Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

TECHNIK


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Noch mehr Wissen


In der Vorstellung ganz
simpel: Mit Strom wird
Wasser aufgespalten
in Sauerstoff und
Wasserstoff. Letzterer
dient als Treibstoff

Umweg nach vorn


Wasserstoff wird auch für Privat­Pkw als Sprit der Zukunft gepriesen – doch hier hat
der Energieträger drei entscheidende Nachteile VON STEFAN SCHMITT

I


n die Zukunft geht es nicht ohne Umwege.
Für den Materialforscher Thomas Klassen
heißt das, er muss auf seinem Weg von
Geesthacht im Südosten Schleswig­Hol­
steins nach Kiel erst einmal über Hamburg
fahren. In Kiel soll Klassen über die Zukunft
sprechen: wie der Ausstoß von Treibhaus­
gasen mithilfe von Wasserstoff gesenkt werden kann.
Der Wissenschaftler forscht am Helmholtz­Zen­
trum in Geesthacht an neuartigen Tanks dafür. Im
politischen Berlin liefert das Gas gerade Stoff für
Träume, die Bundesregierung arbeitet an einer
»Nationalen Wasserstoffstrategie« (ZEIT Nr. 8/20).
Aber ausgerechnet das, was in der aktuellen Euphorie
von vielen beschworen wird, hält Klassen an diesem
Mittwoch im Fe bru ar davon ab, auf direktem Wege
ans Ziel zu gelangen: ein Wasserstoffauto.
Solche Pkw sind paradoxe Vorreiter. Denn sie
sind nicht nur Botschafter für den neuen Energie­


träger. Man kann an ihnen auch sehen, warum
Wasserstoff im Individualverkehr ein eher unwahr­
scheinlicher Ersatz ist für Benzin oder Diesel ist.
Rund 260 Kilometer sind es von Geesthacht
nach Kiel und zurück. Thomas Klassen ist sich
unsicher, ob die verbleibende Tankfüllung seines
Wasserstoff­SUV ausreichen wird. Allerdings ist es
weder in Geesthacht noch in Kiel möglich, dessen
Tank zu füllen. Und deshalb muss der Umweg über
Hamburg sein.
Der Mangel an Tankstellen ist der erste von drei
großen Nachteilen: Nur etwa eine Tankstelle mit
Wasserstoff­Zapfsäule pro eine Mil lion Einwohner
gibt es in Deutschland. Das Netz gewöhnlicher
Benzin­Tankstellen ist ungleich dichter, eine auf
knapp 6000 Menschen.
Die zweite, höhere Hürde stellt die Physik dar.
Bevor das Gas grünen Antrieb leisten kann, muss
Energie auf kompliziertem Weg vielfach umgewan­

delt werden, etwa so: von Windkraft zu Strom, mit
dem per Elektrolyse Wasserstoff erzeugt wird, wel­
cher unter Druck und Kühlung gelagert und trans­
portiert werden muss und schließlich in der Brenn­
stoffzelle eines Autos wiederum Strom erzeugt, der
letztendlich den Elektromotor antreibt. »Mit der
Umwandlung in jedem weiteren Einzelprozess
verringert sich der jeweilige Gesamtwirkungsgrad«,
fassen die Experten der Denkfabrik Agora Verkehrs­
wende das Problem zusammen. Kaum ein Drittel
der ursprünglich eingesetzten Energie kommt am
Ende auf der Straße an – nicht besonders effizient
(bei einem batteriebetriebenen Elektroauto sind es
immerhin mehr als zwei Drittel).
Überhaupt, und das ist Nachteil Nummer drei,
hat das Batterie­Elektroauto einen deutlichen Vor­
sprung gegenüber Modellen mit Brennstoffzelle und
Wasserstoff: Diese Kategorie ist so unbedeutend,
dass sie in der monatlichen Zulassungsstatistik des

Kraftfahrt­Bundesamtes noch gar nicht erwähnt
wird. Die Behörde verweist auf eine Sonderaus­
wertung, nach der Anfang 2019 nur 386 solcher
Autos zugelassen waren, davon 372 Pkw. Neuere
Zahlen liegen noch nicht vor, es dürften aber
kaum mehr als 500 Fahrzeuge sein. Dem standen
zu Jahresbeginn knapp 240.000 Batterie­Elektro­
mobile gegenüber, wie der Verband der Automo­
bilwirtschaft gezählt hat. Schließlich setzt die Re­
gie rung hier schon seit Jahren Anreize, nicht nur
beim Autokauf, sondern auch beim Bau von La­
destationen. Dass die wenigen Brennstoffzellen­
Modelle derzeit auch noch konkurrenzlos teuer
sind, geschenkt – es ist ein ungleiches Rennen.
Dennoch bescheinigt der Entwurf der Natio­
nalen Wasserstoffstrategie der Brennstoffzelle
»auch im Pkw­Bereich (...) gute Perspektiven«.
Bezeichnenderweise besonders da, wo reine Bat­
terieautos an ihre Grenzen kommen, »bei Fahr­

zeugen mit einem hohen Eigengewicht, im
Dauer be trieb und im Einsatz auf langen Stre­
cken«. Wer die drei großen Nachteile des Energie­
trägers vor Augen hat, mag sich da wundern.
Weil aber die Treibhausgas­Emissionen (und
an manchen Orten auch die Luftverschmut­
zung) im Straßenverkehr inakzeptabel hoch
sind, bleibt der Wasserstoff im Spiel: In der
Brennstoffzelle erzeugt er nur Wasserdampf.
Sofern er mit Ökostrom produziert wurde, ist er
sogar klimaneutral. Zumindest die CO₂­Statis­
tik ließe sich mit dem Gas drücken: Das gilt
sowohl für den Durchschnitt (»Flottenausstoß«)
einzelner Hersteller, die mit den EU­Obergren­
zen hadern, als auch für die nach wie vor
ansteigende Emissionskurve des gesamten deut­
schen Verkehrssektors.
Und dafür würde man, zumindest in Berlin,
wohl auch ein paar Umwege in Kauf nehmen.

Mein Morgentrott ist dahin, gefühlt seit Wochen


  • wegen zwei defekter Rolltreppen am Hambur­
    ger Jungfernstieg. Statt aus der S­Bahn quasi
    direkt auf die Rolltreppe nach oben zu fallen, irre
    ich im Untergrund umher, wühle mich durchs
    Gedränge und werde danach mit 53 Stufen
    bestraft. Neulich bin ich auf dem Nachhauseweg
    in die falsche Bahn gestiegen. Die Abläufe stim­
    men nicht mehr. Wie lange geht das noch so?
    Anruf bei der Deutschen Bahn in Hamburg.
    Zunächst der dezente Hinweis: Schreiben Sie
    bloß nicht »Rolltreppe«, sonst kriegen Sie böse
    Leserbriefe, es muss »Fahrtreppe« heißen! Schließ­
    lich würde ich auf diesen Wunderwerken der
    Technik ja nicht rollen, sondern fahren – nicht
    wahr? Hm, mir eigentlich egal. Ich möchte ein­
    fach nur stehen und mich trotzdem mit einem
    halben Meter pro Sekunde (laut EU­Norm 115
    sind maximal 0,75 Meter pro Sekunde drin)
    weiter nach oben bewegen.
    Ich gehöre nicht zu jenen Menschen, die sich
    an Silvester vorgenommen haben, mehr Treppen
    zu steigen. Darum finde ich es höchst unerfreu­
    lich, dass die Bauarbeiten, die an meinem ersten
    Arbeitstag im neuen Jahr begonnen haben, bis
    Ende März gehen sollen. Vier Fahrtreppen wer­
    den in dieser Zeit parallel ausgetauscht, weil sie
    das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, so
    ein Sprecher der Bahn.
    15 Jahre waren sie im Einsatz, an 365 Tagen
    im Jahr, rund um die Uhr. Tausende Fahrgäste
    sind auf ihnen herumgetrampelt, mit schmutzi­
    gen Schuhen, Jugendliche haben sie aus Spaß
    mit dem Nothalteknopf ausgebremst. Ich werde


ein bisschen ehrfürchtig, google herum – und er­
fahre, dass es die Rolltreppe, so wie wir sie heute
kennen, mit beweglichen Stufen an einer Kette
befestigt und von einem Elektromotor angetrie­
ben, seit 100 Jahren gibt. 1920 entwickelte die
amerikanische Firma Otis Elevator Company die
erste ihrer Art.
Dann sollte es doch reichlich Erfahrung da­
rin geben, so ein Ding schnell auszutauschen.
Da ich dort unten allerdings so gut wie nie
jemanden arbeiten sehe, egal, ob ich morgens,
mittags oder abends durch den Bauzaun in den
Schacht spähe, ist es kein Wunder, dass das so
lange dauert.
Nun ist es mal wieder nicht so einfach, wie
der verwöhnte Nutzer sich das vorstellt: Ein gro­
ßer Teil der Bauarbeiten findet in der Nacht
statt, damit Leute wie ich sich nicht noch mehr
ärgern. »An der Station Jungfernstieg ist die
Situation aus logistischer Sicht eine besondere
Herausforderung«, sagt der Bahn­Sprecher, »da
die Fahrtreppen nicht über die Aufgänge auf die
Straßenebene gebracht werden können.« Die
ausgedienten Treppen seien zu groß und müssten
in zwei, drei Teile zerlegt und über die S­Bahn­
Gleise entsorgt werden. Manche Rolltreppen
kriegt man überhaupt nur raus aus den Gängen,
wenn vorher andere demontiert worden sind,
darum auch vier auf einmal. Es ist kompliziert.
Harte Nachtarbeit gegen banalen Morgen­
trott. Ich sag nie wieder was. Wobei – hatte ich
schon die 69 Extrastufen erwähnt, die ich steigen
muss, weil der Aufzug in der Redaktion seit Wo­
chen defekt ist? JOHANNA SCHOENER

Rolltreppenwitz


Die Macht der Maschinen


34 WISSEN 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10


Illustration: Max Guther für DIE ZEIT

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