Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton SAMSTAG, 22.FEBRUAR2020·NR.45·SEITE 11


E


in Au ge.Starrund still. Nicht ei-
gentlich ängstlich,sonder nge-
banntvon Er staunen.VonZwei-
felüber das,wasesgesehen hat.
DenBildern,diedur ch seinePupilleeinge-
drungen sind, hängt das Auge nach ,es
kann nicht zwinkernund vergessen, es
mussständig weiter schauen und will
docheigentlich erst nochordnen. Das
Auge kommt nicht nach, jederBlickist im
Grundegescheiterte Abwehr eines neuen
Eindrucks.Das Auge gehörteinemKünst-
ler mitgebrochenem Bewusstsein.
AlsSohneiner italienischenAuswande-
rin, der nachihrem Todkurzvor Aus-
bruc hdes Er sten Weltkriegsvoneinem
Schweizer Ehepaar adoptiert wird, zeigt
er schon als KindZeichen schwererkör-
perlicher und seelischer Leiden. In der
SchulewirdervomLehrerundseinenMit-
schüler nmisshandelt, in einenSack ge-
stecktund angehustet. Fürimmerwird
ihm diesergrausamkeuchendeTonim
Ohr bleibenund mit ihm die Demütigung,
die ervonseinen Mitmenschen erfuhr.
Aufdie verweiger te Zu neigung antwortet
er mit unkontrolliertenGefühlsausbrü-
chen,dieZiehmutterredetihmeinen„Teu-
felimKopf“ ein,also schlägt er sichdie

Schlä fe an immerder gleiche nStelle auf:
„Wenn das Blutfließt, fließt auchdas
Böseheraus.“ Man schicktihn insWaisen-
hausundindiepsychiatris cheAnstalt,spä-
terwirdernach Italien ausgewiesen, in
diePo-Ebene,wo erjahrelangwieein Aus-
sätziger in einerWaldhütt elebt, armund
verlassen,nurdieTieresindseine Vertrau-
ten. Mit ihnenverbündet er sich, wirdnur
ruhig, wenn er seineStirngegen den Hals
eines Esels lehnt oder schnatternd inmit-
teneiner Gänsescharsteht.
Undauchspäter ,nachde mihn einrömi-
sche rBildhauer als eine Art„edlenWil-
den“ in seinAteliergenommenhat und in
derMalereiseine Begabung entdeckt,sind
es langeimmer nur dieTiere, denenerBe-
achtungschenkt. Sie malt er in allihren
Ausdruc ksnuancen–die Angst des ab sto-
ßend hässlichen Einzelgänger svor der
Misshandlungdurc hseineMitmenschen
drückt sich aus in einem aufgerissenen Lö-
wenmaul oderscheuenden Pferden. Erst
alsererfolgreichwird, seineBilderinRom
gezeigt werden,kommen neue Motivehin-
zu. Selbstporträts,Landschaftenund ir-
gendwann aucheineFrau. Der sehnsüchti-
ge Wunschnacheiner Bindungkommt zu
spät, geradeals er seineAbscheu vordem
anderenGeschlecht überwindet,erliegt er
einem Schlaganfall undstirbt.
„Volevo nascondermi“ („Ichwollte
michverstecken“) is tder er steWettbe-
werbsfilm auf der diesjährigen Berlinale.
Mit ruhiger Intensität erzähltder italieni-
sche Regisseur Giorgio Dirittidie Lebens-
geschichtedes Künstler sAntonio Ligabue
nach.Mit demphantastischenElioGerma-
no hater dafür einen Protagonistengefun-
den, dessen physischkompromissloses
Spiel man atemlosverfolgt.Sein Körper,

seine Gesten, seineSprache–alles ist
durchdrungenvonder Er fahrung desAus-
schlusses,der Einsicht, einAussätziger zu
sein in einer Gesellschaft, die schon den
Reinheitsgeboten des aufkommendenFa-
schismusgehorcht.
ÄhnlichwieMichaelHanekes„Daswei-
ße Band“brau chtauchDirittis Film keine
explizitenVerweiseaufdie politischenGe-
schehnisse,um eine Atmosphäreder Ge-
fühlskältezuevozieren. SeineKamera
lässterimmerwiederinlangenEinstellun-
genüber leerePlätze undwehendeFelder,
durch Arkadengängeund Treppenhäuser
schweifen, der engeSeelenzwang wird
kontrastiertmit einergroßzügigen Bild-
sprache.UndLigabue, der bis zuletztge-
fährde tbleibt, weil er zustarkfühlt, der
seine Gemäldewütend zerstört, wenn ein
Betrachter sie nichtgleichkaufen will,
und dervoller Verzweiflung nachts um
den Dorfplatz rast,wenn das kleineNach-
barsmädchenstirbt, dieserKünstler mit
dem gebrochenen Bewusstsein beginnt im
Verlauf des gut zweistündigenFilms im-
mer stärkerzustrahlen.„Volevo nascon-
dermi“ zeigtkeinen Wilden, der durchdie
Kunstdomestiziertwird, sondern einen
Vereinzelten, der dieVergesellschafteten
in seinenBann zieht.Nicht mitWorten,

sondernmit Bildern. Mit seinemAuge,
mit seinemZweifel und seiner Hast. Ein
mitreißender,ein unumwunden leiden-
schaftlicher erster Berlinale-Film.
Einigermaßenhalbgar und nur aus-
nahmsweisegruselkomischwirkt hinge-
gender zweite Beitragaus Ar gentinien
und Mexiko. „El prófugo“ („Der Eindring-
ling“) heißterund versucht mit einer Mi-
schung aus kunstg ewerblicher Suspense
undkühlem Galgenhumordie paranoiden
Gefühlszustände einer jungenFrau aus
Buenos Airesvorzuführen, deren nervtö-
tender neuerLiebhaber nacheinem klei-
nen Urlaubsstreit aus demFenster sprang.
Ihren Unterhalt verdient Inéssichmit
Synchronstöhnen für asiatische Horror-
filme,inihrer Freizeit singt sie als Sopra-
nistin in einem Chor.Dochseit dem
furchtbaren Zwischenfall zeichnen die
Mikrofone im Tonstudio sonderbare
Töne auf, die scheinbar direktvonihren
Stimmbändernkommen. Albtraum und
Wirklichkeit mischen sich,Wahnbilder
erscheinen, und unter der Bettdecke
schlängelt plötzlichUngeziefer.Alle Ex-
orzismusversuche scheitern, bis amvöl-
ligüberstürzten Endedie sogenannteLie-
be auf einmalalles richtet.
Inspiriertvom Horrorroman „El mal
menor“ des argentinischen Schriftstel-

lersC.E.Feiling, hat dieRegisseurinNa-
talia Meta versucht, einenkeuschenPsy-
chothriller zu drehen, bei dem zwar hin
und wieder dieTürenknarren, aberkei-
ne tie fere Spannungaufkommen mag. So
viel MüheÉrica Rivas sichauchgibt,ih-
rerFigur einenunergründlichen Flair zu
geben,soüberschaubar und eben nicht
einmalinAnsätzen surreal is tdas, was
sie an Handlung und Bildsprache um-
gibt.
Mit zweiFilmen vonsehr unterschiedli-
chem Wert beginnt also diese Jubiläums-
Berlinale, der die bedrückende Unge-
schicklichkeit ihrer Eröffnungsgala noch
in den Knochen sitzt.Dahatteder neue
Moderator SamuelFinzi zu langeherum-
gealbert, bis endlichdie Schweigeminute
für Hanaukam. In seinemVorwortzum
diesjährigen Programm hat der neue
künstlerische Leiter Carlo Chatriange-
schrieben,dassFilme dabei helfenkön-
nen,das „ideologischeIch“zuüberwin-
den, weil „di eBildwelt des Kinos anders
als die Bildwelt derWerbungimmer auf
eineGemeinschaftzielt“.Eshätteviel be-
deutet,diesen Satz bei der Eröffnung zu
wiederholen. SIMONSTRAUSS

Täglich Neuesvonder Berlinale gibt es
unterhttps://blogs.faz.net/filmfestival/

In Michel DevillesFilm „DieVorlese rin“
spielt Miou-Miou eineFrau, die sichaus-
malt, wie sie aus ihrer Liebezur Lektüre
einen Beruf macht.Inihrer Vorstellung,
die imFilm zurRealität wird, liest sie ei-
ner altenWitwevor,einem pensionier-
tenRichter ,einem behindertenJungen
und einem verklemmten Geschäfts-
mann, undfür jeden hat sie dasrichti ge
Buchund die passendeVerkleidung.Vor
dem Richter,der sic handen Obszönitä-
tendeSades nicht satthörenkann, er-
scheint sie hochgeschlossen,vorder Wit-
we elegant, fürden Jungen zieht sie sich
aus,und mit dem Geschäftsmanngeht
sie insBett.
Esist ein eMännerphantasie,aber
Miou-Miougelingt es,sie wie eineFrau-
enphantasieaussehen zulassen ,jeden-
falls wie eine,mit der Frauen spielen und
in der siebei sic hselbstbleibenkönnen.
Das warvor dreißig Jahren. Aber es ist
keine Kritik an ihremKönnen, wenn
man feststellt, dassMiou-Miou nie bes-
ser warals bei Deville, dennsie warnoch
viele Malegenausogut, al sverträumtes
Landei bei Louis Malle(„EineKomödie

im Mai“)wie als Bergarbeiter-Ehefrau
bei Claude Berri („Germinal“) ,als aben-
teuerlustigeKleinbürgerin bei AnneFon-
taine(„Eine saubereAffäre“) wie als
Mutter des Helden bei MichelGondry
(„Scienceof Sleep“) undinzahlreichen
ande renRollen. Nurhat sie ebennie wie-
der so im Mittelpunktgestandenwie als
Vorleserin, undnie wiederhat ihr eStim-
me so sehrden Raum einesFilms be-
herrschtwie hier–eineStimme,von der
man sich alleserzählen lassenwürde.
DieserStimmeunddem ungekünstel-
tenZauber ihrer Erscheinungverdankt
Miou-Miou, die eigentlich Sylvette Herry
heißt, ihreKarriere. Im Altervonneun-
zehn Jahrengründetesie zusammen mit
ihrem ersten Lebensgefährten Coluche
ein Theater, danac hhattesie kleinere
Filmrollen neben Michel Piccoli und
Louis deFunès,bevor si eals Sidekick
vonPatric kDewaereund GérardDepar-
dieu in Bertrand Bliers „DieAusgebuff-
ten“ international bekannt wurde.
DerFilm, eigentlich eine Satire auf die
sexuelleRevolution und das Hippietum
der Achtundsechziger, wurde einer der

großen Kassenerfolgeder siebzigerJahre
in Frankreich, undMiou-Miou, die darin
mehrereNacktszenen hatte,brauchte
Jahre,umdas damitverbundene Image
wiede rloszuwerden.Indieser Zeit spiel-
te sie einigeihrer stärkstenFiguren: Die
Aussteigerin Marie in AlainTanners„Jo-
nas“, dieKommissarin Corinne inYves
Boissets „DiePolizistin“, die Ehefrau ei-
nes Résistancekämpfersin„Blanche und
Marie“ und die in eineFrau verliebteWit-
we Madeleine in „Entrenous“ vonDiane
Kurys.
Wenn manMiou-MiousFilme Revue
passieren lässt,fällt auf, wiewenig sie
sichaufeinenRollentypusfestgelegt,wie
entschieden sie ihreSelb stbestimmung
im Kino durchgesetz that.Die Vereh-
rung, die französischeFilmstarswie Fan-
ny Ardant undIsabelle Huppert hierzu-
landegenießen,verdeckt oftden Blick
aufjene ihrerKolleginnen, die ebenso
souverän mit denwechselndenKonjunk-
turender Unterhaltungsindustrie umzu-
gehen verstehen .Miou-Miou, die heute
siebzi gJahrealt wird,gehörtgewiss
dazu. ANDREASKILB

Nurdie Tieresind seineVertrauten: Elio Germano als Antonio Ligabue mit seinen Gänsefreunden Fotodpa

Entrückt:Die Heldinnen desStückes„Demweißen Hasenfolgen“ FotoEkaterina Kraeva

Miou-Miou, bürgerl ich Sylvette Herry,in
„DieAussteigerin“von1979 FotoInterfoto

Das ideologische Ichüberwinden


Weiteres
zur 70. Berlinale
finden Sie im
Internetunter
http://www.faz.net/
Berlinale

Beim Theater derrepressi venrussischen
Justiz kann manüber dessen Regisseur
nur rätseln.Zum Verhandlungstermin
imProzessgegendenRegisseurKirillSe-
rebrennikow,den ProduzentenAlexej
Malob rodskiunddieDirektorindesMos-
kauerJugendtheaters Sofia Apfelbaum,
derdas Kulturministerium umfangrei-
cheUnterschlagungenvorwirft,erschei-
nendieAn geklagtenmitih renAnwälten
undeiner ganzen Eskortevon Journalis-
tenund Unterstützern,vondenen nicht
alleauf de nengen Zuschauerbänken
Platz finden. Dochdie formell vonder
RichterinMendelejewageleit eteVorstel-
lungimhaupt städtischen Meschtschan-
ski-Gericht dauertnurzehnMinuten.
Die Theatermanagerin, die damitbe-
auftragt wurde, eineneue, diedritteEx-
pertis eaufzus etzen, vonder die Anklage
hofft, da ss sie dieabenteuerliche nBe-
trugsv orwürfe endli ch erhä rtet,sei auf
Dien streise,teilt Mendelejewa mit. Den
ausgesuchthöflichauftr etenden Ange-
klagten istnachmehr als dreiJahren, die
sich dasVerfahren mittlerweilehin-
schlep pt,wederGereiztheit nochMüdig-
keitanzumerken.Doc hdassdieStaatsan-
waltscha ftvorigenHerbs terfolgreich ge-
gendie Ge richtsentscheidungprotestier-
te,die sub stanzlos eAnklageschriftmüs-
se überarbeitet werden,lässt auf starke
AkteureimHintergrundschließen.Kei-
nerder An geklagtenrechnetmit einem
Freispruch,mitde minRusslandweniger
alsein halbesProzentaller Geri chtsver-
fahren endet. Dochimmerhin können
di edreiKünstler sichnun bis zurnächs-
tenSitzungam16. Märzauf ihr eArbeit
konzentrieren.

ErholungvomStaatspatriotismus
Im Moskauer Gogol-Center probt Sere-
brennikow derzeitmitdeutschenundrus-
sische nSchauspielern sein eBühnen fas-
sung vonGiovanniBoccaccios„Decame-
rone“,die am 8. März am Be rliner Deut-
sche nTheater undimJuniinMoskau
Premierehabenwird. Da der Regisseur,
demsein Pass weggenommen wurde,
ni chtreisenkann unddas Deutsche
Theater dasgemeinsameProjekt nicht
längerverschiebenwollte,kamen die
deuts chenDarstellerzuihm.Serebrenni-
kowmontier taußerdem seinenneuen
Film na ch dem psychedelischenRoman
desJekaterinburger KultautorsAlexej
Salnik ow „Die Petrowsmit Grippe und
drumherum“, obendrein bringt er am 5.
MärzamGogol-Center MartinMcDo-
naghsHorrorko mödie„DieHenker“her-
aus,derenWitzin Russland, wo viele Sta-
lins Massenmorde rechtferti genund Kri-
minalfahnderUnschuldigefoltern,bis
sieabsurdeVerbrechengestehen, finste-
re Frischeentfal tendürfte.
Es ers cheint paradox:Das allabend-
lich ausverkaufte Gogol-Center hatso-
wohl di ehöchs tenEintrittspreiseals
auch die größteAuslastungunter Mos-
kauerTheatern.Zugleichwerdeesunter-
stützt vonprivate nMäzenen,verrät der
Dramatu rg desHauses,Valeri Pe-
tschejkin, denwir im Lobby-Café tref-
fen. Da eskein Gesetz überKulturspon-
soring gibt,willPetschejkinaber keine
Namennennen.Unterden Besuchern
desGogol-Centers,das einTreffpunkt
derintellektuellen und Glamoureliteist,
siehtmanimmerwiederauchkonservati-
ve Politi ker, die vonAmts wege nden
Künstle rndas Leben schwermachen.
SolcheFunktionäre wolltensichvom
Staatspatriotismus, densie tagsübe rver-
treten,abends erholen undsichamüsie-
ren, erklärtPetschejkin. Er nenntsolch
doppelgleisiges Verhalten „byzanti-
nisch“undnimmtesmitHumor.„Wirha-
benGlück“ ,sagterlächelnd, „unterSta-
linhätteman uns erschossen.“ Freilich,
fürSerebrennikow, der, solangeder Pro-
zess dauert,keineInterviews gibt, sei die
Situationäußer st belas tend.
Alsüberausstarkhatsi ch derzweiund-
sechzigjährigeMalobrodski erwiesen,
der ,auchweil er wenigerprominen tist

undschmächtigaussieht,2017 bis 2018
einJahrimGefängniszubringen musste,
wo die Fahnderihm belastende Aussa-
gengegen Serebrennikow abzup ressen
versuchten.Umsonst. Dafür lernte er in
der Zelleden früheren Bürgermeister
vonWladiwostok,IgorPuschkarjow, ken-
nen, deroffenbar aufgrund falscher Be-
schuldigungeneinsitzt,und über dener
jetz teinenFilm pr oduziert. Wirtreffen
Malob rodski im Meyerhold-Zentrum,
wo die ebenfallsvonihm produzierte
Märchen-Tragödie „Demweißen Hasen
folgen“ (Sabelym krolikom) gespielt
wird,indernebenderrussischenGewalt
gege nFrauen auchdie Unrechtsjustiz
eine Rollespielt .Indem Stück, dasauf
demFestival fürneue Dramen„Ljubi-
mowka“Furoremachte ,nimmt die jun-
ge AutorinMaria Ognewadie wahreGe-
schichtezweier junger Mädchen, die bei
eine rnächtlichenFahrtperAnhal terver-
gewaltigt undgetöte twurden, zum An-
lassfür ein epsychologis cheStudie über
ihreMütterundein eFreundin derMord-
opfer,inderen Lebennachdem Trauma,
wiebei Alice im Wunderland, ni chts
mehr stimmt.
DiefünfunddreißigjährigeRegisseu-
rinPolina Struschk owafindeteinen poe-
tisch distanzierenden Zugang zu dem
schreck lichen Stoff.Sie vergegen wärtigt
dasSchicksal der Mädchen, indem sie
zwei jungeSchauspielerinnenals weiße
Engel in zerknittertenPapierkleidern
auftretenlässt,die an Seilen plötzlichin
denTheaterhimmelfliegen, während
ihr eletzteFahrtdurch den Wald als be-
schleunigter Film vertikal abgespult
wird.Vor einem leeren runden Tisch
sitzt eineMutter-Darstelleri napathisch
im Sessel–später wirdsie vom„Willen
Gottes“redenund da von, das ssie am
liebstenselbs tsterben würde–,während
die anderesie ant reibt,mit ihr um Ge-
rechtigkeit zu kämpfenund den Mörder,
dersichdurch Schmiergeld freikaufen
konnte,dingfest zu machen.Die überle-
bendeFreundin hat Angst,dassihr et-
wasÄhnlichespassierenkönntewie den
beidenFrauen .Alssie vonihrem Partner
schwangerwird,will sie daherdas Kind
abtreiben.
Nach derVorstellungbleibt einTeil
desüberwiegend weiblichen Publikums
imTheater-Café,umsichmitzweiThera-
peutinnenüberdasStückundeigeneVer-
lusterfahrungen auszutauschen. Auch
ein solche rSchocksei üb erwindbar,ver-
sichertdie Psy chologinMilaKudrjako-
wa,manche nhelfees, darüber zu spre-
chen.Hauptsa che, man beschuldige
nichtsichselbst.DieRegisseurinStrusch-
kowa gedenkt obendrein der aktuellen
russischenJustizopferund sprichtden in
derHaftgefol terten lin kenAktivi sten,
die unlängs tinPensa langeHaftstrafen
bekamen,weilGeheimdienstlerihnen
Umsturzplänevorhielten, ihreSolidari-
tätaus.

Erschrockene Koloraturen

Einprovokatives Frauenoratorium „
Tage“,dasDebütstückvonOlgaSchil jaje-
wa,ist un terdes derRenneram„Te-
atr.doc“.Die ironiefähigeFeministin
Schilj ajewavergege nwärtigt dasDrama
desFrauseinsals Dialogeines reflektie-
renden Ichmit einem wildenChor,der
die hormonelle Achterbahnfahrtdes
weibli chen Zyklusvergege nwärtigt .In
derRegievonJuriMurawizkiundSw etla-
na Michalischtschewa trälle rt die als Fa-
schingsprinzessin kostümier te Sänger-
schauspielerinNadeschdaFljorowavirtu-
os erschrockene Koloraturen über ihre
Blutungenund ihrebaldaggressiven,
bald liebevollen, balddepressiven Ge-
mütszustände, die ihr einruppigesRap-
perinnen-Ensemble im Gothic-Look als
Follikel- ,Ovulations- beziehungsweise
Lutealphase erklärtund in zornige,lüs-
terne,zä rtliche,dabeistetsäußer st expli-
zite Gruppentänze übersetzt. Das intel-
lektuelle Publikum im ausverkauften
Saal amüsiertsichköniglich.

Vonihr würde man sichalles erzählen lassen


Die Souveräne:ZumsiebzigstenGeburts tagder französischen Schauspielerin Miou-Miou


DerWettbewerbder


Berlinale beginnt mit


eine rleide nschaftlichen


Verfilmung des Lebens


vonAntonio Ligabue


undeinem keusch-


gruselkomischen


Psychoth riller chen.


Unserestarken Männer


müssenins Gefängnis


Russische Theaterszene /VonKerstin Holm, Moskau

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