SEITE R10·DONNERSTAG, 5.MÄRZ2020·NR.55 Reiseblatt FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
A
mliebstenfotografiertLaurenzBer-
ges„in de nNachmittaghinein“, im
Sommerdann allerdings auchgern
biszurDämmerung.Denndannent-
faltedas Licht seineganze Fülle,
sagt er:Esm ache die Dinge„dreidi-
mensionaler“.Unterwegsist Lau-
renz Bergesdann in geräumtenKa-
sernen oder Dörfern,die wegendes
Braun kohletagebausverlasse nwur-
den, wandertdortscheinbar ohnePlan umher,„ganz ent-
spannt“. Irgendwann aberfällt ihmetwa sauf, in das sichdie
Zeiteingeschrieben hat–einverwitter tesTor,regennasser,brü-
chiger Asphalt, eineMauer,ein Türschild.Dann stelle sichbei
ihm eine„gewisse Nervosität“ ein.„Ichbeeilemich“ ,sagt er.
Es bleibt ihm nichts anderes übrig angesichts derkompli-
ziertenAusrüstung. Nicht seltenverändertsichdas Licht,
schon bevorerdie große Plattenkamera samtStativ inStel-
lung gebracht hat. Dann notierterden Or tund kommt ein an-
deres Mal wieder.Erhat Zeit.Sie is teines derkostbarstenGü-
terseiner fotografischen Praxis. In allem nimmt Bergessich
die Zeit, die ein Bild nachseinemVerständnis braucht.
Nicht nur beimFotografieren. Bevorerseine Aufnahmen
zeigt, vergeht ein Jahr,indessen Verlauf er es einzeln oder in
Kombination auf sichwirkenlässt.Diese Karenz, eine persön-
lichauferlegteSperrfrist,lager tsichinden Aufnahmen ab: Es
sindverbindliche,endgültigeKompositionen.Wasdiesichtba-
re Welt an Flüchtigem zu bietenhat, verdicht et Bergesinste-
hender Gegenwart zum Bild. Es sagt sichsoleicht :Die Zeit
scheint darin aufgehoben. Dochkaum einFotograf seiner Ge-
nerationverfügt über eine so differenzierte Bildsprache für
die Dignität des Ephemeren wie er.Die atmosphärischeFülle
der Leerehat Ber geszuseinem Lebensthemagemacht.
Laurenz Bergeskam 1966 in Cloppenburgzur Welt, seit lan-
gemlebt er in Düsseldorf. Gut zehnJahresind verstrichen, seit
er Duisburgals Or tentdeckt und zu erkunden begonnen hat.
Unterden Revierstädten habe diese ammeisten Charisma,
sagt er und nenntden Binnenhafen, die Brücken, die unterge-
gangene Schwerindustrie, den missglücktenStrukturwandel.
Unddann sagt er noch, dassDuisburgetwas voneiner Filmku-
lisse habe.Aber vonden gängigen Ruhrpott-Klischeesfindet
sichnicht eines in seiner Serie „4100 Duisburg“. Vielmehr
taucht man in eineverschwiegeneWelt ein. DerUntertitel
„Das letzteJahrhundert“flirtetiro-
nischmit Endzeitstimmung. Gele-
gentlichvergis st man beim Betrach-
tender Fotografien die Bestimmung
der Gegenstände und entdeckt eine
Schönheitdarin, die den Rahmen
des Bildes braucht, umvorAugen
treten zu können. Melancholisch,
nicht aber nostalgisch–so ließe sich
das Credo Berges’ skizzieren.
„4100 Duisburg.Das letzteJahrhun-
dert“ vonLaurenz Berges,Josef-Albers-
Museum, Bottrop; bis 3. Mai. Das Begleit-
buchist beiKoenigs Books erschienen
und kostet 48 Euro.
Zenund dieKunst, ein verwitter tesTor zu fotografieren:
Laurenz Bergessucht imRuhrgebietnachMomenten aufgehobener
Zeit –eine Ausstellung in Bottrop.VonGeorgImdahl
Alle Fotografien ©Laurenz Berges/VG Bild-Kunst, Bonn 2020