wieder sonnen-
klar, wie die Australier einst zu den Lieblin-
gen der Welt werden konnten. Als Gast ver-
schafft man sich ein leidlich gutes Gewis-
sen, indem man im Coffeeshop die Frage
stets begeistert bejaht, ob man den Flat-
White-Preis von 3 Dollar 90 mit einer Spen-
de auf vier Dollar aufrunden wolle.
Unablässig ziehen Nachrichten vor-
über: In South Australia sollen Scharfschüt-
zen aus Helikoptern Tausende wilde Kame-
le erschießen, weil die auf der verzweifel-
ten Suche nach Wasser menschliche Sied-
lungen demolieren. Auf Kangaroo Island,
dem schwer verwundeten Naturparadies,
soll ein Luxus-Golfplatz entstehen. Man
weiß nicht, wie man das finden soll. Ein
Engländer will das Fell toter Koalas verkau-
fen und die Erlöse spenden. Verdammte
Engländer. Eine Rezession droht, weil zu
den Buschbränden das Coronavirus
kommt, es bremst den Handel mit China.
Aber wenn man ehrlich ist: Eine Klima-
debatte findet nur auf den Meinungsseiten
einiger Zeitungen statt. Einmal entdeckt
man sogar im Murdoch-BlattAustralian
einen differenzierten Beitrag. Dann geht
es bei 9News sehr, sehr ausführlich um
Ralph, einen raffinierten Golden Retriever,
der in Melbourne von daheim abgehauen
ist und dabei die U-Bahn genommen hat.
Pressekonferenz in Canberra mit Scott
Morrison, er spricht dauernd von „Jenny
und ich“, als ob seine Frau ihm assistiert
hätte bei seinen Fehltritten im Sommer
des Feuers. Erst hatte er die Warnungen
der Feuerwehr ignoriert, dann sah er sich
die Brände ein wenig zu lang aus dem Ha-
waii-Urlaub an. Beim Besuch im Krisenge-
biet wurde er von enttäuschten Bürgern be-
schimpft. Der Fernsehschnipsel, der am
stärksten haften bleibt: Morrison geht auf
einen erschöpften Mann zu, der versunken
in einem Stuhl sitzt, und streckt ihm die
Hand entgegen. Der Mann sagt mit leiser,
fester Stimme, er bitte um Verständnis, er
wolle ihm die Hand nicht geben.
War es das für Scott Morrison? Nicht so
schnell. Seine Leute führen unbeirrt Alibi-
debatten: Die „Greenies“ würden kontrol-
lierte Rodungen zur Minimierung von
Brandgefahr behindern. Brandstifter
müssten schwerer bestraft werden. Morri-
son selbst findet mittlerweile, der Klima-
wandel könne „einer der Faktoren“ bei den
Feuern gewesen sein. Eine Kommission
soll ermitteln. Aber strengere Emissions-
grenzen? Der Premier sagt, er werde sich
nicht „auf rücksichtslose Ziele einlassen,
die Arbeitsplätze vernichten“.
Jobs, Jobs, Jobs, das hat in Australien
am Ende immer funktioniert. Die Grünen
haben sich hier erst 1992 als Partei for-
miert, die Verspätung im Vergleich mit an-
deren Staaten des Westens ist eher kein Zu-
fall. Knapp unter zehn Prozent lagen sie
bei der Wahl 2019. Immerhin, 41 Prozent
der Australier halten die Umwelt jetzt für
das drängendste Thema der Stunde. Aber
welche Maßnahmen würden sie unterstüt-
zen? Und zu welchem persönlichen Preis?
Die Welt täte auch deshalb gut daran,
Australien nicht mehr aus den Augen zu las-
sen, weil dort nun Fragen beantwortet wer-
den müssen, die sich bald auch in briti-
schen und anderen Wohnzimmern stellen.

War was?


Australien rappelt sich gerade wieder auf nach diesem Sommer des Feuers.
Aber wer glaubt, dass das Land sich verändert hat, kennt es nicht

von roman deininger


Sie verehren ihre Natur –


und zerstören sie. Vielleicht haben


sie einfach zu viel davon


DEFGH Nr. 44, Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020 HF2 DIE SEITE DREI 3


Die Australier lieben ihren Sommer. Aber in diesem Sommer
haben sie die Macht des Feuers ein bisschen intensiver kennengelernt als sonst. Feuerwehrmänner im
November in der Nähe von Sydney.FOTO: BRETT HEMMINGS / GETTY IMAGES / ASIAPAC

Gebrannt hat es schon immer,
aber nicht überall. Dass jetzt
auch Sümpfe brennen, ist neu

Die Kohlereserven würden noch
hundert Jahre reichen. Hundert
Jahre Wohlstand. So einfach

„Greenies“ sagen sie hier zu
den Grünen. Und nein,
das meinen sie nicht liebevoll
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