von josef schnelle
F
ürst Potemkin hatte nichts da-
mit zu tun. Trotzdem werden
Dörfer und Orte, die anderes
vorgeben als sie sind, immer sei-
nen Namen tragen. Und das
nur, weil ausländische Diplomaten 1787
die Zarin Katharina II. auf ihrer dreimona-
tigen Inspektionsreise nach Neurussland
zum 25. Jahrestag ihrer Thronbesteigung
begleiten durften. Den Initiator der Reise,
den unbeliebten Generalgouverneur der
Region, Feldmarschall Potemkin, über-
schütteten die Diplomaten mit übler Nach-
rede. Vor allem dichteten sie dem einsti-
gen Geliebten der Zarin an, die ihm anver-
trauten Dörfer entlang der Route unlauter
aufzuhübschen, um deren wahres Gesicht
vor Katharina II. zu verbergen.
Der französische Botschafter Graf de Sé-
gur schrieb: „Es ist, als ob er verstünde,
durch Zauber Mängel zu vertuschen. Städ-
te, Dörfer, Gutshöfe, manchmal einfache
Hütten, waren derart mit Blumen, bemal-
ten Dekorationen und Triumphbögen ge-
schmückt, dass ihr Aussehen das Auge
täuscht, und schienen wundervolle durch
Zauberei geschaffene Städte zu sein.“ Vor
allem verbreitete der kursächsische Diplo-
mat Georg von Helbig, der bei der Reise
gar nicht dabei war, in Depeschen die Mär
von den Potemkinschen Dörfern, die
nichts als grob gezimmerte Fassaden sei-
en. Das alles stimmt nicht, die Geschichte
faszinierte seine Zeitgenossen aber so
sehr, dass die Potemkischen Dörfer
schnell zum geflügelten Wort wurden für
die ultimative politische Täuschung.
Natürlich denkt man heute bei Kulissen-
dörfern sofort an die Künste der Ausstat-
ter von Hollywoodfilmen. Daran dachte
wohl auch Major John Ohmer, seit 1938
Chef einer kleinen Camouflage-Einheit,
die mit Tarnmaßnahmen wichtige Flug-
plätze und Fertigungsanlagen etwa der
Douglas-Flugzeugwerke in Santa Monica
schützen sollte. Die waren seit 1942 selbst
tätig und hatten Bühnenbildner, Zimmer-
leute, Maler und Beleuchter angeheuert.
Sie begnügten sich dabei nicht mit kreati-
ven Perspektivverzerrungen der Land-
schaft wie Ohmer, sondern überspannten
Hangars und verräterische Gebäude mit
Maschendraht, der mit bunt angesprüh-
tem Stoff und Federn verkleidet war. So
schufen sie über dem Flugzeugwerk ein
Potemkinsches Kunstgebilde mit aufge-
stellten Gummiautos und falschen Vorgär-
ten. Sie ließen Schauspieler durch verdeck-
te Luken nach oben klettern und auf im-
provisierten Laufstegen Alltagsleben mit
Rasenpflege und Gassi gehenden Hunden
vorspielen. Mit fünf Millionen Quadratme-
tern Maschendraht war eine echte Potem-
kinsche Kleinstadt entstanden.
Die Täuschung war so perfekt, dass die
eigenen Testpiloten oft das irritierend be-
malte Flugfeld nicht mehr fanden. Ob je
ein japanischer Pilot, solche erwartete
man in Kalifornien, das aufwendige Impro-
visationstheater beobachtet hat, ist unbe-
kannt. Auch bezweifeln Fachleute wie Roy
M. Stanley, Colonel der US-Air-Force, der
1998 ein Standardwerk über Luftaufklä-
rung und Täuschung („To Fool a Glass
Eye“) geschrieben hat, die Effektivität von
Hollywoods Potemkinschen Dörfern. Mit
„Glass Eye“ sind die Kameras der feindli-
chen Luftaufklärung gemeint. „Ein Pilot
hätte längst seine Bomben abgeworfen, be-
vor er die Details erfassen konnte“,
schreibt Stanley. Er zeigt in der Studie
aber, dass alle Kriegsparteien sich an Ca-
mouflage versucht haben.
Bilder vom Kreml mit täuschend echt
aufgemalten Häusern auf dem Roten Platz
zum Beispiel sollten das Finden des spek-
takulären Ziels erschweren. Es gibt militä-
rische Handbücher aller Kriegsparteien
mit Anweisungen für Täuschungsmaßnah-
men, mit denen etwa Flugzeughangars zu
schicken Wohnanlagen umgedeutet wur-
den. Eine Bildserie zeigt, wie der Hambur-
ger Bahnhof Dammtor zum Verschwinden
gebracht wurde. Die Deutschen errichte-
ten noch 1942 eine riesige künstliche Sko-
da-Fabrik und eine täuschend echt wirken-
de kreisrunde Gefängnisanlage in Pilsen.
Im Umkreis von Frankfurt fanden die Alli-
ierten neun Scheinanlagen, von denen es
in Deutschland wohl bis zu 350 samt Fake-
Flugplätzen gab.
Die Alliierten konterten mit einer Geis-
terarmee aus 600 Gummi- oder gemauer-
ten Panzern, mit denen man nahe Viersen
im März 1945 eine Rheinattacke vortäusch-
te, die aber viel weiter nördlich bei Wesel
stattfand. Die „23rd Headquarters Special
Troops“ waren mit ihren „Panzern“, die
man zu viert hochheben konnte, aber
nicht sehr effektiv. Man musste nach jeder
noch so kleinen Aktion aus den Gummi-
panzern die Luft ablassen, sie in Rucksä-
cke verpacken, um sie woanders wieder
aufzublasen. So berichtet ein Veteran, der
für die Wartung zuständig war: „Nicht im-
mer stand dann gleich ein Kompressor zur
Verfügung. Das Aufblasen mit dem Mund
dauerte aber Stunden.“
Der „falsche Krieg“ der Camouflage-
Fachleute dürfte immer noch geführt wer-
den auf den Kriegsschauplätzen der Welt,
jetzt vorwiegend im digitalen Bereich zwi-
schen Twitter und Internet mit Trojanern,
Fake-News und Malware. Die Spitze im
Wettbewerb um Potemkinsche Dörfer
aber erreichte Erich Honecker im Dezem-
ber 1981, als er Bundeskanzler Helmut
Schmidt im mecklenburgischen Güstrow
empfing. 35000 Sicherheitskräfte, darun-
ter 14 000 Stasimitarbeiter fungierten als
Bürger Güstrows und versuchten unter an-
derem, als Besucher des Weihnachtsmark-
tes „festliche Adventsstimmung“ vorzu-
täuschen, und schirmten die echten Bür-
ger effektiv von der „Westpresse“ ab, wie
in den vorliegenden Berichten der Stasi de-
tailliert nachzulesen ist.
Jede Zahl von 1 bis 9 kommt pro Zeile und Spalte
höchstens einmal vor. Ununterbrochene Reihen
weißer Felder (Straßen) enthalten nur aufeinander-
folgende Zahlen, aber in beliebiger Reihenfolge.
Zahlen auf schwarzen Trennfeldern gehören zu
keiner Straße. © 2010 Syndicated Puzzles Inc.
http://www.sz-shop.de/str8ts
DEM GEHEIMNIS AUF DER SPUR
So schön fake hier
Um Feinde abzulenken, gab es schon viele Potemkinsche Dörfer.
In Santa Monica wurde eine Flugzeugfabrik zur pittoresken Stadt,
in Güstrow täuschten 14 000 Stasi-Leute Adventsstimmung vor
Er stand im Ruf, „durch Zauber Mängel zu vertuschen“: Graf Potemkin mit Katharina II. FOTO: WIKIMEDIA COMMONS/CC BY-SA 3.0
65 32 89
43521 98
5746 321
45 76 12
32 876 54
12 89 45
312 8576
89 45763
98 34 76
14
3
6
9
5
78 5432
6987 23
21 78 45
43 98 76
345 6978
2431 89
89 123 54
78 241563
56 3241
36
51
7
9
...UND VOM WOCHENENDE
LÖSUNGEN VOM FREITAG ...
STR8TS: SO GEHT’S
Quartett mittelschwerZu sehen waren derSchuss-
fadenam Weberschiffchen, eineSchussfahrtauf
Skiern,„Der goldene Schuss“mit Vico Torriani und
einSchussMilch.SchwerNach den FirmenBayer,
Brose,Albasowie dem Jahr 1846 sind vier Rekord-
meister der Basketball-Bundesliga benannt: die
Bayer Giants Leverkusen, Brose Bamberg, Alba
Berlin und die Gießen 46ers.Aller Anfang„Wie ist
die Welt so stille und in der Dämm’rung Hülle so
traulich und so hold“ (Matthias Claudius)
36 RÄTSEL Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020, Nr. 44 DEFGH
287534619
45679 1283
319682475
964318752
875426931
132957864
728143596
541869327
693275148
386514279
714239658
59286 7413
675321894
241698537
839745162
163982745
427153986
958476321
STR8TSmittelschwer
SCHACH
Tobende Türme
FOTOS: IMAGO (6), DPA/PA (2); WEITERER BILDNACHWEIS VOM 15.2.: ALBA
QUARTETT
Vier Bilder, eine Gemeinsamkeit – welche?
von oliver rezec
mittelschwer
SUDOKUschwer
SCHWEDENRÄTSELMärchen- und Kinderbuchfiguren
a 8 7 6 5 4 3 2 1
bcdef gh
Position nach 16.Dd3
RajaHarshit − Adhiban (Spanisch)
Streng und leider auch erforderlich sind im
heutigen Turnierschach die Maßnahmen
gegen Betrug durch elektronische Hilfsmit-
tel. Schon lange sind Handys im Turnier-
saal streng verboten, als jüngste Regel wer-
den nun mancherorts auch Uhren generell
verbannt. Dieser Regel fiel jüngst der arglo-
se indische Großmeister Baskaran Adhi-
ban zum Opfer, der wegen des Tragens ei-
ner völlig harmlosen Uhr bei den Indi-
schen Mannschaftsmeisterschaften in Ah-
medabad genullt wurde. Doch dieser ärger-
liche Vorfall schien ihn zu motivieren, kurz
danach gewann er die folgende Glanzpar-
tie und verhalf seinem Team Petroleum
PSB zum Gesamtsieg.
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.
0–0 Lc5(die Archangelsk-Moeller Varian-
te führt zu scharfem Spiel)6.c3 b5 7.Lb3
d6 8.d4 Lb6 9.a4 Lg4 10.h3 Lh5 11.Lg5
(schon ist eine spannungsgeladene Positi-
on entstanden, der die gegenseitigen Fesse-
lungen besondere Würze verleihen)
11...Tb8 12.d5 Se7 13.Lc2 h6(eine neue
Idee, Weiß soll zum Abtausch auf f6 provo-
ziert werden, was die g-Linie für den An-
griff öffnet)14.Lxf6 gxf6 15.Kh2 Tg8 16.
Dd3(ein Fehler genügt, um Weiß in den Ab-
grund zu stürzen. Korrekt war 16.axb5
axb5 17.Sa3)Diagramm 16...Txg2+(ein
brillantes Turmopfer, das einen übermäch-
tigen Angriff einleitet)17.Kxg2 Sg6 18.
Kh2 Sf4 19. Tg1 Ke7(verschmäht 19...Sxd3
20.Tg8+ Ke7 21.Txd8 Txd8 22.Lxd3 Lxf3,
was Schwarz auch Vorteil verspricht)20.
Dd2 Lxf3 21.Ld3 Dd7 22.Tg3 Lg2(es folgt
Schlag auf Schlag!) 23.axb5 (23.Txg2
Dxh3+ 24.Kg1 Dxg2 Matt)23...Tg8(die
Türme toben weiter)24.Dxf4(ein verzwei-
feltes Damenopfer, aber 24. Txg8 Dxh3+
25.Kg1 Dh1 wäre Matt)24...exf4 25.Txg2
Txg2+ 26.Kxg2 Dc8(erneut flammt der
Angriff auf)27.Sd2(27.bxa6 Dg8+ 28.Kf3
Dg1)27...Dg8+ 28. Kf3 Lxf2(und noch ein
Opfer!)29.Kxf2 Dg3+ 30.Ke2 De3+ 31.
Kd1 Dxd3 32.bxa6 f3 33.Kc1 f2 34.Ta4
f1D+ 35.Sxf1 Dxf1+ 36.Kc2 Df2+ 37.Kd3
Dxb2 38.Kc4 Db1 39.a7 Dxe4+ 40.Kb5
Dxd5+ 41.Ka6(auch 41. Kb4 Da8 wäre
hoffnungslos) 41...Dc6+ 42.Ka5 Db6
(Matt). stefan kindermann
schwer
9 2 5 2 8 2
1
9
6
3
75
5 2 6
4 5 7
3 7
2
7
1 8 3 4 5
5 6 4 8
1 8
6 1
ALLER ANFANG
„D···· D··········
m··· e·· R··· g····“
Fast ein Vierteljahrhundert ist die Forderung des damaligen Bundespräsidenten
inzwischen her. Ob sie sich je erfüllte, ist strittig. Wie lautet das Zitat?