Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

Themen ich mich äußere. Zu
meiner Aussage damals war
das Feedback auch rückbli-
ckend insgesamt sehr positiv.
SPIEGEL:Und der zweite
Grund?
Goretzka:Als Fußballer ist
man generell vorsichtig mit öf-
fentlichen Äußerungen, weil
wir wissen, was manchmal
daraus gemacht wird von Me-
dien und allen, die in diesem
Karussell mitfahren. Nehmen
Sie nur den Zwischenfall mit
mir und Jérôme Boateng vor
drei Wochen.
SPIEGEL:Sie haben sich mit
Ihrem Mitspieler im Training
gestritten, es wurde ein biss-
chen herumgeschubst.
Goretzka:Für Jérôme und
mich war das Thema nach
drei Minuten erledigt. Aber
medial wurde dieser Vorfall
derart aufgeputscht, mit Brea-
king News und Live-Schalten
vom Trainingsgelände, dass
man fast denken konnte, da wäre gerade
ein Terroranschlag passiert. Das ist nur ein
Beispiel, welche Dynamik gewisse Situa-
tionen entwickeln. Deswegen halten sich
viele Profis zurück, weil sie wissen, dass
man sehr schnell diskreditiert wird und sein
Gesicht verlieren kann.
SPIEGEL:Wie lief das danach ab, haben
Sie und Ihr Kollege darüber gesprochen
und aufgrund der öffentlichen Erörterung
des Vorfalls entschieden, eine Klarstellung
zu veröffentlichen? Oder wurden Sie beide
vom Verein gedrängt?
Goretzka:Das war unsere Eigeninitiative.
So ein Streit kann im Sport passieren,
trotzdem habe ich mich dafür geschämt.
Um dem Ganzen den Wind aus den Segeln
zu nehmen, kam Jérôme später zu mir, wir
haben ein gemeinsames Foto gemacht und
es auf Instagram gestellt. Fall erledigt.
SPIEGEL:Profifußballer nutzen die sozia-
len Medien häufig zur Selbstdarstellung.
Da sieht man dann Spieler, die sich Gold-
steaks servieren lassen oder sich vor prot-
zigen Autos in Pose werfen. Was soll das?
Goretzka:Ich möchte da gar nicht über-
mäßig moralisch wirken und wie die Ver-
nunft in Person auftreten. Wir als Profis
leisten viel und verdienen extrem viel, und
auch ich gönne mir gern den einen oder
anderen Luxus. Der Punkt ist nur: ob ich
mich damit präsentieren muss. Ob ich
mich darüber definiere. Ob ich gar glaube,
etwas Besseres zu sein.
SPIEGEL:Hält man sich als Spieler des FC
Bayern München nicht automatisch für et-
was Besseres?
Goretzka:Bodenhaftung schließt ja Selbst-
bewusstsein nicht aus. Natürlich bewege
ich mich als Spieler des FC Bayern in einer


Umgebung, wo du von dir selbst über-
zeugt sein und teilweise auch die Ellbogen
ausfahren musst. Du musst dich gut finden,
um das zu schaffen, was hier verlangt wird.
Du musst auf dem Platz auch einen Hang
zur Arroganz haben. Das heißt aber nicht,
dass man nach Abpfiff nicht wieder ge -
erdet sein kann.
SPIEGEL:Wie haben Sie Ihre kritische Hal-
tung entwickelt?
Goretzka:Das kam mit der Zeit. Der Poli-
tikunterricht, den ich in der Schule hatte,
war eine Katastrophe. Irgendwann habe ich
angefangen, Zeitung zu lesen. Mein Interes-
se an Entwicklungen in der Gesellschaft und
bestimmten Zusammenhängen wurde im-
mer größer. So bin ich da reingewachsen.
Vorige Woche habe ich die KZ-Gedenkstät-
te in Dachau besucht. Mich interessiert, was
damals passiert ist. Wir sind alle gefordert,
dass sich diese unfassbar schrecklichen Er-
eignisse nicht wiederholen. Niemals.
SPIEGEL:Ihrem früheren Mitspieler beim
FC Schalke 04, Julian Draxler, hat der ehe-
malige Trainer Felix Magath einst vom
Abitur abgeraten, weil er das als Profi eh
nicht mehr brauchte.
Goretzka:An diese Situation kann ich mich
gut erinnern, genau darüber hatten wir da-
mals zu Hause gesprochen. Meinem Vater
gefiel das gar nicht. Er bestärkte mich auf
meinem Weg zum Abitur. Ich bin zwei Jah-
re parallel gefahren mit Profifußball, dem
täglichen Training und dem Abi-Stress, das
war schon krass. Länger hätte ich das nicht
durchgehalten. Abends bin ich nur noch ins
Bett gefallen, so platt war ich.

* Mit Schalke-Trainer David Wagner (2. v. l.) bei DFB-
Pokalspiel am 4. Februar.

SPIEGEL: Der Freiburger
Stürmer Nils Petersen hat
mal gesagt, er habe als Fuß-
baller das Gefühl, als würde
er verblöden. Können Sie
das nachvollziehen?
Goretzka:Ich weiß schon,
was Nils damit gemeint hat.
Dass ich als Profi immer je-
manden im Umfeld habe,
der mir mein Auto anmeldet,
sich um die Versicherungen
kümmert und auch sonst al-
les erledigt.
SPIEGEL:Also hat Petersen
recht?
Goretzka:Finde ich nicht.
Wenn ich wach und offen
durchs Leben gehe, dann
kann ich mich als Person wei-
terentwickeln. Wenn ich nur
daran denke, mit wie vielen
anderen Kulturen ich zusam-
menkomme, wie viele Län-
der ich bereise, wie viele
Sprachen ich höre, auch
wenn ich gestehen muss,
dass ich selbst bei Fremdsprachen sehr
mau unterwegs bin. Aber manchmal triffst
du Spieler, die sprechen vier, fünf Spra-
chen. Das ist einfach toll.
SPIEGEL:Sie haben kürzlich gesagt, Sie
hätten Sorge um die nächste Spielergene-
ration. Warum?
Goretzka:Ach, was ich mir einfach wün-
schen würde, wäre eine Welt ohne
Smartphones. Ich gehöre zur letzten Fuß-
ballergeneration, die ohne Handy groß ge-
worden ist. Ich war noch einer, der bis Son-
nenuntergang auf dem Bolzplatz kickte.
Doch solche Typen werden in diesen digi-
talisierten Zeiten immer weniger.
SPIEGEL:In den Nachwuchsakademien
der Bundesligaklubs werden die Talente
auch täglich im Training gedrillt. Was ist
da bei den Jüngeren heute anders?
Goretzka:Das Mindsetting bei den Jungen
hat sich geändert. Die haben ein Problem
damit zu verstehen, dass zum Fußballprofi
auch viel Arbeit gehört und man Prioritä-
ten setzen muss, wenn man weiterkommen
will. Man darf das alles natürlich nicht pau-
schalisieren. Aber einige meiner Kollegen
beim FC Bayern und ich haben schon das
Gefühl, dass unser Weg noch ein anderer
war als der heutiger Jugendspieler.
SPIEGEL:Es mangelt den jungen Spielern
an Ehrgeiz?
Goretzka:Viele wollen den letzten Schritt
nicht gehen, sie geben sich mit dem zufrie-
den, was sie erreicht haben. Manche ver-
dienen in der A-Jugend schon so viel Geld,
dass ihnen der Hunger auf Erfolg verloren
geht. Wenn man sich aber zu früh zufrie-
dengibt, dann ist es der Anfang vom Ende.
Interview: Florian Kinast, Gerhard Pfeil

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 95


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