Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

»Orte des guten Lebens«


Eine Stadt muss grün und gesund sein, sagt der neue Chef des Umweltbundesamtes. Ein Gespräch über Klima, Wachstum und Digitalisierung


DIE ZEIT: Herr Messner, Sie sind Experte für
Lateinamerika und China, Sie haben die Bundes-
regierung zu globalen Umweltveränderungen be-
raten. Jetzt leiten Sie die nationale Umweltagentur,
die der Regierung untersteht. Ist Ihnen dieser
Rahmen nicht zu eng?
Dirk Messner: Im Gegenteil, wir arbeiten im Um-
weltbundesamt mit 1700 Menschen sehr interna-
tional. Bei allem, was ich vorher gemacht habe,
ging es um Nachhaltigkeit – dafür ist Deutsch-
land international besonders wichtig. Ob eine so
große Exportnation den Wandel zu mehr Klima-
und Umweltschutz und zugleich mehr Gerechtig-
keit schafft, hat Signalwirkung für die Welt. Mich
motiviert, dass die Entscheidungen jetzt oben auf
der politischen Agenda stehen: die Energie- und
Mobilitätswende, Umbau der Städte, die Zukunft
der Landwirtschaft, der Kreislaufwirtschaft oder
Chemikaliensicherheit.
ZEIT: Das UBA hat eine Doppelrolle: Einerseits
ist es eine Kontrollbehörde, die etwa prüft, ob zu
viel Nitrat im Boden oder Feinstaub und Treib-
hausgase in der Luft sind. Andererseits soll sie
strategisch forschen. Wo setzen Sie Prioritäten?
Messner: Ganz oben steht der Klimaschutz. Da
läuft uns die Zeit weg! Zweitens wollen wir den
europäischen Green Deal mit befördern. Das UBA
ist nach der amerikanischen und der chinesischen
Umweltbehörde die drittgrößte weltweit. Ich
möchte politische Prozesse stärker im Schulter-
schluss mit anderen europäischen Umweltagentu-
ren und Partnern vorantreiben.
ZEIT: Zum Beispiel?
Messner: Stichwort Green Deal. Wir könnten uns
vornehmen, die Emissionen des innereuropäischen
Flugverkehrs um 80 Prozent zu senken. Mit anderen
EU-Umweltagenturen könnte man alternative Ver-
kehrsinfrastrukturen für Europa entwerfen.
ZEIT: Wie glaubwürdig kann das UBA in Europa
auftreten? Deutschlands Ruf als Ökovorreiter ist
beschädigt. Wegen schlechter Luft und zu viel Nitrat
in Gewässern drohen Klagen oder Strafen der EU.
Messner: Das stimmt leider. Bei vielen Klima- und
Umweltthemen herrscht hierzulande oft noch
Halb herzigkeit, Stagnation, zuweilen sogar Rück-
schritt. Der Klimaschutz kommt voran, aber bei
den erneuerbaren Energien stockt es. Kürzlich hat
das UBA gezeigt, dass die Umweltsektoren der
Wirtschaft ihren bisherigen Vorsprung bei For-
schung, Patenten und Arbeitsplätzen verlieren.
Wir brauchen den Umweltschutz aber als Beschäf-
tigungsmotor.

ZEIT: Stattdessen soll im nordrhein-westfälischen
Datteln ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen.
Werden Sie das zu verhindern suchen?
Messner: Entscheidend ist, dass wir unsere Klima-
schutzziele erreichen und weiter erhöhen werden –
darum geht es bei der nächsten Klimakonferenz in
Großbritannien. Da drängelt das UBA sehr. Wenn
das passiert, habe ich kein Problem damit, wenn
wir das neue Kohlekraftwerk in Betrieb nehmen
und dafür andere Dreckschleudern schneller vom
Netz gehen.
ZEIT: Aber womöglich zu spät, weil die Bundes-
regierung den Ausbau der erneuerbaren Energien
verschleppt.
Messner: In der Tat können wir die Klimaziele
ohne schnelleren Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien nicht einhalten. Allein bei der Windenergie
an Land müsste sich die installierte Kapazität bis
2030 nahezu verdoppeln. Die große Koalition
muss den Deckel für den Ausbau der Solaranlagen
aufheben. Und pauschale Abstandsregeln bei
Windrädern schaden ganz klar der Energiewende


  • besser wäre, Widerstände vor Ort auf Augen-
    höhe mit den Anwohnern zu lösen.
    ZEIT: Es gibt aber auch Widerstand bis hin zu
    Rechtspopulisten, die den Klimawandel verharm-
    losen.
    Messner: Wir befinden uns in einer Zeit des Um-
    bruchs und der Verunsicherung – ähnlich wie vor
    hundert Jahren. Gesellschaften sind gestresst –
    durch Globalisierung, Urbanisierung, Digitalisie-
    rung, künstliche Intelligenz. In so einer instabilen
    Situation brauchen wir Visionen, die Zuversicht
    schaffen. Eine Idee, wohin man eine Gesellschaft
    entwickeln möchte. Das ist in meinen Augen die
    Nachhaltigkeitsidee.
    ZEIT: Viele Menschen in Deutschland sehen darin
    noch mehr Zumutung: Jetzt soll ich mehr bezah-
    len, darf nicht mehr Auto fahren, kein Fleisch
    mehr essen ...
    Messner: Wir müssen die Verbrennung fossiler
    Energieträger bis 2050 einstellen und gleichzeitig
    unseren Ressourcenverbrauch radikal senken. Klar
    löst das Sorgen aus. Statt immer nur von Reduk-
    tion zu sprechen, sollten wir von der Aussicht auf
    neue Modelle der Wohlfahrt und Lebensqualität
    erzählen. Vielen Menschen ist die Fähigkeit ab-
    handengekommen, sich eine bessere Zukunft vor-
    zustellen – stattdessen nährt Zukunftsangst den
    Boden für rechtspopulistische Demagogen. Eine
    Perspektive liegt für mich im Umbau der Städte.
    ZEIT: Warum gerade der Städte?


Messner: Das Wohlbefinden der Menschen hängt
stark davon ab, wie ihre Lebensräume gestaltet sind.
In den Fünfziger- bis Siebzigerjahren haben wir die
Autostadt gebaut, mit der Folge, dass wir nicht
mehr tief durchatmen können. Die Forschung
zeigt, in unwirtlichen Städten verlassen viele Leute
ihre Häuser nur noch, um zum Einkaufen oder zur
Arbeit zu gehen – aber immer weniger, um Nach-
barn zu treffen. Eine Stadt muss grün sein, sicher,
gesund und Begegnungen ermöglichen. Dann ent-
steht mit der Lebensqualität die Grundlage einer
demokratischen Bürgergesellschaft. Wir sollten die
lokale Politik aufwerten und Städte finanziell so aus-
statten, dass sie ihre entscheidende Rolle spielen
können: Orte des guten Lebens zu werden.
ZEIT: Bei der Klima- und Umweltforschung wird
oft bemängelt, sie sei zu technisch-naturwissen-
schaftlich und kümmere sich nicht um Akzeptanz.
Messner: Bürger akzeptieren strengere Regeln oder
setzen sich selbst dafür ein, wenn es ihnen Perspek-
tiven eröffnet und das sozial gerecht umgesetzt
wird. Wir im UBA werden versuchen, diese not-
wendige Transformation mit anzuschieben.
ZEIT: Gleichzeitig müssen Sie die Regierung an-
schieben. Ihre Amtsvorgängerin wirkte zuletzt recht
frustriert. Nach dem neuen Klimaschutzgesetz sind
verschiedene Ressorts für die Einhaltung klimapoli-
tischer Vorgaben zuständig. Da wird das UBA den
Ministerien auf die Finger schauen und notfalls
hauen müssen. Freuen Sie sich auf den Streit?
Messner: Klimapolitik ist keine Sache des Umwelt-
ministeriums allein. Das gilt ebenso für Biodiversi-
tät, Chemikalien und andere Probleme. Deswegen
finde ich es sehr gut, dass jetzt alle Ressorts Rechen-
schaft ablegen müssen, wo sie Klimagase mindern.
ZEIT: Leider ist ein geplanter Sanktionsmechanis-
mus wieder gekippt worden. Wenn der Verkehrs-
minister hinter seinen Vorgaben zurückbleibt, hat
das für sein Ressort keine Folgen.
Messner: Das Umweltbundesamt wird die Klima-
schutzleistungen der Ministerien auswerten und
auf Lücken hinweisen. Und zwar jedes Jahr. Diese
Erhebungen werden dann von einem Expertenrat
geprüft. Ressorts, die ihre Vorgaben verfehlen,
müssen innerhalb von drei Monaten nachweisen,
wie sie die Lücke schließen wollen.
ZEIT: ... und gegebenenfalls müssen Frau Klöckner
und das Landwirtschaftsministerium nacharbeiten?
Messner: ... oder auch Herrn Scheuer und das
Verkehrsministerium. Im Verkehrssektor wurden
in den vergangenen zwei Jahrzehnten so gut wie
keine Fortschritte bei der Reduzierung von Emis-

sionen erreicht. Und: Ja, ich freue mich auf den
Streit um die wirksamsten Lösungen.
ZEIT: Das Großthema Digitalisierung ist bei der
Debatte um Klimawandel und Transformation
immer noch ein weißer Fleck. Wie wollen Sie es
auf die Agenda bringen?
Messner: Die Digitalisierung spielte bis vor
Kurzem weder bei den UN-Zielen für nachhaltige
Entwicklung noch beim Pariser Abkommens zum
Klimaschutz eine Rolle. Das wurde vor fünf Jah-
ren komplett verschlafen. Dabei können uns diese
Technologien beim Übergang zu einer Green
Economy helfen. Mit ihnen können wir erfassen,
welche Rohstoffe in eine Stadt hinein- und wieder
aus ihr herausfließen. Diese Daten braucht man,
um zu überlegen, welche Kreisläufe man auf loka-
ler, nationaler oder globaler Ebene schließen will.
Digitalisierung könnte Nachhaltigkeit befördern.
Doch dafür müssen wir sie entsprechend aus-
richten, ansonsten verlängert sie alte Muster.
ZEIT: Selbst wenn wir unsere Wachstumsökonomie
auf Klimaschutz ausrichten, entfesseln wir einen
Run auf Rohstoffe wie Kobalt, Lithium oder Nickel,
der seinerseits wieder zur Gefahr für Ökosysteme
wird. Müssen wir nicht weg vom Wirtschafts-
wachstum?
Messner: Ich glaube, dass es hier bei uns wie in der
ganzen Welt Menschen gibt, deren Einkommen
und damit auch Konsumkraft noch steigen soll-
ten. Das gilt ganz besonders für die Ärmeren im
globalen Süden, die mit weniger als drei Dollar am
Tag auskommen müssen. Wachstum komplett zu
stoppen geht nicht. Wichtig ist es, Leitplanken für
globale und lokale Umweltsysteme und Ressour-
cen aufzustellen. Und über Fairness und neue
Wohlfahrtskonzepte nachzudenken.
ZEIT: Wenn man Ihnen zuhört, ist die Lösung
dieser Probleme nur eine Frage der Zeit.
Messner: Ich bin ein optimistischer Mensch. Sonst
könnte ich den Job nicht machen. Ich sehe natür-
lich, dass vieles nicht schnell genug geht. Das ist
meine größte Sorge. Aber dass diese Gesellschaft
nichts kapiert hat und dass nichts passiert ist, das
ist eine Fehlwahrnehmung. Die Bausteine, die wir
für den Umbau brauchen, haben wir längst. Wir
müssen sie nun zusammenfügen.

Das Gespräch führten
Andrea Böhm und Christiane Grefe

Der Nachhaltigkeitsforscher Dirk Messner, 57, ist seit
Januar Präsident des Umweltbundesamtes

UMWELT


W


enn junge Wissenschaftler,
ironiebegabt und trotzdem
ernsthaft, einen Abend, das
heißt eine Talkrunde lang, auf
Harald Schmidt stoßen, kann das eigentlich
nur gut gehen. Auf amüsante Weise reden sie
entweder aneinander vorbei, oder das Beha-
gen ergreift sofort sämtliche Beteiligte, das
Publikum eingeschlossen. Beides ist auch
möglich, und zwar gleichzeitig. Die Junge
Akademie der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften und der Leo-
poldina hatte vergangene Woche unter dem
Titel »Populärkultur(en)« in den Heimatha-
fen in Berlin-Neukölln eingeladen: schöner
Saal, große Neugier, alle sehr aufgeräumt.
War es trotzdem interessant?
Ja. Die unterschiedlichen Perspektiven
zwischen professioneller Lustigkeit und Ge-
lehrsamkeit wurden sichtbar, auch wenn das
vielleicht nicht beabsichtigt war. Wahr-
scheinlich stand die Suche nach Gemeinsam-
keiten am Anfang, sagen wir die verbreitete
Überzeugung, dass Ernsthaftes und Populä-
res sich mittlerweile fröhlich mischen und
eine Trennung zwischen hoch und niedrig
nicht mehr existiert. Aber das ist nicht so.
Darauf bestand der Gast mit Nachdruck.
Seine Komödiantenehre verlangte, dass an
dieser Stelle nichts verwechselt werden darf.
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist
Harald Schmidt der fröhliche Anarchist der
Diskurse, aus der Sicht des deutschen Unter-
haltungsgewerbes ist er eine Art Doctor sub-
tilis. Immerhin verhalf er dem deutschen
Fernsehen zu seinen wenigen intellektuellen
Sternstunden, die auch
nochmals beschworen
wurden: 2003 bei-
spielsweise die Version
des Ödipus-Mythos,
dargestellt von Play-
mobilfiguren, oder
2008 seine Erklärung
des »Fahrstuhleffekts«
des Sozialhistorikers
Hans-Ulrich Wehler
(mal steht der Wohl-
standsindex höher, mal niedriger, die Klassen-
struktur bleibt, wie sie ist).
Schmidt wurde nicht müde, daran zu
erinnern, am Erwerb von Bildungsgut un-
interessiert zu sein. Sobald ihm komplexe
Sachverhalte begegnen, beeindruckt er aber
durch Furchtlosigkeit. Dass einer über alles
reden kann, und zwar massen- wie eliten-
tauglich gleichermaßen, löst in diesem Fall
Bewunderung aus. Lässt sich von ihm ler-
nen, wie man die Menschen gewinnt? Selbst-
verständlich nicht, bedeutete der Guru, ge-
nauer gesagt, er führte es vor.
Bloß keine Anbiederung! Seine intellek-
tuelle Popularität beruhte auf einem Zusam-
menspiel glücklicher Konstellationen. Der
Zufall hievte ihn in die fernsehgöttergleiche
Position, was harte Arbeit einschließt. Denn
die Zeit war Schmidt gewogen, das TV noch
ein bisschen intakt, ein Rest von Allgemein-
bildung noch im Umlauf. Er ist nun eine
Ein-Mann-Institution.
Die Junge Akademie hingegen ist ein
Projekt der beiden ganz alten Wissenschafts-
akademien und gibt mittlerweile 50 Nach-
wuchswissenschaftlern, die durch Leistung
früh auffielen, die Gelegenheit zu ungewöhn-
lichen, gemeinsamen Unternehmungen. Eine
davon ist diese Veranstaltungsreihe aus Anlass
des 20. Jahrestags ihrer Gründung. Das Wort
»interdisziplinär« als Idee der Jungen Akade-
mie trifft es nicht ganz: Gefragt ist eher der
Mut, über den Tellerrand des Wissenschaftli-
chen zu blicken, vor allem aber sich als For-
scher weiter in die Gesellschaft hineinzube-
geben, als der Elfenbeinturm es sonst vorsieht.
Deswegen also an diesem Abend Schmidt:
Wo er jedweden Blick auf die Welt einneh-
men, imitieren, parodieren kann, um dann
sofort weiterzuschweifen, muss die Wissen-
schaft gleichsam stramm bleiben. Im Grunde
darf sie nur einen einzigen Blick auf die Welt
werfen, aber den müssen im Prinzip alle ein-
nehmen können, er muss nachvollziehbar und
kontrollierbar bleiben, kurz, er ist nicht son-
derlich sexy. Gleichwohl, so könnte man das
Fazit des Abends umreißen, muss der Unter-
schied der Sichtweisen keine Feindseligkeit
provozieren. Was wiederum die Frage aufwirft,
ob der wissenschaftliche Nachwuchs etwas tun
kann, damit sich an der Schnittstelle zur
Öffentlichkeit in Zukunft mehr tut als bisher.
Klar, kann er, sagte Schmidt, und sein
Rat war ebenso simpel wie plausibel: Macht
es wie die Amerikaner, riet er, gewinnt euer
Publikum, redet verständlich, und vermei-
det deutschen Dünkel und dogmatischen
Griesgram. Populär ist, zu signalisieren, dass
man nicht das Wissen selbst ist, sondern nur
sein Vertreter. THOMAS E. SCHMIDT

A http://www.zeit.deeaudio

Wenn wissenschaftliche
Gelehrsamkeit auf Lustigkeit trifft

In der Schmidt-


Akademie


Fotos: Jonas Hafner; Peter Himsel für die Junge Akademie (r.)
Plätze, an denen man noch tief Luft holen darf, sind selten geworden Fröhlicher Anarchist
und Ex-Entertainer:
Harald Schmidt, 62



  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 WISSEN 33

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