Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

S


ie sei eine »elendige Schlampe«.
Sie solle die »Fresse halten« und
sich »verpissen«. Bemerkungen
wie diese zählen noch zu den harm-
loseren im Netz. Die Hasskommentare rich-
ten sich an Gayle King, eine der prominen-
testen TV-Moderatorinnen Amerikas. Die
65-jährige Frontfrau von CBS, einem der
größten Fernsehsender, hatte in einem In-
terview ein dunkles Kapitel aus dem Leben
der verstorbenen Basketballlegende Kobe
Bryant angesprochen, mehr als
eine Woche nach seinem Tod.
Bryants Anhänger rasten
vor Wut. Unter ihnen auch der
US-Rapper Snoop Dogg: Wie
könne sie es wagen, den Ruf
seines Freundes zu beschmut-
zen? »Back off, bitch, before
we come get you.«
Der 41-jährige Bryant war
am 26. Januar in Calabasas,
Kalifornien, bei einem Hub-
schrauberabsturz ums Leben
gekommen. Auch seine 13 Jah-
re alte Tochter Gianna und sie-
ben weitere Personen starben.
Das tragische Unglück berühr-
te Millionen Menschen welt-
weit, bis hin zu dem ehema -
ligen US-Präsidenten Barack
Obama, der Sängerin Taylor
Swift oder der Komikerin El-
len DeGeneres. Hochhäuser
erstrahlten in Gelb und Lila,
den Farben der LA Lakers.
Vor zwei Wochen wurden Kobe Bryant
und seine Tochter im Stillen beigesetzt.
Jetzt, am Montag, dem 24. 2., soll es eine
offizielle Trauerfeier geben. Das Datum
ist bewusst gewählt. Nach der 8 war die
24 viele Jahre Bryants Trikotnummer, die
2 trug seine Tochter. Sie galt als großes
Basketballtalent.
Tausende werden nun im Staples Cen-
ter in Los Angeles erwartet. Die Halle war
Bryants Zuhause. Hier spielte er 17 Jahre
lang, schrieb Basketballgeschichte. Fünf-
mal gewann er mit seinem Team die Meis-
terschaft.
Doch inzwischen hat sich in den USA
am Fall Bryant eine Debatte entzündet:
Darf man über tote Stars nur Gutes reden,
oder muss es erlaubt sein, auch an die düs-
teren Seiten zu erinnern?


Bryant war der beste Spieler seiner Ge-
neration, ein Genie auf dem Feld. Schnell,
kraftvoll und doch elegant. Abseits des Plat-
zes zeigte er sich als liebevoller Ehemann
und Vater seiner vier Töchter. 2016 beendete
er seine Karriere. Ein Gedicht, das er zu die-
sem Anlass schrieb, ließ er verfilmen. »Dear
Basketball« erhielt 2018 einen Oscar in der
Kategorie »Bester animierter Kurzfilm«.
Geblendet von dem Erfolg sind viele
seiner Anhänger bereit, die weniger schö-

nen Facetten Bryants zu ignorieren. Dass
er jahrelang auf dem Platz ein Egomane
war, der oft auf seine Mitspieler hinab-
schaute. Dass seine Ehefrau schon mal die
Scheidung einreichte, weil sie genug von
seinen Affären hatte. Vor allem aber an
jenes dunkle Detail wollen sich seine trau-
ernden Fans nicht erinnern: die Nacht in
Colorado.
Dort soll Bryant am 30. Juni 2003 in ei-
nem Hotel eine 19-jährige Rezeptionistin
vergewaltigt haben. Am Morgen danach
vertraute sich die junge Frau ihrer Mutter
an. Sie gingen zur Polizei. Laut US-Me-
dien existieren Klinikberichte, denen zu-
folge das mutmaßliche Opfer Verletzun-
gen im Vaginalbereich aufgewiesen habe,
die mit einvernehmlichen Sex nicht ver-
einbar waren.

Von der Polizei dazu befragt, bestritt
Bryant zunächst, Sex mit der Frau gehabt
zu haben, später bezeichnete er ihn als
einvernehmlich.
Bryant, damals 24, Vater einer sechs
Monate alten Tochter, wurde wegen se -
xueller Nötigung angeklagt. Der Staats -
anwalt sagte: »Ich glaube, dass ich diesen
Fall zweifelsfrei beweisen kann.«
Bryants Verteidigerin setzte auf die Stra-
tegie des »Victim Blaming«: Sie versuchte,
das mutmaß liche Opfer öffent-
lich zu diskreditieren, stellte
die Rezeptionistin als promis-
kuitiv und psychisch labil dar.
Und schreckte nicht davor
zurück, ihren Namen öffent-
lich zu machen. Die junge
Frau wurde zur Gejagten, von
Bryants Fans wie von Medien.
Die Boulevardzeitung »Globe«
etwa veröffentlichte ein Foto
von ihr in einem kurzen Kleid.
Daneben ihr Vor- und Zuna-
me. Und diese Zeile: »Hat sie
wirklich Nein gesagt?«
Am Ende entschied sich die
junge Frau, nicht gegen ihn aus-
zusagen. Sie würde den Pro-
zess nicht durchstehen, hieß es.
Die Klage wurde daraufhin
fallen gelassen. Am selben Tag
verlas Bryants Anwältin im
Gerichtssaal ein Statement im
Namen ihres Mandanten: »Ich
möchte mich bei ihr entschul-
digen für mein Verhalten in dieser Nacht
und die Konsequenzen, die sie im vergan-
genen Jahr erleiden musste ... Obwohl ich
wahrhaftig glaube, dass die Begegnung zwi-
schen uns einvernehmlich war, erkenne ich
jetzt, dass sie diesen Vorfall nicht so gese-
hen hat und nicht so sieht wie ich.« Auch
zweifle er nicht an den Motiven der Frau,
sie habe nie Geld gewollt. Die Studentin
stammt aus einer wohlhabenden Familie.
Für viele war es ein Schuldeingeständ-
nis. Und der Preis dafür, dass sich das mut-
maßliche Opfer nicht mehr als Zeugin in
einem Strafprozess zur Verfügung stellte.
Im Zuge eines Zivilverfahrens kam es
2005 zu einer außergerichtlichen Eini-
gung mit Schweigeklausel.
Die mediale Aufmerksamkeit in dem
Fall glich dem Trubel rund um den ehe-

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 91


Sport

Sankt Kobe


StarsDas Gedenken an den US-Basketballer Kobe Bryant zeigt, wie wenig Fans bereit sind,


die Schattenseiten ihrer Idole zu akzeptieren. Journalistinnen, die nach seinem Tod auf
eine folgenschwere Nacht im Leben der NBA-Legende hinwiesen, bekamen Morddrohungen.

MARK J. TERRILL / AP / DPA
Lakers-Profi Bryant in Los Angeles 2015
Ein Genie auf dem Feld
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