Die Welt - 14.03.2020

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14.03.20 Samstag,14.März2020DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,14.MÄRZ2020 SEITE 20

WISSEN


Der Rorschachtest aus
Tintenklecksmustern dient intenklecksmustern dient
der Persönlichkeitsanalyse –er Persönlichkeitsanalyse –
und wurde eine Zeit lang beind wurde eine Zeit lang bei
KKKrebsdiagnosen angewandtrebsdiagnosen angewandtrebsdiagnosen angewandt
GETTY IMAGES/4KHZ

Das Ausnahmegefühl


KREBS


Kaum eine Krankheit


weckt so starke


Emotionen wie Krebs –


doch was die Menschen


empfinden, hat sich im


2 0. Jahrhundert sehr


verändert. Eine


Historikerin erklärt, wie


uns das bis heute prägt


REBSK


FF


rau S. suchte die Heidelberger Klinik
im Herbst 1974 auf. Ihr Gynäkologe
hatte sie zur Abklärung hingeschickt;
das Ergebnis eines Routineabstrichsdas Ergebnis eines Routineabstrichs
war auffällig gewesen. Die 29-Jährige
stellte sich auf eine körperliche Untersuchung
und eine Röntgenaufnahme ein. Stattdessen er-
warteten sie „Tests zu wissenschaftlichen Zwe-
cken“, wie es der Klinikarzt formulierte: Er be-
fragte sie zu ihrem Privatleben, legte ihr Frage-
bögen vor („Ich bin ungern mit noch unbekann-
ten Menschen zusammen“, „Ich empfinde mein
Sexualleben als zufriedenstellend“) und zeigte
ihr Tafeln mit speziell aufbereiteten Tinten-
klecksmustern, aus denen sie Dinge erkennen
sollte – der sogenannte Rorschachtest, ein Ver-
fahren zur Persönlichkeitsanalyse. Zwei Stunden
dauerte die Prozedur; dann erst wurde Frau S.
körperlich untersucht. Die Diagnose: Krebs.
Die Geschichte von Frau S. hat sich tatsäch-
lich so zugetragen. Sie ist nur eines von vielen
Schicksalen, auf das die Historikerin Bettina Hit-
zer bei den Recherchen zu ihrem Buch „Krebs
fühlen“ gestoßen ist. Konkret hat die 49-Jährige
untersucht, wie Gefühle im Laufe des 20. Jahr-
hunderts den Umgang mit Krebs beeinflusst ha-
ben – und umgekehrt.

VON CÉLINE LAUER

WELT:Viele Passagen in Ihrem Buch über den
früheren Umgang mit Krebs erscheinen heute
absurd – so wie jene mit dem Rorschach-Test.
Was ist daran für Sie als Historikerin wertvoll,
was lesen Sie daraus?
BETTINA HITZER:Ich wollte herausfinden, wel-
che Beziehungen zwischen der wissenschaftlichen
Forschung und der gesellschaftlichen Wahrneh-
mung von Gefühlen bestehen – und wie dies wie-
derum die Erfahrungen der Patienten beeinflusst
hat. Diese Passage dient mir dabei als zentrales
Beispiel: Sie zeigt, wie man einst versucht hat, zu
erforschen, ob es einen Zusammenhang zwischen
bestimmten Emotionen und der Entstehung von
Krebs gibt – mit Methoden, die damals als wissen-
schaftlicher Standard angesehen worden sind.

Das beherrschende Gefühl bei Krebserkran-
kungen ist die Angst. Man würde vermuten,
dass Menschen aller Epochen sich gleicher-
maßen davor fürchteten. Sie aber schreiben,
dass die Angst im Verlauf des 20. Jahrhun-
derts ihre Gestalt ändert. Wie meinen Sie das?
Ich meine damit, dass die Art, wie Angst moralisch
besetzt und empfunden worden ist, sich sehr
stark verändert hat. Zum Beispiel gab es zu Beginn
jenes Jahrhunderts eine Zeit, in der man der Über-
zeugung war, dass das Empfinden von Angst den
Körper schwächt und die Behandlung erschwert.

Wenn sich Krebspatienten in jener Zeit fürch-
teten, machte ihnen diese Angst also zusätz-
lich Angst?
Ja. Und dieser Umgang spielte wiederum eineJa. Und dieser Umgang spielte wiederum eine
große Rolle bei der Vorbeugung und Versorgung


  • weil dann auch Gesundheitspolitiker und Ärzte
    davon überzeugt waren, dass das Thema Angst
    vermieden werden sollte, da es kein produktives
    Gefühl sei.


Damals wurde über Krebs meist geschwiegen.
Nicht nur der Arzt verheimlichte seinem Pa-
tienten die Diagnose – auch Angehörige ver-
schwiegen dem Betroffenen, dass sie von sei-
ner Krankheit wussten. Warum tat man das?
Das hat einerseits mit der Vaterrolle der Medizi-
ner zu tun; damals war man überzeugt, dass nur
der Arzt die richtigen Entscheidungen treffen
kann und es deshalb auch nicht notwendig ist,
den Patienten über alles zu informieren. Ande-
rerseits spielte aber eben auch das Verständnis
von Emotionen eine große Rolle, zum Beispiel
die Frage: Was ist überhaupt Hoffnung? Für die
damaligen Ärzte und Psychologen stand fest: Es
gibt im Prinzip keine andere Hoffnung als die
Hoffnung, zu überleben. Und deswegen erschien
es als eine unglaubliche Grausamkeit, den Pa-
tienten zu sagen: Sie haben eine Krankheit, die
Sie aller Wahrscheinlichkeit nach töten wird.

Weil ein großer Teil jener Menschen, die an
Krebs erkrankten, damals auch daran starb.
Zudem ging man davon aus, dass Hoffnungslo-
sigkeit den Verlauf der Krankheit beschleunigen
und möglicherweise sogar zu Selbstmord führen
würde. Daher wurde es oft als „barmherzige“
oder „schonende“ Lüge bezeichnet, dem Patien-
ten diese Diagnose vorzuenthalten. Die große
Frage war allerdings immer: Was, wenn dieser
Mensch eine besondere Verantwortung trug –
zum Beispiel als Familienernährer oder Unter-
nehmer? In solchen Fällen wurden zum Teil Aus-
nahmen gemacht und die Betroffenen doch in-
formiert. Oder man weihte Angehörige ein, da-
mit diese dann Maßnahmen treffen konnten –
mehr oder weniger unbemerkt vom Patienten.

Welche Folgen hatte das für die Familien?
Aus heutiger Sicht sagen wir sehr schnell: Das ist
ja grauenvoll, dass diese Menschen nicht offen
miteinander über die existenziellste Frage über-
haupt sprechen konnten – nämlich darüber, dass
jemand, den man liebt, stirbt. Aber dabei urtei-
len wir eben auf der Grundlage unserer jetzigen
Vorstellung davon, was Beziehung, Liebe und In-
timität bedeuten. In den historischen Dokumen-
ten habe ich Hinweise darauf gefunden, dass
manche Paare die stillschweigende Überein-
kunft getroffen hatten, nicht darüber zu spre-

chen. Das bedeutete, dass man sich über solche
Gefühle nicht austauschte, sich aber trotzdem
einander nahe fühlte; nur eben anders nahe, als
wir das heute definieren würden.wir das heute definieren würden.

Kaum eine Krankheit scheint so gefürchtet zu
sein und die Gefühle derart zu dominieren
wie Krebs. Woher kommt diese emotionale
Sonderstellung?
Es gibt wenige Krankheiten, die so oft so
schmerzhaft tödlich enden und sich über solch
einen langen Zeitraum hinziehen. Hinzu kommt
diese bedrohliche Vorstellung, dass das etwas in
uns selber ist, was zu uns gehört. Krebs ist kein
Virus oder Bakterium, das von außen eindringt,
sondern eine Krankheit, die sich aus unseren ei-
genen Zellen entwickelt. Allerdings hat dieses
Leiden sich natürlich im Laufe der Zeit verän-
dert und ist in vieler Hinsicht nicht mehr die
Krankheit des 19. Jahrhunderts. Die Heilungs-
chancen sind viel höher, auch die Möglichkeiten
der Schmerzbekämpfung haben sich enorm ver-
bessert. Ich denke daher, dass wir im Umgang
mit Krebs noch viel an historischem Gepäck mit
uns herumtragen – auch an Gefühlen.

Gefühle wurden eine Zeit lang sogar als Ursa-
che für die Krankheit in Betracht gezogen, wie
die geschilderte Episode mit dem Rorschach-
Test zeigt. Wann kam diese Idee auf?
Das ist eine Vorstellung, die in der Geschichte
immer wieder auftaucht. Schon in der Frühen
Neuzeit ging die Humoralpathologie davon aus,
dass ein Ungleichgewicht der Körpersäfte für
Krebs verantwortlich sein muss – zu viel schwar-
ze Galle, die man mit Melancholie verband. Im


  1. Jahrhundert machte man nervliche Überlas-
    tung verantwortlich. Gegen Ende des 19. Jahr-
    hunderts galt es dann als erwiesen, dass es sich
    bei Krebs um Zellveränderungen handelte, auf
    die Gefühle keinen Einfluss haben. Aber in mei-
    ner Forschung habe ich festgestellt, dass quasi
    unter der Hand – in Gesprächen von Ärzten und
    in Ärzteratgebern zum Beispiel – die Auffassung
    überdauerte, dass bestimmte emotionale Hal-
    tungen dafür verantwortlich sein könnten. Und
    diese Ansichten hielten sich sehr lange, bis hin
    zu den psychoanalytisch-psychosomatischen
    Untersuchungen der 1950er- bis 1970er-Jahre.


Der Mythos, dass es Leute mit „Krebspersön-
lichkeit“ gebe, hält sich unter Laien bis heute.
Dieses Bild ist in der Gesellschaft tatsächlich
nach wie vor relativ weit verbreitet: Die diffuse
Vorstellung, dass Krebs etwas mit der Verdrän-
gung von Gefühlen zu tun hat. Dazu muss man
sagen, dass auch in der Forschung Modelle der
Psychoneuroimmunologie diskutiert werden; al-
so die Frage, inwiefern das Immunsystem von

bestimmten Erfahrungen, Stressoren etc. beein-bestimmten Erfahrungen, Stressoren etc. beein-
flusst wird und ob darüber ein Zusammenhangflusst wird und ob darüber ein Zusammenhang
zur Entstehung oder Heilung von Krebs besteht.zur Entstehung oder Heilung von Krebs besteht.
Aber diese Mechanismen sind unglaublich vielAber diese Mechanismen sind unglaublich viel
komplexer, als es die simple Idee einer „Krebs-
persönlichkeit“ nahelegt.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
hat sich unser Verhältnis zu Krebs sehr verän-
dert; neue Behandlungsmethoden wie die
Chemotherapie kamen auf. Sie sprechen von
der zentralen Emotion der Hoffnung, die da-
mit aufgekommen ist – die zugleich aber neue
Zwänge gebracht hat. Wie meinen Sie das?
Die Chemotherapie stellt für mich in der Ge-
schichte der Krebserkrankung eine wichtige Zä-
sur dar. Davor hatten die Ärzte nur wenige Op-
tionen. Es gab die Möglichkeiten der Chirurgie,
wenn der Tumor noch operabel war; das war ei-
ne klare Entweder-oder-Entscheidung, die rela-
tiv schnell getroffen werden konnte. Auch bei
der Bestrahlung, die um 1900 dazukam, war bald
klar, wie viel Erfolg die Behandlung hatte. Das
heißt, damals gab es nur wenig Alternativen, und
es stand viel früher fest, ob noch Grund zur
Hoffnung bestand – oder nicht.

Und das hat sich mit der Chemotherapie ver-
ändert?
Ja, weil in den 1950er- und 1960er-Jahren relativ
schnell eine ganze Palette an Chemotherapeuti-
ka entwickelt wurde, die zudem auch in unter-
schiedlicher Weise kombiniert werden konnten.
Die Möglichkeiten einer Behandlung haben sich
also vervielfältigt – und das ist ein Prozess, der
sich bis heute fortsetzt. Zudem gibt es immer
wieder neue Methoden, eine Krebserkrankung zu
behandeln; zum Beispiel, indem der Betroffene
an einer Arzneimittelstudie teilnimmt. Oder in-
dem er im Rahmen eines sogenannten „Compas-
sionate Use“ vielleicht sogar außerhalb einer Stu-
die ein nicht zugelassenes Medikament erhält.

Warum sollte es neue Zwänge bringen, wenn
Krebspatienten all diese Chancen haben?
Die Hoffnung wird damit immer weiter verlän-
gert – aber auch zu einer Entscheidung, die der
Betroffene selber fällen muss. Weil es oft nicht
mehr die Ärzte sind, die sagen: „Es tut uns leid,
wir haben jetzt keine Möglichkeit mehr.“ Son-
dern weil es der Patient ist, der abwägen muss:
Will ich jetzt noch diese Therapie, diese Medika-
mente, diese Studie ausprobieren, obwohl meine
Heilungschancen immer geringer werden? Das
ist natürlich einerseits ein Zugewinn an Autono-
mie, an Kontrolle über das eigene Leben und
Sterben. Aber auch die Last, sich für oder gegen
diese Form der Hoffnung zu entscheiden, liegt
damit auf den Schultern der Patienten.

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Bettina Hitzer,geboren 1971, leitet eine
Forschungsgruppe am Berliner Max-
Planck-Institut für Bildungsforschung mit
dem Schwerpunkt „Gefühl und Krank-
heit“; zudem lehrt die Neuzeithistorikerin
an der Freien Universität Berlin. Ihr Buch
„Krebs fühlen: Eine Emotionsgeschichte
des 20. Jahrhunderts“ ist die überarbeite-
te Fassung ihrer Habilitationsschrift. Am
Donnerstag wurde sie dafür mit dem
Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse
ausgezeichnet.

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