Frankfurter Allgemeine Zeitung - 03.03.2020

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien DIENSTAG, 3.MÄRZ 2020·NR.53·SEITE 15


D


ie Bilder lassen einennicht
mehr los. DieKinder gucken
mit aufgerissenen Augen in die
Kamera ,sie weinenbitterlich,
manche erstarren,sie haben Angst,sie sind
verdrecktund bitterarm. Es sindKinder
der Jesiden. Sie ziehen mit den Erwachse-
nen, dievorden Terroriste ndes IS ins Sind-
schar-Gebirge im Nordirak fliehen.Unfa ss-
bares Leid zeichnetdie Menschen,die von
den Islamistenals „U ngläubige“verfolgt
werden. Frauenund Männerweinen,man-
chesterben auf demWeg.
DerISkesseltedieMenschenimGebir-
ge ein.Schätzungen zufolgeermorde te die
Terrormiliz über fünftausendJesiden.
Mehr als siebentausendKinder undFrauen
wurdenverschleppt,vergewaltigt,versklavt
und verkauft. DerGenozid an den Jesiden
liegtfünfein halb Jahrezurück. Noch immer
werden etwa zweitausend Jesidinnenver-
misst;mutmaßlichbefindensie sic hinGe-
fangenschaftdes IS.
Auch Najlaa Mattowar eine Gefangene.
Als die IS-Schergensie verschleppten, war
sie 32 Jahrealt. Der Dokumentarfilm „Jiy-
an. Dieverge ssenen Opfer desIS“ vonder

Journalistin und Menschenrechtsaktivistin
DüzenTekkal zeigtihreTrauer,ihreWut,
die aus derVerzweiflungwächst,ihren
Schmerzund ihreunbändige Kraft, der
traumatischenVergangenheitins Gesicht
zu sehen. „Sie haben michgefesselt“, sagt
Najlaa Matto, „meinen Mund zugedrückt,
damit sie michmissbrauchenkonnten. Ich
hatt ekein Leben mehr.“ Ihr wurde der Kie-
fergebrochen.Nurschemenhaftbekommt
man eineVorstellun gdavon, wassie erlit-
tenhaben muss.Undschon das hält man
kaum aus.Zu vieldes Guten istMattos
deuts cheSynchronstimme, diegespieltdra-
matis ch spricht.Aber derFilm is tsos tark,
dass er diesesMankoausgleicht.
Heut elebt Najlaa Mat to in Deutschland.
Siebeschließt,zurücknachKodscho zufah-
ren, in ihr Heimatdorf im Nordirak ,wodie
IS-Terroristen sie entführtund ihreEltern
umgebracht haben.Düzen Tekkal begleitet
sieauf ihrerReise. IhrFilm erzählt aber
nicht nurvoneinemEinzelschicksal. Er
zeigt das Leid einesganzenVolkes. Die
nordirakischeStadt Dohukistnur vierFlug-
stundenvonDeutschland entfernt.Noch
immerbefindetsichhiereinriesiges Flücht-
lingslager,indem mehr als dreihunderttau-
send Jesiden untergebracht sind.Weltweit
wird ihreZahl auf eineMilliongeschätzt.
InDeutschlandlebenetwa zweihunderttau-
send Jesiden.
Najlaa Mattofährtins Flüchtlingslager.
Weiße ZelteundContainerprägendie brau-
ne,karge Landschaft. Kinder schauen auf
dasvorbeifahrende Auto. Matto besucht
ihrejünger eCousine. Die beidenFrauen
fallen sich in die Arme undweinenbitter-
lich.Die Kamerafängt die Begegnungso
nahein, dass es schwer ist, ihneninihrem
tiefen Schmerzzuzusehen. Mattos Cousine
warauch eine Gefangene des IS.Sie is terst
fünfzehn. Sie hat langeblonde Haare und
bleibtruhig, als sie mitwenigenWorten
über ihreGefangenschaft spricht.Sie wur-

de als Mädchen verschleppt, zumVerkauf
angebotenund mehrmals verge waltigt.Sie
hat zwei Kinderzur Welt gebracht, Kinder
des IS, wie sie sagt.Ihr gelang die Flucht,
ohne ihreKinder.
Es sind Geschichten, die DüzenTekkal
immerwiederhört. Mädchen,die im Alter
vonachtJahrenverge waltigt wurden,Kin-
der,die brutale Massenmorde mitansehen
mussten, dieZerstörung einesganzen Vol-
kes, das keine Heimat mehr hat.
Aufder Fahrtzurückinihr Heimatdorf
darfsie Najlaa Mattonicht begleiten. Es ist
zu gefährlichfür eine deutscheStaatsange-
hörige. Ein einheimischerKameramann
fährtmit und fängt Bilder ein,die einem
die Luft wegnehmen.Kodschoist übersät
mit Ruinen. Alles istzerstört. „Hie rgibt es
kein Leben mehr“, sagt ein Mann auf der
Straße. Mattogehtgemeinsammit anderen
Frauen in die Ruine des Hauses, in dem
sichdas Massaker ereignethat.Die Frauen
schreien und schluchzen, sie brechen zu-
sammen.
Der Film zeigt schonungslos eineReali-
tät, vorder wir die Augenverschließen. Es
gibtimLebendieser Menschenkeinen
Trost. Siehaben allesverloren.Aber es
kann einTeil der Gerechtigkeit wiederher-
gestellt werden, wenn die IS-Täterzur Ver-
antwortung gezogen undvorein Stra ftribu-
nal gestellt werden. Dafürkämpft Najlaa
Mat to,die vorden Vereinten Nationenge-
sprochen hat.Hierzulande werdedeut-
sche nIS-Anhängern, die zurückkehren,
einefalscheToleranz gezeigt, kritisiertDü-
zen Tekkal im Gespräch mit dieserZei-
tung. DieTrennlinieverlaufenicht zwi-
sche nMännernund Frauen –denn auch
Frauen gehörte nzuden Tätern des IS –,
sondernzwischen Opfernund Tätern.Es
müsseverhindertwerden ,dassbeide Grup-
pen in diesem Land aufeinanderträfen.
Wenn dieTäternicht zurVerantwortungge-
zogen und bestraftwürden,werdeanden
Frauen ein zweitesVerbrechen begangen.

ZurückimNordirak,trifftDüzen Tekkal
einenJungen, der schon als Vierjähriger
vomISverschlepptwurde. DieTerroristen
unterzogen ihn einer fundamentalistischen
Gehir nwäsche .Ein Video des IS zeigt den
bildhübschen Jungen, der die indoktrinier-
te Ideologie desIslamismus aufsagt und
mit einem Gewehr für den abscheulichen
Kampf ausgestattet wird.Kurznachseiner
Befreiung wirkt der JungeimFilm aufge-
dreht, aufKrawall gebürstet,als wüssteer
nicht wohin mit seinerganzenEnergie. Er
spricht Arabisch und Englisch,aber nicht
seine Muttersprache. Seiner Großmutter
sagt er,sie mü ssegetöt et werden, weil sie
ungläubig sei. Ein Jahr späterfährtTekkal
wieder zu ihm. Der Jungeist starkverän-
dert. Er is tnun in sichgekehrt, spricht
kaum einWort,wirkt verstockt undtiefver-
ängstigt.Die Traumatakämen jetzt hoch,
sagt ein Angehöriger.Erwurde misshan-
delt, bekam zuwenig zu essen, hatteals
kleines Kind nur dieFunktion, einglühen-
der Islamistzuwerden. DerJungekönne
das nichtverkraften. Man sieht es ihm an:
Seine Seele istzerstört.
Es sindkeine neuenFragen, die sich ei-
nem stellen,wenn man diese schreck li-
chen Bilder sieht–aber sie rühren an den
tiefsten Z weifeln:Wiekönnen Menschen
so etwastun? Undwie kann dieWeltge-
meinschaftdas zulassen? DüzenTekkal ist
mit diesem eindringlichenFilm ein er-
schüt terndes Dokument derZeitgeschich-
te gelungen. Sie beließ es nicht beiihrer
journalistischen Arbeit und hat die Men-
schenrechtsorganisation „Hawar.help“ge-
gründet.Dem Film aberkann garnicht ge-
nug Aufmer ksamkeitgeschenktwerden.
Noch istnicht klar,woerausgestrahlt
wird. DemnächstsollerimEU-Parlament
gezeigt werden. Essteht zu hoffen, dass
der Film eingroßes internationales Publi-
kumfindet. Dennwir müssen hinsehen–
und handeln. HANNAHBETHKE

Najlaa Matto (rechts) nimmtAbschiedvonDüzenTekkal, bevorsie sichauf diegefährlicheReise in ihr zerstörtesHeimatdorf imNordirak macht. FotoHawar

ZDFbeißtauf Granit
Nach Kritik des ZDF an dergeplan-
tenVerlängerung der„Tagesthemen“
am Freitagabend hat der Programm-
direktor des Ersten, Volker Herres,
um Verständnisgeworben. In seinem
Antwortschreiben an den ZDF-Inten-
danten Thomas Bellut habe erversi-
chert, „dassdie ARD dieKoordinati-
onsverpflichtung auchkünftig beach-
tenund ein Einvernehmen mit dem
ZDF suchenwerde“, teiltedas Er ste
mit.Die Intendanten der ARD hat-
tenbeschlossen, die„Tagesthemen“
freitags auf dreißig Minuten zuver-
längern. Damit überschneiden sie
sichumfünfzehn Minuten mit dem
„heutejournal“ des ZDF.Intendant
Bellut hattedies kritisiertund darauf
verwiesen, die Sender sollten laut
Staatsvertrag solcheFragen einver-
nehmlichlösen.Zu Herres’ Antwort
sagteBellut, man nehme dies „mit
Bedauernzur Kenntnis“, verzichte
„aber auf Gegenreaktionen“.Erfin-
de es „nachwie vornicht in Ord-
nung, dasssich die ARDvorder Ent-
scheidung nicht um eine Abstim-
mung mit dem ZDF bemüht hat, wie
es der Rundfunkstaatsvertrag for-
dert. Unser Fernsehrat wirdsichim
Märzmit der Fragebeschäftigen.
Eine Krise mit der ARD wirddaraus
aber nicht.“ dpa/F.A.Z.

„Berliner Zeitung“ohneChef
Der BerlinerVerlag hat denWeggang
des erst vordreiWochen eingesetz-
tenChefredakteursvon „BerlinerZei-
tung“ und „BerlinerKurier“, Matthi-
as Thieme, bestätigt.Die Verleger Sil-
ke und HolgerFriedric hteilten mit,
Thieme habe nachkurzerZeit ent-
schieden, seinePosition aus „persön-
lichen Gründen“ aufzugeben. Man be-
dauredie Entscheidung. Erst am


  1. Februar hatteder Verlag bekannt-
    gemacht, dassThieme Chefredakteur
    der Zeitungenwerde, wenigeTagezu-
    vorhatteerals Chefredakteur mit
    Schwerpunkt digitale Produkteange-
    heuert. dpa/F.A.Z.


BayernsMeldeportal
Erst melden, dannlöschen. Die Initia-
tive„Justiz und Medien–konsequent
gegenHass“ der Bayerischen Landes-
zentrale für neue Medien (BLM) und
des bayerischen Justizministeriums
wendetsichmit einem neuen Inter-
netauftrittgegenHassimNetz. Dort
soll manvolksverhetzendeKommen-
tare,Drohungen oder HateSpeech
melden (www.konsequent-gegen-
hass.de).Verachtende Beiträgenur
zu löschenkönne nicht die Lösung
sein, sagteBLM-Präsident Siegfried
Schneider.Über ein Online-Formu-
lar können deswegen bayerische Re-
daktionen vonsofor tanHasspos-
tings direkt an die zuständigeStaats-
anwaltschaftMünchenIübermitteln.
Diesekönne daraufhinrascherrecht-
liche Schritteeinleitenund Täterkon-
sequent verfolgen. Zudem werden
Schulungen und Lernmaterial ange-
boten. Über die Internetseitekönnen
sichInteressierteauchderInitiative
anschließen. 65 privateund öffent-
lich-rechtliche Medienunternehmen
aus Bayern beteiligen sichandem
Projekt.„Werdie Meinungsfreiheit
schützen will, mussstrafbaren Hass
bekämpfen. DennHassimNetzunter-
drückt die Meinungsfreiheit anderer
und vergiftetdas gesellschaftlicheKli-
ma“, sagteBayerns Justizminister
GeorgEisenreich. akur.

VorzweiWochenhat ChinadreiRepor-
terdes „Wall Street Journals“auf ein-
mal des Landesverwiesen. Offiziell
wurde das mit einerÜberschriftbe-
gründet,diekeiner der dreiKorrespon-
dentengeschriebenhat.Eswarein bei-
spielloserVorgang, den es so seit dem
Ende der Mao-Äranochnicht gegeben
hat.Völlig unerwartet kamernicht .Es
gabVorboten. Das zeigt der Jahresbe-
richtdes Clubsder Auslandskorrespon-
denten in China (FCCC), der jetztver-
öffentlicht wurde. „Diechinesischen
Behörden nutzenVisa alsWaffegegen
die ausländische Presse wie nie zuvor“,
heißtesdort. Der FCCC befürchte t,
dass Peking „sichdaraufvorbereitet,
weitere Journalistenauszuweisen“.
Ein Anzeichen dafür istdie immer
häufigere AusstellungvonKurzzeitvi-
sa an Langzeitkorres pondenten. In
manchen Fällen wurden nur noch
Aufenthaltsgenehmigungen für einen
Monat ausgestellt, obwohl Ein-Jah-
res-Visa üblichsind. Sowohl dieZahl
der Journalisten,die verkürzt eVisaer-
hielten, als auchdie Zahl derer,die
vonSchwierigkeiten bei derVerlänge-
rung ihrer Aufenthaltsgenehmigun-
genberichten, hat sich2019 gege n-
über demVorjahr inetwa verdoppelt.
Die Zahlen drückenPekings Bemü-
hen aus,selbstdarüber zu bestimmen,
wie dieWelt überChinaspricht und
denkt. Ein namentlichnicht genannter
Bürochef einesenglischsprachigenMe-
diums inPekingumschreibt das so:
„Das Außenministerium führtmit uns
zunehmendexplizit eGespräche über
‚roteLinien‘, die wir überschritten ha-
ben, unddarüber,dassesunwillkom-
mene Konsequenz en haben wird,
wenn wir sie wieder überschreiten.“
Die wichtigste rote Linie seiStaats-
und Parteichef Xi Jinping. DasAußen-
ministerium habe explizit gesagt,
dass„das falscheStücküber Xi“ wü-
tende Reaktionen hervorrufenwerde,
sagt der Bürochef. Ein britischerKor-
respondent berichtet,das Außenmi-
nisterium habe darumgebeten, dass
das Medium alle Artikel über Xi Jin-
ping von2012 bis 2016 aus dem Inter-
netarchiv lösche,weil seither so viel
Zeit vergangen sei. KristyNeedham
vom„SydneyMorning Herald“ wur-
de in einerTouris tenattraktion, in der
einer Lebensphase Xi Jinpings ge-
dacht wird, vorübergehend festge-
nommen und amFotografierengehin-
dert. Weiter eThemen, bei denenPe-
king allergischreagiert, sind dieUm-
erziehungslager in Xinjiang, die Pro-
testbewegung in Hongkong und seit
neuestemder Umgang mit dem Coro-
navirus, für den Chinavonder Welt
gelobt werden möchte.
Visaproblemesind nicht der einzi-
ge Hebel, mit dem diechinesischen
Behörden die Berichterstattunger-
schweren. In derUmfrag edes FCCC
berichten 76 Prozent der befragten
Korrespondenten, Gesprächspartner
hätten ein Interviewmit der Begrün-
dung abgelehnt, sie dürften nicht mit
ausländischen Medien sprechen. Ein
Reporter berichteteüber ein Schild in
einemRegierungsgebäude, auf dem
stand, esverstoße gegendas Gesetz
überStaatsgeheimnisse, mit westli-
chen Medien zu sprechen. Das betrifft
nicht nurRegierungsmitarbeiter, son-
dernauchWissenschaftler.„Das Kli-
ma istoffen feindselig“,zitiertder
FCCC-Bericht den Mitarbeiter eines
amer ikanischenMediums.Auch west-
liche Gespräch spartner fürchteten
ChinasZorn,wenn sie mit kritischen
Äußerungen zitiertwürden.
Die Furcht vorKontakten zuwestli-
chen Medien beschränkt sichnicht
auf politischsensible Themen und
nimmt bisweilen abstruse Zügean.
Ein Beispiel: Eine Bienenzüchterin
aus Xinjiang zogvergangeneWoche
die bereitsgegebene Zusagezueinem
Interviewmit dieserZeitung zurück.
In dem Gesprächwolltesie über das
Sterben ihrer Bienen sprechen, die
sie wegenAbsperrmaßnahmengegen
das Coronavirus nicht zu einer Obst-
plantagebringen konnte.
Die Behinderungvon Berichterstat-
tungdurch Polizi sten und Mitarbeiter
des Propagandaamtsgehör tinChina
zum journalistischenAlltag. Mehr als
die Hälfte der befragtenJournalisten
hat diesimvergangenenJahr erlebt.
Zunehmend wird auchDruck auf chi-
nesische MitarbeiterausländischerMe-
dienausgeübt.„DazugehörenDrohun-
gengegen deren Angehörige, Hausbe-
suche ,Anruf eder Polizei undVersu-
che, sie zu zwingen, derStaatssicher-
heitüber die Arbeit derKorresponden-
tenzuberichten“,schreibtder FCCC.
Bisweilen holtsichdie Staatssicher-
heit solche Informationen auchauf
anderemWeg: EinigeKorresponden-
tenbericht eten über mutmaßliche Ha-
cker-Angriff eauf ihre Computer.So
seien den BehördenReisepläne be-
kannt gewesen, die allein in E-Mails
und verschlüsselten Chat-Diensten
besprochenworden seien. Die Büro-
chefin der„WashingtonPost“, Anna
Fifield, berichtet,ihreGesprächspart-
ner seienvonder Polizei vorabwegen
ihres erwarteten Kommenskontak-
tiertworden.


Frau Tekkal,inIhremDokumentarfilm
über „Die vergessenen Opfer des IS“ er-
zählen Sie von der schwierigen Aufarbei-
tung des Völkermordsanden Jesiden
durch den IS. Was bedeutet der Titel des
Films, „Jiyan“?
Das Wort „Jiyan“ istKurmandschi-Kur-
dischund bedeutet „Leben“. Ichhabe die-
sen Titelgewählt, weil ic hzum einen ei-
nen Kontrapunkt zu meinem ersten Film
„Háwar“ („Hilferuf“) setzen und zum an-
deren zeigenwollte, wiestarkund resi-
lient dieseFrauen sind. Siewollen um je-
den Preisweiterleben. In meinemFilm
sagt Najlaa Matto: „Ichbin stark, ichbin
stärkerals der IS.“ Ein Menschkann noch
so sehr mit demRücken zurWand stehen,
vonallen Seiten umzingelt sein und sich
dochseinen Lebenswillen und eineWi-
derstandskrafterhalten.

In der jesidischenKultur gilt der Grund-
satz der Endogamie. Zwar werden Jesi-
dinnen,die Opfer des IS sind, inzwi-
schen in der jesidischenGemeinschaft
zugelassen, nicht aber ihreKinder, die
durch Vergewaltigungen der IS-Terroris-
ten geboren worden sind. Der Film greift
diese Probleme der jesidischen Kultur
nicht auf. Warum nicht?
Dieser AspektwirdimFilm kurz genannt.
Theoretisch könnteich über das Schicksal
dieser Kinder noch mal einen eigenen
Film drehen. Ichmussteaber eine sehr
komplexe und aufwühlende Materie in ein
circasechzigminütigesWerkpackenund
konntedeshalbnicht auf alle Aspekteein-

zeln eingehen, obwohl viele davonnatür-
lichsehr wichtig sind. Der Beschlussdes
religiösenRates der Jesiden, die Kinder
der IS-Kämpfer als Jesiden anzuerkennen
und auch dieFrauenvon ih rerSchul dfrei-
zusprechen, isteine imVergleich mit ande-
renreligiösen Gemeinschaften beispiello-
se Revolution.Allerdings schießt das iraki-
sche Bürgerrecht hierquer:Für die Iraker
sind dieKinder ,die die IS-Kämpfer zeug-
ten, Muslime. Das führtzuWidersprüchen
im Umgang mit den Kindern. Es gibt jesidi-
sche Frauen, die die Kinderzurücklassen.
Die landen dannmeistfrüheroderspäter
als Waisenkinder im Al-Hol-Flüchtlingsla-
ger. Dafür musseine Lösung nochgefun-
den werden. Wirmachen uns als Men-
schenrechtsverein immerfür dieRechte
und die freieWahl derFrauenstark.Da-
mit haben wir uns in der jesidischen Com-
munity nicht nurFreundegemacht.Ich
werdeimmergegenpatriar chalischeStruk-
turen, dieFrauen unterdrückenund ihnen
ihreRecht enehmen, laut und aktiv sein –
egal, ob es dabeiummeineeigeneKultur
oder irgendeine anderegeht.

Siefordern Sonderkontingente für diebe-
troffenen Frauenund ihreKinder, wenn
sieinDeutschland aufgenommen werden.
Sind dieKinder in der deutschen Dia-
sporader Jesiden aber nicht auch ausder
jesidischen Gemeinschaft ausgeschlossen?
Richtig. Deshalb gibt es bei diesem Punkt
viel Bedarffür Sensibilität und Diploma-
tie. Wirverfolgen einen zweifachen An-
satz: VorOrt sorgenwir fürWiederauf-

bau undStärkung der jesidischen Gemein-
schaf tdurch Ausbildung und psychologi-
sche Betreuung der Betroffenen. Zugleich
wollen wirFrauen und Kinder,die drin-
gend eine intensiveretherapeutische Hil-
fe nötig haben, nachDeutschland holen,
wo sie diese Behandlung bekommen, und
ihnen somit aucheinen Schutzgewähren,
den sievorOrt nicht haben. Dazu prüfen
wir sehrgenau, fürwenund für wie viele
der Frauenund Kinder dieseFormder Un-

terstützung nötig istund ob ein Sonder-
kontingent einzurichten ist.

Mehr als 1050 deutsche Islamistensol-
len in Richtung Syrien und Irak gereist
sein; ein Drittel soll sich wiederin
Deutschlandbefinden. Wie muss aus Ih-
rer Sicht mit den zurückgekehrten deut-
schen IS-Tätern verfahren werden?
Nichtzwangsläufig mussihnen voreinem
deutschen Gericht der Prozess gemacht
werden. Es gibtverschieden eMöglichkei-
tender internationalenStrafverfolgung
nach dem Grundsatzder sogenannten
„Weltgerichtsbarkeit“.Deutschland hat zu-
sammenmit anderen Ländernein entspre-
chendesStatut unterzeichnet, das es er-
möglicht, auchnichtdeutscheStaatsbürger
wegenMenschenrechtsverbrechen anzu-
klagen–wie derFall de sIrakers Taha A.-J.
zeigt, der sichderzeit in Gewahrsa min
Deutschland befindet. Ihmwirdvon der
Generalbundesanwaltschaftdie Ermor-
dung einesfünfjährigen jesidischen Mäd-
chens zur Lastgelegt. Bemerkenswertist,
dassdie Anklagepunkt eunter anderen
„Völkermord“, „Verbrechen gegendie
Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen
gegenPersonen“ lauten.Weltweit istes
das er steGerichtsverfahren seiner Art.Sol-
cheStrafverfahren sindwir nicht nurden
Opfer nschuldig,sondernauchunseren eu-
ropäischenWerten. Wirkönnennicht den
ganzenTag vonMenschenrechten schw a-
feln un ddann bei soetwaswegschauen.
DieOpfer haben lebenslänglich. Außer-
demist das natürlichein si cherheitspoliti-

sches Muss. Das sind ja zumTeil schlimms-
te Mörder,Vergewaltiger und Gewalttäter.
Die müssen wirallein zu un serem Schutz
rechtlich für ihre Tatenbelan gen.

Sie kritisieren, in Deutschland erführen
die IS-Rückkehrer eine falsche Tole-
ranz. Können Sie das konkretisieren?
Was genau läuft an welchenStellenaus
Ihrer Sicht falsch?
Ichhabeeinfac hdas Gefühl, dass unser
Rechtsempfinden in Bezug auf die IS-Täter
aussetzt. Gerade undvorallem in Bezug
aufdie Frauen:Die Ge waltforschung hat
dasKlischee der„fried fertigen Frau“ (Mar-
garete Mitscherlich) längstwiderlegt.Die
IS-F rauen warenganz selbstverständlicher
Teil des IS,als Mütter,als Schwestern,die
ideologisch-moralisch-emotionale Unter-
stützung leisteten,sozusagen Care-Arbeit
im Dienste des Heiligen Kriegs. Sie miss-
handeltenund mordetenauchmit, feuer-
tensogar nochbei denVergewaltigungen
an. Wirbrauchen konkretepolitischeMaß-
nahmen, um mit diesen deutschenStaats-
bürgernzuverfahren, dieTeil vonterroristi-
schen islamistischenStrukturenwaren–
undnatürlichideologisch auchnochsind.
Konkret heißt das:Wirmüssenweiter Be-
weisesammeln,Rechtsweg eeröffnen,die-
se MenschenvorGericht ezubringen und
siestrafrechtlichfür ihr eTaten zu belan-
gen. Ic hfindeesmanchmal absurd,dass
ichdas überhauptforder nmuss. Werwill
dennMörder undVergewaltigerinDeutsch-
land einfachfreiherumlaufen lassen?

Das GesprächführteHannah Bethke.

KurzeMeldungen


Wirmüssen hinsehen und handeln


Chinas


rote Linien


Journalistenwerden


zunehmend bedrängt


VonFriederikeBöge,


Peking


Bei IS-Täternsetzt unser Rechtsempfinden aus


Schutzgewähren, Beweise sammeln,vorGerichtgehen: DüzenTekkal über dievergessenenOpfer derTerrorher rschaftdes „IslamischenStaats“


DüzenTekkal FotoMarkusC.Hurek

Der Dokumentarfilm


„Jiyan–Die vergessenen


Opferdes IS “arbeit et


den Völkermord an den


Jesiden auf. Das


Schi cksal gerade der


Kinder undFrauenist


ersc hütternd.

Free download pdf